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E-Book

Kinderhospizarbeit

Konzepte - Erkenntnisse - Perspektiven

AutorAstrid Bungenstock, Eileen Schwarzenberg, Sven Jennessen
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl285 Seiten
ISBN9783170295308
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis28,99 EUR
Seit 1990 hat sich die Kinderhospizarbeit zu einem wichtigen Pfeiler im Unterstützungssystem für lebensverkürzend erkrankte Kinder/Jugendliche und ihre Familien entwickelt. Nach englischem Vorbild bietet die deutsche Kinderhospizarbeit heute vielfältige Angebote der Begleitung, Beratung und Hilfe. Sie setzt sich zusammen aus stationären Kinderhospizen, ambulanten Kinderhospizdiensten, Fort- und Weiterbildungsangeboten sowie spezifischen Angebotsformen für die erkrankten Kinder/Jugendlichen, ihre Eltern und Geschwister und die professionellen und ehrenamtlichen Mitarbeiter. Nach einer kurzen Einführung zum Theoriestand der Kinderhospizarbeit beleuchtet das Buch zunächst die Lebenssituation der erkrankten Kinder/Jugendlichen und ihrer Familien. Dann werden Ziele, Aufgaben und Inhalte der ambulanten und stationären Kinderhospizarbeit beschrieben. Auf der Basis empirischer Erkenntnisse gibt das Buch erstmals ein Bild des aktuellen Stands der Kinderhospizarbeit in Deutschland. Neben der Analyse von Stärken und Entwicklungspotentialen der bestehenden Strukturen werden Leitlinien entwickelt, die die Qualität von Kinderhospizarbeit dauerhaft sichern sollen.

Dr. Sven Jennessen ist Professor für Pädagogische und Soziale Rehabilitation an der Universität Koblenz-Landau und leitet das Forschungsprojekt ''Kinderhospizarbeit''. Dipl. Päd. Astrid Bungenstock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt ''Kinderhospizarbeit''. Dipl. Päd. Eileen Schwarzenberg ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt ''Kinderhospizarbeit'' und Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.

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Leseprobe

3 Was ist Kinderhospizarbeit?


3.1 Entstehung der Hospiz- und Kinderhospizbewegung


Das Wort Hospiz leitete sich vom lateinischen „hospitium“ ab, das „Herberge“ bedeutet. Bereits in der frühen Phase der Ausbreitung des Christentums im Römischen Reich boten Hospize Unterkunft und Hilfe für Reisende, Bedürftige, Kranke und Sterbende. Im frühen Mittelalter waren Hospize Herbergen in entlegenen Gebieten. Diese Herbergen wurden von christlichen Orden geführt und boten Pilgern und Reisenden Schutz und Hilfe auf ihrem gefahrenreichen Weg (vgl. Der Große Brockhaus 1982, 186). Im Zuge der Säkularisierung wurden viele Hospize geschlossen und erst Mitte des 19. Jahrhunderts die ihnen zugrunde liegende Idee wieder aufgegriffen. 1836 eröffnete Pastor Theodor Fliedner in Kaiserswerth ein Haus für Schwerstkranke, Sterbende und Mittellose, das von Diakonissen geführt wurde (vgl. Burgheim 2006, 14).

Es entwickelten sich zunehmend mehr Hospizinitiativen, so beispielsweise das Hospiz der irischen Schwestern der Nächstenliebe in Dublin, gegründet von Mary Aikenhead (1879), und das St. Joseph’s Hospice der barmherzigen Schwestern in London (vgl. Robbins & Moscrop 1995, 246). Dieses Haus gilt heute als das Mutterhaus der modernen Hospizbewegung, da die Krankenschwester, Ärztin und Sozialarbeiterin Dr. Cicely Saunders dort ihre Prinzipien der Schmerzkontrolle entwickelte. 1967 gründete sie das weltweit erste moderne Hospiz mit dem Namen St. Christopher’s Hospice (vgl. Student, Mühlum & Student 2004, 140). Sie nannte dieses Haus Hospiz, „anknüpfend an die mittelalterliche Bezeichnung für Herbergen an den Pilgerwegen“ (Student 2008, 90f.). Es sollte „Menschen auf der letzten Wegstrecke der irdischen Pilgerreise Unterkunft, Pflege, Fürsorge und gelebte Gemeinschaft (ermöglichen)“ (ebd.).

Die Hospizbewegung wurde zudem wesentlich durch die Ärztin und Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross geprägt, die durch ihre Forschungsarbeiten im Kontakt mit Sterbenden das Thema Tod und Sterben zu enttabuisieren half. Ihre Arbeiten, die die Entwicklung eines Phasenmodells des Sterbeprozesses beinhalteten, waren die ersten fundierten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Sterbeprozessen, an denen sich alle weiteren thanatalen Diskurse orientierten und die bis heute von Bedeutung sind (vgl. Student, Mühlum & Student 2007, 14, 138). Seitdem ist aus der Hospizidee eine weltweite Hospizbewegung entstanden, deren „Lehrmeister“ die Sterbenden selbst sind: Sie orientiert sich in erster Linie an ihren Wünschen und Bedürfnissen (vgl. Student 2008, 90f.).

In Deutschland entstand 1986 das erste Hospiz in Aachen. Im Laufe der Zeit wurden weitere Hospize gegründet, meist in Trägerschaft von Vereinen, Bürgerinitiativen und Kirchen. Anfänglich wurden sie ausschließlich durch Spenden finanziert und durch ehrenamtliche Arbeit getragen. Die deutsche Hospizbewegung wurde von verschiedenen Verbänden, Gesellschaften sowie Stiftungen wie dem Deutschen Hospiz- und PalliativVerband e.V. (DHPV) und der Deutschen Hospiz Stiftung geprägt. Im Jahr 2008 existierten 1500 ambulante Hospizdienste, 162 stationäre Hospize und 166 Palliativstationen, es gab teilstationäre Tageshospize sowie Nachthospize. 80 000 Ehrenamtliche gehören der Hospizbewegung an (vgl. Rösch 2009, 4).

Die Kinderhospizbewegung entstand 1978 in England, etwa zehn Jahre nach Eröffnung des weltweit ersten Erwachsenenhospizes in London. Vier Jahre später wurde mit dem Helen House das weltweit erste Kinderhospiz von der Ordens- und Krankenschwester Frances Domenica in Oxford eröffnet. Die Familie Worswick suchte 1978 Kontakt zu Frances Domenica, da ihre Tochter Helen lebensverkürzend erkrankt war. Frances Domenica entwickelte aus der temporären Pflege Helens heraus die Idee, einen Ort für Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern zu schaffen. Gemeinsam mit betroffenen Eltern entstand das Konzept für das weltweit erste Kinderhospiz (vgl. Worswick 2000, 18ff.). Bald wurde deutlich, dass der Bedarf durch eine Einrichtung alleine nicht gedeckt werden konnte, und es erfolgten weitere Gründungen von Kinderhospizen in England. Frances Domenica führt als Ziel der Kinderhospizarbeit an, dass die Kinder und Jugendlichen mit ihren Familien zu Hause sein können und dort unterstützt werden sollen. Stationäre Kinderhospize sollen nur ein Glied in der Kette des Unterstützungssystems darstellen. Es wurden daher seit 1994 ambulante Kinderhospizdienste ins Leben gerufen. Diese werden als „hospice at home“ bezeichnet und sind wesentlicher Bestandteil der pädiatrischen Palliative Care. „Hospice at Home is a term commonly used to describe a service which brings skilled, practical children’s palliative care into the home environment. Hospice at Home works in partnership with parents, families and other carers“ (ACT 2010).

Die Kinderhospizbewegung in Deutschland entstand 1990 durch den Zusammenschluss und das gemeinsame Interesse von sechs Elternpaaren mit lebensverkürzend erkrankten Kindern. Sie gründeten den Deutschen Kinderhospizverein e.V. (DKHV) mit der Zielsetzung, ein stationäres Kinderhospiz nach englischem Vorbild zu erbauen (vgl. Hartkopf 2005, 4; Deutscher Kinderhospizverein e.V. 2010d). Um den Bekanntheitsgrad der Kinderhospizarbeit zu erhöhen, das inhaltliche Anliegen des DKHV zu verdeutlichen und um einen geeigneten Träger für das erste stationäre Kinderhospiz zu finden, betrieb der Verein eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Das erste deutsche Kinderhospiz „Balthasar“ wurde 1998 unter der Trägerschaft der Gemeinnützigen Gesellschaft der Franziskanerinnen zu Olpe (GFO) eröffnet (vgl. Deutscher Kinderhospizverein e.V. 2010d).

Der erste ambulante Kinderhospizdienst Deutschlands wurde 1999 in Kirchheim/Teck gegründet. Der Deutsche Kinderhospizverein e.V. begann 2004 mit dem Aufbau und der Vernetzung der ambulanten Kinderhospizdienste (vgl. Deutscher Kinderhospizverein e.V. 2010d; Hartkopf 2005, 4).

Im September 2002 gründete sich der Bundesverband Kinderhospiz e.V. Er ist neben dem Deutschen Kinderhospizverein e.V. eine weitere Dachorganisation der Kinderhospizarbeit in Deutschland. Der Zusammenschluss der beteiligten Organisationen unter den Dächern dieser beiden Verbände verfolgt das Ziel, langfristig eine flächendeckende sowohl ambulante als auch stationäre Kinderhospizversorgung zu ermöglichen. Im Zuge entstanden intensive Kooperationen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Hospiz e.V. (heute: Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V.). Die Bundesarbeitsgemeinschaft ist heute eine „Dachorganisation und Interessenvertretung von 1310 ambulanten Hospizinitiativen und circa 200 stationären Hospizen und Palliativstationen in Deutschland sowie der Landesarbeitsgemeinschaften Hospiz in den 16 Bundesländern“ (Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V. 2010).

Es entstanden weitere stationäre Kinderhospize, die sich konzeptionell weitgehend am Kinderhospiz Balthasar orientieren. Seit dem Jahr 2004 hat der DKHV den Ausbau der ambulanten Kinderhospizdienste zu seinem wichtigsten Anliegen deklariert.

Im Jahr 2005 gründete der Verein die Deutsche Kinderhospizakademie. Sie organisiert Informationsseminare, Fachkongresse, das zweijährlich stattfindende Kinderhospizforum sowie eine Vielzahl von Fort- und Weiterbildungsangeboten im Themenkreis der Kinderhospizarbeit. Durch diese Institution wird das inhaltliche Angebot der Kinderhospizbewegung signifikant erweitert (vgl. Deutscher Kinderhospizverein e. V. 2010f).

Seit 2007 wird alljährlich am 10. Februar der „Tag der Kinderhospizarbeit“ in besonderer Weise gestaltet und soll bundesweit auf die Situation von Familien mit progredient erkrankten Kindern aufmerksam machen (vgl. Deutscher Kinderhospizverein e.V. 2010h).

Der Bundesverband Kinderhospiz e.V. vertritt die Interessen seiner Mitglieder in nationalen und internationalen Zusammenhängen und versteht sich als Ansprechpartner für Politik, Wissenschaft, Ärzte, Kliniken, Kostenträger, Spender und Förderer. Außerdem bietet er Informationen und Beratung für Betroffene (vgl. Bundesverband Kinderhospiz e.V. 2010).

3.2 Aufgaben und Ziele der Kinderhospizarbeit


Die Kinderhospizarbeit versteht sich als spezialisierter Zweig der Gesamthospizbewegung, wobei die zentrale Gemeinsamkeit vor allem die Ausrichtung auf eine Sterbekultur und Sterbebegleitung darstellt, die in ihrer Haltung dem Leben und Sterben gegenüber den individuellen Bedürfnissen der sterbenskranken Menschen und ihrer Angehörigen verpflichtet ist (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz e.V. et al. 2007, A7). Die Bedürfnisse sterbender Menschen und deren Angehöriger sind physischer, psychischer, sozialer und spiritueller Art. Die daraus abzuleitenden Begleitungsangebote – psychosoziale und spirituelle Begleitung, Palliativmedizin und -pflege sowie Trauerbegleitung – sind daher die zentralen Aufgabenbereiche der Hospizbewegung für schwerkranke und sterbende Erwachsene und Kinder sowie ihre Angehörigen (vgl. Jennessen 2010, 287). Anders als die Erwachsenenhospizbewegung, die sich recht eindeutig auf die letzte Lebensphase der Menschen konzentriert, ist das Ziel der Kinderhospizarbeit die Begleitung der Familien ab der Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung, im Leben und Sterben und über den Tod der Kinder hinaus – über zum Teil sehr lange Zeiträume.

Zwei wesentliche Grundsätze der Kinderhospizarbeit sollen hier expliziert werden: Das „Primat der häuslichen Versorgung“ begründet sich dadurch, dass eine Trennung von den Eltern eine außerordentliche Belastung für das lebensverkürzend erkrankte Kind bedeutet, die den elementaren kindlichen Bedürfnissen nach Sicherheit und Geborgenheit widerspricht (vgl. Wingenfeld &...

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