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Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie

Band 6: Schwerpunkt Neuere Entwicklungen des Konzepts der Rationalität und ihre Anwendungen

AutorJoachim Behnke, Susumu Shikano, Thomas Bräuninger
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl228 Seiten
ISBN9783531924281
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis47,65 EUR


Prof. Dr. Joachim Behnke ist Inhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft an der Zeppelin Universität Friedrichshafen, seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind Wahlsysteme und Wahlforschung und Moderne Politische Theorie.
Dr. Thomas Bräuninger ist Professor für Political Economy an der Universität Mannheim. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der vergleichenden politischen Ökonomie und der formalen politischen Theorie.
Dr. Susumu Shikano ist Professor für Methoden der empirischen Politik- und Verwaltungsforschung an der Universität Konstanz, seine Schwerpunkte sind Wahl- und Koalitionsforschung.

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Leseprobe
Rationalität beim Elfmeterschießen. Entscheiden sich Bundesligaspieler strategisch optimal? (S. 122-123)

Roger Berger

1. Einleitung


Rationalität in der Entscheidungstheorie beinhaltet zwei Grundelemente: nämlich rational sein zu wollen und gleichzeitig rational sein zu können. Technisch gesprochen bedeutet dies, dass ein rationaler Akteur sowohl vollständig eigenorientierte Präferenzen als auch die Fähigkeit hat, unter den gegebenen Restriktionen seinen Nutzen zu maximieren. Die aktuelle Diskussion zu Rationalität neigt sich eher zum ersten Punkt. Im Rahmen des Programms der „Behavioral Game Theory“ (Camerer 2003) werden verschiedene Modifikationen der Präferenzen weg von der vollständigen Eigenorientiertheit untersucht.

Dazu wird angenommen, dass die Nutzenfunktion eines Akteurs auch Elemente enthält, die auf andere Akteure bezogen sind, weil er gegenüber diesen z.B. Fairness oder Neid empfindet. Dieser Beitrag beschäftigt sich dagegen ausschließlich mit der Frage, ob es Akteuren mit einer Nutzenfunktion, die keine auf andere Akteure bezogene Elemente enthält - also reine Egoisten - gelingt, diese zu maximieren.

Die Frage, ob sie es auch wollen, entfällt, weil hier eine Klasse von Entscheidungen untersucht wird, in denen die Präferenzen der Entscheider eigenorientiert sein müssen: Interaktionen, in denen die beteiligten Akteure vollständig konträre Interessen derart haben, dass der Gewinn von Ego genau der Verlust von Alter ist und umgekehrt. Beide Akteure sind sich dabei im Klaren, dass die Interessen ihres Gegenübers den eigenen vollständig entgegenstehen und dass diese egoistisch verfolgt werden (müssen). Diese vollkommen kompetitiven Interaktionen können als Nullsummenspiele modelliert werden.

Die soziale Relevanz von Interaktionen mit vollständig konträren Interessen ist nicht gering und kann mit einigen Beispielen umrissen werden: Das klassische Beispiel in der Literatur (z.B. Morgenstern 1976) ist die Geschichte „The Final Problem“ von A.C. Doyle, in der sich Sherlock Holmes in einer ganzen Kaskade von entsprechenden Situationen mit seinem flüchtenden Gegenspieler Prof. Moriarty befindet. Solche Interaktionen ergeben sich allgemein, wenn Ego von Alter verfolgt wird und Ego genau dies vermeiden will (vgl. die Formulierung „Hide and Seek“ von Rosenthal et al. 2003).

Diese Situation ist deshalb zentral für die Untersuchung von sozialer Kontrolle abweichenden Verhaltens (vgl. Tsebelis 1990; Rauhut 2007). Extreme Formen solcher Situationen finden sich in kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen die Kontrahenten die gegenseitige Vernichtung beabsichtigen (z.B. Rasmusen 1998: 19f.). Die theoretische Bedeutung dieser Interaktionsform wird dadurch unterstrichen, dass Nullsummenspiele ein idealtypisches Beispiel für eine so genannte doppelte Kontingenz sind, die insbesondere von systemtheoretisch orientierten Soziologen als problematisch erachtet wird (z.B. Luhmann 1988).

Das letzte Beispiel zeigt zudem, dass die rationale Lösung von Nullsummenspielen nicht trivial ist. So nimmt Luhmann (1988) an, dass in einem solchen Fall rationales Verhalten nicht möglich ist und jede Berechnung des Gegners scheitern müsse (vgl. Berger/Hammer 2007). Umso interessanter ist deshalb die Frage, ob es menschlichen Akteuren gelingt, sich in einer Nullsummensituation nutzenmaximierend zu verhalten, und, wenn ja, welche Form von Rationalität sich dabei zeigt.

Insbesondere wird interessieren, ob hier ökologische Rationalität (Smith 2003 und 2007) derart vorliegt, dass sich Rationalität als emergentes Phänomen auf der Aggregatebene durch die Interaktion der Akteure selbst dann ergibt, wenn deren individuelle Entscheidungen nicht vollständig rational sind. Oder aber, ob für dieses komplexe Entscheidungskalkül von – bewusster oder unbewusster – individueller Rationalität der egoistischen Akteure ausgegangen werden kann, wie es eine eher psychologisch orientierte Interpretation der spieltheoretischen Analyse nahe legt (z.B. Brown/Rosenthal 1990: 1065, Shachat 2002: 194).
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Editorial6
In Memoriam: Rationalität (†)11
1. Einführung11
2. Vom Verschwinden des Rationalen in den RCT12
2.1. Präzisierung der Ausgangsthese12
2.2. Plausibilisierung der Ausgangsthese14
3. Rationalitätsbegriff – überflüssiges Reisegepäck oder unverzichtbares Equipment?17
3.1. Status und Funktion des Rationalen17
3.2. Alternativen19
4. Gründe für den Abschied vom Rationalitätsbegriff22
4.1. Philosophie der Rationalität22
4.2. Soziologie der Rationalität26
4.3. Psychologie der Rationalität31
4.4. Wandel der Selbstbeschreibung33
5. Rationalität revisited - Pfade der Beharrung34
Literaturverzeichnis39
Rationalitätsbegriffe – Von Max Weber lernen?145
1. Verortung: Widerstreitende Rationalitätskonzepte45
2. Das Spektrum menschlichen Verhaltens48
3. Traditionales und affektuelles Handeln49
4. Zweckrationales Handeln und wertrationales Handeln50
5. Rationales und irrationales Handeln52
6. Zwei Deutungen wertrationalen Handelns54
7. Subjektive Zweckrationalität und objektive Richtigkeitsrationalität57
8. Bilanz: Von Max Weber lernen!61
Literaturverzeichnis65
Rationalität, Hermeneutik und Neurowissenschaften. Eine Auseinandersetzung mit den kultur- und neurowissenschaftlichen Herausforderungen ökonomischer Theorien vor dem Hintergrund der Theorie von Donald Davidson67
1. Einleitung67
2. Die kulturwissenschaftliche Herausforderung69
3. Das Leib-Seele-Problem und seine sozialwissenschaftliche Implikation72
4. Die neurowissenschaftliche Herausforderung76
5. Die Handlungs- und Bedeutungstheorie von Donald Davidson79
6. Antworten auf die zweifache Kritik und Konsequenzen für das Projekt einer ökonomisch orientierten erklärenden Sozialwissenschaft88
7. Schlussbemerkung94
Literaturverzeichnis95
Entscheiden unter Risiko: Von Bernoulli zu kognitiven Heuristiken99
1. Bernoulli’s Paradox99
2. Die Prioritätsheuristik102
3. Kann die Prioritätsheuristik Entscheidungen vorhersagen?106
4. Erfahrungsbasierte Entscheidungen unter Risiko111
5. Unterscheiden sich beschreibungsbasierte und erfahrungsbasierte Entscheidungen unter Risiko?112
6. Erfahrungsbasierte Entscheidungen und kognitiven Heuristiken114
7. Schlussbemerkungen117
Literaturverzeichnis118
Rationalität beim Elfmeterschießen. Entscheiden sich Bundesligaspieler strategisch optimal?122
1. Einleitung122
2. Die strategische Interaktion zwischen Schütze und Torwart124
2.1. Elfmeterschüsse im Fußball124
2.2. Elfmeterschüsse aus spieltheoretischer Sicht125
3. Stand der Forschung133
3.1. Tests auf gemischte Gleichgewichte im Labor133
3.2. Tests auf gemischte Gleichgewichte anhand von realen Interaktionen im Sport135
4. Datensätze139
4.1. Bundesligadatensatz139
4.2. Andere Datensätze140
5. Ergebnisse142
5.1. Test der Annahmen142
5.2. Hypothesentests auf Aggregatebene144
5.3. Hypothesentests auf Individualebene150
6. Diskussion157
Literaturverzeichnis159
Die Bedeutung von Werten für Verteilungsergebnisse im Ultimatum- und Diktatorspiel162
1. Einleitung1162
2. Untersuchungsdesign166
3. Ergebnisse169
4. Effekte des institutionellen Designs171
5. Individualpsychologische Dispositionen176
6. Sozialstrukturelle Effekte182
7. Ergebnisse einer schrittweisen Regressionsanalyse184
8. Fazit186
Literaturverzeichnis188
Prozessanalyse politischer Entscheidungen: Deliberative Standards, Diskurstypen und Sequenzialisierung1190
1. Standards194
1.1. Typ I Standards194
1.2. Typ II Standards197
2. Diskurstypen199
3. Sequenzialisierung208
4. Eine Illustration209
5. Schlussfolgerungen219
Literaturverzeichnis220
Autorenverzeichnis224

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