Einleitung
Man riskiert nicht viel mit der Behauptung, dass nur wenige Persönlichkeiten der »Goethezeit« so sehr nach einer umfassenden biographischen Darstellung verlangen wie Johann Friedrich Cotta. Blickt man auf sein vielfach verwobenes Wirken, als Schöpfer des zu seiner Zeit größten und bedeutendsten Verlagsimperiums, als »Bonaparte«, als »Napoleon« des deutschen Buchhandels, als Protagonist im Kampf für Pressefreiheit und für Autoren- und Verlegerrechte, als Politiker und Diplomat, als Industriepionier und Großagrarier in Württemberg und Bayern, als Gesprächspartner der Klassiker wie als vertrauter Berater von Königen und Fürsten, dann versprechen schon die Konturen seines Lebens eine fesselnde Darstellung.
Die archivarischen Quellen scheinen üppig zu sprudeln: eine überbordende Fülle von fast 4.400 nachgewiesenen Briefen aus der eigenen Feder von Johann Friedrich Cotta, das Cotta-Archiv im Deutschen Literaturarchiv Marbach mit weit mehr als – geschätzt – 30.000 Briefen an ihn und seinen Verlag, mit einer Vielzahl von Geschäftsbüchern und -unterlagen, die auch die industriellen und landwirtschaftlichen Aktivitäten umfassen, dazu vielfältige Spuren in Lebenszeugnissen und Briefen Dritter und zuhauf in den Behördenarchiven. Was wunder also, dass die Forschung sich immer wieder darangemacht hat, ein Lebensbild dieser markanten Persönlichkeit zu zeichnen. Allein, entweder widmeten sich die Autoren weitgehend einem einzigen Aspekt dieses Lebens, wobei der Atem selbst hier oft nicht ausreichte, den ganzen Bogen von den frühen Jahren bis zum Lebensende zu spannen, oder sie beschränkten sich von vornherein auf eine charakterisierende Skizze, in der das übersichtliche Format, die »großen Linien«, die klare Kontur und die leuchtenden Farben für die fehlende Differenziertheit, auch die fehlenden Schatten entschädigten.
Immer ideale Karikatur, nie porentiefes realistisches Porträt. So sind der knappe Eintrag im Lupin’schen Handbuch von 1826, der unter seinen Augen und vermutlich nach seinen Angaben entstand,1 und der monumentale Nekrolog in »seiner« geliebten ›Allgemeinen Zeitung‹ aus der Feder seines Vertrauten Carl August Böttiger,2 immer noch sprechende und frische Quellen, die, angefangen vom ›Neuen Nekrolog der Deutschen‹3 über die ›ADB‹4 und die ›Schwäbischen Lebensbilder‹5 bis zur heutigen ›NDB‹,6 immer wieder herangezogen wurden. Albert Schäffles ›Cotta‹ von 18957 – verfasst und erstmals publiziert 1887 zur 100-jährigen Übernahme des Verlags durch Johann Friedrich Cotta in der ›Allgemeinen Zeitung‹, als Buch erschienen 1895 wie eine Festschrift zum eigentlichen Gründungsjubiläum des Klassikerverlags: zum 100. Geburtstag von Schillers ›Horen‹ – schritt den Kreis der öffentlichen Wirksamkeit des »Geisteshelden. (Führende Geister)«, so der Reihentitel, mit festem Urteil ab: »als Verleger und Freund der großen Dichter«, »als Schöpfer der ›Allgemeinen Zeitung‹ und als politisch Verfolgter«, als »Verfassungspolitiker«, als Gründer des süddeutsch-preußischen Zollvereins, Mitbegründer der Bodenseedampfschifffahrt und Matador der Buchhändler. Diesen ausgetretenen Pfaden brauchte Herbert Schiller in seiner Darstellung in den ›Schwäbischen Lebensbildern‹ wie die anderen Lexikographen nur zu folgen.
Umfangreiche Arbeiten zu einzelnen Tätigkeitsbereichen verfassten Ulrich Riedel, der 1951 seine Dissertation dem ›Verleger Johann Friedrich Cotta. Ein Beitrag zur Kultursoziologie seiner Zeit und zur Verlagssoziologie‹ widmete, und zuletzt Monika Neugebauer-Wölk. Ihre Doppelbiographie von 1989 ›Revolution und Constitution. Die Brüder Cotta‹ setzte sich mit dem politischen Johann Friedrich Cotta auseinander, schenkte ihm aber bei weitem nicht so viel Aufmerksamkeit wie dem freilich bis dahin fast gänzlich vergessenen älteren jakobinischen Bruder Christoph Friedrich und vernachlässigte dementsprechend die 1820er Jahre bis auf die Handelsvertragsmission nach Berlin fast völlig. Gleichwohl ist ihr Werk das bislang vollständigste und detailreichste, und mit Dankbarkeit hat auch die vorliegende Arbeit sehr viel von ihm profitiert.
Die Masse der Untersuchungen über Cotta ist verlags- und buchhandelsgeschichtlich ausgerichtet, wobei der eine Schwerpunkt auf dem Verhältnis zu bedeutenden Autoren lag, der andere auf bedeutenden Werken und hier im Besonderen auf den Periodika, allen voran der ›Allgemeinen Zeitung‹. Zu nennen ist zuerst die nach wie vor einzige und, was ihre profunde Quellenkenntnis angeht, unüberholte Arbeit zur Gesamtgeschichte der Verlegerfamilie Cotta: Liselotte Lohrers Firmenfestschrift von 1959: ›Cotta – Geschichte eines Verlags. 1659–1959‹, in der naturgemäß Johann Friedrich Cotta das größte Interesse auf sich zog. Zu nennen sind hier dann die verschiedenen großen Briefwechselausgaben seit Wilhelm Vollmers mustergültigem ›Briefwechsel zwischen Schiller und Cotta‹ von 1876: die Korrespondenzen mit Goethe, Schelling und Varnhagen von Ense, sowie die dreibändigen ›Briefe an Cotta‹, dann die in vielen Briefeditionen verstreuten Briefe von und an Cotta, die zusammen einiges Licht in seine Wirkens- und Lebensumstände gebracht haben. Zu nennen sind die Arbeiten von Eduard Heyck, Karin Hertel, Michael von Rintelen und allen voran die luzide Untersuchung von Daniel Moran zur ›Allgemeinen Zeitung‹ und zu Cottas politischer Presse sowie eine Fülle von Studien zu Detailproblemen einzelner Werke oder Zeitschriften. Überblickt man die Erträge der Forschung, zu der auch Helmuth Mojems Repertorium seiner Briefe und die bibliographische Aufarbeitung seiner Verlagsproduktion »nach den Quellen« gehören, scheint alles bereitet für die umfassende biographische Darstellung Johann Friedrich Cottas.
Dass sie bis heute trotz aller dieser Vorarbeiten nicht vorliegt, rührt aus den schier unüberwindbaren Schwierigkeiten, die aus dem Missverhältnis zwischen der Ereignisdichte, der offenbaren Wirksamkeit des »Helden« und seinen so spärlichen Erklärungen entstehen. Cotta hinterließ keinerlei Tagebücher8 oder irgendwelche autobiographische Aufzeichnungen. Seine der Nachwelt hinterlassenen »res gestae« sind die verschiedenen Geschäftsbücher des Verlags, die Verträge, Inventare und Kalkulationen. Es war nicht allein der »Drang der Geschäfte«, der ihn bei seinen Briefen zur knappen Sachlichkeit und zur größten Zurückhaltung, was persönlichfamiliäre Mitteilungen anging, bestimmte. Über Dritte wie über Politik wie über die Interna verlegerischer oder politischer Strategie, über sein Denken und Wünschen ließ er sich nur äußerst ungern vernehmen. Die Briefüberwachung hatte daran ebenso ihren Anteil wie sein vorsichtiger, ja furchtsamer Charakter, der ihn auch viele Schreiben seiner Briefpartner dem »Vulcan opfern« ließ.9 Sein »eignes Talent« für das »geheimnißvolle versteckte u. äußerst verschloßene Treiben« (so Carl Bertuch an seinen Vater aus Wien10) war gepaart mit seltner Intransigenz seiner Überzeugungen und Gesinnungen. Cotta vermied es, Spuren zu hinterlassen, vieles ließ er schriftlich, wenn er es denn überhaupt berührte, im Unklaren, was nur im Gespräch offen ausgesprochen werden durfte, und wenn er, wie beim Umzug von Familie und Verlag nach Stuttgart im Jahr 1810 Gelegenheit hatte, Heikles – falls überhaupt noch vorhanden – zu beseitigen, dann hat er sie offenbar weidlich genutzt. Jedenfalls ist die Überlieferung gerade für die Frühzeit des Verlags wie für die staatspolitischen Beziehungen zu seinem Bruder, zur württembergischen Landschaft wie zum Kronprinzen Friedrich Wilhelm überaus lückenhaft. Und was sein Familienleben angeht, so begab er sich kaum ohne seine erste und dann seine zweite Frau auf Reisen, sodass auch hier jeder Anlass zum vertraulichen Briefwechsel fehlte. Wo aber Briefe vorliegen, stellt sich oft Cottas Handschrift einem bequemen Verständnis in den Weg, Spur der ständigen Hast wie seines cholerischen Charakters, die kaum Konzepte kennt und mit zunehmendem »Drang der Geschäfte« auch den Zeitgenossen Rätsel aufgab. Die üblichen Suspensionen – hier wiedergegeben mit dem Zeichen »ℓ« –, die abgeschliffenen Endungen, mit denen Cotta die Interpunktion ligiert, kombinieren sich mit häufigen Abkürzungen; Buchstaben, Silben und Wörter werden zu Kürzeln verschliffen, die sich der diplomatischen Wiedergabe entziehen. Dazu kommen der eigenartige Fluss der Schrift, der die Wörter nicht voneinander absetzt, der u-Bögen, Umlaut-Striche und i-Punkte in Schlingen an den Wortkörper bindet, und die unbeherrschte Mischung zeilendurchbrechender Großbuchstaben und Ober- und Unterlängen mit teils winzigen Kleinbuchstaben.
Was aber kann man von einer...