Kapitel A Grundlegung
1 Einführung
1.1 Fokus des Buches
Dieses Buch hat die Entwicklung junger Unternehmen zum Gegenstand. Im Vordergrund stehen dabei junge Unternehmen, die insofern »potenzialreich« sind, als sie Wachstumsperspektiven aufweisen. Wachstum offenbart sich durch verschiedene betriebswirtschaftliche Kriterien, beispielsweise Innovationen, Umsatz oder Mitarbeiterzahl. Diese Eingrenzung rückt jene jungen Unternehmen in den Hintergrund, die aufgrund ihrer Geschäftskonzeption oder Wettbewerbsposition offensichtlichen Entwicklungsgrenzen unterliegen. Dazu zählen vor allem viele Freiberufler, Kontaktdienstleister und Handwerksbetriebe. Die dort typische Kopie einer bewährten Geschäftskonzeption setzt das bereits erfolgreiche Agieren vieler ähnlicher Unternehmen voraus; dies führt oft zu einem scharfen Verdrängungswettbewerb. Zusammen mit den vielfach relativ geringen Markteintrittsbarrieren resultieren hieraus erhebliche Begrenzungen des Wachstums.
Die Fokussierung auf potenzialreiche junge Unternehmen impliziert keine nachrangige Bedeutung von Freiberuflern, Handwerksbetrieben und Kontaktdienstleistern. Auch soll deren stets vorhandene unternehmerische Leistung nicht in Abrede gestellt werden. Eine betriebswirtschaftliche Analyse dieser Unternehmen erscheint allerdings angesichts ihrer wenig fassettenreichen Entwicklung als eher nachrangig. Vor allem volkswirtschaftliche, steuerrechtliche oder wirtschaftsgeographische Analysen haben für diese jungen Unternehmen eine besondere Bedeutung.
Allerdings – und das sei gleich am Anfang betont – lässt sich eine eindeutige Zuordnung des Adjektivs »potenzialreich« immer erst ex post problemlos vornehmen. Damit muss der Analysegegenstand an dieser Stelle vage bleiben. Etwas anderes, beispielsweise eine Festlegung, ab welchem Umsatzwachstum oder ab welcher Mitarbeiterzahl ein junges Unternehmen »potenzialreich« ist, würde dem Kern von Innovationen (s. zu diesem Begriff Kasten 2, S. 21) und der Indeterminiertheit unternehmerischen Handelns widersprechen. Zudem ist es in vielen Fällen nicht möglich, Unternehmer, Produkte, Branchen oder anfängliche Kapitalausstattungen zu identifizieren, die besonders großes Wachstumspotenzial in sich tragen. Das Beispiel von Konosuke Matsushita belegt diese Schwierigkeit (s. Beispiel 1, S. 39).
K. Matsushita gründete sein Unternehmen in einem Hinterhof und produzierte in einer kleinen Werkstatt Fahrradlampen. Daraus entwickelte sich ein Unternehmenskonglomerat mit Geschäftsfeldern wie Halbleiter, Netzwerke, Automotive Systeme, Haushaltsgeräte, Gesundheit, Leuchtmittel, Fabrikautomation und Relais. Die bekanntesten Marken sind dabei National, Panasonic und Technics. Nach allen gängigen Kriterien, wie Umsatzwachstum, Zahl der Kunden oder Diversifikation, übertrifft Konosuke Matsushita deutlich berühmtere Unternehmer wie Henry Ford, Soichiro Honda, Ray Kroc oder Bill Gates. Die Schilderung des Fallbeispiels (s. Beispiel 1, S. 39) – gerade auch im Unterschied zu Kiichiro Toyoda, Gründer der Toyota Motor Corporation – lässt kaum vermuten, dass es sich um den erfolgreichsten Unternehmer des 20. Jahrhunderts handelt (s. Kotter 1997, S. 15–18). Das Beispiel verdeutlicht, dass sich die bloße Orientierung an Kapitalvolumen, Ausbildungsstand, Zugang zu Vertriebskanälen, Konkurrenzsituation und ähnlichen Überlegungen nicht zur Einschätzung des Potenzials junger Unternehmen eignet.
1.2 Grundlegende Begriffe
1.2.1 Unternehmerisches Handeln, unternehmerische Handlungsfelder, junge Unternehmen
Es finden sich in der Literatur vielfältige Definitionen des Begriffs »unternehmerisches Handeln«. Aus einer prozessualen Perspektive entspricht dieser in etwa dem angelsächsischen Begriff »Entrepreneurship«. Entrepreneurship steht des Weiteren für ein eigenständiges betriebswirtschaftliches Gebiet, das sich seit einigen Jahren zunehmend etabliert (s. Fallgatter 2004 sowie Kasten 1).
Unternehmerisches Handeln bzw. Entrepreneurship wird hier definiert als das Verfolgen unternehmerischer Handlungsfelder durch Individuen – innerhalb oder außerhalb eines bestehenden Unternehmens – ohne Berücksichtigung der gegenwärtig verfügbaren Ressourcen (in Anlehnung an Stevenson/Jarillo 1990, S. 23). Diese Definition betont zum einen die hier im Vordergrund stehende prozessuale Perspektive und zum anderen die besondere Bedeutung von Ressourcen, die oftmals erst im Zeitablauf gewonnen werden können.
Kasten 1: Betriebswirtschaftliche Disziplin »Entrepreneurship«
»Entrepreneurship« steht zum einen für eine im angelsächsischen Raum so bezeichnete und sich in den letzten Jahren auch in Deutschland etablierende betriebswirtschaftliche Teil-Disziplin. In erster Linie geht es dabei um die Analyse des weit verstandenen Realphänomens Unternehmensgründung sowie dessen Integration in »hochschulische« Lehre. Zum anderen lässt sich »Entrepreneurship« auch als Aktivität auffassen und steht in diesem Sinne für Unternehmertum, unternehmerisches Handeln und das Gründen eines Unternehmens selbst.
Für »Entrepreneurship« existiert im Deutschen kein Äquivalent und die Vielfalt an Begriffsverständnissen ist kaum noch zu überblicken (s. Bygrave/Hofer 1991, S. 13–14). Unter den Definitionen lassen sich zwei Schwerpunkte ausmachen: zum einen die Fokussierung auf konstitutive Entscheidungen, wie die Wahl der Rechtsform oder des Standortes, sowie zum anderen die Beschreibung von Entrepreneurship als Prozess, wobei die Autoren regelmäßig eine Zeitraumperspektive einnehmen und die verschiedenen Phasen von Unternehmensgründungen analysieren. Beide Schwerpunkte sind jedoch für die Tragweite des Gründungsphänomens recht eng, da wichtige Problemfelder des Entrepreneurship – wie die Infrastruktur für Unternehmensgründungen oder die Entdeckung, Bewertung und Ausschöpfung unternehmerischer Handlungsfelder – weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Deshalb bietet es sich an, zunächst eine »institutionelle« Perspektive zu wählen und Entrepreneurship als wissenschaftliche Disziplin einzugrenzen. In Anlehnung an Shane/Venkataraman (2000, S. 218) lässt sich definieren: Im Rahmen der Entrepreneurship-Forschung wird analysiert, durch wen und mit welchen Wirkungen unternehmerische Handlungsfelder zur Schaffung neuer Güter und Dienstleistungen entdeckt, bewertet und durch Unternehmen(sgründung) ausgeschöpft werden.
Diese Definition integriert unterschiedliche Fassetten des Gründungsphänomens und fokussiert auf unternehmerische Handlungsfelder als zentralem Ausgangspunkt jeder Unternehmensgründung. … Im Mittelpunkt stehen damit jene Unternehmensgründungen, bei denen es nicht um die Anlage vorhandener, unter der eigenen Kontrolle stehender Ressourcen geht, sondern die durch eine erkannte marktliche Gelegenheit angestoßen sind (s. Stevenson/Jarillo 1990, S. 23). Dies ist für die Entstehung sowie Umsetzung der meisten Produkt- und Prozessinnovationen erforderlich, die sich oftmals erst durch knappheitsbedingte Improvisation herauskristallisieren. Entsprechend können auch erfolgreiche Unternehmensgründungen am besten als Akte kumulativer Variation und Selektion beschrieben werden (zu diesem Begriff s. Hesse/Koch 1998). … Insgesamt fordert diese Definition Forschungen sowohl zur Person des Unternehmensgründers, den Prozessen einer Unternehmensgründung, der Führung eines jungen Unternehmens sowie nicht zuletzt auch zur Entstehung, Entdeckung und Bewertung sowie Ausschöpfung unternehmerischer Handlungsfelder. Dies verdeutlicht die außerordentliche Bandbreite des Faches »Entrepreneurship«.
[Fallgatter 2004, S. 24–25]
Junge Unternehmen bearbeiten unternehmerische Handlungsfelder. Diese sind in einem schumpeterianischen Sinne (s. dazu Kapitel B 4) »marktliche Gelegenheiten«. Dabei handelt es sich um neue oder differente, zeitbezogene Produkt/Markt-Kombinationen mit jeweils hoher subjektiver Erfolgsaussicht (s. Fallgatter 2004, S. 32). Entsprechend lässt sich unternehmerisches Handeln weiter präzisieren als die Endeckung, Bewertung und Ausschöpfung unternehmerischer Handlungsfelder und damit die Schaffung neuer Güter und Dienstleistungen (zu dieser Klassifikation s. Shane/Venkataraman 2000, S. 218–219).
Jegliches unternehmerisches Handeln, sowohl in jungen als auch in etablierten Unternehmen, wird von Unternehmern geleistet. »Unternehmersein« hängt also nicht vom Unternehmenstypus ab, sondern von einem breiten Verantwortungsbereich und der Bereitschaft, diesen zu nutzen. Ganz in diesem Sinne definierte bereits Schumpeter (1928, S. 485) »Unternehmer« und zählte neben dem »Fabrikherrn« oder Kaufmann den »Industriekapitän« sowie den Direktor eines Unternehmens dazu. Den Typus des Gründers hob er als besonderen Unternehmer hervor. J. A. Schumpeter weist dabei ausdrücklich darauf hin, dass Unternehmer kein Beruf und somit auch kein Dauerzustand ist. Als solche können nur die bezeichnet werden, die unstet ein Unternehmen nach dem anderen gründen ohne diese weiter zu betreiben. Alle anderen seien »Wirte« (s. Schumpeter 1934, S. 116–122).
Die Begriffe »Unternehmensgründung« und »junges Unternehmen« gehen fließend ineinander über. Der Übergang könnte an den beginnenden marktlichen Austauschbeziehungen, an der Vollzeitbeschäftigung des Unternehmers oder an konstitutiven Entscheidungen wie der formalen Begründung eines rechtlich eigenständigen Unternehmens festgemacht werden (s. etwa Klandt 1991, S. 485–486). Derartige Kriterien ziehen...