1. Einführung in das Thema
Übermäßiger Alkoholkonsum bei Jugendlichen oder sogenanntes „Komasaufen“ sind Themen, die in den letzten Jahren wiederkehrend in den Medien diskutiert werden. Schlagzeilen wie „13-jährige Betrunkene nicht mehr ansprechbar:
Alkoholräusche führen zu einer Vielzahl von Polizeieinsätzen“ (Sokoll, 2012) suggerieren ein eklatantes, vor allem jugendspezifisches Problem im Umgang mit Alkohol. So titelte beispielsweise FOCUS Online im Jahr 2008 „Komasaufen statt Hausaufgaben“ und machte damit auch auf die gestiegene Anzahl an Krankenhauseinlieferungen jugendlicher Alkoholisierter in Deutschland aufmerksam. Aktuelle Berichterstattungen über vermeintliche Trends, bei denen der Alkohol mittels sogenannter Eyeball-Shots (Davies, 2010) oder Wodka-Tampons
(Domgörgen, 2011) direkt über die Schleimhäute in den Körper gelangt, lassen eine gewisse Dramatisierung nicht verkennen. Hinzu kommen verschiedene Situationsbeschreibungen jugendlichen Alkoholkonsums in der Literatur, die mit Titeln wie „Generation Wodka: Wie unser Nachwuchs sich mit Alkohol die Zukunft
vernebelt“ (Büscher, Siggelkow & Mockler, 2011) auf sich aufmerksam macht.
Häufig trinken Minderjährige hochprozentigen Alkohol, den sie laut Jugendschutzgesetz (JuSchG) nicht hätten konsumieren dürfen. In fast allen bekannt gewordenen Fällen führt exzessiver Konsum letztlich zu einem Einschreiten von Polizei, Jugendamt oder Rettungsdienst. Dies endet nicht selten in einem stationären Krankenhausaufenthalt (Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, 2011,
S. 22). Bemerkenswert erscheint dabei die Anzahl der Einlieferungen infolge akuter Alkoholintoxikation. Im Zeitraum 2000 bis 2010 stiegen diese bei 10-15-Jährigen bundesweit von 2.194 auf 4.088 Jugendliche jährlich an. Bei den 15-20-Jährigen ist ein noch deutlicherer Anstieg festzustellen. Waren es im Jahr 2000 noch 7.320 Fälle stieg die Zahl der Einlieferungen im Jahr 2010 auf 21.907. Dies entspricht einem durchschnittlichen jährlichen Zuwachs von 11,9 %
(Baumgärtner, 2012, S. 7). Diese Werte deuten zunächst einmal auf eine besorgniserregende Entwicklung hin, wenngleich isolierte Betrachtungen einzelner Regionen diesen Trend zumindest nicht weiter stützen. So sind in der Region Hannover in 2011 insgesamt 214 Jugendliche aufgrund von Alkoholintoxikation stationär behandelt worden. 2010 waren es noch 238 Minderjährige (Hilbig, 2012).
Untersuchungen (Barnum, Richardson & Perfetti, 2012) machen deutlich, dass früher Alkoholkonsum bei Jugendlichen schwerwiegende Folgen für das Trinkverhalten im Erwachsenenalter nach sich ziehen kann. „Im Jugendalter reagieren Körper und Psyche […] erwiesenermassen stärker auf psychoaktive Substanzen wie Alkohol“ (Bonassi, 2011, S. 215). Dieser kann in Einzelfällen sogar lebensbedrohliche Folgen bis hin zum Koma nach sich ziehen (Adler-Schäfer & Lang, 2011; Drews, 2012).
Zwei Drittel der 12- bis 15-Jährigen haben schon einmal Alkohol getrunken. Bei 16-Jährigen sind es über 90 %. Der regelmäßig konsumierte Alkohol, d. h. der mindestens einmal wöchentliche Konsum mindestens eines alkoholischen Getränkes, bleibt bis zum Alter von 16 Jahren eher gering. Dann steigt er deutlich an und verharrt auch danach auf diesem Niveau (BzgA, 2009, S. 35-39). Studien belegen, dass mehr als ein Fünftel aller Jugendlichen regelmäßig Alkohol konsumiert. Bedenklich erscheint vor allem der Umstand, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen im zurückliegenden Monat fünf oder mehr Gläser Alkohol zu einer Trinkgelegenheit zu sich nahmen (Baier, Pfeiffer, Simonson & Rabold, 2009, S. 6).
Die Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) aus dem Jahr 2012 ermöglicht einen aktuellen Überblick über den Konsum alkoholischer Getränke in der Bundesrepublik Deutschland und kommt im Ergebnis zu geringeren Werten. Demnach betrug der Anteil der 12-17-Jährigen, die in den zurückliegenden 30 Tagen Alkohol getrunken hatten 42,0 %. 14,2 % tranken mindestens wöchentlich und 15,2 % der Jugendlichen bei einer Gelegenheit fünf oder mehr Gläser Alkohol (sogenanntes Rauschtrinken). 3,7 % tranken bei vier oder mehr Gelegenheiten derart viel Alkohol (sogenanntes häufiges Rauschtrinken). Diese Untersuchung wie auch beispielsweise die Studie des European School Survey Project on Alcohol and Other Drugs (ESPAD) (Kraus, Pabst & Steiner, 2007) zeigen, dass der regelmäßige Alkoholkonsum sowie das regelmäßige Rauschtrinken Jugendlicher in Deutschland seit 2003 bzw. 2004 rückläufig sind (a. a. O., S. 78-79; BzgA, 2012, S. 10), obwohl Medien dies zum Teil anders darstellen (Kreiszeitung, 2012). Noch deutlicher wird es bei jungen Erwachsenen. „So ist der regelmäßige, d. h. der wöchentliche,
Alkoholkonsum seit 1973 bei jungen Erwachsenen über den gesamten
Beobachtungszeitraum insgesamt rückläufig“ (BzgA, 2012, S. 57).
Es lässt sich somit feststellen, dass die Konsumverbreitung bei alkoholischen Getränken wie auch beim regelmäßigen Rauschtrinken unter Jugendlichen zwar rückläufig ist, jedoch zum Teil eine Intensivierung des Exzessivkonsums zu beobachten ist (Baumgärtner, 2011a, S. 15).
Im europäischen Vergleich konsumieren deutsche Jugendliche häufiger und mehr Alkohol als Gleichaltrige in anderen Staaten Europas. Deutschland befindet sich somit in der unrühmlichen Spitzengruppe hinsichtlich des Alkoholkonsums Minderjähriger (ESPAD, 2007, S. 12).
Die enthemmende Wirkung des Alkohols führt immer wieder zu Ordnungswidrigkeiten und Straftaten, wie Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen. Die wurde nicht zuletzt durch die Studie „Gewalt gegen Polizeibeamte“ des
Kriminologischen Forschungsinstitutes (KFN) deutlich (Ellrich, Baier & Pfeiffer, 2011, S. 124). Die Studie „Prävention von Jugendgewalt“ identifizierte Alkoholmissbrauch als ein mit Aggression und Gewalt korreliertes Verhaltensproblem bei Jugendlichen und Erwachsenen (Eisner, Ribeaud & Bittel, 2006, S. 18). Die Untersuchung „Jugendliche in Deutschland als Opfer und Täter von Gewalt“ des KFN bezeichnet denn auch unter anderem den Konsum von Alkohol als eigenständigen Risikofaktor für gewalttätiges Verhalten (Baier u. a., 2009, S. 6). Darüber hinaus erhöht übermäßiger Alkoholkonsum signifikant die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden (Harbart, 2011).
Das tatsächliche Ausmaß der unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten kann nicht generell erfasst werden, weil Aussagen zur Alkoholbeeinflussung nur bei geklärten Taten möglich sind, aber nicht alle Täter ermittelt werden. Zudem wird ein Teil der Tatverdächtigen erst zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt ermittelt und deshalb sind keine Indikatoren zur Alkoholbeeinflussung mehr zu gewinnen. „Es wird angenommen, dass Alkohol jede zweite bis vierte Gewalttat beeinflusst. […] Dies klärt allerdings nicht, ob Alkohol die Taten verursacht oder ‚nur‘ zu ihrer Entstehung beigetragen hat“ (Robertz, 2011, S. 18). „Je schwerwiegender die Delikte, desto höher fällt der Anteil der unter Alkoholeinfluss stehenden
Tatverdächtigen aus“ (Landeskriminalamt Niedersachsen, 2009, S. 3). Der französische Sozialpsychologe Laurent Bègue fand 2009 mit seinem Forscherteam zudem heraus, dass allein der Gedanke an alkoholische Getränke Menschen aggressiv machen kann.
Subjektiv wird der Eindruck zunehmender Gewaltkriminalität durch alkoholisierte Jugendliche durch die intensive Medienberichterstattung verstärkt (Bachmaier, 2010). Diese Beobachtungen lassen sich aus der aktuellen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) jedoch nur zum Teil herleiten. Die PKS liefert in Bezug auf das Hellfeld einen gewissen Anhalt über die erfassten Straftaten unter Alkoholeinfluss. Demnach wurden 2011 insgesamt 13,2 % aller aufgeklärten Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen (Bundesministerium des Innern, 2012, S. 5). Besonders auffällig ist der hohe Anteil von 31,8 % an Alkoholbeeinflussung während der Begehung von Gewalttaten (a. a. O., S. 8).
In Niedersachsen ist zunächst einmal ein deutlicher Rückgang von Straftaten durch minderjährige Tatverdächtige seit 2008 zu beobachten (Nds. Ministerium für Inneres und Sport, 2012a, S. 10). Auch sinken seit 2009 die in der PKS verzeichneten Gewalttaten landesweit (a. a. O., S. 9). Gleichwohl erscheint der Anteil alkoholisierter tatverdächtiger Minderjähriger und Heranwachsender bei Rohheitsdelikten in 2010 mit 25,2 % der Gesamtanzahl nicht gerade gering
(Landeskriminalamt Niedersachsen, 2011, Anlage 8, S. 26). Bei gefährlicher Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen liegt dieser Wert sogar bei 44,4 %...