In einer flachen, ziemlich reizlosen Gegend Nieder-Oesterreichs, östlich von Wien und 13/4, Wegstunden von Bruck an der Leitha entfernt, liegt zwischen den Dörfern Gerhaus und Hollern der Marktflecken Rohrau. Hart am Orte vorbei fließt die aus Steiermark kommende Leitha, die auf einer längeren Strecke Oesterreich und Ungarn scheidet und sich bei Ungarisch-Altenburg in einen Arm der Donau ergießt. Rohrau, seit Jahrhunderten im Besitz der Familie Harrach, wurde im Jahre 1627 unter Karl von Harrach, Staatsminister Ferdinand's II., von diesem Kaiser zur Reichsgrafschaft erhoben. Unter den Cavalieren, die im Jahre 1724 in Wien bei Hofe in der Oper »Euristeo« von Caldara mitwirkten, wird auch ein Ferdinand Graf Harrach genannt. Zur Zeit, die uns hier zunächst beschäftigt, war der Besitzer Graf Karl Anton (1692–1758), k.k. Kämmerer, geh. Rath, oberster Hof- und Landjägermeister und Erblands-Stallmeister. Von seinen Nachfolgern wurde Karl Leonhard (geb. 1765, 1831) im Jahre 1826 in Rücksicht seiner großen Verdienste und seiner mit Einsicht verbundenen Vorliebe für die Tonkunst zum k.k. Hofmusikgrafen ernannt. Er war derselbe, der in seinem, erst unter ihm in den 90er Jahren angelegten weitläufigen Schloßpark dem von seinen Londoner Triumphen heimkehrenden Haydn ein Denkmal setzte. Schloß und Park, von Wassergräben umgeben, liegen abseits vom Orte.
Der Markt Rohrau (jetzige Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha) besteht fast nur aus einer Doppelreihe ebenerdiger Häuser, von der Poststraße durchzogen, welche Bruck mit Petronell und Hainburg verbindet. Der Ort hatte wiederholt mit Feuers-und Wassersnoth zu kämpfen. In den Jahren 1847 und 1865 brannte der größere Theil der Wohnungen nieder und in letzterem Jahre litt dabei auch die auf halbem Weg des Ortes stehende, erst unlängst wieder hergestellte Pfarrkirche zum h. Vitus, wo sich auch die Familiengruft der Grafen von Harrach befindet. Wiederum unterwühlten Hochwasser der zeitweilig wild daherbrausenden Leitha die dem Flusse zu gelegenen Häuser und richteten namentlich in den Jahren 1813 und 1833 große Verheerungen an. Vor dieser Zeit und zum Theil noch später standen an Stelle der nun solid aufgebauten und weiß übertünchten Häuser meist nur ärmliche, mit Stroh gedeckte Lehmhütten. Feuchte Aecker und von Wässern durchsickerte Wiesen, mit Schilf, Rohr und Weidenbäumen bewachsene Flußufer gaben wohl dem Orte seinen Namen. Jahrzehnte gingen hier spurlos vorüber; noch immer bewegt sich die Einwohnerzahl in gleicher Höhe (circa 500, und mit dem 1/4 Stunde entfernten Gerhaus bei 700 Seelen); noch immer ist der Markt über die Häuserzahl 75 nicht hinausgekommen. Von der Ferne repräsentirt sich derselbe nur unansehnlich; die lohnendste Seite ist noch von Osten her bei den ebenfalls an der Leitha gelegenen Dörfern Hollern und Schönabrunn. Doch vergebens würde man hier ein Landschaftsbild suchen, das im Stande wäre, zu elegischen Zeilen gleich jenen im »Spaziergang« anzuregen.
Am südlichen Ende des Marktes, nach der Brucker Seite hin und gegen das Schloß liegend, wo die Umgebung sich doch etwas freundlicher und auch baumreicher entfaltet, reicht die Häuserreihe zur rechten Seite beim Ausgang des Ortes bis zum Grenzpfahl; die linke Seite endigt früher und das letzte Häuschen trägt die Nummer 60. Dies ist Haydn's Geburtsstätte – »eine schlechte Bauernhütte, in der ein so großer Mann geboren wurde«.1 Nicht ohne Rührung betritt man diese unscheinbare Wohnung, denn wenn auch bei den einzelnen Veränderungen im Verlauf so vieler Jahrzehnte unsere Phantasie nicht wenig nachhelfen muß, so genügt uns doch der Gedanke: auf diesem Fleckchen Erde ist ein großer rechter Meister in die Welt getreten.
Der Handwerksbursche, Mathias Haydn, nun Bürger und Wagnermeister in Rohrau, hatte sich im Jahre 1728 das genannte Häuschen gebaut, um daselbst mit seiner jungen Frau einzuziehen, denn am 24. Nov. 1728 vermählte er sich mit der 21 jährigen Jungfer Maria, Tochter des verstorbenen Marktrichters und Bürgers Lorenz Koller (Beil. I, 7 und 8). Als Heirathsgut brachte die Braut, laut Ehevertrags2 vom 13. Nov., 120 Fl. bares Geld sammt einer »ehrlichen Ausstaffirung«, welches der Bräutigam mit der Hälfte seines »ganz neu erbauthen Kleinhäusl« per 240 Fl. sammt dem Wagnerhandwerk widerlegte. Noch in demselben Jahre ist sein Häuschen, dem dazugehörigen Grund entsprechend, als Hofstatt- und drei Jahre später durch die am 12. Sept. 1731 erfolgte weitere Grundzutheilung als Halblehn-Haus bezeichnet (als Halblehner besaß er 6 Joch Grund). Seine Frau gebar ihm 12 Kinder, von denen die Hälfte gleich oder kurz nach der Geburt starb. Das zweite Kind, unser Haydn, erhielt am 1. April 1732 die Taufnamen Franz Joseph. Der herrschaftliche Bestandmüller zu Gerhaus Joseph Hoffmann3 und seine Frau Anna Katharina waren die Taufpathen (Beil. I, 9). Von den beiden Taufnamen Haydn's kam der erste nie in Gebrauch, wie wir dies u.a. auch bei Franz (Peter) Schubert und (Wilhelm) Richard Wagner finden. So wenig wie bei Beethoven konnte man auch bei Haydn bis jetzt den eigentlichen Tag der Geburt ermitteln. Der Taufact im Kirchenbuch ist unterm 1. April eingezeichnet. Dagegen soll Haydn selbst, wenn Jemand das bei ihm aufgestellte in Holz geschnitzte kleine Modell des Monuments im Park zu Rohrau besichtigte, das dort angegebene Datum 1. April sehr eifrig mit »31. März« verbessert haben. Und wiederum geben die Aufzeichnungen seines Schülers Neukomm zu der betreffenden Stelle bei Dies (S. 12, wo sogar der 30. März angegeben ist) die Erklärung: Haydn sagte mir – »ich bin am 1. April geboren und so steht es in meines Vaters Hausbuch eingeschrieben – aber mein Bruder Michael behauptet, ich sei am 31. März geboren, weil er nicht will, daß man sage, ich sei als Aprilnarr in die Welt getreten.« Der Mittelweg dürfte auch hier der richtige sein: Haydn, geboren in der Nacht vom 31. März zum 1. April, und so kann es immerhin bei dem vorzugsweise angenommenen 31. März sein Verbleiben haben.
Bevor wir uns nun mit den Eltern und dem Familienleben in Haydn's ersten Kinderjahren eingehender beschäftigen, sei noch ein Blick geworfen auf das Aeußere und Innere des Hauses, wie es zu jener Zeit mag bestanden haben.4 Wohl hatten die erwähnten Ueberschwemmungen der Leitha (1813 und 1833) das Wohnhaus wiederholt zerstört, doch wurde es jedesmal im Hauptmauerwerk wieder hergestellt und daß auch die innere Eintheilung der Hauptsache nach dieselbe geblieben, bestätigte der erst unlängst (1873) verstorbene Landmann Martin Hoffmann, der noch in dem alten Hause im Jahre 1785 geboren wurde, es dann seit 1809 selbst besaß und nach der ersten Ueberschwemmung wieder aufbaute. Eine Abbildung in Oel aus dem Jahre 1829, also vor dem letzten Hochwasser, verdanken wir dem akademischen Künstler und Schüler des Wiener Conservatoriums, Wilhelm Kröpsch, der seine Arbeit dem Museum der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien zum Geschenk machte.5 Wir erblicken in dem Bilde ein ebenerdiges, ziemlich ausgedehntes und mit einem Strohdache gedecktes Gebäude. Zur Linken der Einfahrt befinden sich vier Fenster, vor denen sich hölzerne Stakete auch noch dem Nachbarhause entlang hinziehen; ein üppig belaubter Baum giebt dem Hause auf dieser Seite einen freundlichen Abschluß. Rechts vom Thore zeigt sich zunächst eine größere Maueröffnung, der sich zwei schmälere Fenster anschließen. Die weiterhin sichtbaren Luftlöcher hart unterm Dache deuten auf Stallungen, der angebaute, mit loser Lattenwand gedeckte Theil unter besonderem Dache auf einen zur Aufbewahrung für Wagen, Feld- und Arbeitsgeräth bestimmten Schuppen. Diese ganze Gassenfront des Hauses ziert zu beiden Seiten des Hofthores ein breit angelegter Rasen. Zur Rechten öffnet sich die Landschaft ins Freie; die Straße führt am Hause vorbei nach Bruck an der Leitha und ist jenseits der Brücke, die sie beim Grenzpfahl überschreitet, mit Bäumen bepflanzt; in der Ferne erblickt man auf mäßiger Anhöhe das Kirchlein des nächstliegenden Ortes Höflein. So weit die Abbildung.6 – Der rückwärtige Theil des Hauses hat sich fast unverändert erhalten. Noch heute findet man dort die schon angedeuteten Abtheilungen: Stall, Vorraths- und Geräthskammer. Verschwunden ist dagegen die ehemals hier befindliche Werkstatt, in der Vater Mathias sein Wagnergeschäft betrieb. Ein kleiner Obst- und Gemüsegarten, der vom Hofraum bis an die vorbeifließende Leitha reicht, vervollständigt die Wirthschaft, doch war das jetzige Flußbett in früherer Zeit dem Hause näher gelegen.
Das Innere des Hauses kennen zu lernen, treten wir durchs große Hausthor ein und gelangen links über einige, erst beim Umbau des Hauses angebrachte Stufen in ein kleines Vorzimmer (die frühere Küche, jetzt aber nur theilweise dazu verwendet) und von da in die eigentliche Wohnstube, der sich noch eine Kammer anschließt. Dieser ganze Theil des Hauses war früher tiefer gelegen, daher es auch vom Hausflur aus ganz eben zur Wohnung führte. Das niedere aber geräumige Wohnzimmer mit dunkelgebranntem Deckengebälk und umfangreichem grün glacirten Kachelofen und rothfarbiger Ofenbank wird allgemein als der Ort bezeichnet, wo Haydn zur Welt kam, doch war hier nur die allgemeine Wohnstube. Joseph und Michael und alle Kinder wurden im Zimmer zur rechten Seite des Hauses geboren, nun als Vorrathskammer benutzt.7 Wenn man bedenkt, daß die Familie, obwohl sie beim Ueberblick des Stammbaums zahlreich genug erscheint, doch gleichzeitig nur aus wenigen Mitgliedern bestand (die größere Hälfte der Kinder starb kaum geboren, die überlebenden Söhne wurden in die Welt geschickt, die...