Noch vor weniger als zehn Jahren wäre eine Diplomarbeit mit dem Thema 'Marktforschung im Internet' o.ä. beim überwiegenden Anteil der deutschen Bevölkerung auf eine Wand des blanken Unverständnisses getroffen. "Internet, was ist das?", hätte die unvermeidliche Reaktion auf Nennung des Titels der Arbeit gelautet.
Im heutigen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff 'Internet' die weltweite Verbindung von mehr als 56 Millionen Computern[1], bestehend aus Tausenden von LAN und WAN Netzwerken, die von Universitäten, Organisationen, Unternehmen und Privatpersonen betrieben werden. Obwohl bereits damals existent, war das Internet noch vor zehn Jahren ausschließlich einer begrenzten Gruppe von Nutzern, vornehmlich Militär, Wissenschaftlern und Studenten, zugänglich, welche die Exklusivität ihres Medium z.T. vehement verteidigten. Mit der unter Druck der US Regierung zustande gekommenen Öffnung des 'Netz der Netze' Anfang der 90er Jahre, begann eine Entwicklung, welche sowohl in zeitlichen als auch in quantitativen Ausmaßen ihresgleichen sucht.
Das amerikanische Magazin Newsweek erklärte 1995 zum 'Jahr des Internet'. Das ist insofern eine Untertreibung, als daß kaum eine andere Entwicklung die 90er Jahre ähnlich stark beeinflußt hat und gleichzeitig wegweisend für das kommende Jahrtausend sein dürfte wie das Internet. Bill Gates, Gründer und Präsident von Microsoft, traf mit seiner Äußerung, das Internet sei seit der Einführung des PC von IBM im Jahre 1981 die wichtigste Neuerung auf dem Computermarkt, schon eher die Realität.
Es ist inzwischen fast unmöglich geworden, sich diesem Medium, das in zunehmend mehr Bereiche des Privat- und Berufslebens eindringt, zu entziehen.
Im Zentrum dieser Entwicklung stehen dabei die Internetdienste E-Mail, eine Form von elektronischer Post, und das World Wide Web, welches mittels eines einheitlichen Benutzer-Interface verschiedene Internetdienste integriert und durch multimediale Einbindungen graphisch attraktiver macht.
Im Gegensatz zu den Anfangsjahren konzentriert sich die Internet-'Manie' inzwischen nicht mehr hauptsächlich auf den nordamerikanischen Raum.
Die Zahl deutscher Nutzer wächst jährlich um oft mehr als 50%[2], die Gesellschaft für deutsche Sprache ernannte 'Multimedia' zum Wort des Jahres 1995 und längst sind Begriffe wie 'E-Mail' und 'chatten' auch im heimischen Sprachgebrauch fest verankert. Die ACTA 1999 ermittelte für den Begriff 'Internet' einen Bekanntheitsgrad von 84% innerhalb der deutschen Bevölkerung.
GRAUMANN spricht in diesem Zusammenhang von einer "Online Gutenberg Revolution"[3].
Damit ist das Internet mehr als eine temporäre Erscheinung, oder, wie DODD sagt: "[...] it's big and it isn't going to go away"[4]. Auch BRONOLD stellt fest, daß angesichts der steil nach oben zeigenden Zuwachsraten der Internetnutzung "[...] nicht mehr von einem elitären Minderheiten-Medium gesprochen werden"[5] kann.
Parallel, obwohl bislang weitgehend unabhängig vom Internet, demonstrierte der Wirtschaftszweig der primären Marktforschung[6] in den vergangenen zehn Jahren eine große Progression.
Markt- und produktbezogene Informationen sind durch die Wandlung der Bundesrepublik Deutschland vom Verkäufer- zum Käufermarkt zum entscheidenden Schlüsselfaktor des Erfolgs jedes Unternehmens geworden. Als Folge daraus hat sich der Umsatz der Marktforschungsbranche seit 1989 mehr als verdoppelt[7] und setzt damit ein deutliches Zeichen hinsichtlich der Existenz eines Informationsmarktes.
Neben der Qualität und Relevanz der ermittelten Daten steht inzwischen in steigendem Maße der Zeitfaktor, d.h. wie schnell können die benötigten Informationen erhoben werden, im Fokus des Marktforschungsprozesses.
Dabei geben die Unternehmen den Wettbewerbsdruck, welchem sie sich im Streben nach möglichst hoher eigener Flexibilität ausgesetzt sehen, an die Marktforschungsinstitute, deren Dienste sie erwerben, weiter.
Angesichts dieser beiden, nebeneinander ablaufenden, Entwicklungen stellt sich zwangsläufig die Frage, ob das sich Internet als neues, modernes Instrument der Informationserhebung eignet, welches der primären Marktforschung sowohl auf dem Gebiet der Kosten als auch in Bezug auf die zeitliche Dimension Verbesserungspotentiale offeriert.
Laut einer auf der CeBIT 1999 durchgeführten Besucherumfrage des Psyma-Instituts sehen immerhin 65% der Teilnehmer in Internet-Umfragen ein wichtiges und zukunftsträchtiges Instrument.
In den Medien und in der (Fach-)Literatur hat der Internet-Boom seit langem seinen Niederschlag gefunden.
Doch während die Presse in zahlreichen Artikeln die verschiedensten Neuerungen technischer Art diskutiert und mit Berichten über virtuelle Firmen oder erfolgreiches Internet-Marketing aufwartet, führt die primäre Marktforschung, sowohl in der schriftlichen Abhandlung als auch in der reellen Anwendung, weiterhin ein Schattendasein. Dies ist angesichts der Forderung der Marktforschungsindustrie nach schnelleren, interaktiveren und weniger kostenintensiven Datenerhebungsmethoden schwer verständlich[8]. Zumindest die zur Erfüllung der Zeit- und Kostenansprüche benötigten Grundvoraussetzungen werden vom Internet, ohne an dieser Stelle eine Aussage über die Qualität treffen zu wollen, erfüllt.
Es gibt bereits eine Reihe von Befragungsaktionen, Erhebung von Kundendaten und Experimenten, welche über das Internet abgewickelt werden. Deren, durch die Systematik[9] bedingte, Validität und Repräsentativität ist in der überwiegenden Zahl der Fälle jedoch als fragwürdig einzustufen, selbst wenn bestimmte Umfragen, deren Ziel es i.d.R. ist, Informationen über die Nutzer des Internet zu erheben, teilweise bereits als 'etabliert' gelten[10].
Generell kann gesagt werden, daß die Einbeziehung des Internets als Erhebungsinstrument in die Angebotspalette professioneller Marktforschungsinstitute in Deutschland noch am Anfang steht, obwohl inzwischen, besonders angesichts der stetig wachsenden Nutzerzahlen, in der Branche zunehmend "Goldgräberstimmung"[11] herrscht.
Es ist das Ziel dieser Arbeit zu untersuchen, ob und, wenn ja, in welcher Form die Internetdienste E-Mail und World Wide Web in der Panelforschung als einem Teil der primären Marktforschung eingesetzt werden können. Dabei wird der Schwerpunkt auf den benannten Internetdiensten als potentielle Erhebungsinstrumente der Befragung liegen.
Obwohl das Netz gleichfalls neue Möglichkeiten im Bereich der Beobachtung bietet, soll diese Arbeit aus dem Blickwinkel eines Informationsanbieters, d.h. eines Marktforschungsinstituts, geschrieben werden. Laut BERNDT spielen "[...] Beobachtungen –im Vergleich zu Befragungen– nur eine untergeordnete Rolle im Rahmen der Marktforschung [...]"[12], weshalb sie hier, außer als gleichzeitigem Nebeneffekt von Befragungen, keine weitere Berücksichtigung finden.
Der gewählte Betrachtungsstandpunkt hat zur Folge, daß die Netzwerktechnik nur insoweit behandelt wird, wie sie für das Verständnis der Dienste notwendig ist. Außerdem wird der Fokus dieser Arbeit auf dem Bereich des Verbraucherpanels, dem Hauptgeschäftsbereich der überwiegenden Zahl der Panelinstitute in Deutschland, liegen.
Diese Arbeit konzentriert sich auf die Gründung eines Online Panels. Sämtliche Auswertungs- und Analyseverfahren der durch Panels gesammelten Daten werden daher keine Berücksichtigung finden. Es wird angenommen, daß die differente Erhebungsmethode nicht zu einer Charakterveränderung der gesammelten Informationen führt, solange nicht im Vorfeld ein systematischer Fehler begangen wird, der die Validität des Meßinstruments oder die Repräsentativität der konstruierten Stichprobe in Frage stellt.
Unter Einbeziehung zuvor gelegter Grundlagen und aus Theorie und Praxis herausgestellter Einflußfaktoren soll ein Vergleich zwischen den verschiedenen Erhebungsmethoden der Panelforschung gezogen sowie erörtert werden, ob ein Online Panel in der Praxis sinnvoll und effektiv umsetzbar ist und wie die korrespondierenden Schritte aussehen.
Die von der Verfasserin als wichtig erachtete Praxisnähe soll durch die Beschreibung der Umsetzung eines Online Panel Projekts bei der GfK in Nürnberg erzielt werden.
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