1 Bestandsaufnahme und Grundlagen
1.1 Kindertagesbetreuung vom dritten bis zum sechsten Lebensjahr
1.1.1 Kindertagesstätte und Kindergarten
Unter „früher Kindheit“ wird der Lebensabschnitt von der Geburt bis zum Eintritt in die Schule verstanden. Dem Säuglingsalter folgen nach Abschluss des ersten Lebensjahres das Kleinkindalter (zweites und drittes Lebensjahr) und das vorschulische Alter. Letzteres steht im vorliegenden Buch im Fokus und wird auch als Kindergartenalter oder als Elementarbereich bezeichnet.
Für diese Zeitspanne gibt es eine Reihe von familieninternen und -externen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen (Aden-Grossmann 1997).
Kindergarten Die gebräuchlichste familienexterne Betreuungsform sind die Kindergärten (Wagner 2010): In Österreich ist der Kindergarten eine Einrichtung für die Kinder, die mindestens zweieinhalb Jahre alt sind. In Deutschland und in Luxemburg müssen die Kinder das dritte, in der Schweiz das vierte Lebensjahr vollendet haben. In den beiden skandinavischen Ländern Finnland und Schweden, die in den vergleichenden internationalen Qualitätsstudien überaus gut abschneiden, ist der Kindergartenbesuch oft schon ab dem ersten Lebensjahr möglich.
Kindergartenpflicht Für Kinder, die am 1. September des jeweiligen Jahres das fünfte Lebensjahr vollendet haben, ist der Kindergarten in Österreich gemäß dem oberösterreichischen Kinderbetreuungsgesetz seit 2010/2011 verpflichtend (mindestens 20 Stunden, soweit ausreichend Kindergartenplätze zur Verfügung stehen) mit dem Ziel, allen Kindern, unabhängig von ihrer sozioökonomischen Herkunft, beste Bildungsmöglichkeiten und Startchancen in das spätere Berufsleben zu bieten.
In der Schweiz sind ab dem Schuljahr 2015/2016 in der Mehrheit der Kantone zwei Jahre Kindergarten oder die beiden ersten Jahre einer Eingangsstufe in die Schulpflicht eingebunden (EDK 2017). Es gibt einige wenige Kantone in der Deutschschweiz, in denen der Besuch des Kindergartens nicht oder nur ein Jahr obligatorisch ist. Die große Mehrheit der Kinder besucht auch in diesen Kantonen während zwei Jahren den Kindergarten. In der Westschweiz werden die beiden Kindergartenjahre in der Regel zum „cycle 1“ oder „cycle primaire 1“ gezählt, die sich über vier Jahre erstrecken. Im Kanton Tessin wird zusätzlich zu den zwei obligatorischen Kindergartenjahren noch ein fakultatives Jahr für Kinder ab drei Jahren angeboten.
In Luxemburg können, ähnlich wie im Kanton Tessin in der Schweiz, die Kinder schon ab dem dritten Lebensjahr die sogenannte „Éducation Précoce“ besuchen, im Schuljahr ab dem vollendeten vierte Lebensjahr besteht Kindergartenpflicht.
In Deutschland gibt es seit dem 1. August 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Krippen- bzw. Kindergartenplatz vom vollendeten ersten Lebensjahr an, halb- oder ganztägig, je nach Berufstätigkeit der Eltern und Förderbedarf des Kindes. Eine Verpflichtung zur Einschreibung in einen Kindergarten gibt es aktuell in keinem deutschen Bundesland, trotzdem liegt die Besucherrate bei fast 94% (Statistisches Bundesamt 2012).
Neben den „traditionellen“ Kindergärten gibt es auch Kindergärten mit einem besonderen pädagogischen Profil, bspw. Waldkindergärten, Bauernhofkindergärten oder Kindergärten nach Montessori oder Waldorf. Zudem gibt es Kindergärten, die in der Sprache und nach den pädagogischen Grundlagen anderer Länder geführt werden: z.B. französische oder italienische Kindergärten im deutschsprachigen Raum. Die Umsetzung eines mehrsprachigen Konzeptes ist selbstverständlich auch in Kindergärten, die ein besonderes pädagogisches Profil pflegen, möglich.
Krippe In Abgrenzung zum Kindergarten werden Einrichtungen für jüngere Kinder als Krippen und für Kinder im Grundschulalter als Horte bezeichnet. Die Aufgabe der professionellen Betreuung besteht auch schon in Krippen darin, die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder zu unterstützen und zu erweitern, wobei in einem solch frühen Alter die sichere Bindung des Kindes an die Bezugsperson(en) eine entscheidende Rolle spielt (Wagner 2010; Kap. 1.6).
Tagespflege Zielgruppe der Tagespflege sind alle Altersgruppen. Die Betreuung findet in Gruppen durch ausgebildete Tagesmütter oder auch Tagesväter in deren Haushalt statt. Die Tagespflege ist in der Regel durch flexible Betreuungszeiten und kleine Gruppen von bis zu fünf Kindern gekennzeichnet.
Die Betreuung kann auch im Betrieb angeboten werden. Die betriebliche Kinderbetreuung ermöglicht den Eltern eine frühe Rückkehr in den beruflichen Alltag.
Kindertagesstätte Die Kitas sind sogenannte Kombi-Einrichtungen, die eine altersgemischte Betreuung anbieten. Sie sind in der Regel für Kinder ab dem ersten Lebensjahr bis zum Schulalter bestimmt. Unter Kita, in Österreich auch Ganztagskindergarten genannt, wird eine Einrichtung der institutionellen Kindertagesbetreuung verstanden. Die genaue Definition kann national und sogar regional unterschiedlich sein. Im Grunde bezeichnet der Begriff „Kindertagesstätte“ sowohl Kinderkrippen und Kindergärten als auch Schulhorte. Einrichtungen, welche diese drei Betreuungsmöglichkeiten miteinander kombinieren, werden häufig ebenfalls als Kita bezeichnet. In Deutschland werden demnach unter Kitas die Kindergärten implizit mit einbezogen. Im weiteren Verlauf des Buches wird demzufolge der Begriff „Kindertagesstätte“ als Oberbegriff verstanden.
pädagogisches Personal In Kitas sind in Deutschland neben pädagogischen Fachkräften auch Erzieherinnen, Kindheitspädagoginnen, Sozialpädagoginnen, Kinderpflegerinnen und ausgebildete Ergänzungskräfte angestellt. In den Kindergärten arbeiten in Österreich v.a. ausgebildete Kindergartenpädagoginnen, in der Schweiz und in Luxemburg neben Erzieherinnen v.a. Kindergärtnerinnen, die an Pädagogischen Hochschulen oder Universitäten ausgebildet wurden.
Pädagoginnen Im Folgenden wird das Personal, das in Kitas arbeitet, als „pädagogisches Team“ und die einzelnen Personen einheitlich als „Pädagoginnen“ bezeichnet, sie alle haben eine fundierte pädagogische Ausbildung.
1.1.2 Population
Betreuungsquote In Deutschland ist nach Wagner (2010) seit 1990 ein stetiger Zuwachs an öffentlichen und freien Kitas zu verzeichnen. Laut Statistischem Bundesamt (2016) lag die Quote der Kinder unter drei Jahren, die in Kitas oder in öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut wurden, 2016 bei 32,7% (etwa 720.000 Kinder, Tendenz steigend) bei einem Betreuungsbedarf von 46%. Auffällig ist, dass die Quote der Kinder ohne Migrationshintergrund (38%) deutlich höher lag als diejenige mit Migrationshintergrund (22%). Die Betreuungsquote lag bei den 3- bis 6-Jährigen bei 93,6 %: 97% der Kinder ohne Migrationshintergrund, 90% der Kinder mit Migrationshintergrund besuchten eine Kindertageseinrichtung.
Anzahl mehrsprachiger Kinder In den Kitas erhöht sich die Zahl der Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, beständig: Zu Hause wird mehr als eine Sprache gesprochen, außerhalb der Familie wird eine andere Sprache gesprochen als zu Hause. Mehrsprachigkeit wird für viele Kinder schon in einem frühen Alter zur Normalität. Inwieweit Kinder mit Migrationshintergrund regelmäßig mit mehreren Sprachen in Kontakt sind, ist allerdings nur schwer einzuschätzen. Chilla et al. (2013) gehen insgesamt von etwa einem Drittel mehrsprachig aufwachsender Vorschulkinder in Deutschland aus.
Deutsch in der Familie Es gibt deutliche regionale Unterschiede bezüglich des Anteils der Kinder, die in der Familie nicht vorrangig deutsch sprechen. Hohe prozentuale Anteile erreichen v.a. Stadtkreise (in Baden-Württemberg liegt der Stadtkreis Stuttgart mit 42% an erster Stelle), weitaus geringere Werte erreichen viele ländliche Gebiete (in Baden-Württemberg die Landkreise Breisgau Hochschwarzwald und Emmendingen mit 10% bzw. 11%). In Österreich ist die Situation vergleichbar: An den Wiener Volksschulen haben 52,9% der Kinder eine andere Erstsprache als Deutsch, außerhalb Wiens liegt die Quote bei 24%. In über 60% der Familien in Luxemburg wird eine andere als die luxemburgische Sprache als Erstsprache gesprochen (Portail des statistiques 2015). Luxemburgisch ist eine von drei Amtssprachen (neben Französisch und Deutsch) und im Kindergarten die primäre Kommunikationssprache.
Viele Eltern einsprachig aufwachsender Kinder möchten ihre Kinder in einer Kita einschreiben, in der ihr Kind mit mindestens einer weiteren Sprache in Kontakt kommt. Nach Maywald (2002, 40f.) ist ihnen bewusst, dass sich die Kinder in diesem frühen Lebensabschnitt in einer äußerst sensiblen Entwicklungsphase befinden und dass ihnen somit eine hohe Lernfähigkeit zugeschrieben wird.
unterschiedliche Modelle Die Kitas versuchen, auch dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, Mehrsprachigkeit als wesentliche Größe in die alltägliche Arbeit einzubinden und das Sprachangebot an die verschiedenen Zielgruppen anzupassen: Lernen der Majoritätensprache (z.B. Deutsch in Deutschland oder Luxemburgisch in Luxemburg), Lernen der Herkunftssprache (für Kinder aus sprachlichen Minoritäten, z.B. Türkisch oder Portugiesisch), Lernen der...