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Kampfsport als Möglichkeit der Prävention bei Jugendgewalt

AutorMarco Baumgarten
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl70 Seiten
ISBN9783656466611
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Didaktik - Allgemeine Didaktik, Erziehungsziele, Methoden, Note: 1,3, Universität Hamburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Gewalt durch Jugendliche ist von jeher ein Problem der modernen Gesellschaften. Die Statistik zeigt, dass die Zahlen im Bereich der Jugenddelinquenz über die Jahre relativ gleich geblieben sind und es scheinbar in jeder Generation von Jugendlichen den Hang zur Gewalt gibt. Die Arbeit analysiert die Reaktionskette von Aggressivität, Aggression und Gewalt und untersucht die im Zusammenhang mit gewalttätigem Verhalten relevanten Theorien zur Entstehung von Aggression und Gewalt. Ebenso werden die Ursachen zur Entstehung genauer betrachtet: Welche Faktoren wirken begünstigend und welche Folgen hat das für die Jugendlichen Täter, die Opfer und die Gesellschaft. Jugendgewalt ist ein beständiges Thema in der deutschen Gesellschaft. Eine Erhöhung der Vollzugsstrafen ist weitestgehend nutzlos und verschärft das Problem unter Umständen nur. Als hilfreich erweisen sich präventive Konzepte, die eine Veränderung der Lebensumstände der auffällig gewordenen Jugendliche fördern kann und deren Handlungsoptionen erweitert. Sport ist in diesem Zusammenhang ein nützliches Medium, allerdings nicht im Sinne einer einfachen Ableitung von negativer Energie. Vielmehr muss Sport in einer Form angeboten werden, die die soziale Kompetenz bewusst fördert und den Jugendlichen eine Möglichkeit bietet, ihr Verhalten neu zu bewerten. Kampfsport bietet in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, sowohl das Thema 'Kämpfen' als auch die sozialen Anforderungen an die Jugendlichen produktiv zu verbinden. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt: Kampfsport trainiert den respektvollen Umgang mit anderen, erweitert die Handlungsfähigkeiten und führt zu Selbstvertrauen und Erfolgserlebnissen. Dabei ist der Erfolg abhängig von dem Willen des Schülers und von der Sensibilität des Trainers. Um Jugendliche frühzeitig für körperliche Auseinandersetzungen zu sensibilisieren, ist ein erster Kontakt im Schulsportunterricht denkbar. Darauf aufbauende lokal etablierte Projekte können als Weiterführung relativ leicht umgesetzt werden. Bei erfolgreichem Training werden sich Veränderung besonders im außerfamiliären Lebensbereich des Jugendlichen zeigen. Kampfsport ist kein Zaubermittel und wird das Problem der Jugenddelinquenz nicht alleine auflösen können. Dafür sind die Ursachen zu vielfältig und komplex. Aber Kampfsport kann als intelligentes Konzept gerade für auffällig gewordene Jugendliche hilfreiche Dienste leisten und eine Abkehr von gewalttätigem Verhalten bewirken.

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Leseprobe

3. Jugend und Gewalt


 

Wenn von „Jugendgewalt" in der Öffentlichkeit gesprochen wird, scheinen die Positionen klar. Jeder hat eine Meinung dazu und jeder kann irgendwo eine Ursache verorten. Dabei taucht die Diskussion stets in der Öffentlichkeit auf, wenn einmal wieder ein besonders schwerwiegender Fall von Gewalt durch Jugendliche bekannt wird. Das öffentliche Interesse beschränkt sich meistens auf die Diskussion, ob das Strafmaß für Jugendliche ausreicht[5], ob die therapeutischen Maßnahmen wie Sozialarbeit auf einem Bauernhof eventuell harten Erziehungscamps weichen sollten. Dabei wird der Antrieb der Schockenergie, die landesweit freigesetzt wird, gerne für die Bedienung der eigenen politischen Klientel benutzt. Die Diskussion ebbt aber in der Regel genauso schnell ab, wie sie aufgetaucht ist. Die Spitzen des Eisbergs werden also kurz für alle sichtbar; die Frage ist, ob darunter ein großer Eisberg treibt, es also ein wirkliches Problem mit Jugendgewalt gibt, oder ob es nur einzelne Schollen sind, die sichtbar werden, also Jugendgewalt nur ein kurz auftretendes Phänomen ist, das allerdings keinen breiten Unterbau besitzt, sondern vielmehr auf wenigen extremen Fällen beruht. Dazu soll in diesem Kapitel die Polizeistatistik herangezogen und der Frage nachgegangen werden, welche Folgerungen für die Ursachen von Jugendgewalt sowie den Täter und sein Umfeld abzuleiten sind.

 

3.1. Jugendgewalt aus Sicht der Statistik


 

In der öffentlichen Aufmerksamkeit wird Jugendgewalt stets nur dann sichtbar, wenn in einer breiten Medienpräsenz über besonders brutale Fälle berichtet wird. Dabei gibt es seit Jahren verlässliche Zahlen von Seiten der Sicherheitsbehörden. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wird regelmäßig über die angezeigten Delikte Auskunft gegeben. Die PKS fasst dabei die gemeldeten Zahlen aus den Bundesländern zusammen und macht diese der Öffentlichkeit zugänglich. Verantwortlich für die Statistik ist das Bundesministerium des Inneren[6].

 

Die Statistik stellt lediglich die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten zusammen. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem Hellfeld der Kriminalstatistik. Demgegenüber steht das Dunkelfeld, zu dem alle Straftaten zählen, die nicht angezeigt worden sind. Dies ist zu bedenken, wenn man die PKS verschiedener Jahre miteinander vergleicht. Veränderungen bei den Zahlen können nämlich entweder durch eine tatsächliche Veränderung der Kriminalität entstanden sein oder aber durch ein verändertes Anzeigeverhalten und somit durch eine Verschiebung der Hell- Dunkelfeldrelation, verursacht worden sein. Kury bemängelt in diesem Zusammenhang, dass die PKS zum Teil irreführend sein kann: so sind in der PKS unter „Gewaltkriminalität" folgende Straftaten zusammengefasst: Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme und Angriff auf den Luft- und Seeverkehr. Es handelt sich dabei nach Kury um eine recht unübersichtliche und gemischte Gruppe von Einzeltaten, die keineswegs alle Dimensionen von „Gewaltkriminalität" erfasst (Kury, 2012, S.21). Somit ist der öffentlich-mediale Blick, der oftmals nur auf die Entwicklung von „Gewaltkriminalität" schaut, eher verschleiert und diese Zahlen nicht hilfreich für die Debatte.

 

Die „Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention" des „Deutschen Jugendinstituts" definiert Jugendgewalt als meist „vorübergehendes Phänomen im Lebenslauf", welches „zumeist eher situativ und in der Gruppe" stattfände (DIJ, 2012, S.2). Diese Eingrenzung deckt sich in Bezug auf die Gruppendynamik und Erscheinungsphänomen mit der Aussage von Kury: „Berücksichtigt man hier weiterhin, dass unter gefährlicher Körperverletzung definitionsgemäß [...] Taten erfasst werden [...], die gemeinschaftlich begangen werden, bedeutet dies, dass etwa auch Streitereien Jugendlicher in Gruppen darunter fallen, also Verhalten, dass eher alterstypisch als kriminell ist." (Kury, 2010, S.22).

 

Unklarheit besteht vor allem über die Frage: Hat die Jugendgewalt in den letzten Jahren zugenommen oder nicht? Das BKA hat eine Zeitreihe aus den Ergebnissen der PKS-Studien seit 1987 erstellt und auf den ersten Blick scheint diese Zeitreihe eine deutliche Antwort zu geben:

 

 

Quellen: BKA: PKS Zeitreihen Tabelle 40 (1987-2011). Eigene Zusammenstellung der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention, München. Hinweis: Seit 2009 werden durch eine statistische Umstellung (bundeslandübergreitende Echttäterzählung) recht seltene Doppelzählungen ausgeschlossen, was zu leicht geringeren Zahlen führt. 1997-1990: alte Bundesländer; 1991-1992: alte Bundesländer mit Gesamt-Berlin; ab 1993: Bundesgebiet insgesamt (einschl. der fünf neuen Länder).

 

Es zeichnet sich eine deutliche Zunahme der Gewalttaten bei den einzelnen Altersgruppen ab. Der Verlauf geht von 1987 an bis ca. 2008 steil nach oben und man könnte vorschnell schließen: Ja, die Jugendgewalt hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Allerdings zeigt die unterste Linie die Anzahl der Taten im Verhältnis zur Größe der Gesamtgruppe und relativiert die anderen Zahlen. Dies ist ein Hinweis auf die Annahme, dass Handlungen wie Körperverletzungen normal in der jugendlichen Lebenswelt sind. Zusätzlich weist das DIJ in seiner Veröffentlichung daraufhin, dass der Anstieg der einzelnen Kurven auf eine erhöhte Sensibilität in der Gesellschaft zurückzuführen ist. Die Menschen würden Gewalt nicht mehr einfach akzeptieren und daher schneller anzeigen als früher - dies erhöht aber nur die Hellfeld-Statistik und lässt darauf schließen, dass es sich bei dem jeweiligen Anstieg lediglich um eine Verschiebung der Hell-Dunkelfeld-Zahlen handelt (DIJ, 2012, S.4).

 

Die Aussagekraft der Statistik der PKS wird zudem noch durch eine weitere Tatsache geschwächt. Die Statistik hat einen nur geringen Informationsgehalt zur Schwere der Verletzungen des Opfers. Zwar wird im juristischen Sinn zwischen einfacher und schwerer Körperverletzung unterschieden, allerdings unterscheiden sich hier die Betrachtungsweise der Schwere von Körperverletzungen zwischen Polizei und Gerichten. Eine Vielzahl der von der Polizei registrierten Fälle im Bereich der Körperverletzungen, wird von den Gerichten herabgestuft beziehungsweise umgewandelt (Kury, 2010, S.24). Die Polizei hat nach seiner Ansicht die Tendenz, Sachverhalte „überzubewerten". Dies scheint auch durch die Tatsache belegt zu sein, dass es eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Tatverdächtigungszahlen (erhoben durch die PKS) und den Verurteiltenziffern (die Zahlen der Justizstatistik) gibt (ebd.). Als Beispiel: 2011 registrierte die PKS insgesamt 41.706 Fälle von Körperverletzung im Jugendbereich[7]. Letztlich zur Verurteilung kamen aber nur 18.412[8]. Damit fällt eine Beurteilung der Frage nach der tatsächlichen Problemlage schwer. Je nach Betrachtungsweise entsteht ein Unterschied von bis zu 50%. Unbestritten ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass es Gewalttaten im Bereich der Jugendlichen gibt. Dabei sind die Folgen für Opfer, Täter und Gesellschaft im Einzelfall unterschiedlich belastend - die gesamtgesellschaftliche Belastung ist allerdings schwieriger einzuschätzen. Die Folgen werden in Abschnitt 3.3. näher betrachtet.

 

In Bezug auf Schule, einem der wichtigsten Lebensräume von Jugendlichen, gibt es allerdings die sehr aussagekräftige Statistik der „Raufunfälle an Schulen", die durch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung erhoben wurde:

 

 

Die in diese Statistik aufgenommenen Folgen durch Vorfälle schwerer Gewalt an Schulen zeigen deutlich rückläufige Tendenzen bzw. an einigen Schulformen gleichbleibende Zahlen. Sowohl die Raufunfälle insgesamt als auch die Anzahl der Fakturen durch Raufunfälle bleiben auf einem annähernd gleichen Niveau. Anhand dieser Statistik kann kein Anstieg von Jugendgewalt sichtbar gemacht werden. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass es eine relativ konstante Zahl an Gewalttaten durch Jugendliche gibt, die sich in jeder Generation immer wieder bestätigen, ohne dabei geringer zu werden oder zu steigen. Dies spricht für das „immer wiederkehrende, jugendtypische Phänomen", das der DIJ definiert hat (s.o.). Dazu unterstützend zeigt Spiess mit dem folgenden Schaubild, dass die Anzahl der polizeilich registrierten Straftaten bei jungen Menschen in den letzten Jahren zunahm (Problem der sensibleren Anzeige, s.o.), aber sich mit zunehmenden Vollerwachsenenalter relativierte (Spiess, 2012, S.12).

 

 

Zusammenfassend kann zum Problem der Jugendgewalt aus statistischer Sicht gesagt werden:

 

 Die Entwicklung der gewalttätigen Straftaten von Jugendlichen in Deutschland gibt keinen Anlass für übertriebene Szenarien. Jugendgewalt gab und gibt es in einem nahezu gleichbleibenden Maß.

 

 Gleichzeitig stellt der Umfang der Jugenddelinquenz sehr wohl ein Problem dar - dies aber nicht durch enorm hohe Fallzahlen, sondern vielmehr durch die Folgen einer jeden einzelnen Straftat (s.3.3.). Dabei ist es für die Betroffenen unerheblich, wie hoch die Anzahl der Gewalttaten pro Jahr ist.

 

 Die erhöhten Zahlen im Rahmen der PKS...

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