Bullshit 2
»ICH MUSS DRINGEND INS NÄCHSTE MEETING«
__Jeder weiß, dass Meetings die größte Quelle für die Verschwendung von Zeit im Unternehmensalltag sind. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung Bain & Company in 17 Konzernen sitzen Topmanager 90 Prozent ihrer Zeit pro Woche in Sitzungen, Besprechungen oder Jour fixes. Egal zu welcher Tageszeit Sie in einem Unternehmen anrufen: Sie haben das Gefühl, ganz Deutschland sitzt von montags bis freitags in Meetings. »Müller ist zurzeit leider nicht zu sprechen. Er ist im Budgetmeeting mit der Leitung der Kommunikationsabteilung. Direkt im Anschluss hat er ein Treffen zur Vorbereitung der nächsten Vorstandssitzung mit den Kollegen aus den Abteilungen Controlling, Strategie und Personal. Am Nachmittag gibt es noch eine Lücke von 15 Minuten, bevor er dann eine Sitzung zum neuen Nachhaltigkeitsbericht mit der Werbeagentur und weiteren Kollegen hat. Da können wir das Telefonat einplanen. Aber nur, wenn sich nichts verzögert …« Natürlich wird es sich verzögern, wie der Assistent aus leidvoller Vorerfahrung weiß. So hetzt die Managerkaste kollektiv von Meeting zu Meeting und immer leicht verspätet ihrem Terminkalender hinterher. Der ganz normale Wahnsinn, tagein, tagaus. Und alle finden es ätzend, weil sie spüren, dass der zeitliche Aufwand in keinem Verhältnis zum Ertrag steht.
__Bei so viel Übereinstimmung fragt sich, was uns daran hindert, dieses Format von Grund auf zu sanieren. Es lohnt ein Blick auf die Wurzel des Übels. Das Meeting ist kein inhaltsleerer Denglizismus, sondern wurde in den 1990er-Jahren als neue Form der Mitarbeiterführung in den betrieblichen Alltag eingeführt. Produktions- und Entscheidungsprozesse sollten transparent werden. Meetings dienten als Plattform für den Austausch von Erfahrungen und Wissen innerhalb oder über Abteilungsgrenzen hinweg und dazu, Entscheidungen transparent vorzubereiten und zu treffen. Wie so häufig wurden eigentlich gute Ideen im Laufe der Zeit durch Missbrauch weichgespült beziehungsweise ad adsurdum geführt. Wegen eines inflationären Einsatzes und weil grundlegende Regeln eines konstruktiven, effektiven Dialogs missachtet werden, verkommen Meetings zu Laberrunden. Und obwohl alle mit allen dauernd reden und in Meetings zusammenhocken, ist gleichzeitig die Klage darüber, dass viel zu wenig kommuniziert wird, auf den Unternehmensfluren groß. Das passt alles vorne und hinten nicht zusammen. Also: Wie können wir Meetings grundsanieren?
__Beim viel gehörten Satz »Zur eigentlichen Arbeit komme ich erst am Abend« beginnt das Problem. Mit »eigentlicher Arbeit« werden das Abarbeiten von Mails sowie konzeptionelle Arbeit bezeichnet, die Ruhe braucht. Wenn Meetings nicht »eigentliche Arbeit« sind, wozu sind sie dann überhaupt gut? Wie viele Meetings hatten Sie in der vergangenen Woche – fünf, zehn, zwanzig? Und wie viele waren gefühlt überflüssig – 50 Prozent, 70 Prozent, noch mehr?
// Warum?
• Hinterfragen Sie, ob ein Meeting überhaupt notwendig ist. Häufig genug lassen sich relevante Fragestellungen durch kurze, gut vorbereitete Telefonate oder bilaterale Gespräche klären.
• Für den reinen Informationsaustausch gibt es effektivere Formen der innerbetrieblichen Kommunikation: ein gut geführtes Intranet, Slack oder Yammer.
__Einen Tag vor dem angesetzten Meeting zum Status quo der Strategieumsetzung am Mittwoch erhalten wir umfangreiche PowerPoint-Präsentationen. In Ermangelung von Zeit wegen zahlreicher anderer Meetings können wir die Unterlagen nicht vorab lesen. Macht nichts. In der Sitzung werden die Präsentationen noch einmal alle vorgetragen. Da die Zeit nun knapp wird und vor allem Schulz bei der Darstellung seines Themas wie immer länger braucht, sind im Anschluss an die Präsentationen keine Fragen mehr möglich. Das Ende des Meetings kommt abrupt. Schulz, der seine Punkte setzen konnte, muss pünktlich gehen, weil eine angeblich wichtige Besprechung ansteht. Frustriert verlässt jeder Teilnehmer den Besprechungsraum: Was haben wir jetzt erfahren, was wir nicht vorher schon wussten? Sind wir irgendwie weitergekommen? Die schon seit langem drängende Frage nach der Neubearbeitung unserer Kernmärkte ist nun immer noch nicht klar.
// Was?
• Ein gut geführtes Meeting setzt Wissen voraus. Planen Sie genügend Vorbereitungszeit ein, um sich Informationen anzueignen. Konzentrieren Sie sich im Meeting auf die Punkte, die einer vertieften Diskussion bedürfen.
• Erfragen Sie diese Punkte vorab: »Was sind die drei drängendsten Fragen, die wir in diesem Meeting beantworten müssen?« Richten Sie die Agenda auf diese Fragen aus – mit genügend Raum für die Diskussionen, auf die es ankommt.
__Da ist Schmitz schon wieder. Er drängt sich in jedes Meeting, in dem er sich vor der Geschäftsführung positionieren kann. Er schwafelt irgendetwas von »Man müsste …«, »Ich habe ja schon immer gesagt …«, »Wir sollten endlich …«. Nichts als heiße Luft. Und die Koch natürlich. Ihre Beiträge bestehen grundsätzlich nur aus Bedenken gegenüber allem, was vorgeschlagen wird. Sie hat immer ein Protokoll von vor fünf Jahren parat, aus dem sie mit erhobenem Zeigefinger zitiert, um dann festzustellen: »Seht ihr, die gemeinsame Marktbearbeitung von Marketing und Vertrieb hat schon damals nicht funktioniert.« Sie hat wohl sonst nichts zu tun.
__Für viele gilt die Devise: Hauptsache dabei sein. Untersuchungen sagen, dass maximal sieben bis acht Teilnehmer ideal für ein effektives Meeting sind. In der Realität nehmen 15 oder 20 Kollegen teil, von denen die Hälfte nicht weiß, worum es geht. Durchbrechen Sie diesen Unsinn.
// Wer?
• Prüfen Sie kritisch, wer teilnimmt. Lassen Sie sich dabei nicht leiten von falschen Rücksichtnahmen. Nicht: »Welche Abteilung muss repräsentiert sein?«, sondern: »Wer hat zu dem Thema etwas substanziell beizutragen?«
• Streichen Sie den Satz: »Aber die Bereichsleiter müssen wir dabeihaben!« aus Ihrem Repertoire. Holen Sie sich neugierige, wache und kreative Kollegen hinzu, unabhängig von deren hierarchischer Stellung. Halten Sie die Diskussionen mit den beleidigten Schmitzens und Kochs dieser Welt aus, die nicht mehr dabei sind.
• Im Ergebnis hat die Zusammenkunft so wenig Teilnehmer wie möglich und so viele wertvolle Perspektiven wie nötig.
__Der Meetingtisch ist übersät mit Kekstellern und Kaffeekannen. Die Teilnehmer räkeln sich in bequemen Ledersitzen. Beim ersten Meeting des Tages freuen Sie sich noch auf den frischen Kaffee und den Plausch mit der neuen Kollegin. Spätestens ab Meeting Nummer drei am Tag wird der Kaffee abgestandener, die Kekse werden weicher, der Blick stumpfer, die Konzentration schwächer und der Blick aufs Handy zur Dauerbeschäftigung. Meetings zwischen willkommenem Zeitvertreib und Tortur.
// Wie? – der Rahmen
• Streichen Sie Keksteller und Kaffee im Meeting, damit sich keiner in konsumtiver Bräsigkeit einlullen kann. Planen Sie stattdessen alle 90 Minuten eine Pause ein, um Geist und Körper durchzulüften: beim Spaziergang, bei einem Pausenkaffee im Stehen. Die besten Gedanken kommen im informellen Austausch.
• Halten Sie die Meetings nicht als Sitzungen, sondern als Stehungen ab. Meetings am Stehtisch sind um 30 Prozent kürzer und um 70 Prozent effektiver als Sitzungen.
__Die Teilnehmer strömen in den Sitzungsraum, klappen ihre Laptops auf und beantworten während des Meetings ihre Mails. »Irgendwann muss ich ja die E-Mail-Flut von heute abarbeiten, damit ich morgen früh nicht mit einem Rückstand anfange. Oder auf Kosten des freien Abends mit meinem Freund damit erst um 19 Uhr heute Abend beginnen.« Laut zahlreichen Untersuchungen beantwortet jeder fünfte Meetingteilnehmer mindestens die Hälfte der Zeit E-Mails und hört nur die Hälfte.
__Derweil läuft das Meeting aus dem Ruder. Immer wieder verliert sich die Diskussion in operativen Themen. Anstatt wie vorgesehen über den Vorschlag zur Verschlankung der Planungsprozesse zu sprechen, formulieren die 15 Teilnehmer gemeinsam eine halbe Stunde lang eine E-Mail an einen Dienstleister. Am Ende stellen Sie fest, dass Sie wieder nur die Hälfte geschafft haben. Sie verschieben das Thema Planungsprozess erneut auf das nächste Meeting.
// Wie? – Ziele und Agenda setzen
• Machen Sie den ultimativen Meetingtest. Verlassen Sie den Raum, während alle hinter den aufgeklappten Laptops sitzen, und schauen Sie, ob Ihre Abwesenheit auffällt. Fordern Sie volle Aufmerksamkeit für die Themen, die Sie sich vorgenommen haben.
• Definieren Sie die Zielsetzungen des Meetings vorab, leiten Sie die Agenda daraus ab. Sollten Sie eine Outlook-Einladung ohne klare Zielsetzung und Agenda erhalten, sagen Sie Ihre Teilnahme ab. Das ist die wirkungsvollste Demonstration gegen Zeitverschwendung.
__Wenn Mahlzahn anhebt, rollen schon alle innerlich die Augen: »Das wird wieder so ein Dauermonolog.« Er hört sich zu gerne selbst reden. »Es ist alles gesagt, aber noch nicht von jedem«, lautet die Devise. Meetings bieten aller Art von Typen Raum zur ungehinderten Entfaltung: Selbstdarstellern, Nörglern, Zeitfressern und Wichtigtuern. Diese Typen haben alle eines gemeinsam: Sie sind entweder Selbstoptimierer auf Kosten des Unternehmens oder kompensieren den Frust über drohende oder tatsächliche Bedeutungslosigkeit mit Gelaber. Darüber zwingen sie vorwärtsgewandte, lösungsorientierte und am Gelingen des Ganzen interessierte Kollegen in die Ineffizienz. Und um...