Einleitung
HEIMAT SEINES HERZENS
Zwei bekannte Aussprüche Kaiser Maximilians I., so unterschiedlich sie sind, geben sein Verhältnis zu Tirol in bezeichnender Weise wieder: »Tirol ist ein rauher Bauernkittel, aber er wärmet gut« lässt ahnen, wie sehr diesem Hauptakteur auf dem Spielfeld Europa das kleine Gebirgsland im Zentrum des Kontinents zur Heimat seines Herzens geworden ist. Und sein Vergleich Tirols mit einem »Geldbeutel, in den man nie umsonst greift« beleuchtet die praktisch-egoistische Seite der Beziehung. Die Schätze aus den Bergen Tirols und die immer drückender werdende Steuerlast seiner Bewohner haben seine Politik und seine Kriege zu einem Großteil finanziert.
Für Maximilian musste nicht nur das Fließen der Steuern wichtig sein, sondern auch die Sicherung der Landesgrenzen, führte er doch viele Jahre hindurch Krieg in Oberitalien, und nach Niederlagen oder – noch häufiger – bei Rückzügen der kaiserlichen Landsknechte infolge Geldmangels musste dem nachdrängenden Gegner der Weg ins Land versperrt bleiben. Diese Aufgabe sah der Herrscher bei den braven Tirolern in besten Händen. Nicht ohne Grund nannte er sie »die ersten und trefflichsten« seiner Untertanen.
Wie kam dieser Habsburger überhaupt nach Tirol? Er entstammte der steirischen Linie dieser Dynastie, deren Residenz Maximilians Vater, Kaiser Friedrich III., von Graz nach Wiener Neustadt verlegt hatte, das im Mittelalter zur Steiermark gehörte. Hier kam Maximilian am 22. März 1459 zur Welt. Mit dem Aussterben des in Wien regierenden Familienzweigs, der Albertiner, waren 1457 die Länder an der Donau mit der Haupt- und Residenzstadt Wien an Friedrich gefallen. Der Kaiser sah sich jedoch in Wien mit heftigem Widerstand der Bürgerschaft konfrontiert und verlor die Stadt außerdem zusammen mit weiten Landstrichen seines niederösterreichischen Erbes an den Ungarnkönig Matthias Corvinus.
Der bedrängten Situation seines Vaters entsprechend wuchs der junge Maximilian in sehr bescheidenen Verhältnissen auf. Dagegen führte der Vetter seines Vaters, Herzog (ab 1477 Erzherzog) Sigmund der Münzreiche, in Innsbruck einen glänzenden Hof. Seit 1363 gehörte die Grafschaft Tirol den Habsburgern und wurde das ganze 15. Jahrhundert hindurch zusammen mit den Vorlanden, wie man die habsburgischen Stammlande und Besitzungen am Oberrhein und im Schwäbischen nannte, von der dritten habsburgischen Zweiglinie regiert, die Herzog Friedrich IV. mit der leeren Tasche als der erste »Tiroler Habsburger« begründet hatte und die sein Sohn, Erzherzog Sigmund der Münzreiche, nun fortsetzte. Er regierte über ein Land, das wegen seiner Bergschätze und der verkehrspolitischen Lage beiderseits der Nord- und Südeuropa verbindenden Alpenpässe von großer Bedeutung war. Als ihm weder seine erste Frau, die schottische Königstochter Eleonore (†1480), noch seine zweite Gemahlin Katharina von Sachsen (†1524) einen Nachkommen gebar, war der Zusammenschluss aller habsburgischen Länder nur mehr eine Frage der Zeit.
Erzherzog Sigmund der Münzreiche mit seinen beiden Frauen Eleonore von Schottland (Mitte) und Katharina von Sachsen auf dem Stammbaum Kaiser Maximilians im Habsburgersaal von Schloss Tratzberg
Maximilian I. wurde so zum habsburgischen Alleinerben. Seine Hochzeit mit Maria von Burgund, das einzige Kind des 1477 bei Nancy im Kampf gegen die Schweizer Eidgenossen gefallenen Herzogs Karl des Kühnen, führte ihn aus der Enge und Rückständigkeit des Wiener Neustädter Hofes in eines der reichsten und modernsten Staatsgebilde Europas. Erst diese Verbindung ebnete dem Haus Habsburg den Aufstieg zur europäischen Großmacht. Allerdings brachte sie der Dynastie auch die erbitterte Feindschaft Frankreichs ein und hatte jahrzehntelange Kriege zur Folge. Maximilian war in Burgund nur Prinzgemahl und konnte sich nach Marias Tod (†1482) als Regent für den erst vierjährigen Sohn Philipp nur mühsam gegen die Machtansprüche der selbstbewussten niederländischen Stände durchsetzen. Seine Wahl zum römischen König (1486) machte ihn zwar zum designierten Nachfolger seines kaiserlichen Vaters, im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation mitregieren durfte er nicht.
Umso mehr kam dem jungen Fürsten entgegen, dass die Tiroler Landstände ihren Landesherrn Sigmund den Münzreichen loswerden wollten. Denn mit seiner verschwenderischen Hof haltung und der Hörigkeit auswärtigen Räten gegenüber hatte er das Land an den Rand des finanziellen Ruins geführt, einen unnötigen Krieg mit Venedig angezettelt und durch Pfandschafts- und andere Verträge die Gefahr herauf beschworen, dass Tirol samt den Vorlanden an die bayerischen Wittelsbacher fallen könnte. Da mussten der Kaiser und sein Sohn natürlich eingreifen. Tirol musste habsburgisch bleiben. Und für Maximilian bot sich die Chance, endlich ein Land selbständig zu regieren.
Auf einem Landtag im August 1487, dem – wie in Tirol seit Jahrzehnten üblich – neben Adel, Geistlichkeit und Bürgern auch Abgeordnete der Landgemeinden angehörten, musste Sigmund den Großteil seiner Macht einem Ausschuss des Landtags übertragen. Dass diesem mehrere Adelige angehörten, die als Parteigänger Kaiser Friedrichs III. und König Maximilians I. bekannt waren, war wohl kein Zufall. Im November desselben Jahres traten die Ständevertreter neuerlich zusammen und beschlossen – jetzt bereits in Anwesenheit von persönlichen Vertretern König Maximilians – eine Reihe von Maßnahmen zur Rettung des Landes: Friede mit Venedig, Kündigung der Verträge mit den Wittelsbachern und den vollständigen Rückzug Sigmunds von den Regierungsgeschäften. Das beispiellose, vom Erzherzog bestätigte Schlussdokument des Landtags eröffnete der Stän-deversammlung sogar die Möglichkeit einer Absetzung des Landesfürsten. So weit ließ es Erzherzog Sigmund der Münzreiche aber nicht kommen. Im März 1490 übergab er sein Land König Maximilian, der höchstpersönlich nach Innsbruck geeilt war, um gleich die Huldigung der Ständevertreter als ihr neuer Landesfürst entgegenzunehmen und die Regierung dieses habsburgischen Teilgebietes anzutreten.
Als König Maximilian nach dem Tod seines Vaters (1493) auch die anderen Erbländer der Habsburger unter seinem Szepter vereinte, hätte Tirol seine Sonderstellung verlieren können. Doch für Maximilian, dessen Herrschafts- und Interessensgebiete von der Schweiz bis auf den Balkan, von den Niederlanden bis nach Italien reichten, dessen Ehe- und Bünja sogar Schweden unddnispolitik darüber hinaus Spanien und England, ja sogar Schweden und Russland mit einbezog, für diesen Herrscher voll weit gespannter Pläne war Tirol geradezu das natürliche Zentrum seiner Regierung. Außerdem hegte der König, der 1508 den Titel eines Erwählten Römischen Kaisers annahm, eine besondere Vorliebe für das Land. Er nützte jede Gelegenheit, um nach Tirol zu kommen, und verweilte hier länger als anderswo. Er war leidenschaftlicher Jäger, liebte die Natur und die Berge. Manche haben ihn als ersten Alpinisten bezeichnet, der sogar bis in die Gletscherregion vordrang. Stolz schrieb er in sein privates Jagdbuch, er sei auf dem höchsten Gebirg Europas gewesen, ohne das Erdreich zu berühren. Für Erich Egg besteht kein Zweifel, dass Tirol für diesen durchaus »europäischen« Herrscher zur »Heimat seines Herzens« wurde.
Egg sieht einen Grund dafür im Beginn seiner Herrschaft in Tirol. Maximilian hätte auf dem Landtag von 1490 selbst miterlebt, wie die Ständevertreter an dem zum Rücktritt gedrängten Landesfürsten Sigmund heftige Kritik übten und dann doch mit der Gewährung eines ansehnlichen Jahresbetrages zur Finanzierung seiner aufwändigen Hof haltung einverstanden waren und außerdem die Versorgung der großen Zahl seiner unehelichen Kinder übernahmen. Für Egg ein Beweis »für das menschliche Band, das in Tirol Fürst und Volk umschloss«. Er argumentiert weiter: »Man sagte sich laut die Wahrheit ins Gesicht und mochte sich eigentlich doch ganz gern. Dieses Erlebnis war für Maximilian neu, der in den Niederlanden fast nur Intrigen und Gewalt erfahren hatte.« Dieser Theorie, die manchen wohl als zu romantisch scheinen mag, steht die Tatsache gegenüber, dass Maximilian gerade wegen der Erfahrungen in Flandern von allzu großer ständischer Macht und Mitregierung wenig hielt und sicher mit gemischten Gefühlen miterlebte, wie der rechtmäßige Landesfürst aus der Regierung gedrängt wurde. In Tirol schaltete er deshalb von Anfang an die »ständischen Sippschaften« (Wiesflecker) weitgehend aus und setzte ganz auf seine persönlichen Vertrauensleute. Einige brachte er mit, doch umgab er sich zu allen Zeiten seiner Herrschaft gerne mit Tirolern und setzte sie für wichtige Aufgaben ein.
Porträt Maximilians I. von Hofmaler Bernhard Strigel aus dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum in Innsbruck
Bei der Reform der Tiroler Regierungs- und Verwaltungsbehörden spielte das Vorbild Burgund eine große Rolle. Das »Tiroler Regiment« galt bald schon als Muster einer modernen...