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Kindliche Hörstörungen in der Logopädie

Grundlagen, Frühintervention, logopädische Diagnostik und Therapie

VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2017
ReiheForum Logopädie 
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783132018617
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Dank des Neugeborenenhörscreenings werden immer mehr Kinder mit einer Hörstörung früh identifiziert. Schon für Kleinkinder gibt es Screenings und standardisierte Testverfahren, die die Hör- und Sprachleistung messbar und damit auch therapierbar machen. Dieser Forum Logopädie-Band gibt den Überblick über Diagnostik- und Therapieverfahren bei peripheren Hörstörungen und erklärt mögliche Versorgungsformen. - Grundlagen des Hörens und der Sprachentwicklung - Altersgruppenspezifische Screening- und Testverfahren für die logopädische Praxis - Audiologische Diagnostik - Therapieplanung und Therapiebausteine - Frühförderung und sprachtherapeutische Interventionen - Apparative Versorgung mit konventionellen Hörsystemen oder CI - Viele Fallbeispiele Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Leseprobe

2 Diagnostik und Versorgung kindlicher Hörstörungen


2.1 Pädaudiologische Diagnostik


Um zu einer audiologischen Diagnose zu kommen, bedarf es immer der Zusammenschau aller für das jeweilige Lebens- bzw. Entwicklungsalter durchführbaren Untersuchungen. Ziel ist stets die möglichst frühzeitige seitengetrennte Beurteilung beider Ohren. Dazu bedarf es speziell im Säuglings- und Kleinkindalter subjektiver und objektiver Messmethoden. Ein Tonaudiogramm oder eine Click-BERA (Brainstem Evoked Response Audiometry) allein ergeben keine ausreichende Diagnose, aufgrund derer man eine genaue Aussage zum Hörvermögen eines Kindes machen kann. Ein Tonaudiogramm reicht z.B. nicht immer aus, um festzustellen, ob eine Schallleitungs- oder eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit vorliegt. Impedanzaudiometrische Ergebnisse können immer nur aussagekräftig interpretiert werden, wenn auch otoskopische und tonaudiometrische Befunde (Luft- und Knochenleitungsmessung) vorliegen.

Im folgenden Kapitel werden die verschiedenen Untersuchungsmethoden subjektiver und objektiver Verfahren erläutert.

2.1.1 Subjektive Testverfahren


Die verlässliche Bestimmung der Hörschwelle eines Kindes ist nicht nur die Voraussetzung für eine frühe Diagnosestellung, sie dient auch als Basis für die Anpassung und Überprüfung der Hörsysteme und ist somit Ausgangspunkt der Hör-/Sprachfrühförderung. Innerhalb der ersten 6 Lebensmonate stehen objektive Verfahren in der Hörschwellenbestimmung im Vordergrund. In dieser Zeit dienen die subjektiven Verfahren hauptsächlich der Plausibilitätskontrolle. Bereits ab dem 6. Lebensmonat können jedoch auch die subjektiven Hörtestverfahren zur Bestimmung der Hörschwelle eingesetzt werden ▶ [364].

In der Diagnostik kindlicher Hörschädigungen sollten stets subjektive und objektive Hörtests eingesetzt werden. Beim Einsatz nur eines Verfahrens ist die Gefahr der Fehldiagnose groß.

Im folgenden Kapitel sollen, orientiert am Entwicklungsalter (EA) des Kindes, die jeweils infrage kommenden subjektiven Hörtestverfahren mit ihren Grenzen und Möglichkeiten dargestellt werden. Grundsätzlich gilt: Die Auswahl der Testmethode orientiert sich stets am Entwicklungsalter (EA) und nicht am Lebensalter (LA) des Kindes. Um dies einschätzen und die Hörreaktionen sicher von anderen, eher zufälligen Reaktionen unterscheiden zu können, bedarf es einer großen Erfahrung und Expertise.

2.1.1.1 Reflex- und Reaktionsaudiometrie (Entwicklungsalter 0–6 Monate)

Neugeborene und Säuglinge reagieren ab ca. 70–90 dB. Diese Reaktionsschwelle verändert sich mit zunehmendem Alter. Ein Kind mit 4 Monaten beispielsweise hat eine Reaktionsschwelle von 50–60 dB ▶ [242]. Das bedeutet, dass der Untersucher eine genaue Kenntnis über die altersabhängigen Wahrnehmungs- oder Reaktionsschwellen von Neugeborenen und Säuglingen benötigt ( ▶ Abb. 2.1).

Altersabhängige Reaktionsschwellen.

Abb. 2.1 

(Klinik für Kommunikationsstörungen)

Bei der Reflex- und Reaktionsaudiometrie befindet sich das Kind auf dem Schoß der Bezugsperson (Mutter oder Vater). Der Untersucher gibt mittels eines Audiometers Testsignale (Wobbeltöne, Schmalbandrauschen, Kinderlieder) bei unterschiedlichen Lautstärkepegeln und in unterschiedlichen Frequenzbereichen. Nun wird das Kind beobachtet. In den ersten 3 Lebensmonaten zeigen Neugeborene und Säuglinge häufig Reflexe als Antwort auf einen akustischen Reiz. Dazu gehören der Auropalpebral-Reflex, der Moro-Reflex sowie der Startl-Reflex. Vertiefte Inspiration oder mimische Reaktionen können ebenfalls eine Antwort auf den akustischen Stimulus sein, genauso wie Aufreißen der Augen, Unterbrechen des Nuckelns, Innehalten der Atmung und Augenbewegungen. Intraindividuell zeigt ein Kind immer das gleiche Antwortschema. Interindividuell kann es jedoch sehr unterschiedlich sein. Die Kunst der sicheren Audiometrie mittels subjektiver Beobachtung besteht darin, zufällige oder beiläufige Reaktionen von echten Hörreaktionen zu unterscheiden. Entscheidend bei diesen Testverfahren sind auch die Dauer der Stimulusgabe sowie die Dauer der Stimuluspausen. Am Anfang der Testung muss man sich in das Kind „einsehen“. Das bedeutet, man beobachtet das Bewegungsmuster des Kindes zunächst ohne Stimulus, um dann, wenn der akustische Reiz gegeben wird, entscheiden zu können, ob das neue Bewegungsmuster eine Reaktionsantwort sein kann.

2.1.1.2 Verhaltens- oder Ablenkaudiometrie (Entwicklungsalter 7–36 Monate)

Die VRA (Visual Reinforcement Audiometry) bestimmt die Hörschwelle über konditionierte Verhaltensantworten mittels dem Lebensalter angepassten visuellen Belohnungssystemen. Man spricht auch von der „visuell konditionierten Ablenkaudiometrie“. Bei dieser Art der Audiometrie bekommt das Kind einen akustischen Reiz angeboten. Sobald es eine Reaktion darauf zeigt, bekommt es als Verstärkung (Belohnung) einen visuellen Reiz angeboten. Dieser visuelle Reiz kann aus einem Video oder einer dreidimensional bewegten Figur bestehen. Auch hier gilt, dass man sich zunächst in das Bewegungsmuster des Kindes „einsehen“ muss, um dann die Reaktion auf den akustischen Reiz erkennen zu können. Zeigt das Kind eine Antwort auf den Reiz, muss die visuelle Belohnung schnell gegeben werden, da man sonst das Kind wieder dekonditioniert ▶ [84], ▶ [122], ▶ [287].

2.1.1.3 Spielaudiometrie (Entwicklungsalter ab ca. 36 Monaten)

Sobald ein Kind in der Lage ist aktiv mitzuarbeiten, kann man eine Spielaudiometrie durchführen. Hierbei wird das Kind darauf konditioniert mit einer bestimmten Spielhandlung auf den akustischen Reiz zu reagieren. Als Spielmaterial eignen sich besonders einfache Materialien bzw. Spiele, welche nicht zu stark die Aufmerksamkeit des Kindes binden, sodass es sich genügend auf die Hörsituation konzentrieren kann. Am häufigsten werden Holzsteckbretter mit Klötzchen, Ringen oder Bausteinen verwendet. Das Kind wird darauf konditioniert nach einem gehörten Ton ein Klötzchen in das Brett zu stecken. Bei dieser Spielhandlung muss es sorgfältig beobachtet werden. Nur so kann der Untersucher entscheiden, wie zuverlässig die Antworten sind. Es gelten ansonsten die gleichen Bedingungen wie bei den vorherigen Verfahren.

Alle diese Testmethoden können sowohl im Freien Schallfeld (FF), als auch über Luftleitungs- und Knochenleitungshörer durchgeführt werden. Beim Luftleitungshörer empfiehlt es sich sogenannte Einsteckhörer zu verwenden. Diese haben den Vorteil, dass sie dem kleineren Gehörgansvolumen des Kindes Rechnung tragen und dass im Falle einer Seitendifferenz ein Überhören erst ab einem Lautstärkepegel von ca. 60–70 dB stattfindet. Somit erhält man frühestmöglich seitendifferente Angaben zur Hörschwelle.

Ein modernes Verfahren der Spielaudiometrie stellt der MAGIC-Test dar (MAGIC: Multiple-choice Auditory Graphical Interactive Check). Dieser Test ist eine bildgestützte Tonschwellenaudiometrie. Für die verschiedenen Frequenzen stehen verschiedene Tiersymbole zur Verfügung (Maus, Katze, Bär, Elefant, Vogel, Delphin, Kuh etc.). Das Kind wählt über ein Touchscreen ein Tier aus und das interaktive Spiel beginnt. Jedes angewählte Tier löst einen Ton aus. Wird der Ton über den Kopfhörer gehört, bestätigt das Kind dies mit der Auswahl eines Tieres, das lacht. Wird der Ton nicht gehört, wählt das Kind das Tiersymbol mit einem traurigen Gesicht. Jedes ausgewählte Tier wird nach der Durchführung nicht mehr angezeigt. So spielt das Kind alle verfügbaren Symbole auf dem Touchscreen durch, bis der Algorithmus des Gerätes die Hörschwelle dieser Frequenz für beide Ohren errechnet hat. Dem Kind werden nun erneut die restlichen Tiere zur Auswahl angeboten. Sind alle verfügbaren Frequenzen durchgespielt, bekommt der Untersucher im Display des Audiometers das Audiogramm des Kindes angezeigt. Ein Plausibilitätstest stellt vor der eigentlichen Messung sicher, dass die Angaben des Kindes korrekt sind und das Kind nicht etwa im Eigenrhythmus angibt. Wichtig ist bei diesem Verfahren, dass der Untersucher das Kind beobachtet, ähnlich wie bei der konventionellen Audiometrie. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Angaben des Kindes zuverlässig reproduzierbar sind. Die bildgestützte Audiometrie kann ab einem EA von ca. 4 Jahren eingesetzt werden ▶ [138], ▶ [140].

2.1.1.4 Sprachaudiometrie

Während man mittels der Tonaudiometrie eine Aussage über die Wahrnehmung reiner Töne bekommt, ergibt sich durch die Sprachaudiometrie eine Aussage über die Diskrimination von Sprache. Das Tonaudiogramm kann beispielsweise bei konstantem Hörverlust und guter Einstellung der Hörsysteme gleich bleiben. Das Sprachaudiogramm kann sich jedoch verändern und so Fortschritte in der Hör- und Sprachentwicklung aufzeigen.

Sobald es das Entwicklungsalter des schwerhörigen Kindes zulässt, sollte zur Überprüfung der Hörsystemanpassung auch das Verfahren der Sprachaudiometrie eingesetzt werden. Im deutschsprachigen Raum stehen verschiedene standardisierte...

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