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E-Book

Johannes Brahms

AutorMartin Geck
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644532519
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Rowohlt E-Book Monographie Johannes Brahms füllt mit seinen Sinfonien, Klavierkompositionen, Liedern und seinem «Deutschen Requiem» die Konzertsäle in aller Welt. Seine Musik zeigt ihn als Antipoden Richard Wagners und Anton Bruckners; zugleich reicht ihr Einfluss bis in die klassische Moderne. Obwohl Brahms vordergründig das Leben eines seriösen Bürgers führte, zeugt seine Biographie eindrücklich von all jenen Höhen und Tiefen, die auch seine Musik spiegelt. Friedrich Nietzsche betrachtete die «Sehnsucht» als das «Eigenste» dieses Komponisten; und von Arnold Schönberg stammt das prägnante Urteil über Brahms: «Ökonomie und dennoch: Reichtum.» Diese kurze Biographie schildert die Lebensgeschichte von Johannes Brahms und beschreibt seine wichtigsten Werke. Das Bildmaterial der Printausgabe ist in diesem E-Book nicht enthalten.

Martin Geck, 1936-2019, studierte Musikwissenschaft, Theologie und Philosophie in Münster, Berlin und Kiel. 1962 Dr. phil., 1966 Gründungsredakteur der Richard-Wagner-Gesamtausgabe, 1970 Lektor in einem Schulbuchverlag, nachfolgend Autor zahlreicher Musiklehrwerke, 1974 Privatdozent, 1976 ordentlicher Professor für Musikwissenschaft an der Universität Dortmund. Zahlreiche Arbeiten zur Geschichte der deutschen Musik im 17., 18. und 19. Jahrhundert. Autor der Rowohlt-Monographien über Bach, Beethoven, Brahms, Mendelssohn Bartholdy, Wagner und die Bach-Söhne.

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Leseprobe

Jugendjahre und erste Reifezeit (1833–1858)


Sich seiner Jugend erinnernd, bemerkte Johannes Brahms 1880 gegenüber seinem Schüler Gustav Jenner: So schwer, wie ich, hat es nicht leicht jemand gehabt.[1] Es war die typische Äußerung eines Menschen, der vom Ernst seines Lebens und seiner Kunst gern in ironischen Wendungen sprach – nicht um zu relativieren, sondern um einen Schutzwall zwischen sich und den anderen zu errichten.

Solches hatte er schon in frühen Jahren trainieren müssen: innerhalb eines Milieus, das sensiblen Charakteren nur Außenseiterchancen bot. Die Eltern gehörten zumindest anfänglich zu «jener untersten Schicht des städtischen Kleinbürgertums, die vom Proletariat sich weniger okönomisch als durch das Festhalten an bürgerlichen Idealen und Verhaltensmustern abhob»[2]. Der 1806 im dithmarsischen Heide geborene Vater Johann Jakob hatte immerhin 1830 das Hamburger Bürgerrecht erworben, um alsbald die um 17 Jahre ältere Johanna Henrike Christiane Nissen zu heiraten, die damals einen Kurzwarenladen betrieb und Schlafstellen vermietete. «Vater mietete eine Stube bei uns, und so haben wir uns kennen lernen. wie er 8 Tage bei uns gewohn[t] hatte, hat er schon gewünscht, das ich seine Frau würde. […] ich konte es mir gar nicht denken, weil wir so verschieden an Jahren waren»[3], wird die Mutter im Alter ihrem Sohn im Rückblick auf das Jahr 1826 mitteilen, nachdem sie von ihrem Mann um einer Jüngeren willen verlassen worden war.

Schritt für Schritt arbeitete sich Johann Jakob Brahms mit seiner Familie aus dem Gängeviertel heraus, in dem sich damals die armen Bevölkerungsschichten sammelten. Im Lauf der Jahre gelang ihm der Sprung vom Militär- und Tanzmusiker zu einem augenscheinlich geachteten Kontrabassisten der Philharmonischen Gesellschaft.

An diesem allmählichen Aufstieg partizipierte auch der am 7. Mai 1833 als zweites Kind im Haus Specksgang Nr. 24 geborene und am 26. Mai dieses Jahres im Hamburger «Michel» getaufte Johannes Brahms. Gleichwohl wuchs er in beengten Verhältnissen auf, was allerdings den gewissenhaften Besuch der Elementarschule (1839–1844) und einer angesehenen, auch Englisch- und Französischstunden anbietenden «Lehranstalt für Knaben» (1844–1847) nicht ausschloss. Dass die Eltern jährlich 80 Mark an Schulgeld aufzubringen vermochten, spricht für zumindest leidlich gesicherte Verhältnisse. Offenbar war man auch in der Lage, seit 1840 für den Privatunterricht des Sohnes bei dem angesehenen Klavierpädagogen Otto Friedrich Willibald Cossel aufzukommen. Dieser stellte seinen begabten Schüler schon als Zehnjährigen in einem halböffentlichen Konzert vor: Im Gesellschaftszimmer des nahe dem Dammtor gelegenen «Alten Raben» erklangen damals «zum Benefize der weiteren musikalischen Ausbildung» des Knaben und mit Vater Brahms am Kontrabass zwei Klavierquintette – vermutlich KV 452 von Wolfgang Amadeus Mozart und op. 16 von Ludwig van Beethoven – sowie als Bravourstück des kleinen Solisten eine Etüde von Henri Herz.[4]

Nach diesem erfolgreichen Debüt soll sich ein Agent gemeldet, eine Amerika-Tournee mit dem Wunderkind in Aussicht gestellt und Vater Brahms zu dem Ausruf veranlasst haben: «Nu, Cossel! […] Jetzt kriegen wir ein Barg Geld. Ein Mann ist doar west und will mit dem Jung rumtrekken.»[5] Gleichviel, was von der Zuverlässigkeit dieser Überlieferung zu halten ist: der einsichtige Klavierlehrer vermittelte lieber einen unentgeltlichen Unterricht bei Eduard Marxsen, dem damals in Hamburg hoch angesehenen Komponisten, Klavier- und Theorielehrer. Brahms hat ihm fast ein Jahrzehnt lang die Treue gehalten und sich während dieser Zeit in Hamburg mehrfach hören lassen – so im September 1848, als er im Saal des «Alten Raben» ein eigenes Konzert gab und unter anderem Teile eines Klavierkonzerts von Jakob Rosenhain, eine Phantasie über Rossinis «Wilhelm Tell», eine Fuge von Bach, die Serenade für die linke Hand seines Lehrers Marxsen und eine Etüde von Herz vortrug.

Im Abstand von einem halben Jahr folgte ein weiteres Konzert, dessen ersten Teil der Sechzehnjährige mit Beethovens «Waldsteinsonate» eröffnete und mit selbstkomponierten Variationen «über einen beliebten Walzer» beschloss.[6] Die Programmfolge des zweiten Teils fiel allerdings wesentlich konventioneller aus – sicherlich mit Rücksicht auf den Hamburger Publikumsgeschmack, dem Brahms sich danach kaum mehr ausgesetzt hat: Er trat bis auf weiteres nur noch in Konzertveranstaltungen anderer Konzertgeber auf. Stattdessen rückt für Brahms seit 1846 der Gelderwerb in den Vordergrund: Während es keineswegs gesichert ist, dass er bereits in sehr jungen Jahren in Hamburger Kneipen Musik gemacht hat, kann kaum ein Zweifel bestehen, dass der Dreizehnjährige in einem Bergedorfer Ausflugslokal zur Unterhaltung aufgespielt hat – offenbar für das beachtliche Honorar von zwei Talern pro Nachmittag.

Nach Ende der Schulzeit im Jahr 1847 beginnt eine Phase anstrengender Selbstfindung: Neben dem Zwang zum Geldverdienen – Stunden geben und zum Tanz aufspielen – hält den jungen Musiker der Theorie-, Kompositions- und Klavierunterricht bei Marxsen in Atem. Später hat sich der Schüler geringschätzig über seine damaligen Lernfortschritte geäußert. Inzwischen lässt sich darüber nicht mehr urteilen; denn Brahms hat seine frühen Kompositionen so gründlich vernichtet, dass wir über das, was vor op. 1 entstanden sein könnte, im Dunkeln tappen: Offenbar wollte er von Anfang an als Könner dastehen. Das Unterrichten scheint ihm – im Gegensatz zu seinem Freund Joseph Joachim – nur wenig Befriedigung verschafft zu haben: In reiferen Jahren hat er, inzwischen auf Stundenhonorare nicht mehr angewiesen, nur noch wenige Privatschüler angenommen; und offenbar lag es auch außerhalb seiner Lebensperspektive, an einem Konservatorium tätig zu sein.

Den Sommer 1847 und das Frühjahr 1848 nutzt Brahms zu mehrmonatigen Aufenthalten in Winsen an der Luhe, wo er bei dem Papierfabrikanten Adolf Giesemann, einem Bekannten des Vaters, Logis nimmt und Zeit mit dessen ein Jahr jüngerer Tochter Lieschen verbringt. Last but not least bekommt er Gelegenheit, den etwa zwölfköpfigen Winsener Männergesangverein zu dirigieren und seine Fertigkeiten auf dem Piano zu demonstrieren. An einer Virtuosenkarriere im traditionellen Sinne, zu der ihn seine Umgebung damals ermutigt haben mag, ist er zwar nicht interessiert; jedoch wird er in näherer Zukunft gern als Interpret des ‹klassischen› Repertoires und seiner eigenen Werke sowie als Klavierbegleiter auftreten. Und die erstbeste Gelegenheit dazu bietet die Einladung des ungarischen Geigers Eduard Reményi zu einer kleinen Tournee durch Norddeutschland. An deren Ende steht ein Besuch bei Franz Liszt in Weimar im Juni 1853. Dass Brahms beim Klaviervortrag des gefeierten Künstlers eingeschlafen sei, ist sicherlich Legende; dass ihm jedoch der outrierte Gestus von Liszts h-Moll-Sonate missfallen hat, ist nicht auszuschließen. Schon damals könnte er eine Abneigung gegen die sogenannte neudeutsche Schule, von der noch die Rede sein wird, entwickelt und dies dem Gastgeber auf der Altenburg trotz dessen gewinnenden Wesens auch kundgetan haben. Ganz anders wird hingegen die Bekanntschaft mit Robert und Clara Schumann verlaufen, die am 30. September 1853 beginnt.

«Schreib uns ja, wenn Du kommst, wir wollen Dir Chocolade besorgen und Theater-Billette aufbewahren. Eier besorgen zu Punsch […] und kämst Du bald, koche ich Johannisbeergrütze, Bickbeerpfannekuchen.»

Brahms’ Mutter an ihren Sohn am 23. August 1853, in: Johannes Brahms in seiner Familie. Der Briefwechsel. Hg. von Kurt Stephenson. Hamburg 1973, S. 47

Dieses Datum festzuhalten ist deshalb wichtig, weil es den in der Literatur gelegentlich bis heute geäußerten Verdacht entkräftet, Claras jüngster Sohn Felix sei ein Kind von Brahms: Den «Haushaltsbüchern» der Schumanns ist einwandfrei zu entnehmen, dass Robert am 3. Oktober 1853 von Claras Schwangerschaft erfuhr und am selben Tag ehelich mit ihr verkehrte. Der junge Besucher befand sich da überhaupt erst seit vier Tagen in Düsseldorf! Dorthin war er zum Abschluss einer von Mainz ausgehenden Rheinwanderung gelangt, die ihn zuvor nach Mehlem geführt hatte – zum Teil per pedes und angeblich mit Ranzen und Wanderstab. Zwar war Brahms wie Schumann ein Verehrer E.T.A. Hoffmanns – und dies in solchem Maße, dass er seine Klaviersonate op. 1 im Autograph als ein Werk von Joh. Kreisler jun. ausgab und damit auf dieselbe Romanfigur anspielte, der Schumann in seinen «Kreisleriana» huldigt. Jedoch kannte er von Schumann bis dahin kaum mehr als den «Carnaval», den er jedoch nicht sonderlich schätzte, vermutlich zu illustrativ fand.

So bedurfte es eines ausgiebigen, durch den Geiger und späteren Schumann-Biographen Wilhelm Joseph von Wasielewski vermittelten Besuchs auf dem Mehlemer Landgut des Kölner Finanziers Wilhelm Ludwig Deichmann, um Brahms die Musik Schumanns nahezubringen. Dort gab es Notenmaterial zuhauf; dort versammelten sich beständig einheimische und auswärtige Künstler zu geselligem Musizieren. Und dort reifte in Brahms der Entschluss, die Schumanns in Düsseldorf aufzusuchen.

Zwar schwärmt man damals bereits allenthalben von dem «schlanken Jüngling mit langem, blondem Haar und einem wahren Johanniskopf, dem Energie und Geist aus den Augen blitzten»[7], wie es der Komponist Franz Wüllner in der...

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