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E-Book

Johann Nepomuk von Ringseis

Arzt und Vertrauter Ludwigs I.

AutorAlfred Wolfsteiner
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2016
Reihekleine bayerische biografien 
Seitenanzahl152 Seiten
ISBN9783791760902
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
'Ritter ohne Furcht und Tadel' - so nannte König Ludwig I. Johann Nepomuk von Ringseis. Doch sein 'Muckl' begleitete ihn nicht nur als Arzt auf drei Italienreisen; er beriet ihn auch in wichtigen politischen Entscheidungen wie der Verlegung der Universität von Landshut nach München. Zudem war er der Kontaktmann zu Künstlern wie Cornelius und Overbeck, pflegte enge Beziehungen zu Arnim und Brentano und korrespondierte mit den Brüdern Grimm. Als Vertreter einer 'Romantischen Medizin' sah er seine Patienten unter ganzheitlichen Aspekten. Er diente vier Königen und bestimmte über 40 Jahre als oberster Beamter das bayerische Gesundheitswesen. Mit dieser Biografie liegt nach Jahrzehnten erstmals wieder ein Lebensbild einer der originellsten, interessantesten und liebenswürdigsten Persönlichkeiten im München des 19. Jahrhunderts vor.

Alfred Wolfsteiner,Dipl.-Bibliothekar (FH), geb. 1954, ist Leiter der Stadtbibliothek Schwandorf und Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze.

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Leseprobe

2   Studium der Medizin in Landshut: 1805–1812


Im Herbst 1805 bezog Ringseis die Universität Landshut, wo sich innerhalb des Lehrkörpers Aufklärer und Konservative unversöhnlich gegenüberstanden. Der junge Oberpfälzer hatte den »unwiderstehlichen Drang«, Arzt zu werden. Im Jahr darauf folgte ihm auch Sebastian nach Landshut, wo dieser ebenfalls ein Studium der Medizin aufnahm. Bis 1812 sollte die akademische Ausbildung der beiden Brüder dauern.

Ringseis besuchte Kurse bei Professoren, die bereits einen hervorragenden Ruf genossen, wie bei dem Botaniker Franz von Paula Schrank oder dem jungen Chemiker Johann Nepomuk von Fuchs. Physiologie und Chirurgie hörte er bei dem ebenfalls noch sehr jungen Professor Philipp von Walther, dessen Nachruf Ringseis einst verfassen sollte. Wichtig für seine Entwicklung war für den jungen Studenten aber besonders der persönliche Verkehr mit Johann Michael Sailer, dem berühmten Theologen und späteren Bischof von Regensburg.

Der berühmteste Arzt jener Zeit war der geniale, aus dem oberfränkischen Lichtenfels stammende Andreas Röschlaub. Ringseis hörte bei ihm spezielle Pathologie und Therapie. Röschlaub war Anhänger der sogenannten »Erregungstheorie« des Schotten John Brown, gemäß der im Erkrankten »ein zur spezifisch und individuell eigentümlichen Natur des Organismus Nichtgehöriges, ihm oft bis zur höchsten Feindseligkeit Fremdartiges in den Organismus mithineinregiert«, wie Ringseis Röschlaubs Vorstellungen von Krankheit definierte.

Die »Landshuter Jugendbewegung«


Um die Brüder Ringseis versammelte sich bald eine Reihe von jüngeren Mitstudenten. Vor allem Philosophie und Religion waren Themen, mit denen sie sich beschäftigten. Besonders angetan hatten es ihnen die Ideen der Romantiker Ludwig Tieck und Novalis sowie Friedrich Schlegels und Franz von Baaders. In einem Brief an Bruder Sebastian heißt es 1807 über das nächtliche Treiben der Gruppe: »In heller Mondnacht auf Gräbern Flöte, Guitarre spielen, philosophieren, Dichter deklamieren – echt akademisch, Herr Bruder!« Noch Jahrzehnte später sollte Ringseis, der sich zeit seines Lebens für übersinnliche Dinge und den Mystizismus interessierte, von seinen aufgeklärten Gegnern als »Geisterbeschwörer« diffamiert werden.

 

 

Abb. 2:
1800 veranlasste Kurfürst Max IV. Joseph die Verlegung der Landesuniversität von Ingolstadt nach Landshut, wo sie im ehemaligen Kloster der Dominikaner (Bild) und im Jesuitenkolleg untergebracht war. Ludwig I. verlegte 1826 die Universität nach München. – Kupferstich von Heinrich Adam.

 

Ringseis’ Tochter Emilie versuchte in den »Erinnerungen des Dr. Johann Nepomuk von Ringseis«, die romantische Jugendsünde ihres Vaters einer angeblichen oder tatsächlichen »Geisterbeschwörung« zu relativieren: »Geister zitieren? Sollten die jungen Leute in der konfusen Schwärmerei damaliger Romantik auch solches versucht haben? Ernstlich lässt es sich bei ihrer religiösen Richtung nicht annehmen.« Allerdings lässt Ringseis’ spätere Sympathie für die Mystik und die Erweckungsbewegung ein solches Vorgehen nicht ganz ausschließen.

Aus dem Freundeskreis der Landshuter Zeit stammen viele Bekanntschaften, die Ringseis später immer wieder pflegen sollte, und es entstand bereits in der Intimität der überschaubaren Universität ein »Netzwerk«, das ihn sein ganzes Leben lang tragen sollte. Bei der Schilderung der Schwärmerei und des Enthusiasmus, der die »Landshuter Jugendbewegung« erfasst hatte, spricht er später von einer »überschäumenden, unbändigen Begeisterung in der wir lebten und schwebten«.

Das Treiben der Brüder Ringseis und ihrer Freunde blieb jedoch nicht lange verborgen und wurde den Polizeibehörden denunziert. Der politische Kurator der Universität, der Aufklärer und nachmalige Minister Georg Friedrich von Zentner, verdächtigte Ringseis sogar, eine geheime Gesellschaft gebildet und geistliche Lieder (!) gesungen zu haben.

Gedichte in der »Zeitung für Einsiedler«


Insgesamt hielt sich Ringseis nach eigener Aussage von politischen Dingen fern. Doch ganz so unpolitisch, wie er später vorgab, war er sicher nicht. Mit Kronprinz Ludwig verband ihn schließlich der Hass auf Napoleon, dessen Einzug in Landshut Ringseis 1806 miterlebte. Der Versuch, Bayern zu »dekatholisieren«, und die Wut auf die »verhasste napoleonische Tyrannei« machten sich bei manch einem Mitstudenten Luft in einigen Jugendgedichten. So auch bei Ringseis; dieser dachte zunächst nicht an eine Veröffentlichung, doch sein Kommilitone Karl Aman schickte die gemeinsam verfassten Gedichte ohne Wissen der Co-Autoren zusammen mit eigenen Texten und denen von Sebastian Ringseis nach Heidelberg an die »Zeitung für Einsiedler«. Achim von Arnim und Clemens Brentano, die Herausgeber, publizierten die Gedichte tatsächlich in der Ausgabe Nr. 33 vom 23. Juli 1808. Vor allem Ringseis’ Gedicht »Herausforderung« erregte überregionale Aufmerksamkeit. Es wendet sich gegen die nach Landshut berufenen Protestanten von der »anderen Zone«, also aus dem Norden Deutschlands, und endet mit den Worten: »Und also schlage ich jeden in den Staub, der Bayerns Söhne nicht ehrt!«

 

Hintergründe des ersten »Nordlichterstreits«

Seit 1799 waren mit der Verlegung des Regierungssitzes von Mannheim nach München und der Bildung neuer Territorien zahlreiche »Fremde« nach Altbayern gekommen: als Beamte in die Ministerien und Verwaltungen, als Lehrer und Professoren in die Schulen, Akademien und Universitäten. Die offene Geringschätzung der Bayern und die offensichtliche Bevorzugung der »Zugereisten« sorgten in der Bevölkerung für viel böses Blut und führten im Verlauf der Jahre zu einer gewissen Fremdenfeindlichkeit. Der Text von Ringseis’ Gedicht »Herausforderung« ist so als eine versteckte Kritik an der Besetzungspolitik Graf Montgelas’ und des Freiherrn von Zentner zu lesen. Zum ersten Mal tauchte 1809 in der bayerischen Presse in diesem Zusammenhang für die Neuankömmlinge der Begriff »Nordlichter« auf. Jahrzehnte später sollte sich Ringseis im nächsten »Nordlichterstreit« der 1850er-Jahre erneut öffentlich zu Wort melden.

 

 

Achim von Arnim kommentierte die Einsendung, die voll von Enthusiasmus und übersteigertem Selbstbewusstsein war, in einem eigenen Gedicht unter dem Titel »Rundgesang gegen Unterdrücker des Werdenden in der Literatur«, abschließend mit den Worten: »Jugend hat ein heißes Blut.« Der Abdruck der Gedichte erfüllte Ringseis und seine Freunde mit großem Stolz, und das Belegexemplar der Zeitung ging in Landshut von Hand zu Hand. Schon wenige Monate später sollte er mit einem der beiden bekannten Herausgeber der »Zeitung für Einsiedler« persönlich zusammentreffen.

Studentenleben in Landshut


Ringseis wurde bei studentischen Kommersen wiederholt zum Präses gewählt. Er war gesellig, witzig, schlagfertig, besaß ein lautes Sprechorgan und war dazu ein passionierter Sänger. Seine Begeisterungsfähigkeit zeigte sich auch später recht anschaulich beispielsweise in folgender Situation: In Anwesenheit des Kronprinzen Ludwig sprang Ringseis auf den Tisch und brachte dem bayerischen Königshaus ein »Vivat« aus. Dabei schlug er mit dem Kommerssäbel derart heftig auf den Tisch, dass Ludwig über und über mit Wein bespritzt wurde.

 

Charakterzüge Ringseis’

Tochter Emilie schildert in den »Erinnerungen« die liebenswürdigen Charakterzüge ihres Vaters, die sich offenbar schon in jungen Jahren zeigten: Neben seinen hervorragenden Geistesanlagen und seinen wissenschaftlichen Kenntnissen zeichneten ihn besonders seine Unbeugsamkeit im Bekenntnis seiner religiösen und sittlichen Grundsätze sowie eine gewisse Furchtlosigkeit aus, wie er sie bereits gegen den Rektor der Landshuter Universität praktiziert hatte. Dazu kam als gefürchtete Waffe seine Spottlust zum Tragen. Beliebt bei Professoren und Studenten machten ihn seine unerschöpflich gute Laune, Sangesfreudigkeit und seine oft übersprudelnde Begeisterungsfähigkeit, wie sie später auch Bettina von Arnim, geb. Brentano, in einem Brief an Goethe beschreibt. Seine Originalität machte ihn bereits in jungen Jahren legendär, und es kursierten schon in Landshut etliche Anekdoten über ihn. Seine Gegner und Feinde hingegen machten sich über die Spleens und Clownereien des originellen Oberpfälzers gerne lustig. Seine Eigenarten und Originalität, besonders aber seine außergewöhnlich große Nase, reizten in der späteren Münchner Zeit auch die Karikaturisten, wie etwa den »Kasperlgrafen« Franz von Pocci.

 

 

Kontakte mit Karl von Savigny, Bettina und Clemens Brentano


Gegen Ende des Jahres 1808 trat ein Mann in Ringseis’ Zimmer und stellte sich ihm mit den schlichten Worten vor: »Ich bin Clemens Brentano.« Die eingesandten Gedichte der »jungen Wilden« aus Landshut hatten bei den Heidelberger Romantikern offensichtlich großen Eindruck gemacht. Brentano war mit seiner zweiten Frau Auguste nach Landshut gekommen, um hier bei seiner Schwester Gunda, die mit dem Juristen Friedrich Karl von Savigny verheiratet war, zu wohnen. Er hatte sich zuvor bei den Professoren Philipp Franz von Walther, Friedrich Tiedemann und Röschlaub über die Verfasser der Gedichte erkundigt. Brentano führte den angehenden Arzt nun im Haus seines Schwagers ein. Der junge Jurist hatte bereits einen glänzenden Ruf, und Ringseis wurde im Hause Savingy-Brentano mit herzlichster »Liebe und Güte« behandelt. Hier lernte er auch Brentanos Schwester Bettina, die spätere Gattin von Achim von Arnim, kennen....

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