2. Tag, Freitag 26.05.2017
Erstes Frühstück. Phänomenal. Alles, was das Herz begehrt und zwar für Amerikaner und für Europäer: Bratkartoffeln, Würstchen, Rührei, gebackene Bohnen, Käseplatte, Schinken in allen Variationen, Wurst, Blackpudding, Ananas, Melone, eingeweichte Zwetschgen, Quark, Müslikomponenten, süße Teilchen, Kuchen, Brot und Brötchenvariationen, Säfte und natürlich eingelegter Hering und Fischpastete. Die warmen Bestandteile wechseln täglich. Es gibt auch mal French-Toast, gebratene Champignons, Spiegeleier, Bacon. Das Kellner-Personal bedient flink mit Kaffee und Tee. Kaum hat man das Besteck weggelegt, verschwindet der Teller, damit man sich einen neuen beladen kann. Der Servicechef, ein Portugiese mit hervorragenden Englischkenntnissen, glänzt auch gerne mit den wichtigsten Brocken Deutsch. Die Kellnerriege besteht – bis auf drei indonesisch ausschauende Mädels - fast durchgängig aus Männern aller Nationen. Es macht Spaß. Man fühlt sich rundum verwöhnt.
Nach dem Frühstück lädt uns Fahrer Oskar in seinen Bus. Als Reiseleiterin begrüßt uns Arndis, die Sängerin, eine immer lächelnde Frohnatur mit lange wallenden schwarzen Haaren. Da sich alle Isländer duzen, müssen wir auch nur die Vornamen auswendig lernen.
Die Halbinsel Snæfellsnes – deutsch Schneeberge – ragt auf eine Länge von 90 Kilometern wie eine verschrumpelte Nase in den Atlantik; unter ihr die Faxaflói, Islands größte Bucht mit einer Breite von 120 Kilometern, in der Reykjavik liegt. Walwatching verspricht hier reiche Foto-Beute. Über der Halbinsel liegt der Breiðafjörður, ein 50 km breiter Fjord, in dem rund 3.000 Inselchen liegen. Das Wort Fjord oder Fjörður wird im Isländischen sehr kurz gesprochen, wie „Fjodr“. Wir beginnen zu üben. Auf der Mitte des „Nasenrückens“ liegt das ehemalige Fischer- und Handelszentrum der Region: Stykkisholmur. Sein durch die Insel Súgandisey geschützter Hafen war schon im 16. Jahrhundert ein Handelsplatz.
Stykkisholmur
Das historische Stadtzentrum des mit etwa 1100 Einwohnern größten Ortes auf Snæfellsnes gilt als das besterhaltene Islands. Besonders stolz sind die Bewohner auf das „Norwegische Haus“. Ganz in Schwarz präsentiert sich das älteste zweistöckige Haus Islands aus dem Jahre 1842. Auf Island begann hier 1845 die regelmäßige Wetterbeobachtung. Die markante weiße Kirche in der Form eines brütenden Huhns wurde erst 1990 erbaut. Eine „Vinbude“ erinnert uns daran, dass Alkohol, wie in allen skandinavischen Ländern, schwer zu beschaffen ist. Nicht jedes Restaurant verfügt über eine Sondererlaubnis. Aber das kennen wir schon aus Skandinavischen Ländern und New York.
Rundfahrt über die Halbinsel Snæfellsnes
Ja, sie ist braun wie die Lava, die die Insel erschuf. Grüne Moos-Polster, die als erste Schicht die vielen Lavafelder bedecken, betreten die Isländer möglichst nicht, weil sich daraus Erde bilden kann Aber bis es soweit ist, müssen 100 Jahre vergehen. Die Natur denkt hier in anderen Dimensionen. In der Ferne sehen wir schneebedeckte Berghänge, vor uns den Berg Helgafell. Angeblich gibt es hier Zaubersteine, auch einen Gebärstein, den Frauen aufsuchen, wenn ihr Baby zu lange für die Geburt braucht. Und ein bestimmter Stein mache sogar unsichtbar. Arndis flüstert uns diese Informationen fast zu, als erwarte sie eine Strafe, weil sie uns diese Geheimnisse verrät. Wir kommen auf „Islamoos“, das bei uns als Mittel gegen Husten verkauft wird. Natürlich stammt diese Heilpflanze vom Island-Moos
Parole Stinkender Haifisch
Arndis erzählt vom Grönland-Hai, der bis zu sieben Meter lang werden könne. Seit dem 14. Jahrhundert bis in die 1950er Jahre habe man daraus hauptsächlich Lebertran gewonnen und verkauft. Die Hauptkunden saßen übrigens in Hamburg und in Kopenhagen. Aus der HaiHaut wurde Sandpapier gefertigt. Wir begreifen, dass diese Ankündigung die Ouvertüre für einen bestimmten Stopp ist. Bjarnarhöfn. Auf diesem Bauernhof, einem sogenannten Haifischhof, beherrscht Hildibrandur Bjarnason die Kunst oder besser Passion der HaifleischKonservierung, die es seit über 400 Jahren gibt. Haifisch ist an sich giftig, weil sich seine Nieren um den ganzen Körper verteilen. Früher wurde er zur Entgiftung in der Erde vergraben. Bjarnason legt ihn sechs Wochen in Holzkisten, wo er fermentiert. Dann wird er zum Trockenen aufgehängt in einer Scheune mit Durchzugluft. Trotzdem stinkt er erbärmlich. Wir dürfen diesen Schuppen besichtigen, in dem oberschenkel dicke Tranchen wie Schinken in mehreren Etagen baumeln; von außen dunkelgoldbraun. Aufgeschnitten ist das Fleisch innen weiß wie Speck. Und wir erhalten Kostproben angeboten, von denen nicht jeder nimmt. Die kleinen weißen Würfelchen sehen harmlos aus, schmecken aber sehr streng. Der Starkoch Vincent Klink habe den Geschmack mit „Romadur im Endstadium mit einem Schuss Pferde-Urin“ beschrieben, zitiert ihn der Dumont-Reiseführer.
Zu den Berserkern
Wir besteigen den Bus und fahren nun durch ein Lavafeld, das zum Vulkansystem des Ljósufjöll gehört, einem Berg, den wir aber kaum ausmachen können. Der Name Berserkjahraun stammt aus einer der vielen mittelalterlichen Island-Sagas. Zwei rauflustige schwedische Brüder, die weder Tod noch Teufel scheuten - sogenannte Berserker - arbeiteten hier für den Wikinger Vermóður und benahmen sich wie die Axt im Walde, so dass er die beiden seinem Bruder Víga-Styrr verdingte. Einer von ihnen, Halli, wollte nun gar die Tochter des Herrn heiraten. Aus Angst vor dem wilden Gesellen dachte der sich eine List aus. Seine Bedingung war, dass die beiden Brüder einen Weg durch die Lava zum Bjarnarhöfn bauen sollten; dann würde er Halli die Tochter zur Frau geben. Und die beiden Berserker schafften tatsächlich, was niemand für möglich gehalten hatte. Víga-Styrr aber brach sein Wort und ließ die beiden töten und im Lavafeld vergraben. Den Weg kann man heute noch erkennen. Angeblich habe man sogar ein Grab mit Gebeinen von zwei Männern gefunden, erzählt Arndis.
Unser Berserker in Darmstadt
Die übermannshohe Bronzeskulptur des Berliner Bildhauers Waldemar Grzimek (1918 – 1984) gilt als krummbuckeliger Schutzpatron des Darmstädter Marktplatzes. Ihre Ausdruckskraft eines haarlosen und muskulösen Kerls zeigt geballte Entschlossenheit, Unbeirrbarkeit und fehlendes Schmerzempfinden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Grzimek entweder hier in Bjarnarhöfn war oder die Island Sagas gelesen und verinnerlicht haben muss.
Der Bus fährt auf schmaler Straße am Wasser entlang, dem Kolgrafafjörður. Der kleine Fjord erlangte traurige Berühmtheit. Immer wieder, letztmals 2013, schwammen Tausende von Tonnen Heringe hinein und verendeten. Niemand weiß, was da passierte. Die Masse der toten Fische war so unbegreiflich groß, dass die Kinder schulfrei bekamen, um beim Wegräumen zu helfen. Wir durchfahren Grundarfjörður am Fuß des 436 Meter hohen Bergs Kirkjufjell. Der Name charakterisiert seine Kirchenform. Manche nennen ihn auch „Zuckerspitze“. Wegen seiner einzigartigen Entstehungsgeschichte gehört er zu den bekanntesten Bergen Islands. Der untere Teil des Berges entstand vermutlich während der letzten Kälteepoche der Eiszeit, vor mehr als einer Million Jahren. Er besteht aus Sedimentgestein, das Fossilien aus Kälte- und Wärmeepochen enthält. Der obere Teil sind verschiedene Lavaschichten, die sich durch Vulkanausbrüche unter dem Eiszeitgletscher nach oben würgten.
Bei der Weiterfahrt erobern Eiderenten unsere Aufmerksamkeit. Schwarz-weiß-gefiedert sind die Männchen und mit rund 60 Zentimeter Höhe ziemlich groß. Die Weibchen sind etwas kleiner und tragen ein bräunliches Federkleid, eher wie eine gewöhnliche Ente. Die Bauern auf Island locken Sie mit ausgepolsterten Autoreifen zum Eierlegen und Brüten. In Deutschland bürgerte sich der Name durch den Daunenhandel ein. Eiderdaunen gehören zu den weichsten Daunen überhaupt.
Diese Trollfrauen
Wir öffnen unsere Lunchtüte. An Bord konnten wir bei den Sandwiches wählen zwischen Thunfisch, Schinken und Käse und Vegetarisch. Dazu gibt es Roxane-Wasser aus dem kalifornischen Sausolito, einen Apfel, Kekse und ein Stück Bleichsellerie zum Knabbern. Zum Imbiss erzählt uns Arndis die Geschichte von den Trollfrauen. Sie wollten die zerklüfteten Westfjorde abtragen, die wie eine Hand mit fünf Fingern in den Nordatlantik ragen. Dabei waren Sie so angestrengt und geschäftig, dass sie ihre vollen Schaufeln einfach hinter sich entleerten und die Zeit vergaßen. Als plötzlich die Sonne aufging erstarrten die lichtscheuen Gestalten zu Stein. Bei den ungefähr 3000 Inselchen im Breiðafjörður, handelt es sich also...