In der bundesdeutschen Öffentlichkeit und in der einschlägigen Literatur wird häufig davon ausgegangen, dass Integrationsprobleme auf Kultur und Religion beruhen. Die Ausgangsproblematik ist hierbei, dass eine christlich eingefärbte säkulare Mehrheitsgesellschaft einer (zahlenmäßig türkisch dominierten) muslimischen Minderheit gegenüber steht.
Häufig werden der Islam und die Muslime mit einer in einigen Ländern praktizierten radikal-fundamentalistischen Ausprägung gleichgesetzt, insbesondere nach dem 11. September 2001 und auch durch die Anschläge von London, welche von anscheinend „eingebürgerten“ und „integrierten“ jungen Muslimen durchgeführt wurden. Dabei wird nicht beachtet, dass in vielen islamischen Ländern seit langem eine Trennung zwischen Staat und Religion besteht[1]. Trotz der inzwischen 40jährigen Migration von Muslimen ist das Wissen über den Islam in der deutschen Öffentlichkeit gering geblieben. Es wird größtenteils die These vertreten, Muslime wollten sich nicht integrieren, um ihre „kulturelle Identität“ nicht zu verlieren, oder sie könnten sich nicht integrieren, da der Islam dies nicht zulasse. Stehen sich hier islamische Religion und Rechtstaat, Tradition und Moderne, homogene und pluralistische Gesellschaft gegenüber? Sind Muslime nicht gewollt, ist es ihnen nicht erlaubt oder liegt es an der autochthonen Bevölkerung?
Ich beziehe mich in meiner Ausarbeitung auf in Deutschland lebende Türken, muslimischen Glaubens, da diese den größten Anteil der in der BRD lebenden Muslime ausmachen.
Zunächst werden die Termini Integration und Assimilation in Anlehnung an den Soziologen Hartmut Esser geklärt. Dann gebe ich einen kurzen historischen Abriss über die Zuwanderung von türkischen Muslimen nach Deutschland im Zuge der „Deutsch-türkischen Vereinbarung zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt“.
Anschließend beschreibe ich die Darstellung von Ausländern in deutschen Massenmedien, um anschließend in Punkt auf das besondere „Bild“ von Muslimen in der deutschen Öffentlichkeit, verändert durch die Anschläge vom 11. September 2001, einzugehen. Zum Schluss versuche ich zu klären, ob der Islam als eine Art Integrations-/Assimilationsbarierre wirkt und, ob er mit dem Deutschen Rechtsstaat vereinbar ist.
Aufgrund der zu umfangreichen Thematik gehe ich weder auf die soziale Stellung von Muslimen in Deutschland noch auf Integrationspolitik oder spezielle Integrationsfelder wie Arbeitsmarkt, Bildung, Wohnsituation ein. Mit „Muslimen“ sind generell türkische, in Deutschland lebende Muslime gemeint.
Der vielseitige Begriff der Integration wird häufig falsch angewendet oder erst gar nicht verstanden. Medien und Politik verwenden ihn häufig polarisierend für oder gegen Zuwanderung und Migranten.[2] Dabei wird der Begriff der Integration als ein Anpassen von Migranten an die deutsche[3] Gesellschaft beschrieben.
Hier ist jedoch besonders der Begriff der Assimilation oder der Sozialintegration anzuwenden, der den Anpassungsprozess von Zuwanderern an die Gesellschaft als einseitig und von den Migranten ausgehend beschreibt[4] (die Inklusion), obwohl die Gesellschaft Aufnahmebereitschaft zeigen muss.
Der Soziologe Hartmut Esser unterscheidet zwischen vier Dimensionen der Sozialintegration: Kulturation, Plazierung, Interaktion und Identifikation.
Kulturation meint dabei, dass sich die Akteure nötiges Wissen und Kompetenzen aneignen, ein so genanntes Humankapital, in das sie investieren müssen, um für andere Akteure interessant zu sein und in Folge dessen gesellschaftlich angesehene Positionen besetzen können.[5] Er bezeichnet dies auch als kognitive Assimilation, die sich auf das Erlernen von Normenkenntnissen und kulturellen Fähigkeiten, wie der deutschen Sprache, bezieht.[6]
Als wahrscheinlich wichtigste Form der sozialen Integration sieht Esser die Plazierung, bei der es um die Besetzung gesellschaftlicher Positionen geht. Die Akteure werden dabei in ein bereits bestehendes soziales System eingegliedert.
Dazu gehören das Erlangen verschiedener Rechte wie das Staatsbürgerrecht, das damit einhergehende Wahlrecht oder die Übernahme von beruflichen Positionen, die allerdings im Zusammenhang mit dem „Durchlaufen einer gewissen Bildungskarriere“[7] stehen. Dies nennt er auch strukturelle Assimilation, welche beschreibt, inwieweit Migranten im Bezug auf Wohnsituation, rechtliche Situation und berufliche Situation an die Aufnahmegesellschaft angepasst sind.[8]
Interaktionen beschreiben unter anderem soziale Beziehungen, quasi die Plazierung in alltägliche, nichtformelle Bereiche. Esser beschreibt die Interaktion als einen Spezialfall des sozialen Handelns, bei dem Akteure über „ihr Handeln, Relationen miteinander bilden“.[9]
Die identifikative Assimilation beschreibt das subjektive Zugehörigkeitsempfinden und die Entwicklung eines „Wir-Gefühls“ zur Aufnahmegesellschaft.[10] Der im Zusammenhang mit der Sozialintegration als Identifikation beschriebene Begriff bezeichnet die emotionale Beziehung zwischen dem einzelnen Akteur und dem sozialen System als Kollektiv und wird in drei Dimensionen (Werte, Bürgersinn, Hinnahme) unterschieden.[11]
„Integration setzt das Vorhandensein von mindestens zwei Gruppen voraus, die sich in Herkunft, Verhalten, Normen und Wertehaltung differenzieren.“[12] Diese zwei Gruppen werden als Majorität und Minorität beschrieben: Aufnahmegesellschaft und Einwanderer. Die Minorität hat sich der Aufnahmegesellschaft unterzuordnen.
Das Assimilationsmodell Essers geht von einem einseitigen Angleichen der Ausländer an die Aufnahmegesellschaft aus.
Dies ist aber nur in äußerst homogenen Gesellschaften möglich, nicht dagegen in pluralistischen Dienstleistungsgesellschaften wie der Bundesrepublik Deutschland, weil es unmöglich ist, sich an alle Milieus und Lebensstile innerhalb einer pluralistischen Gesellschaft anzupassen.[13]
Allerdings gilt Integration nicht als gelungen, wenn die ethnische Zugehörigkeit und die dazugehörige Lebensweise und Einstellung verschwindet und die der Aufnahmegesellschaft übernommen wird. Erst wenn eine Chancengleichheit in Bereichen wie Arbeit, Wohnen und Bildung gegeben ist, kann eine Integration als erfolgreich angesehen werden. Migranten dürfen dabei nicht nur die unteren Segmente von Wohn- und Arbeitsmarkt offen stehen. Hierzu braucht es einen Sozialstaat, der dies kontrolliert.[14]
In der Bundesrepublik Deutschland leben zurzeit etwa 7,3 Millionen Ausländer, das entspricht einem Anteil von ca. 8,9% der Gesamtbevölkerung. Darunter befinden sich 1,88 Millionen Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit, die mit Abstand größte Gruppe der Nichtdeutschen in der BRD. [15]
Die meisten Türken kamen seit den sechziger Jahren als „Gastarbeiter“, im Zuge der „deutsch-türkischen Vereinbarung zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den deutschen Arbeitsmarkt“ vom 31.10.1961 in die BRD.[16] Für die so genannte erste Generation der türkischen Einwanderer galten besondere Bedingungen im Vergleich zu anderen „Arbeitsmigranten“ wie etwa aus Italien, mit welchem es schon seit 1955 das erste Anwerbeabkommen gab. Der Aufenthalt türkischer Migranten beschränkte sich zunächst auf zwei Jahre (das so genannte „Rotationsprinzip“). Damit distanzierte man sich sehr von der im Umgang mit italienischen „Gastarbeitern“ betriebenen Politik, bei denen ein dauerhafter Aufenthalt inklusive Familiennachzug gewünscht war. Begründet wurde dies damit, dass es keine Einwanderung von Türken nach Deutschland geben dürfe, da eine „Überfremdung“ befürchtet wurde.[17] Des Weiteren wurden Türken vor der Einreise zum „seuchenhygienischen“ Schutz der deutschen Bevölkerung einer Untersuchung unterzogen.
Aufgrund des Drucks von Arbeitgebern, die Türken beschäftigten, wurde das Abkommen mit der Türkei 1964 überarbeitet und ein längerer Aufenthalt vereinbart, da beklagt wurde, dass die Unternehmen ständig gut eingearbeitete Arbeitnehmer durch nicht eingearbeitete ersetzen müssten, was häufig mit Produktionsausfällen und hohen Kosten verbunden war.[18]
Ahmet Fuat Boztepe[19] unterscheidet drei große Phasen der Zuwanderung. Die erste umfasst die Zeit vom ersten Anwerbeabkommen mit der Türkei 1961 bis zum Anwerbestopp 1973. In Folge des Konjunkturrückgangs konnten 1966-1967 erstmals mehr Fortzüge als Zuzüge, also eine erste Remigration, registriert werden. Drei Jahre später, 1970, erreichte die Migrationswelle aus der...