Der klassische Weg zum Pferd?
Die Kinder- und Teenzeit
Mit 6 Jahren wünschte ich mir sehnlichst ein Pony. Ich begann meine Eltern unaufhörlich zu nerven. Mit jeder Menge guter Argumente, mit dramatisch stampfenden Füßen und herzzerreißendem Geheul versuchte ich meine Eltern von meinem sehnlichsten Wunsch zu überzeugen: „Ich will ein Pony!“
Aber was ich mir auch alles einfallen ließ, meine Mutter war und ist ein absoluter standhafter Mensch mit einem großen Sicherheitsbedürfnis. Sie beharrte auf ihrer Entscheidung: Reiten im Kindesalter sei total ungesund und viel zu gefährlich. „Kind, Du hast das ganze Leben noch vor Dir“, waren ihre abschließenden Worte. „Ohne Pony möchte ich aber nicht mehr leben“, grummelte ich zurück.
Wenn schon meine Eltern nicht darauf ansprangen, so würde meine Oma mich sicherlich verstehen. Sie war die einzige, die in der Familie ein Tier, einen rotzverwöhnten Dackel namens Daxi, an ihrer Seite hatte. Sicher würde sie mir bei der Erfüllung meines Traums helfen. Sie war eine gemütliche, sehr warmherzige Frau mit klaren Ansichten und einem straffen Regiment in der Familie. Ihre Worte hatten Gewicht. Sie zeigte zumindest Verständnis für meinen großen Wunsch, nahm mich in ihren warmen, weichen Arm und sagte: „Ja, meine Kleine, ich verstehe Dich und helfe Dir, Dein Papa träumte als Kind auch von Pferden.“ Leider konnte sie ihr Versprechen nicht einlösen, da sie zu früh verstarb. „Mein Papa hatte also auch diesen Wunsch als Kind gehabt“, überlegte ich und da kam mir die Idee. Ich musste seinen Wunsch irgendwie wieder aus seinen Erinnerungen ausgraben.
Als Kind habe ich nicht darüber nachgedacht, wie ich ein Ziel planen und verfolgen würde. Ich habe einfach intuitiv gehandelt. Pferdebücher fanden eine Heimat in meinem Zimmer. Alle Gesprächsthemen mündeten in irgendeinem Pferdevergleich. Ich verfolgte beharrlich meinen größten Wunsch – und das mit Erfolg. Mein Vater wurde mein Verbündeter in unseren Familiengesprächen und meine Mutter gab schließlich nach. Und endlich nach einer unendlich langen Zeit des Wartens und Argumentierens nahm mich mein Vater an die Hand und ging mit mir zu einem Ponyhof. Ich durfte alle vier Wochen für eine Stunde auf einem der vielen Shettys reiten. Es war für mich das Highlight im Monat. Und irgendwie sah auch mein Vater beim Zuschauen glücklich aus.
Mit zehn Jahren bekam ich dann die Chance, bei uns im Reitverein am wöchentlich stattfindenden Voltigierunterricht teilzunehmen. Es war zwar nicht das, was ich mir vorgestellt hatte, aber es war ein Fortschritt. Ich konnte noch näher mit Pferden zusammen sein, ihr beruhigendes Schnauben genießen, den großen warmen Pferdekörper spüren, einfach nur mit ihnen zusammen sein und mich gut und geborgen fühlen. Ich fand einen zarten Hauch dieser sanften und auch spannenden Atmosphäre aus den verschlungenen Pferdebüchern wieder. Ich kam regelmäßig eine Stunde vor Trainingsbeginn zum Stall, um Clemens, dem Voltigierlehrer dabei zu helfen, unseren großen Fuchswallach Axel für die Voltigierstunde vorzubereiten. Ich holte ihn von der Weide, putzte ihn und schmuste viel mit dem großen weichen Riesen.
Ich habe heute noch den Blick von Axel vor Augen, den Geruch von frischem Heu und Stroh in der Nase und höre die dunkle, klare und herzige Stimme von Clemens, der in meinen Augen mit seinen 45 Jahren schon ganz schön alt war. Ich mochte ihn sehr. Er war ein Blick. Wo immer er auftauchte, war er präsent. Auch wenn er nicht sprach und nur bei uns stand, fühlten wir Voltigierkinder seine volle Aufmerksamkeit. Wir konnten mit Clemens über alles quatschen, taten es natürlich vornehmlich über Pferdethemen. Er hatte ein schier unerschöpfliches Wissen über Pferde. Was wir ihn auch fragten, er hatte eine Antwort und mehr noch, er führte uns geduldig auf den Weg, eigene Antworten zu finden. Sein Umgang mit Pferden war konsequent, natürlich, selbstverständlich und sanft. Er respektierte den persönlichen Raum der Pferde, wie auch sie seinen Raum respektierten. Ich habe in unserer ganzen gemeinsamen Zeit nicht einmal erlebt, dass er unseren imposanten Wallach Axel ungerecht behandelte hätte. Immer wieder erstaunlich war, was Clemens alles um sich herum wahrnahm. Er arbeitete konzentriert mit Axel und hatte uns Kinder gleichzeitig im Blick. Diese Gelassenheit zog uns Kinder in seinen Bann.
Vor jeder Voltigierstunde durften wir in der Halle toben. Dieses Auspowern half uns Volti-Kids die ganzen Alltagsgeschichten abzuschütteln und uns danach besser auf das Training konzentrieren zu können. Und ganz sanft übertrug Clemens nach und nach Verantwortung auf uns. Vor Beginn der Stunde bekam ein Kind die Aufgabe, unsere Kindergruppe durch die Aufwärm- und Tobespiele zu führen. Es war ein prickelndes Gefühl, den Ton angeben zu dürfen. Und ganz selbstverständlich lernten wir, auf die anderen Kinder zu achten, damit alle gemeinsam mitspielen konnten. Ein zweites Kind durfte Clemens beim „Aufwärmen“ von Axel helfen. Das war natürlich der begehrteste Job von allen, klar. Wir lernten sehr früh von Clemens, dass es beim Umgang mit einem Pferd auf die Körpersprache ankam. Denn nur diese Sprache verstand Axel am anderen Ende der Longe. Sonst keine. Aus der kindlichen Unbekümmertheit heraus funktionierte das „Sprechen“ mit Axel einfach. Es machte Spaß. Clemens stand dabei mit seiner imposanten Größe, seinem breiten Kreuz und Füßen in Schuhgröße 47 wie eine schützende, stattliche Eiche hinter uns. Ich fühlte mich bei ihm total geborgen. Und es war ein erhebendes Gefühl, unseren großen, imposanten Axel auf so entspannte Weise laufen zu sehen.
Der gleichmäßig strukturierte Trainingsablauf mit Toberunde, Gymnastik, Pferd holen, Trainieren und zum Schluss Beisammen sein funktionierte bei uns Kids im Alter zwischen sechs und vierzehn Jahren prima. Er hat nie an uns herumgemeckert, sondern uns einfach gelobt, wenn wir etwas gut machten und Einsatz zeigten. Wer jedoch die Grenzen von Clemens Trainingsstruktur überschritt und aus der Reihe tanzte, dem zog er konsequent die Ohren lang. Es war diese Art und Weise, mit der Clemens uns führte. Wir wussten immer, woran wir bei ihm waren. Wer gut trainierte, bekam fettes Lob und jede Menge Aufmerksamkeit. Wer keinen Bock hatte, durfte sich außerhalb der Gruppe in Ruhe abkühlen. Kam er wieder aufgeräumt zurück, durfte er gleich wieder voll mitmachen. Wir hatten es also selbst in der Hand, ob das Training für uns fad und langweilig wurde oder ob es mit viel Spaß und Erfolg verlief. Wir stellten uns intuitiv auf die Trainingsdauer ein und fühlten uns sicher aufgehoben. Diese Sicherheit gab uns, gepaart mit dem Wahnsinns-Urvertrauen von Clemens in uns Kinder und seinem Wallach Axel, den Mut immer neue Voltigierfiguren und waghalsige Stunts auf dem Pferd auszuprobieren. Ich staune heute noch, wie ich es geschafft habe, mit meiner damaligen Größe ohne Hilfe auf dieses riesige Pferd zu springen.
Und wie Recht hatte meine Oma mit meinem Vater. Er förderte nicht nur meine große Liebe zu Pferden weiter, sondern engagierte sich immer mehr in unserem Reitverein. Er half Clemens und kümmerte sich vor und während des Trainings um uns Kinder. Er aktivierte Eltern, wenn es um Engagement bei Vorführungen ging, und sammelte Spenden für den Verein.
Meiner Mutter blieb unser Engagement bei den Pferden nicht verborgen. Nach und nach begleitete sie uns in den Reitstall und übernahm wertvolle Aufgaben im Verein. So nähte sie beispielsweise allen Mädchen wunderschöne Faltenröcke für die Auftritte unserer Voltigruppe und sorgte für die leckere Verpflegung.
Ich war damals sehr glücklich. Aus heutiger Sicht freue ich mich umso mehr, da meine Mutter ihre ängstliche Haltung gegenüber Pferde in ein Urvertrauen in meine Reitkünste umwandelte. Ich konnte meinen Herzenswunsch mit meiner lieben Familie erleben. Durch das Engagement meiner Eltern war ich nun fast jeden Tag im Reitstall. Ich saß bei den Pferden an der Koppel und beobachtete sie beim Spielen und Grasen. Die Zeit verging und Axel kam langsam in die Jahre. Wir brauchten ein neues Voltigierpferd. Clemens fand die Stute Gypsie. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich Gypsie das erste Mal gegenüber stand. Sie war 1,50 m groß und sah wie das Pferd von Pippi Langstrumpf aus. Eine junge Knappstrupper-Stute wie aus dem Bilderbuch mit einem ganz weichen lieben Blick.
Clemens ließ sie regelmäßig in der Halle laufen, um sie an das Training zu gewöhnen, und ich durfte zu schauen. Dann passierte etwas Unglaubliches. Er kam auf mich zu und übergab mir einfach die Longe mit den Worten: „Probiere einmal aus, ob sie bei Dir auch so gut läuft wie bei unserem Axel.“ Ich wuchs in diesem Moment mindestens 10 cm vor Stolz. Gypsie kreiste sauber im Zirkel um mich herum und setzte meine Stimmkommandos und Körpersprache zum Gangartenwechsel sofort um. Wenn ich heute an dieses Gefühl von damals denke, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut. Es war damals alles so selbstverständlich. Ich machte alles, ohne nachzudenken.
Und um dieses Gefühl noch zu toppen, durfte ich mich sogar als Erste auf Gypsies Rücken setzen. Mein Herz klopfte wie wild. Ich dachte sofort an meine Mutter und ihre Befürchtungen, dann schaute ich zu meinem Vater, der mir lächelnd zunickten. Ja, ich durfte! Ja ich wollte! Ja, ich machte!
Clemens half mir mit einer Räuberleiter sachte hoch und ließ Gypsie im Kreis laufen. Erst nur im Schritt, dann im Trab und natürlich auch im Galopp. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Durch die natürliche kindliche Koordination und Selbstverständlichkeit auf dem Pferd, die Clemens mit seinem...