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E-Book

Liebevolle elterliche Führung

Das Praxisbuch

AutorMathias Voelchert
VerlagBeltz
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783407864727
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Nie mehr der Butler der Familie sein - das wünschen sich viele Mütter und Väter. Doch was tun, wenn die Tochter jeden Abend scheinbar ohne Grund ausrastet? Wenn der Sohn sich weigert, die Spülmaschine auszuräumen? Selbst wer unter Erwachsenen mühelos den Ton angeben kann, kapituliert oft vor den Wünschen und Launen von Kindern und Jugendlichen. Wie es gelingt, eine zeitgemäße Autorität in der Familie umzusetzen und wo Eltern im Alltag die Grenzen zwischen Gewähren lassen und liebevoller Direktive setzen, dafür bietet der erfahrene Familienberater Mathias Voelchert eine Fülle von Vorschlägen. Wer die Familie liebevoll führt, sorgt für einen Familienalltag voll guter Laune und Gelassenheit statt Streit und Stress.

Mathias Voelchert ist Leiter der familienwerkstatt - familylab.de, der von Jesper Juul gegründeten Organisation zur Elternunterstützung, die in Deutschland, Schweiz, Österreich und 16 weiteren Ländern in Europa und Übersee tätig ist. Als Ausbilder und Coach berät er Familien, Schulen und Unternehmen. Der Vater zweier erwachsener Kinder ist Autor und Herausgeber mehrerer erfolgreicher Bücher zu den Themen Familie & Erziehung.

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Leseprobe

Kapitel 1

Erziehung braucht Vertrauen, aber Vertrauen braucht keine Erziehung


»Das Wort Erziehung sollte man ausstreichen, das Wort Vorbild sollte man dafür hinsetzen.« Peter Rosegger, 18801

Auch Eltern, die bereit sind, in ihrer Familie die Führung zu übernehmen, fallen mitunter in alte Muster der Gehorsamskultur oder in überholtes autoritäres Gehabe zurück. Bevor wir uns im Folgenden Beispiele konkreter Familiensituationen anschauen, sei diese grundlegende Frage vorangestellt: Warum ist autoritäre Erziehung nicht gut für Kinder? Die Antwort ist eindeutig: Kinder, junge Menschen verlieren den Glauben an sich selbst, werden geschwächt durch verbale, psychische Unterdrückung. Gehorsam verletzt kleine wie große Menschen. Dabei wird auch der in uns grundgelegte Wille zur Kooperation beschädigt. Die wichtige Frage ist also, wie wir als Eltern gute Führung schaffen können. Dies ist auch Thema im folgenden Beratungsgespräch.

Julia, Mutter von Elias (3) und Arno (fast 6), kommt beim ersten Mal mit ihren beiden Kindern, aber ohne ihren Mann Oliver zur Beratung.

Julia: Schon auf dem Weg hierher, die Fahrt dauert nur 30 Minuten, musste ich zweimal anhalten, weil so ein Lärm, Geschrei und Durcheinander im Auto waren. Ich hätte fast einen Unfall gebaut. Mir kommt es vor, als ob ein Filter in den Kindern ist, der alles, was ich sage, rausfiltert. Hier sitzen jetzt beide ganz ruhig auf dem Stuhl, das ist unüblich, normalerweise tanzen sie herum und stellen die Bude auf den Kopf. Ich bin anders erzogen worden, mit ganz anderen Maßnahmen, diese Maßnahmen möchte ich bei meinen Kindern nicht wiederholen. Aber manchmal weiß ich mir einfach nicht anders zu helfen.

Mathias: Mit Maßnahmen meinen Sie strafen und auch schlagen?.

Julia: Ja … ich möchte aber lieber ein gutes Miteinander haben, natürlich auch mit allen Höhen und Tiefen.

Mathias: Ich sehe Ihre beiden Jungen hier ruhig sitzen und zuhören. Das zeigt mir, dass Sie das, was Sie gern von ihnen wollen, nämlich dass sie Ruhe geben, auch haben könnten. Jetzt wäre die Frage, warum Sie es nicht bekommen? Gibt es einen Vater?

Julia: Ja, aber mein Mann ist von montags bis freitags auf Reisen im In- und Ausland. Im Grunde bin ich alleinerziehend. Bis auf die Wochenenden, da ist Oliver, obwohl müde von der Arbeitswoche, viel mit den Kindern zusammen.

Mathias: Wir haben diesen Termin sehr kurzfristig vereinbart, deshalb konnte Ihr Mann heute nicht mitkommen. Es wäre aber wichtig, dass er das nächste Mal dabei ist. Wir können uns auch an einem Samstag treffen. – Aber jetzt gern zurück zu dem, was Sie beschrieben haben: Sie sagen, wenn ich es richtig verstehe, Ihre Jungen wachsen Ihnen über den Kopf, Sie haben z. B. beim Autofahren nicht die Ruhe, die Sie brauchen. Und ich habe verstanden, dass Sie von Ihren Söhnen gern ein Entgegenkommen hätten, wenn Sie wünschen, dass sie beispielsweise leiser sein sollen, und zwar ohne lange Verhandlungen.

Julia: Genau! Komischerweise funktioniert das bei meinem Pferd Lucky ohne Probleme, den schau ich nur einmal schief an, dann weiß der genau, was Sache ist. Bei Lucky funktioniert das, warum bei meinen Kindern nicht?

Mathias: Das ist die spannende Frage, die kann ich Ihnen hier und jetzt auf der Stelle nicht umfassend beantworten. Ich weiß nur, dass man Kinder nicht mit Druck verwandeln kann. Was wir aber schon beide wissen: Sie können sich so ausdrücken, dass Ihr Pferd mitmacht. Ich bin absolut sicher, dass Sie im Umgang mit Ihren Kindern etwas tun, was diese aufgedrehten Reaktionen Ihrer Kinder mit hervorbringt. Und darum geht es, wir müssen etwas anderes in den Wald hineinrufen als bisher, wenn etwas anderes – als Echo sozusagen – herauskommen soll. Ihr Pferd reagiert auf gute Autorität, auf einen Menschen, der es nicht bedroht, der eine Klarheit in der Ansprache, in der Körperhaltung hat, dem es sich anvertraut, dem es Führung über sich erlaubt.

Julia: Wenn ich Lucky sattle, lege ich den Führstrick einfach auf dem Boden ab, er bewegt sich dann trotzdem nicht von der Stelle, sondern bleibt stehen. Mein Mann sagt immer: »Wahnsinn, wie der dir folgt.« Wenn ein Hund käme oder ein Traktor vorbeifahren würde, wäre es natürlich sicherer, das Pferd anzuleinen.

Mathias: Was glauben Sie, warum Ihr Pferd Ihnen folgt?

Julia: Weil ich in dem Moment, wenn ich auf der Koppel bin, der Herdenführer bin. Bin ich nicht da, ist ein anderer Chef.

Mathias: Das haben Sie Ihren Kindern noch nicht klargemacht. Das weiß ich deshalb, weil die Situation, die Sie im Auto beschreiben, zeigt, dass Sie all das, was Sie mit dem Pferd tun, mit Ihren Kindern nur teilweise oder noch nicht getan haben, sonst würden sich die Kinder anders verhalten. Die gute Nachricht ist: Sie können mit dem Pferd die nötige Führung übernehmen, das schaffen Sie auch mit den Kindern. Und das wird es Ihren Kindern auch leichter machen, weil sie eine Mutter erleben, die nicht grenzenlos ist, sondern sagt: »Halt, hier ist meine Grenze, bitte Ruhe.« Es gibt keinen Grund, warum Kinder das nicht respektieren sollten, nur den: Wir Eltern haben noch nicht unmissverständlich klargemacht, was wir wollen. Da gibt es dann auch nichts zu verhandeln, es muss allen klar sein: Das ist es, was Sie wollen.

Julia: Aber ich habe es nun ja bei Arno schon fast sechs und bei Elias drei Jahre lang anders gemacht. Da werde ich sicher nicht sofort Ruhe bekommen.

Mathias: Es hilft, sich mit den Kindern hinzusetzen und zu sagen: Lieber Arno, lieber Elias, ich habe Fehler gemacht, die dazu geführt haben, dass ihr wie zwei ungestüme Fohlen herumhüpft und ein großes Tohuwabohu veranstaltet. Ich habe zu spät Halt gesagt, das ändere ich jetzt. Ich bitte euch zum Beispiel, bei der Autofahrt ruhig zu sein und auch, wenn ihr im Wohnzimmer und der Küche seid. Draußen und in eurem Zimmer könnt ihr toben.

Die beiden Jungs setzen sich bei diesen Worten auf und schauen zuerst mich an, dann die Mutter.

Mathias (an die Jungen gewandt): Was haltet ihr beiden davon?

Arno (fast 6): Wenn ich toben will, kann ich in den Garten gehen.

Elias (3): Mir ist es oft zu laut.

Mathias (an Julia gewandt): Haben Sie gehört, dass Sie das, was Sie wollen, nicht bekommen können?

Julia: Nein, aber glauben Sie wirklich, dass es jetzt sofort anders werden wird?

Mathias: Dies hier ist ein Anfang. Wenn Sie drei, zusammen mit dem Vater, dranbleiben, gibt es keinen Grund, warum Sie bestimmte Situationen nicht in Ruhe miteinander gestalten können. Sie wollen die Jungen ja auch nicht »abschalten«, Sie freuen sich ja über ihre Lebendigkeit. Was Sie wollen, sind Ruhezeiten, in denen Sie zu dritt (oder zu viert) ungestört miteinander zusammen sein können, um zum Beispiel mit dem Auto von A nach B zu fahren. Kinder fühlen sich wohl, wenn sie klare Ansagen bekommen und wissen, woran sie sind. Kinder sind keine kleinen Monster, die nicht zu bändigen sind. Sie brauchen unsere Steuerung, bis sie in der Lage sind, sich selbst zu steuern. Ich habe noch keine Familie getroffen, die es nicht geschafft hat, wenn sie es wirklich gewollt hat, Zeiten für Ruhe in der Familie zu schaffen. Es braucht nur unsere Beharrlichkeit, das macht den größten Eindruck auf unsere Kinder, darauf reagieren sie – immer.

Julia: Es geht ja oft auch schon – im Kindergarten beispielweise können sie wunderbar ruhig arbeiten, und wenn ich mit den Kindern auf der großen Pferdekoppel bin, läuft es auch gut, da machen sie mit.

Mathias: Ich bin sicher, wenn Sie mit den Jungen auf der Pferdekoppel sind, verwenden Sie klare Worte und haben eine eindeutige Körpersprache, denn Sie wollen Ihr Pferd steuern. Auf diese Klarheit reagieren auch Ihre Kinder. Wenn wir Eltern nicht klar sagen, was wir wollen, und freundlich dafür sorgen, dass es geschieht, machen Kinder, was sie wollen. Kinder sind keine Pferde, sie sollen nicht »funktionieren«, doch sie sollen mitmachen können, diese Kooperationsfähigkeit ist in jedem Mensch von Geburt an grundgelegt. Und es kann ja nicht sein, dass Eltern ihr eigenes Leben für gut 15 Jahre an den Nagel hängen, nur weil sie Kinder haben.

Bei der zweiten Beratung, zusammen mit ihrem Mann Oliver, berichtet Julia davon, wie erstaunt sie ist, wie sich ihre Kinder verändert haben. – »Nein, Mama, du hast dich verändert«, sagt der ältere Sohn Arno...

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