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Inspektion der Erde

Neue Methoden enthüllen, was unseren Planeten formte und wie wir ihn prägen

AutorSpektrum der Wissenschaft
VerlagSpektrum der Wissenschaft
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl92 Seiten
ISBN9783958921849
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Moderne Technik vereinfacht und präzisiert das Studium unseres Planeten. Sie unterstützt die Feldforschung von Geologen, Paläontologen, Archäologen und anderen Forschungszweigen, die die Erde untersuchen. Selbst kleinste Spuren einzelner Elemente verraten uns etwas über die Vergangenheit der Erde, und hochgenaue Messungen gestatten Blicke in die Zukunft. Dank Erdbeobachtungssatelliten und deren Untersuchungen der Erdatmosphäre ist es Klimaforschern überhaupt erst möglich, die globalen und rasanten Veränderungen auf der Welt zu erfassen, die zu den größten Herausforderungen für die Gesellschaften des kommenden Jahrhunderts zählen werden. In diesem Sonderheft sind die aktuellsten Artikel zu den Themen Erdentwicklung und Klimawandel aus 'Spektrum der Wissenschaft' zusammengefasst.

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Leseprobe

SONNENSYSTEM
KRAWALL IN
DER KINDERSTUBE


Bisher haben Astronomen angenommen, unsere Planeten seien langsam und relativ geordnet entstanden. Neuen Befunden zufolge formten sich die wesentlichen Bausteine des Sonnensystems jedoch in wenigen, turbulenten Jahrmillionen.

AUF EINEN BLICK
UNRUHIGE NACHBARSCHAFT

1 Bislang stellten sich Wissenschaftler die Entwicklung des Sonnensystems als ein allmähliches und stetiges Wachstum von kleinen, kalten Gesteinsbrocken zu Planeten vor.

2 Jüngste Untersuchungen deuten allerdings darauf hin, dass große Objekte bereits früh aus Kollisionen zwischen äußerst heißen und differenzierten Himmelskörpern hervorgegangen sind.

3 Um diese Hypothese zu überprüfen, schicken Forscher 2022 eine Sonde zu dem Asteroiden Psyche, der vermutlich der Kern eines solchen Planetenvorläufers ist, dessen Gesteinshülle bei Kollisionen verloren ging.

Ich verließ gerade einen Unterrichtsraum am Massachusetts Institute of Technology, in dem ich mit Studenten über die Entstehung von Planeten diskutiert hatte, als mich mein Kollege Ben Weiss aufhielt. Er untersucht den Magnetismus von Gesteinsbrocken aus dem All – und war sehr aufgewühlt. Weiss zerrte mich den Flur entlang in sein Büro und zeigte mir gerade erhobene Daten eines dieser Objekte, des Allende-Meteoriten. Seine neuen Informationen sollten nahezu alles verändern, was Planetengeologen bisher über unser Sonnensystem zu wissen glaubten.

Der Allende-Meteorit war 1969 über Mexiko in einer gewaltigen Feuerkugel in der Atmosphäre explodiert und in zahllosen Bruchstücke zur Erde gestürzt. Er enthält mit die älteste bekannte Materie unseres Sonnensystems. Weiss und ich trafen uns 2009. Im Herbst jenes Jahres hatten er und sein Team gezeigt, dass der Meteorit Spuren eines früheren Magnetfelds enthält. Das war überraschend, denn solche Felder konnte nach damaliger Ansicht nur ein magnetischer Dynamo aus heißem, flüssigem Metall im Inneren eines Planeten hervorbringen. So entsteht auch das irdische Magnetfeld. Doch vom Allende-Meteoriten nahmen die Forscher an, dass es sich um das Fragment eines nur leicht warmen so genannten Planetesimals handelte: eines Planetenbausteins in einer viel früheren Phase des Sonnensystems. Dieses Planetesimal, dachten die Wissenschaftler, hätte niemals heiß genug sein können, um das in ihm enthaltene Metall zu schmelzen. Weiss fragte sich: Wie konnte es dann bloß von magnetischen Feldern durchzogen worden sein?

Meine Studenten hatten mich gerade mit Fragen zur Planetenentstehung überschüttet, und so auch herausgefordert, einen Teil der Lehrbuchweisheiten zu überdenken. Daher hatte ich bereits das Grundgerüst einer neuen Idee im Kopf, die vielleicht dabei helfen konnte, die Frage von Weiss zu beantworten. Ich ging hinüber an seine Tafel und begann, meine Gedanken zu skizzieren.

Seit Langem wissen wir, dass Planetesimale kurzlebige, instabile Aluminiumatome enthalten haben, die bei ihrem Zerfall Energie abgeben. Somit hätte das Isotop Aluminium-26, kurz 26Al, die Planetesimale aufwärmen können. Ich stellte mir vor, im Ursprungskörper des Allende-Meteoriten wäre die von 26Al erzeugte Hitze groß genug geworden, um das Objekt tatsächlich von innen nach außen zu schmelzen. Metalle hätten sich dabei von Silikatmineralien getrennt und im flüssigen Kern angereichert. Dieser hätte rotieren und so einen magnetischen Dynamo erzeugen können. Die Außenseite des Planetesimals wäre unterdessen vom eisigen Weltraum gekühlt und weiterhin von Gestein und Staub aus der ursprünglichen Scheibe des Sonnensystems beregnet worden.

Planetenpogo statt Bröckchenmenuett


Die Idee, dass die frühen Bausteine des Sonnensystems so viel Energie in sich trugen, entsprach nicht dem, was mir im Studium beigebracht worden war. In vielen Lehrbüchern steht immer noch, das Sonnensystem hätte sich langsam und gleichmäßig gebildet. Die Geschichte liest sich dort etwa so: Vor 4,567 Milliarden Jahren umkreisten Gas und Staub aus einer Molekülwolke in einer scheibenförmigen Ebene einen wachsenden jungen Stern. Geordnet und zivilisiert verband sich diese Materie zu vielen kleinen Steinchen, die langsam zu großen Brocken mit mehreren zehn oder gar hundert Kilometern Größe anwuchsen. Diese Planetesimale stießen zusammen und formten umfangreichere Körper – Protoplaneten, etwa so groß wie der Mars. Erst an dieser Stelle begann die Temperatur der Objekte anzusteigen. Die Protoplaneten waren nun massereich genug, um mit ihrer Anziehungskraft die unmittelbare Umgebung von umherschwirrenden Trümmern zu säubern. Einige von ihnen stießen auch zusammen. So wuchsen sie zu Planeten, in denen sich schließlich die verschiedenen Komponenten trennten und die heute vertrauten Metallkerne und Mantel aus Silikaten bildeten.

So weit die alte Vorstellung. Als Weiss und ich uns den Kopf über den Allende-Meteoriten zerbrachen, hatten bereits eine Reihe anderer Beobachtungen Hinweise auf rasante und heftige Veränderungen im frühen Sonnensystem geliefert. Inzwischen ist es an der Zeit, die zahme Entwicklung von Staub über Gesteinsbrocken, Planetesimale und Protoplaneten zu Planeten durch ein anderes Szenario zu ersetzen. So hat die Entstehung der Planetesimale nicht, wie bislang angenommen, mehrere hundert Millionen Jahre gedauert, sondern gerade einmal drei Millionen Jahre. Wenn wir die gesamte Geschichte unseres Sonnensystems auf einen Tag abbilden, dann beanspruchte die Bildung der Planetesimale nur die allererste Minute. Den kleinen Bausteinen stand mehr Energie zur Verfügung – durch den radioaktiven Zerfall von Aluminium und durch Kollisionen – und deshalb mussten sie nicht erst wachsen, bevor sie eine differenzierte innere Struktur hervorbringen konnten. Relativ kleine Planetesimale beherbergten daher bereits Prozesse, die wir erst bei Planeten erwartet hatten. Ihr Inneres konnte schmelzen, sie zeigten Vulkanismus und wegen ihrer flüssigen Kerne entstanden sogar magnetische Dynamos.

Zudem verlief die Entwicklung nicht geradlinig von kleinen zu immer größeren Körpern. Häufig zerfielen Objekte nach Kollisionen wieder in viele Bruchstücke. Wenn in dieser frühen Phase bereits erste planetengroße Körper auftauchten, wurden sie durch Zusammenstöße oft ihrer äußeren Hüllen beraubt oder ganz zerstört. Die Fragmente trafen auf andere Körper und ließen diese anwachsen. Planeten konnten in lediglich zehn Millionen Jahren auftauchen, auseinandergerissen werden und aus den Trümmern erneut hervorgehen.

Neue Werkzeuge zur Bestimmung haben Planetenforschern dabei geholfen, dieses Bild eines umtriebigen jungen Sonnensystems zu entwerfen. Wissenschaftler haben Instrumente entwickelt, mit denen sich die Häufigkeit von Elementen in Meteoriten auf weniger als ein Millionstel genau bestimmen lässt. Da wir wissen, mit welcher Halbwertszeit radioaktive Elemente zerfallen, können wir auch datieren, wann die Himmelskörper, von denen die Bruchstücke stammen, entstanden sind und sich verändert haben. Überall auf der Welt begannen Forscherteams damit, Meteoritensammlungen zu vermessen – darunter Alex Halliday, der jetzt an der University of Oxford tätig ist, Thorsten Kleine von der Universität Münster, Stein Jacobsen von der Harvard University, Mary Horan und Rick Carlson von der Carnegie Institution of Science und Richard Walker von der University of Maryland.

Den Arbeiten dieser Wissenschaftler zufolge gab es die Planetesimale bereits in den ersten Millionen Jahren nach Beginn der Abkühlung der Staubscheibe. Viele der terrestrischen Planeten könnten sich innerhalb der ersten zehn Millionen Jahre gebildet haben, und vielleicht war sogar ein großer Teil der Erde schon nach einigen zehn Millionen Jahren in Kern und Mantel differenziert.

Untersuchungen ganz anderer Art führten zu ähnlichen Ergebnissen. Mit immer besseren Teleskopen beobachten Astronomen die Entwicklung junger Sterne in anderen Regionen der Milchstraße. Einige davon sind von Scheiben aus Gas und Staub umgeben, ähnlich dem jungen Sonnensystem, in denen Himmelskörper wachsen. Durch einen Vergleich des Alters von Sternen, die bereits von Planeten umkreist werden, und solchen, die sich noch inmitten einer Staubscheibe befinden, gelangten Forscher zu der Erkenntnis, dass derartige Scheiben im Mittel nur drei Millionen Jahre überdauern.

Den Planetesimalen bleibt also im Durchschnitt nur diese Zeitspanne für ihr Wachstum, danach steht kein Rohmaterial mehr zur Verfügung. Materie, die sich bis dahin nicht an die Gesteinsbrocken angelagert hat, ist zwischenzeitlich entweder in den Stern gefallen oder ins umgebende Weltall entwichen. Im Vergleich zur zuvor gängigen Auffassung der Theoretiker, diese Phase der Akkretion dauere mehrere hundert Millionen Jahre, ist das eine ganz erhebliche Beschleunigung des Vorgangs.

Ein starker Hinweis auf die veränderte Zeitrechnung ist der...

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