Migration hat in Deutschland eine lange Tradition, auch wenn dies seitens der Politik lange negiert worden ist. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, das sagte schon Helmut Kohl zur 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages.[8] Diese Doktrin dominierte die Ausländerpolitik im Rahmen der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1950er Jahren und sollte sich rund 40 Jahre halten.[9] Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge definiert Migration wie folgt:
„Von Migration spricht man, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt, von internationaler Migration spricht man dann, wenn dies über Staatsgrenzen hinweg geschieht".[10]
Die Zuwanderung nach Deutschland durchlief seit den 1950er-Jahren mehrere Phasen. Um die aktuelle Situation von Zuwanderern und deren Nachkommen in Deutschland zu verstehen, wird dieses Kapitel einen kurzen Überblick zur Entwicklung der Migration in Deutschland ab den 1950er Jahren geben.
Die Zuwanderungsmotive der Migranten veränderten sich im Laufe der Zeit. So wurden nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und dem damit einhergehenden Wirtschaftsaufschwung, der auch als Wirtschaftswunder in die Geschichtsbücher einging, dringend Arbeitskräfte gesucht. Anfangs wurde die gesteigerte Nachfrage nach Arbeitskräften mit Arbeitern aus der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bedient. Jedoch zeigten sich bereits zu dieser Zeit Engpässe an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt an, sodass 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien geschlossen wurde. Mit dem Beginn der Errichtung der Mauer versiebte die Arbeiterquelle aus der DDR vollständig und die Bundesregierung musste anderweitig nach Möglichkeiten suchen, um die gesteigerte Nachfrage zu bewältigen.[11] Infolgedessen wurden weitere Anwerbeverträge mit Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal und 1968 mit dem damaligen Jugoslawien geschlossen.[12] Zielgruppe dieser Abkommen waren vorwiegend junge, vitale Männer, die meist als ungelernte Arbeitskräfte in der Industrie arbeiteten. Für sie schien die Arbeit in Deutschland finanziell lukrativ.[13] Diese Bevölkerungsgruppe wurden Gastarbeiter genannt, weil ihre Tätigkeit in Deutschland nur von vorübergehender Dauer sein sollte und ihr Einsatz nach dem „Rotationsprinzip“ erfolgte. Dies bedeutete, dass es sich bei den erteilten Aufenthaltserlaubnissen um befristete Aufenthaltstitel handelte, nach deren Ablauf an ihrer Stelle eine neue Arbeitskraft aus dem Anwerbeverfahren rotierte.[14] Die Wirtschaft bemängelte allerdings schnell das Rotationsprinzip, da dies aus betriebswirtschaftlicher Sicht unwirtschaftlich war. Denn nachdem die Arbeiter geschult wurden und einsatzfähig waren, wurden sie aufgrund des erloschenen Aufenthaltstitels zurück in ihre Heimat geschickt. An ihrer Stelle folgten nun neue Arbeiter, die wiederrum geschult werden, mussten um einsatzfähig zu sein. Aus diesem Grund bekamen 1971 die Migranten und damit auch die Unternehmen die Möglichkeit einer Aufenthaltsverlängerung, die die Bundesregierung Arbeitsmigranten unter bestimmten Voraussetzungen zusprach. [15]
Abb. 1: Zuwanderung von Ausländern ab 1950, Quelle: eigene Abb. nach: Statistisches Bundesamt (2016i)
Im Zeitraum von 1955 bis zum Anwerbestopp 1973, die der Ölkrise geschuldet war, kamen ca. 14 Millionen Menschen nach Deutschland. Davon verließen 11 Millionen Menschen Deutschland in diesem Zeitraum wieder. Insgesamt waren so bis zum Anwerbestopp knapp 3 Millionen Ausländer in Deutschland beschäftigt. Sowohl die Bundesregierung als auch ein Großteil der Arbeitsmigranten selbst gingen anfangs davon aus, dass Ihr Besuch nicht von Dauer sein würde und sie in absehbarer Zeit in ihre Heimatländer zurückkehren würden.[16] Aufgrund der wirtschaftlichen Rezession kam es 1967 zu einem Abbruch der Zuwanderung. Daraufhin stieg die Anzahl der Zuwanderungen bis zum Anwerbestopp, der im Zuge des Ölpreisschocks im Jahr 1973 durch die Bundesregierung erlassen wurde, um die staatlich organisierte Migration zu stoppen. Zwar bewirkte der Anwerbestopp die Zuwanderung von Arbeitern, jedoch holten nun die bereits in Deutschland lebenden Gastarbeiter ihre Familien nach Deutschland, da dies für einige Jahre die einzig erlaubte Form von Zuwanderung darstellte. Bei vielen von ihnen zeichneten sich nun dauerhafte Bleibeabsichten ab.[17]
Knapp 20 Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen mit Italien rückte die Frage der Integration erstmals stärker in den Mittelpunkt. Das Ende 1979 vorgelegte Memorandum des ersten Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, Heinz Kuhn, fordert die Anerkennung der Einwanderungssituation durch die Bundesregierung in Form von Integrationspolitik.[18] Die Bundesregierung war jedoch mehr um die Rückkehrabsichten der Gastarbeiter in ihre Heimatländer bemüht. So kam es 1983 zum Gesetz zur befristeten Förderung der Rückkehrbereitschaft von Ausländern, das mit finanziellen Anreizen versuchte, die Rückkehrabsichten der Gastarbeiter zu verstärken.[19] Allerdings folgten nur wenige Gastarbeiter dem Aufruf zur Rückkehr, sodass das Gesetz ein Jahr später wieder verabschiedet wurde.[20] Die Gastarbeiter wurden zu Bleibenden. Ein Faktum, dass die Bundesregierung lange negiert hatte, aber um es mit Max Frisches Worten zu sagen: „Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen.“[21]
Die Gruppe der (Spät-)Aussiedler stellt eine weitere wichtige Größe der Migrationsentwicklung in Deutschland dar. Bei ihnen handelt es sich um deutsche Volksangehörige, die im Zuge des zweiten Weltkrieges erhebliche Benachteiligung in Ost- und Südosteuropa sowie in der Sowjetunion erfahren haben.[22] Gemäß des Bundesverwaltungsamtes ist ein Aussiedler eine Person, „die als deutscher Staatsangehöriger oder Volkszugehöriger nach Abschluss der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ihr Herkunftsgebiet verlassen und im Bundesgebiet ihren ständigen Aufenthalt genommen hat.“ [23] Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 1993, wird die Bezeichnung Aussiedler durch die Bezeichnung Spätaussiedler ersetzt.[24] Zudem sind Personen, die nach dem 31. Dezember 1992 geboren sind keine Spätaussiedler, sodass in abschätzbarer Zeit diese Form der Zuwanderung zu Ende kommen wird.[25] Durch die Anerkennung als Spätaussiedler, welche durch das Bundesverwaltungsamt nach Prüfung bescheinigt wird, erhalten die Zugewanderten automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit.[26] Wesentlich für die Anerkennung der Spätaussiedlereigenschaft ist das erlittene Kriegsfolgenschicksal. Diese wird den Antragstellern aus der ehemaligen Sowjetunion per Gesetz unterstellt. Antragstellern aus den übrigen Aussiedlungsgebieten außerhalb der ehemaligen Sowjetunion müssen glaubhaft darlegen, dass sie am 31.Dezember 1992 oder danach aufgrund der deutschen Volkszugehörigkeit diskminiert wurden.[27] Darüber hinaus prüft das Bundesverwaltungsamt seit 1997, ob der Antragssteller über genügend Deutschkenntnisse verfügt, um ein einfaches Alltagsgespräch führen zu können. Werden Ehegatten und Abkömmlinge in den Aufnahmebescheid mit einbezogen, so müssen sie ihre Deutschkenntnisse in einem Sprachstandstest, bestehend aus einem schriftlichen und mündlichen Teil, unter Beweis stellen.[28]
Seit 1950 sind ca. 4,5 Millionen Menschen nach Deutschland gekommen.[29] Ein Großteil von ihnen ist nach dem Ende des kalten Krieges 1990 nach Deutschland gekommen.
Abb. 2: Zuwanderung von (Spät-)Aussiedlern, Quelle: eigene Abb. nach: Worbs, S. et al (2013), S. 28
Zuvor kam der überwiegende Anteil von Zuwanderern aus Polen. Der (Spät-) Aussiedlerzuzug von 1990-2000 war hingegen von Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion geprägt.[30] Die Zuwanderung von Aussiedlern ist seit Jahren rückläufig. Dies ist zum einen auf die gesetzlich bestimmten Aussiedlerkriterien und zum anderen auf Regulierungsmaßnahmen zur Begrenzung des Aussiedlerzuzugs durch die Regierung zurückzuführen.[31] Denn in den 1990er Jahren war ein derart sprunghafter Anstieg von (Spät-)Aussiedlern zu verzeichnen, dass der Zuzug von Spätaussiedlern seit dem Jahr 2000 auf 100.000 begrenzt wurde.[32] Im Jahr 2014 kamen nur noch 4215 Spätaussiedler nach Deutschland.[33]
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ [34] Das Grundrecht auf Asyl ist seit 1949 fest im Grundgesetz verankert und hat neben der völkerrechtlichen Verpflichtung aus der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 als Grundrecht Verfassungsrang.[35] Laut Genfer Flüchtlingskonvention ist ein Flüchtling eine Person, die „[…] aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen...