Von einer missionarischen Bewegung (Täufertum) zur mennonitischen Missionsorganisation
Hartwig Eitzen
Als die Täuferbewegung 1525 in Europa entstand, war die sogenannte Reform unter Martin Luther noch keine zehn Jahre alt, steckte also noch in den Kinderschuhen. Die neue Reformbewegung brauchte alle geistlichen und intellektuellen Kräfte, um sich gegen die alles dominierende katholische Kirche zu verteidigen, bzw. durchzusetzen. Die „Mission“ als solche war kein großes Thema für die Reformatoren. Für Luther galt der Missionsbefehl Jesu aus Matthäus 28 nur den Jüngern und Aposteln der damaligen Zeit. Diese hatten den Befehl erhalten und ihn im Laufe des ersten Jahrhunderts ausgeführt. Das Thema „Mission“ hatte sich damit für ihn eigentlich erledigt. Worum man sich jetzt kümmern sollte, war eine Rückkehr zur Schrift, zum echten Glauben und zur Gnade unter denen, die sich Christen nannten.
Für Calvinus und Zwingli hatte die Mission zwar noch etwas Relevanz, aber sie machten den Staat dafür verantwortlich, das Christentum weiter auszubreiten. Diese Haltung erinnert an die Mission der katholischen Spanier und Portugiesen im vor kurzem entdeckten Amerika, wo die Eroberer mit dem Schwert vorangingen und die Priester mit dem Kreuz hinterher kamen.
Kann man die Täuferbewegung als missionarisch bezeichnen? Wenn ja, hat sie diese Charakteristik beibehalten? Wie kommt es dazu, dass aus einer spontanen Bewegung Institutionen und Organisationen entstehen, in der „Profis“ heute das machen, was damals jeder, oder zumindest viele machten? Diesen und ähnlichen Fragen soll in diesem Artikel nachgegangen werden.
I. Spontane Mission unter „Christen“
Wenn wir an den sozialen Kontext denken, in dem die Täuferbewegung entstand und sich entfaltete, dann muss erwähnt werden, dass die Bewohner Mitteleuropas sich alle als Christen ansahen, da sie als Kinder in der katholischen Kirche getauft waren. Heiden, also Ungläubige, waren die Türken - so wurden im Prinzip alle Moslems genannt. Bei den Ureinwohnern Afrikas und des neuen Kontinents Amerika war man sich noch gar nicht sicher, ob sie eine Seele hätten oder ob sie doch mehr Tier als Mensch seien.
Wenn wir also von einem Missionsbewusstsein der Täufer sprechen wollen, dann muss uns klar sein, dass ihre Bestrebungen, anderen Menschen das Evangelium zu predigen, auf Leute gerichtet war, die sich selber als Christen ansahen. Die „echten“ Heiden waren weit weg und tauchten auf dem Radarschirm der damaligen Täufer kaum auf.
In den ersten drei Jahrzehnten (1525–1555) waren die Wiedertäufer intensiv evangelistisch. (Jacobs, 1983: 91)
Man geht oft davon aus, dass die Täufer, auf Grund der Verfolgung, nach den Anfangsjahren der Bewegung nicht mehr missionarisch waren. Eine Glaubensgruppe, die verfolgt wird, versucht vor allem, sich selbst am Leben zu halten. Das Lebenszeugnis und der fromme Wandel der Täufer waren zwar eine Einladung für andere Menschen, aber eine konkrete und verbale Evangelisation war nicht in ihrem Programm.
Hanspeter Jecker ist dieser These nachgegangen und hat festgestellt, dass dieselbe zu folgenden Annahmen geführt hat:
Annahme 1: Zum Glauben kamen durch das Zeugnis der Täufer kaum noch irgendwelche Menschen.
Annahme 2: Das Täufertum hatte es längst aufgegeben, andere Menschen zum Glauben einzuladen.
Jecker verweist auf das bereits 1966 erschienene Buch Das missionarische Bewusstsein und Wirken der Täufer, das von Wolfgang Schäufele geschrieben wurde. „Darin wird das Täufertum - zumal dasjenige der Anfangszeit - geradezu als DIE Missionsbewegung des 16. Jahrhunderts gesehen. Aber leider fand das Buch lange Zeit nicht die Beachtung, die es verdient hätte.“ (Jecker, 2013)
Jecker identifiziert auf Grund alter Dokumente drei Haltungen der alten Täufer, die Bibelworten entsprechen und in denen er ein Missionsbewusstsein sieht:
1. „Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ (Mk 1,15)
Die Täufer lehrten die Bekehrung, ein relativ neues Konzept für viele Menschen. Bekehrung bedeutet, sich von seinem sündigen Weg abzukehren, und sich Gott hinzuwenden. Eine Bekehrung muss einen radikalen Lebenswandel nach sich ziehen, wie es im folgenden Zeugnis geschildert wird:
“Er habe zuvor leÿder lang und vil gehert [von Gott], seÿ aber davon gar nit gebessert worden. Wie bald er aber zu disen frommen Leütten [den Täufern] kommen und sÿ gehoret, sÿe er ein rechter Rewer worden, kenne dernhalben nit mer von inen lassen und welle sich des Kirchgangs zu Waldenburg nit mer annemmen. Obwol er [früher] in die [reformierte] Kirchen kummen, seye er doch etwann daruss ins Spilhauss und anderswohin übels thun, oder heim sein Frouwn zeschlagen gangen, das er jetzt alles underlosse und über selbige seine Sünd reüw und Leid trage, also dz er verhoff, Gott hab ihn zu solchen Leüthen gefüehrt, dem er alles heimsetzen wölle, wie man gleich mit ihm umb gange. Wölle auch so lang es sein will, bÿ diser Meinung verbleiben, auch darüber den Todt wann er denselben verdient, leiden.” (Heini Müller &Verena Rohrer, Liedertswil 1596, bei Jecker, 2013)
2. „Suchet der Stadt Bestes.“ (Jer 29,7)
Unter den Täufern gab es interessanterweise viele Personen, die einen Pflegeberuf ergriffen hatten. Ob sie es bewusst gemacht hatten, um einen sozial-diakonischen Dienst am Nächsten zu verüben, oder ob sie den Beruf schon vor ihrer Bekehrung hatten, kann man heute nicht mehr gut feststellen. Wahrscheinlicher ist die zweite Option, da die Evangelisation durch die Kanäle der natürlichen Bekanntschaften, d. h. Familie, Freunde, Bekannte und Berufskollegen lief. (Seebaß, 1997: 200) Die Notwendigkeit der Pflegeberufe erlaubte es einigen Täufern, auf Grund ihres Könnens im Lande zu bleiben, während die Glaubensgeschwister ausgewiesen wurden. Jecker zitiert diesbezüglich das Zeugnis eines Arztes:
“Nach dem aber sÿn weib zum anderen mahl verwirrt worden und er gar vil mit ihren verartzet, hette er darbeÿ die artzneÿ angefangen ergreÿfen und von demselben an dieselbe practicieret, mit deren er dann soweÿt kommen, das er mit der hülff Gotteß, […] den Schlaffenden Ungenampten, die Frantzosensucht [Syphilis], alte schäden, wunden und beinbrüch ohne Zal, glücklich curieret. Zur Teüffereÿ sige er kommen vor [un]gefahr 20 Jahren, und aber vom Predicanten zu Schöfftlen [Schöftland/Aargau] schon darvor darumb angefochten worden, H. Landvogt Kilchberger hab ihne ÿhnzogen und deß lands, äben von der teüffereÿ wegen verwÿsen söllen, umb sÿneß glücklichen artzens willen, aber seige er von der Oberkeit erbäten und im Land gelaßen worden.” (Rudolf Küentzli, Muhen/AG 1645, bei Jecker, 2013)
Es ist wohl etwas schwierig, in so einem Falle das Missionsbewusstsein des betroffenen Täufers zu sehen. Es hat eher den Anschein, dass es dem glücklichen Umstand - falls es den bei gläubigen Christen gibt - zuzuschreiben ist, dass er ausgerechnet einen Beruf hatte, der von der Gesellschaft so dringend gebraucht wurde, dass er ihnen unentbehrlich schien.
Andererseits ist es interessant, dass Jecker „der Stadt Bestes zu suchen“ dem Missionsbewusstsein zuschiebt. Ob besagter Arzt - und andere in seiner Situation - bewusst der Stadt Bestes gesucht haben, um ihr zu dienen, oder eher ihr eigenes Wohl gesucht haben, indem sie sich für die Stadt unentbehrlich machten, oder ob das Zusammentreffen der Not und der Lösung ein glücklicher Zufall war, bleibt wohl eine offene Frage. Relevant ist es insofern, dass die Mennoniten später immer wieder behauptet haben, dass ihre Kolonisationsarbeit das Beste für das jeweilige Land sei (ob nun Preußen, Russland oder Paraguay) und daher eigentlich als Mission gewertet werden müsste. Dass das Beste für das Land zufällig auch für sie das Beste war, kann man ihnen nicht übelnehmen, denn das ist ja genau was Jeremia auch versprochen hatte: „Denn wenn's ihr wohl geht, so geht's auch euch wohl.“ (Jer. 29,7)
3. „Bei Gott im Himmel ist mehr Freude über einen Sünder, der ein neues Leben anfängt, als über neunundneunzig andere, die das nicht nötig haben.“ (Lk.15,7)
Wer diese Aussage Jesu ernst nimmt, wird darum bemüht sein, Gott im Himmel mehr Freude zu bescheren. Mehr Menschen mit der befreienden Botschaft zu erreichen war durchaus ein Bestreben der Täufer. Dass sie es immer wieder auf Risiko des eigenen Lebens taten, ist auch weithin belegt. Beachtenswert ist allerdings, dass sie nicht immer gleich die Gelegenheit wahrnahmen, um sich selber in Sicherheit zu bringen, sondern bewusst das Risiko der Verfolgung und des Leidens auf sich nahmen, um anderen Mitmenschen die Möglichkeit der Errettung zu bieten. Folgendes Zeugnis erreicht uns aus dem 17. Jahrhundert:
„[Aufgrund der schweren Verfolgung in der Schweiz ist den dortigen Täufern von uns niederländischen Mennoniten] schon früher geraten worden, sie sollten ihre Heimat lieber verlassen und anderswo eine Bleibe suchen. Das ist ihnen allerdings sehr schwer gefallen, unter anderem haben sie auch das als Grund angegeben, dass inmitten eines Lebens unter dem Kreuz ihre Gemeinden täglich zugenommen haben...