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E-Book

Kindheit ohne Strafen

Neue wertschätzende Wege für Eltern, die es anders machen wollen

AutorKatharina Saalfrank
VerlagBeltz
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl264 Seiten
ISBN9783407864970
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Time-out, Handy- und Computerverbote, wenn-dann-Sätze: Strafen und Konsequenzen als Konfliktlösestrategie halten sich hartnäckig im Erziehungsrepertoire von Eltern und in den Ratgebern von Experten. Ob es um Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen geht - was kurzfristig funktioniert, zeigt langfristig Schaden, denn Kinder erleben durch Strafen Demütigung, Ablehnung, Vertrauensverlust, und das Familienklima wird durch Machtkämpfe vergiftet. Die bekannte Pädagogin Katharina Saalfrank beschreibt in diesem Buch, warum ein auf Bindung und Wertschätzung basierender Umgang mit Kindern Strafen überflüssig macht. Anhand zahlreicher Erfahrungsberichte aus dem Alltag mit Kindern zwischen Autonomiephase und Pubertät zeigt sie neue Handlungsalternativen auf. Sie geht auf die Gefühlswelt der Kinder und Eltern ein und erläutert, wie wertschätzende Beziehung und Kommunikation einen anderen Umgang mit Stresssituationen möglich machen.

Katharina Saalfrank ist Diplom-Pädagogin, Therapeutin, Eltern- und Familienberaterin sowie erfolgreiche Autorin. Sie arbeitet bindungs- und beziehungsorientiert in eigener Beratungspraxis in Berlin. Die konstruktive Beziehung zwischen Eltern und Kind sowie die emotionalen Entwicklungsprozesse von Kindern und Eltern stehen im Mittelpunkt ihres Ansatzes. Katharina Saalfrank ist Mutter von vier Söhnen und lebt mit ihrem Mann in Berlin. Bei Beltz erschien 2017 »Kindheit ohne Strafen«.

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Leseprobe

Einleitung


»Nein«, sagt der Vater von Leon. Ärgerlich schaut er den Vierjährigen an. »Neeeeein«, wiederholt er noch einmal bewusst mit tiefer Stimme, um seinem Nein noch mehr Gewicht zu verleihen. »Nein, Leon, jetzt reicht’s mir aber!«, stößt er ungeduldig aus. »Mein lieber Freund! Wenn du jetzt nicht von der Fensterbank herunterkommst, dann spiele ich nicht mehr mit dir, und zur Oma gehen wir nachher auch nicht!«

Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie bitten Ihre Kinder mehrmals, etwas zu tun oder zu unterlassen. Sie haben als Eltern gute Gründe für Ihre Bitten, Sie haben es erklärt, mehrfach. Sie versuchen es freundlich, Sie sagen es noch und noch einmal! Doch Sie haben einfach das Gefühl, überhört zu werden oder »gegen eine Wand« zu reden. Oder gar, dass Ihr Kind Sie bewusst ärgern möchte! Wenn Sie dann irgendwann glauben, die komplette Bandbreite Ihrer Möglichkeiten ausgeschöpft zu haben, beginnen Sie, mit Konsequenzen zu drohen, oder verhängen Strafen:

»Jetzt reicht’s mir aber«, ruft Lisas Mutter genervt ihrer zwölfjährigen Tochter entgegen. »Ich habe es im Guten versucht, und ich war sehr geduldig! Wir haben x-mal drüber geredet. Und was ist passiert? Nichts! Dein Zimmer ist nicht aufgeräumt und deine Hausaufgaben hast du auch noch nicht gemacht. Es reicht mir jetzt wirklich!« Das Gesicht der Mutter ist vor Ärger rot angelaufen. Nachdem es den ganzen Nachmittag Streitereien gegeben hatte, platzt ihr nun der Kragen, und sie schreit los: »Das hat jetzt Konsequenzen, mein Fräulein! Du hast dich nicht an unsere Absprachen gehalten, das geht so nicht. Dafür darfst du heute Abend kein Fernsehen mehr schauen, und den Besuch am Wochenende bei deinen Freundinnen kannst du auch vergessen!«

Lassen Sie uns ein kleines Gedankenexperiment machen und diese Situation in eine Erwachsenenbeziehung übersetzen. Folgender Dialog entsteht dann:

Frau (empört): »Was? Du hast nicht aufgeräumt? Das kann doch wohl nicht wahr sein.«

Mann: »Ich hatte noch andere Dinge zu tun und bin noch nicht dazu gekommen.«

Frau (wird lauter): »Wie? Und unsere Buchung für den Urlaub hast du auch noch nicht erledigt?«

Mann: »Das wollte ich noch machen.«

Frau (laut): »Also, jetzt reicht’s wirklich! Ich habe es im Guten versucht, und ich war sehr geduldig! Wir haben x-mal drüber geredet. Und was ist passiert? Nichts! Die Küche ist nicht aufgeräumt, und unser Urlaub ist auch nicht gebucht. Es reicht mir jetzt wirklich.« Frau (schreit jetzt): »Das hat jetzt Konsequenzen, mein lieber Freund! Du hast dich nicht an unsere Absprachen gehalten, das geht so nicht! Dafür darfst du heute Abend das Fußballspiel nicht anschauen, und dein Bier am Wochenende mit deinen Freunden kannst du auch vergessen.«

Wenn ich in meinen Veranstaltungen zu diesem kleinen Gedankenexperiment einlade, reagiert das Publikum immer gleich: Es lacht laut auf, und viele schmunzeln. Es hört sich eben lustig an, wenn der eine Partner dem anderen wie einem Kind droht. Unter Erwachsenen hört es sich »schräg« an – zwischen Eltern und Kindern finden solche Dialoge tagtäglich statt, und Erwachsene finden das erst einmal gar nicht merkwürdig. Denn: Ist es nicht so, dass wir Eltern dafür verantwortlich sind, aus unseren Kindern gesellschaftsfähige Wesen zu machen? Und gehört es da nicht auch dazu, ein Verhalten, das wir nicht gutheißen, zu sanktionieren und Kindern Grenzen aufzuzeigen? Ist das nicht notwendig, wenn wir wollen, dass Kinder sich an die Regeln in unserer Gesellschaft halten?

Nein, es ist nicht notwendig. So viel kann ich schon einmal sagen. Warum wir es trotzdem häufig tun und warum es uns so schwerfällt, es anders zu machen, lohnt sich zu hinterfragen. Doch für mich geht es gar nicht in erster Linie darum, dass wir die Verantwortung für das Aufwachsen unserer Kinder und auch dafür haben, dass sie sich in der Gesellschaft zurechtfinden. Die Frage ist für mich eher: Auf welche Art und Weise dürfen Kinder erwachsen werden? Von welchen Werten ist ihr Aufwachsen geprägt?

Ich möchte gleich einem Missverständnis vorbeugen und klarstellen, dass Kindheit ohne Strafen für mich nicht bedeutet, dass Kinder ohne Orientierung von Erwachsenen aufwachsen, sich selbst überlassen sind oder es hier um einen Laissez-faire-Umgang handelt, bei dem Kinder keine Grenzen erfahren. Ganz im Gegenteil! Kinder brauchen Führung – ohne die sind sie verloren. Die Frage ist nur, wie die Qualität dieser Führung beschaffen ist und für welche Form der Führung ich mich entscheide. Ist es eine autoritäre, sanktionierende Führung oder eine, die wertschätzend auch die Bedürfnisse des anderen berücksichtigt?

Das Gegenteil einer sanktionierenden Führung ist jedoch auch keine »Kuschel-Pädagogik«, die Kinder über »Tische und Bänke« gehen lässt, wie von Verfechtern des autoritären Erziehungsstils gerne vermutet wird. Nein, ganz und gar nicht. Ich halte den strafenden, sanktionierenden Umgang mit unseren Kindern für unnötig und überflüssig. Ich möchte konstruktive Alternativen zu Strafen und Sanktionen anbieten, denn die gibt es. Sie basieren auf meinem bindungs- und beziehungsorientierten Ansatz mit Kindern, der sich im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in meiner Arbeit mit Familien, aber auch für mich als Mutter bewährt hat.

Diese Pädagogik zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass wesentliche Aspekte von Bindung und Beziehung in besonderer Weise im Umgang miteinander berücksichtigt werden, sodass einerseits die konstruktive Beziehung und der wertschätzende Dialog zwischen Erwachsenen beziehungsweise Eltern und Kindern sowie die individuellen emotionalen Entwicklungsprozesse der Kinder im Mittelpunkt stehen. Wichtige Erkenntnisse aus der Bindungs- und Säuglingsforschung und aus der Entwicklungspsychologie werden berücksichtigt und spielen eine entscheidende Rolle dabei, welche Beziehungsantwort Eltern ihren Kindern geben. Andererseits geht es darum, individuelle Beziehungsgeflechte zu analysieren und zu verstehen – ein großer Unterschied zur Verhaltenspädagogik, die nicht auf das Verstehen von Ursachen, sondern auf reine Symptombehandlung und Anpassung setzt.

Das Fatale ist, dass ein Umgang mit Kindern, der auf reine Verhaltensanpassung und auf Lob für gutes Verhalten, auf Strafen und Konsequenzen für »negatives«, »schlechtes« oder von uns nicht erwünschtes Verhalten setzt, zwar »funktioniert«, jedoch die Beziehungsqualität innerhalb der Familie, insbesondere die zwischen Eltern und Kindern, stark belastet. Mehr noch, er kann sogar mit negativen Langzeitfolgen für die psychische und physische Gesundheit der Kinder einhergehen. Wer es also aufgrund dieser Erkenntnisse anders machen will, muss nicht nur auf der Beziehungsebene umdenken, sondern noch wichtiger: umfühlen und sich ganz neu in die Beziehungen in der Familie und in Kinder einfühlen. Wenn wir anders fühlen und denken, können wir auch Handlungsalternativen finden und uns aus bisherigen Mustern befreien.

Ich möchte mich mit diesem Buch in erster Linie nicht gegen, sondern für etwas aussprechen. Für eine Kindheit ohne Strafen. Und für eine achtsame, liebevolle, fürsorgliche und konstruktive Begleitung unserer Kinder. Ich möchte Herzen öffnen und Empathie wecken, das emotionale Sensorium in uns selbst schärfen und die Einfühlung in unsere eigenen und in die Bedürfnisse unserer Kinder wecken. Bei allen Menschen, die es anders machen wollen. In diesem Sinne möchte ich Sie dabei begleiten, neue Wege zu beschreiten, und Sie ermutigen, nicht aufzugeben, wertschätzende Lösungswege zu suchen.

Das alles ist sicher leicht gesagt. Doch ich weiß, dass die Umsetzung für viele Eltern überhaupt nicht einfach ist. Warum? Weil wir den Kontrollmodus abschalten und Vertrauen lernen dürfen. Das geht nicht ohne die Reflexion eigener Handlungsmuster. Schnell werden Stimmen in uns wach, die alte Erziehungssätze in uns wecken und uns zuflüstern: »Wer nicht hören will, muss fühlen!«, »Strafe muss sein!« oder auch »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!«. Diese Stimmen sind mal lauter, mal leiser, und sie machen es nicht leicht, Vertrauen in uns selbst und in die Beziehung zu unseren Kindern zu entwickeln.

Solange sich alle gut verstehen, ist das kein Problem. Dann können wir freundlich und wertschätzend miteinander umgehen. Was aber, wenn wir uns ärgern, wenn wir wütend sind und wenn in unserer Wut die Stimmen überhandnehmen und uns in alte Muster zurückwerfen? Ich treffe oft auf Eltern, die ihren Kindern eine Kindheit ohne Strafen ermöglichen wollen und die merken, dass es nicht so einfach ist, die eigenen Beziehungsmuster, Verhaltensweisen und Prägungen hinter sich zu lassen. Und so fragen mich viele:...

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