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E-Book

Iwan Turgenjew und Pauline Viardot

Eine außergewöhnliche Liebe

AutorNatalja Sharandak, Ursula Keller
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783458760375
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Sie lernen sich kennen, als Pauline Viardot 1843 im Alter von zweiundzwanzig Jahren zum ersten Mal in Russland auf der Bühne steht. Da ist sie in Westeuropa bereits eine gefeierte Sängerin und seit drei Jahren mit dem wesentlich älteren einstigen Operndirektor Louis Viardot verheiratet. Iwan Turgenjew ist fünfundzwanzig und steht am Beginn seiner Karriere als Schriftsteller. Er ist sofort hingerissen von ihr: 'Seit jenem Augenblick, seit jener schicksalhaften Minute, gehörte ich nur noch ihr.' Er folgt dem Ehepaar nach Paris und Deutschland, einige Jahre leben sie in Baden-Baden. Sie ist erste Leserin seiner Manuskripte, er fördert ihre Arbeit als Komponistin und übersetzt zusammen mit Ehemann Louis die Werke russischer Schriftsteller. Zu den Gästen den Salons, den Pauline Viardot führt, gehören die wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Kunst und Kultur.
An der unkonventionellen Beziehung entzündete sich viel Klatsch und Tratsch, und die meisten vermuteten, daß Turgenjew unter der Liebe zu einer verheirateten Frau litt. Sie hat alle ihre Briefe an ihn vernichtet. Aber um die fünfhundert Briefe Turgenjews an sie und ihre Familie, die Erinnerungen der Zeitgenossen und biographische Forschungen der letzten Zeit lassen diese außergewöhnliche Beziehung heute in einem ganz neuen Licht erscheinen.

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<p>Ursula Keller hat Slavistik und Germanistik studiert; zahlreiche Forschungsaufenthalte in Ru&szlig;land. Sie lebt als freie Autorin und &Uuml;bersetzerin in Berlin.</p>

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Leseprobe

Vorwort


»Wie sehr verlange ich nach der Liebe!«, schreibt Iwan Turgenjew im Alter von einundzwanzig Jahren. »Aber diese Sehnsucht ist vergeblich, wenn nicht der Himmel sich meiner erbarmt und mir diese Gnade schickt. Wie gut und rein und offen und reich wäre ich, so will mir scheinen, wenn ich liebte! Welches Glück bedeutete es mir, mit ihr zu leben!«

Und der Himmel erbarmte sich Turgenjews und schickte ihm diese Gnade in Person der Sängerin Pauline Viardot-García, einer der herausragendsten Figuren der europäischen Kultur ihrer Zeit.

Zum ersten Mal sieht er sie, als sie 1843 im Alter von zweiundzwanzig Jahren in Sankt Petersburg auf der Bühne steht. Da ist Pauline Viardot-García bereits eine gefeierte Sängerin. Der fünfundzwanzigjährige Iwan Turgenjew, ein gut aussehender junger Mann aus bestem Hause, der am Beginn seiner Karriere als Schriftsteller steht, ist sofort verzaubert. »Ihnen auf meinem Weg zu begegnen, war das größte Glück meines Lebens«, schreibt er ihr später.

Bei der Berühmtheit aus Paris hat der Verehrer jedoch keinen allzu gewichtigen Eindruck hinterlassen. Sie ist eine verheiratete Frau, Mutter einer kleinen Tochter, und widmet sich ganz ihrer Berufung ‒ dem Gesang. Turgenjew hingegen begreift, dass er der Sängerin verfallen ist.

Pauline nimmt sein Angebot an, ihr Russischunterricht zu erteilen, damit sie zum Gefallen des Publikums russische Romanzen zum Besten geben kann. Sie kommen einander näher und die Sängerin lernt den angehenden Schriftsteller besser kennen. Als sie wieder zurück in ihre Heimat Frankreich reist, gestattet sie ihm, ihr zu schreiben. Sie gestattet ihm, sie zu lieben. »Mein Gott, ich möchte mein ganzes Leben als Teppich unter Ihre lieben Füsse, die ich 1000 mal küsse, breiten«, schreibt er seiner »teuersten, liebsten, besten Freundin« auf Deutsch. Fast alle Reisen, die er von nun an unternimmt, und seine häufigen Domizilwechsel hängen mit dem Wunsch zusammen, in ihrer Nähe zu sein.

Zwischen 1847 und 1850 lebt Iwan Turgenjew als Gast des Ehepaars Viardot auf deren Landsitz Courtavenel in der Nähe von Paris. Die Sängerin ist, begleitet von ihrem Ehemann Louis Viardot, zumeist auf Gastspielreisen, und Turgenjew schreibt an den Aufzeichnungen eines Jägers, jenem Werk, das ihn als Schriftsteller schlagartig berühmt macht.

Als Iwan Turgenjew nach Russland zurückkehrt, weil seine Mutter schwer erkrankt ist, ist seine Beziehung zu der Sängerin ungeklärt. »Für mich vergeht kein Tag, ohne dass mir Ihr teures Bild nicht hundert Mal ins Gedächtnis kommt, keine Nacht, in der ich Sie nicht im Traum sehe«, schreibt er ihr. »Nur in der Abwesenheit fühle ich, mehr als je, wie stark ich mit Ihnen und den Ihrigen verbunden bin. … Sie sind das Beste, Nobelste, das Sympathischste, das es auf dieser Erde gibt.«

Vielleicht haben sich die Gefühle, die Pauline Viardot für den Schriftsteller empfindet, verändert, vielleicht erwidert sie nun seine Liebe. Doch sie verändert ihr Leben nicht. Ihre Ehe mit dem um vieles älteren Louis Viardot, den sie im Alter von neunzehn Jahren geheiratet hat, ist wohl eine Vernunftehe, die ihr jene Sicherheit bietet, die sie in ihrem unsicheren Beruf braucht. Er unterstützt ihre Karriere als Sängerin, begleitet sie auf ihren Gastspielreisen, ist ihr Manager, der hart für sie verhandelt und um jedes Detail in den Verträgen für ihre Engagements kämpft. Sein Verhandlungsgeschick ist die Grundlage des Vermögens der Familie Viardot, das durch die Gagen der Sängerin erwirtschaftet wird. Und nicht zuletzt ist Louis Viardot für die Sängerin, die als Bohémienne, als »Kind einer fahrenden Operntruppe« einer Schicht am Rande der Gesellschaft entstammt, Garant für Bürgerlichkeit.

Pauline Viardot beschreibt ihren Ehemann als »vortrefflichen, edlen Mann«. »Er sieht sehr kalt aus, ist es aber nicht ‒ Sein Herz ist warm und gut, und sein Geist ist mir sehr überlegen ‒ Er betet die Kunst an, versteht gründlich das Schöne, das Erhabene ‒ sein einziger Fehler ist, daß ihm das indische Element fehlt, die Frische des Gemüths. Aber ist das nicht prächtig, nur einen Fehler zu haben! ‒ Vielleicht hatte er selbst den nicht in seiner Jugend ‒ als jungen Mann habe ich ihn nicht gekannt ‒ schade ‒ ich war noch nicht geboren ‒ Wäre ich nicht 21 Jahre jünger, würde er nicht 21 Jahre älter als ich sein.«

Louis Viardot billigt die Verbindung seiner Frau zum russischen Schriftsteller. Auch er ist Iwan Turgenjew freundschaftlich verbunden. Beide sind leidenschaftliche Jäger und verbringen viel Zeit miteinander.

Der Tod seiner Mutter macht Turgenjew zu einem wohlhabenden Mann. Nach einem an der Zensur vorbei veröffentlichten Nachruf auf Nikolaj Gogol, der der zaristischen Obrigkeit missfällt, wird Turgenjew 1852 auf sein Landgut Spasskoje verbannt. Als Pauline Viardot im Jahr darauf wieder zu Gastspielen in Russland weilt, reist der Schriftsteller unter falschem Namen nach Moskau, um sie zu sehen. Danach kommt ihr Briefwechsel fast vollständig zum Erliegen. Nachdem er 1856 wieder die Genehmigung zur Reise ins Ausland erhält, lebt Turgenjew hauptsächlich in Westeuropa. Hier entstehen seine wichtigsten Werke, die Romane Ein Adelsnest, Am Vorabend, Väter und Söhne, Rauch, die Erzählung Erste Liebe, die Essays Hamlet und Don Quichotte. Vor allem in seinen Romanen befasst er sich mit Russland und den Umbrüchen, die seine Heimat in der Epoche der Reformen und der Reaktion in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu bewältigen hat.

Nach dem Rückzug der Sängerin von der großen Bühne im Jahr 1863 nimmt die Familie Viardot ihren Wohnsitz in Baden-Baden. Auch Turgenjew wird nun sesshaft und lässt sich auf dem Grundstück neben dem der Viardots ein Haus bauen. Hier beginnt eine Zeit der überaus fruchtbaren künstlerischen Zusammenarbeit. Mit Louis Viardot, der als Kenner der spanischen Sprache und Literatur die erste Übersetzung des Don Quichotte ins Französische vorgelegt hatte, übersetzt Turgenjew Werke russischer Schriftsteller ‒ auch seine eigenen ‒ ins Französische. Für Pauline, die in der Kurstadt endgültig ihre Rolle der Sängerin mit der der Komponistin tauscht, schreibt er die Libretti ihrer Operetten, die zur Hauptattraktion des musikalischen Lebens der Kurstadt werden. Die Musikerin ihrerseits unterstützt die Arbeit des Schriftstellers. »Nicht eine Zeile von Turgenjew ist in Druck gegeben worden, ohne dass ich sie zuvor zu Gesicht bekommen hätte«, hat Pauline Viardot wohl einmal scherzhaft gesagt. »Ihr Russen wisst gar nicht, dass ihr es mir zu verdanken habt, dass Turgenjew immer noch schreibt und arbeitet.«

Nach dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges im Sommer 1870 verlassen die Viardots und Turgenjew Deutschland und lassen sich 1871 wieder in Paris nieder. Der Schriftsteller bezieht die Wohnung im oberen Stockwerk im Haus der Viardots in der Rue de Douai. Die Sommer verbringen sie auf dem gemeinsamen Landsitz Les Frênes in Bougival unweit von Paris.

»Wenn ich in Paris lebe, dann nicht um Paris willen«, erklärt er einem Freund. »Aber das Schicksal wollte es so, dass ich selbst zuzeiten keine eigene Familie gegründet habe. Und immer allein zu leben, ist unmöglich, fürchterlich, besonders, wenn man beginnt, in den späten Sommer fortzuschreiten. Ich habe hier meine Familie gefunden, eine fremde Familie, aber wir leben so zusammen, dass eine Trennung, ein Bruch für uns unmöglich wäre, nicht auszudenken. Wo sie leben, dort muss ich leben. Jetzt sind sie in Paris ‒ und ich bin in Paris. Würden sie morgen nach Australien umziehen ‒ würde auch ich nach Australien reisen.«

Obgleich Pauline Viardot die Frau ist, die er liebt und immer lieben wird, wie Turgenjew mehrfach erklärt, hat der Schriftsteller zahlreiche Liebesbeziehungen mit anderen Frauen. Doch den Schritt in die Ehe wagt er nicht. Stets zieht er sich zurück und kehrt in das »fremde Nest« der Viardots zurück. Pauline scheint für ihn das überhöhte Ideal einer Frau zu sein.

Auch der Sängerin werden Affären nachgesagt, die ihre Beziehung zu Turgenjew immer wieder belastet haben sollen. In einem Brief an ihren Musikerkollegen und Freund Julius Rietz spricht sie von »kleinen Ausflügen«, durch die sie Distanz schafft zu ihrem Ehemann. Turgenjew nennt sie einen »sehr engen...

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