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E-Book

Jung verwitwet

Weiterleben, wenn der Partner früh stirbt

AutorUlla Engelhardt
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783104022819
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Ein Trauerbegleiter: Hilfe und Beistand für alle, die in jungen Jahren ihren Lebenspartner verlieren. Der Tod des Partners stellt das eigene Leben komplett auf den Kopf, wirbelt das scheinbar fest Gefügte völlig durcheinander und verändert alles. Das Begreifen, dass das Leben weitergeht und sich irgendwann sogar wieder gut anfühlen kann, ist ein meist langer, eigentlich nicht vorstellbarer, schmerzhafter Weg. Er ist geprägt von ganz individueller Trauer. Dieses Buch steht Menschen, die ihren Partner verlieren, unterstützend und wegweisend zur Seite, indem es eine sehr praktisch orientierte Hilfestellung beim Umgang mit einem so großen, einschneidenden Verlust gibt.

Ulla Engelhardt, Jahrgang 1963 ist Trauerbegleiterin und Vorstandsmitglied im Verein »jung verwitwet«, einer bundesweiten Initiative für jung Verwitwete und ihre Kinder, die aus dem Internet-Portal verwitwet.de entstanden ist. Ihr Mann starb 2001 an ALS. Sie hat eine Tochter und lebt in Hamburg.Weitere Informationen, auch zu E-Book-Ausgaben, finden Sie bei www.fischerverlage.de

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Leseprobe

1. Kapitel  Die eigene Situation


Der Partner stirbt


Der Tod des Partners stellt das eigene Leben komplett auf den Kopf, wirbelt das scheinbar fest Gefügte völlig durcheinander und verändert alles. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Verlust nach kurzer oder längerer Krankheit stattfindet oder ob er plötzlich ist, wie beispielsweise durch Unfall, Infarkt oder Suizid – nichts ist mehr wie vorher und wird es auch nie wieder sein.

Das Begreifen, dass das Leben – mein Leben – weitergeht und sich irgendwann sogar wieder gut anfühlen kann, ist ein meist langer, eigentlich nicht vorstellbarer, schmerzhafter Weg. Er ist geprägt von ganz individueller Trauer.

Krankheit – Vortrauer


Wenn ein Familienmitglied erkrankt, verändert das den üblichen Tagesablauf. Schon eine fiebrige Erkältung oder ein harmloser Magen-Darm-Virus wollen organisiert sein: Krankmeldung beim Arbeitgeber, in der Schule oder Kita, Arztbesuch, Betreuung des jeweils Erkrankten, Absage von Terminen und geplanten Freizeitunternehmungen. Nach einigen Tagen oder einer Woche ist alles überstanden, und wir kehren wie selbstverständlich zu unserem vorherigen normalen Rhythmus zurück.

Stellt sich eine Erkrankung als ernsthaft oder gar lebensbedrohlich heraus, betrifft die Veränderung nicht nur den familiären Tagesablauf, sondern auch das Denken und Fühlen der einzelnen Beteiligten. Alles oder zumindest vieles, was bisher für absolut selbstverständlich angesehen wurde, ist es plötzlich nicht mehr. Die sicher geglaubte Basis infrage stellen zu müssen, löst Gefühle aus, die niemand gerne hat und die in dieser Intensität vielen noch gänzlich unbekannt sind: Unsicherheit und Angst.

Als bei meinem Mann die Symptome der ALS – Amyotrophe Lateralsklerose, eine chronische, fortschreitende Erkrankung des zentralen Nervensystems – spürbar und sichtbar wurden, bekamen wir die Diagnose relativ schnell. Auch darüber, dass diese Erkrankung unheilbar ist, wurden wir im Arztgespräch informiert. Noch heute trage ich den Zettel mit den drei damals gedankenverloren hingekritzelten Buchstaben A-L-S zwischen Fotos, Visitenkarten und anderen Notizen in meinem Terminkalender bei mir. Das Realisieren, dass diese Buchstaben bedeuteten, er würde unweigerlich in absehbarer Zeit sterben, war jedoch ein langer Prozess. Bereits vor dem eigentlichen Sterben begegneten wir dabei – beide – dem Gefühl der Trauer, das einen immer größer werdenden Raum einnahm.

Wie sich die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben anfühlt, welchen inneren Kämpfen, Ängsten und Gedanken derjenige ausgesetzt ist, dessen Leben zu Ende geht, kann ich nicht ermessen, nur im Ansatz erahnen. Vieles blieb auch bei uns trotz vorhandener Offenheit unausgesprochen – vielleicht war es gar nicht in Worte zu fassen oder unsagbar.

Meine Erfahrung aus dieser Zeit ist die des Begleitenden, des Überlebenden, der mit Momenten ungeheurer Hilflosigkeit konfrontiert wird. Man leidet mit, will es nicht wahrhaben, hat Angst vor Verlust, vor dem Alleinsein, ist vollkommen überfordert und ohne Hoffnung. Für die Erkenntnis, dass der Partner sterben wird – in unserer Situation war es das sichere Wissen –, habe ich nur die Worte »bitter« und »brutal«.

Aus heutiger Sicht betrachtet bekamen wir jedoch genau durch das Annehmen dieser Tatsache die Chance, die verbleibende Zeit intensiv zu nutzen, uns unerwartet noch näher zu kommen und unsere damals etwa vierjährige Tochter so behutsam und ehrlich wie möglich auf diesem Weg mitzunehmen. Der manchmal flapsig dahergesagte Ausspruch »Carpe diem« – Nutze und genieße den Tag! – wurde ganz plötzlich zur ernsthaften Lebensformel, ebenso wie der Sinnspruch »Der Weg ist das Ziel«.

Diagnose: tödliche Erkrankung Björn, geb. 1964, Fotograf:[1]

Die ersten Symptome waren zum Beispiel, den Schlüssel nicht mehr im Schloss umdrehen zu können oder zu stolpern, unsicherer Gang, dann war es beim Schreiben irgendwann schwierig, den Stift zu halten. Das Erste aber war, dass die Kraft nicht mehr reichte fürs Aufschließen der Tür, weil die Muskulatur zwischen Daumen und Zeigefinger schon zurückgegangen war. Wir sind dann zu diversen Ärzten gegangen, die Hausärztin wusste nicht weiter, sie hat gleich das Krankenhaus empfohlen. Plötzlich waren wir dort in der Neurologie und wussten überhaupt nicht, was das zu bedeuten hatte. Irgendwann saß Andrea dann in einer Vorlesung, weil der Professor, der ihren Fall interessant fand, meinte, sie seinen Studenten präsentieren zu müssen und diese raten zu lassen, was sie denn hat. Da hat sie vor versammelter Mannschaft ihre Diagnose erfahren. Das war eine Megakatastrophe für sie, dass der Professor sie nicht in irgendeiner Form darauf vorbereitet hat. Als wir das erste Mal die Buchstaben ALS hörten, begann das Recherchieren, um herauszufinden, was das im Einzelnen bedeutet. Bei Krebs hat man gleich eine Vorstellung, hier aber weiß man zunächst nicht, wo es hinführen wird und dass man dann plötzlich von so etwas wie Lebenserwartung spricht. Die Ärzte trauen sich nicht, das mit allen Konsequenzen zu sagen, sie versuchen, dich nicht umzustürzen. Was natürlich letztendlich dann doch passiert. Aber weil diese Krankheit so schleichend fortschreitet, ist es nicht so greifbar. Man glaubt es nicht. Die Hoffnung lässt einen nicht los, bis zum Schluss. Stillstand wäre immer ein Fortschritt gewesen. Wäre die Erlösung gewesen, weil alles andere bedeutet, es wird schlimmer.

Andrea hat sich natürlich viele Gedanken gemacht und hat sicherlich auch die Angst gehabt, dass alles eintreten kann wie befürchtet. Ab einem bestimmten Punkt hat sie dann gesagt, nein, ich werde diese Krankheit nicht zulassen, ich werde nicht zulassen, dass sie mich dahinrafft. Sie hat Betroffene kontaktiert, hat Informationen herangeholt, über das Internet geht das gut, da ist sie sehr aktiv geworden. Sie hat Mittel und Wege gesucht, den Krankheitsverlauf aufzuhalten oder zu verlangsamen. Sie wusste natürlich, dass das mit dem Tod enden wird, aber sie hat gesagt, ich möchte trotzdem so lang wie möglich durchhalten und am Leben teilnehmen und da sein, auch in der Hoffnung, so lange noch am Leben zu sein, dass in der Zeit etwas gefunden wird, was gegen die Krankheit hilft. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Das ist ein blöder Spruch, aber ich habe es auch genauso erfahren. Das war auch ihr Motor, sonst hätte sie das nicht geschafft, so lange durchzuhalten. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei etwa zwei Jahren, ungefähr, die hat sie mit sechs Jahren weit überschritten.

Ich habe mir selber auch Unterstützung geholt, über die Jahre hinweg, das war sehr wichtig – Ventile, um Luft zu holen. Das wurde zum Schluss hin immer schwieriger, weil die zeitliche Einbindung einfach enorm ist. »Twentyfour seven«, so ungefähr.

Ich hatte tagsüber nicht so viel Zeit wie Andrea, mich mit all dem auseinanderzusetzen, ich musste arbeiten. Sie hat die Organisation unseres Alltags übernommen, weil sie das zunächst noch gut konnte. Als dann immer mehr Funktionen bei ihr ausfielen und sie es nicht mehr konnte, haben wir abends oft alles zusammen besprochen. Die Krankheit war dann eigentlich ununterbrochen das Thema, sie ist einfach nicht mehr wegzudenken gewesen. Es gab nur ganz wenige Ausnahmesituationen, wo das mal ausgeblendet wurde. Eigentlich ist das Thema von morgens bis abends präsent. Das kostet unheimlich viel Energie und ist zehrend, sehr zehrend.

Im gemeinsamen Umgang mit der Krankheit, da fließen viele Tränen. Trotzdem haben wir versucht, immer wieder nach vorne zu gucken und Lösungen zu finden, das war der Fokus. Wir wollten es einfach nicht wahrhaben und uns geschlagen geben. Natürlich sind wir auch an Grenzen gekommen, was unsere Beziehung angeht. Durch diese Belastung bist du an einem Punkt, wo oft auch mal ein Streit entsteht, Vorwürfe kommen, das ist nicht immer nur gemeinsam und schön. Zum Schluss kippt das immer mehr. Dann überwiegt das Gefühl »Wofür mache ich das« und »Ich kann das nicht mehr«, »Ich will das nicht mehr«. Das geht hoch und runter, da sind die Emotionen sehr in Wallung. Am Anfang: Gemeinsam sind wir stark, und zum Schluss geht es darum, wie kann man sich den Freiraum noch minimal erhalten, so dass man selber überleben kann. Das war schon oft sehr grenzwertig, und ich war kurz davor, meine eigene Energie zu verlieren. Das hat sich dann überall gezeigt, beim Job, körperlich war ich total runter, Schlafmangel, hoher Blutdruck, Stresssymptome ohne Ende, Gedächtnisausfall. Das war schon eine harte Zeit. Die Hoffnung, dass es zu einem Stillstand kommt, die ist bis zuletzt dagewesen, vielleicht die letzte Woche oder den letzten Monat nicht mehr. Der Schluss kam relativ plötzlich. Ich hab gemerkt, dass Andrea sich entschieden hatte, sie hat die Energie, den Lebenswillen nicht mehr gehabt und gesagt: Jetzt geht es nicht mehr. Dann ging es ganz schnell.

Es gab bei mir sicher Gedankenblitze darüber, was nach ihrem Tod sein würde, aber eigentlich war da kein Raum dafür da. Irgendwann habe ich mir dann auch gesagt, das lässt du einfach auf dich zukommen, das muss dich jetzt nicht interessieren, im Moment ist der Fokus auf das Lindern dieser Krankheit gelegt und auf das Organisieren des Alltags, nicht auf das Hinterher. Das wird sich dann ergeben, dachte ich, das muss ich nicht vorbereiten.

Eine lebensbedrohliche Erkrankung zwingt die Beteiligten nicht immer und unweigerlich zur vorherigen Auseinandersetzung mit dem Tod. Es gibt...

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