Kolumbus und die Konquistadoren
Unterjochung und Widerstand
Kolumbus landete auf der größten Antilleninsel am 27. Oktober 1492. Der Admiral nahm an, er betrete Cipangu (Japan), und nannte den Ort der Landung San Salvador. Die Europäer setzten sich zunächst jedoch auf der Insel Bohio oder Quisqueya (heute Haiti/Dominikanische Republik) fest, die sie La Hispaniola nannten. Die Nachbarinsel Kuba blieb bis etwa 1510 – aus der Sicht der Spanier – ein Territorium der Schiffbrüchigen. Auch Sklavenjäger suchten Kuba heim. Die Kastilier raubten, handelten und suchten weiter nach dem großen Indien. Zusätzlich wurde Waschgoldabbau mit indianischen Arbeitskräften betrieben. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde das Scheitern des Handelsstützpunktes auf La Hispaniola deutlich. Unterschiedliche Interessen strebten eine Erweiterung des Macht- und Siedlungsgebietes in der Karibik an. Als 1509 Diego Colón, der Sohn von Kolumbus, das Amt des Vizekönigs übernahm, ließ er die anderen von seinem Vater entdeckten Gebiete erkunden. Es entsprach auch dem königlichen Interesse, die «Geheimnisse» Kubas, worunter König Ferdinand von Aragón vor allem Gold verstand, zu entschleiern. Diego Velázquez de Cuellar übernahm die Leitung der Expedition.
Die Pacificación (Befriedung) Kubas begann 1510. Mit diesem euphemistischen Ausdruck umschrieben zeitgenössische Quellen die Conquista der Insel. Die Spanier brachen mit gezieltem Terror den Widerstand der Taíno, der unter der Führung eines Kaziken aus Haiti, Hatuey, organisiert worden war, und legten im äußersten Osten der Insel die Siedlung Nuestra Señora de la Asunción de Baracoa an. Damit verfügten sie über einen Brückenkopf. Die weitere Conquista Kubas gestaltete sich bis auf wenige Zwischenfälle relativ friedlich, das heißt, es waren kaum Getötete im Kampf auf spanischer Seite zu beklagen. Mit Hilfe zuvor unterworfener Indios, die als Träger fungierten, marschierten die Spanier nach Westen. Pánfilo de Narváez und Francisco de Morales wurden in Gebiete mit dichter Indiobevölkerung (Bayamo und Maniabón) gesandt, wo sie zunächst friedlich aufgenommen wurden. Bald aber setzte das normale Verhalten der frühen Eroberungszüge gegenüber der Indiobevölkerung ein. Die Spanier zwangen die Indios zu Arbeitsdiensten, sie glaubten die Frauen vogelfrei und sich selbst im «Paradies Mohammeds». Die Gegenwehr der Indios wurde mit brutaler Härte unterjocht. Auf den großen Antillen entstand das Verb aperrear – Menschen von Hunden zerreißen lassen. Mit Gewalt erzwangen die Eroberer auch Arbeits- und andere Leistungen, an die die Indios nicht gewöhnt waren. Diese Formen der Zwangsarbeit wurden als Repartimiento, später Encomienda, institutionalisiert. Die Gemeinschaften der Taíno und Subtaíno zerfielen. Viele flüchteten in unzugängliche Regionen. Am meisten aber hat wohl die ungesteuerte Inkulturation europäischer Tiere und Krankheitserreger zur Zerstörung der Lebenswelt der Indios beigetragen. Von Juan Pérez de la Riva stammt das ironische Wort, die Taíno seien nicht so sehr von Menschen, sondern eher von den wildlaufenden Schweinen der Spanier vernichtet worden. Was von den Anbauprodukten der indianischen Siedlungszentren nicht von den Spaniern verbraucht wurde, fraß das europäische Vieh. Dazu kamen Krankheiten, gegen die die Einwohner der bis dahin biologisch isolierten Insel nicht immun waren. Hungersnöte und massenhaftes Sterben waren die Folge. Andererseits mußten auch die Spanier Immunität gegen Krankheiten erwerben. Auch sie hatten sich an die ungewohnten Lebensumstände und Nahrungsmittel zu gewöhnen. Dies erklärt, warum die Europäer erst im Jahre 1519 die Conquista der Großreiche auf dem amerikanischen Festland beginnen konnten. Ohne das indianische Nahrungsmittel Casabe hätte keiner der Eroberer überlebt.
In der Conquista Kubas zeigt sich das Bestreben, Siedlungen in Gegenden zu gründen, in denen man größere Goldvorkommen vermutete, wo schon indianische Siedlungen existierten und mit einer dichten und seßhaften Bevölkerung gerechnet werden konnte. Das war vor allem in den Gebieten der Taíno-Kulturen der Fall. Deshalb ist es möglich, daß das Wort Cuba zunächst nur den entwickelteren äußersten Osten der Insel bezeichnete; der Westteil war in dieser Frühzeit wenig besiedeltes Ciboney-Territorium. Auch natürliche Häfen, Flüsse und Seen oder militärische Gesichtspunkte gaben den Ausschlag für die Anlage von Siedlungen. Ehe die Spanier an weitere Eroberungen denken konnten, mußten sie erst einmal lernen zu überleben. Sie befanden sich in ungewohnter Umgebung, weit von ihrer Heimat entfernt und ohne kontinuierliche Verbindung nach Spanien. Die Zerstörung der indianischen Kulturen wirkte sich auch auf sie negativ aus. Desintegration der indianischen Gemeinschaften, schwindende Ernährungsbasis, Krieg und Vertreibung sowie Zerstörung der Ökologie führten zu einer demographischen Katastrophe und schließlich zum Zusammenbruch. Das betraf vor allem die karibische Landwirtschaft, genauer die Pflege und Kontrolle des genialen Hügelbeet-Feldbaus der Taíno. Der Fleischlieferant der Seefahrer, die Meeresschildkröte, war relativ schnell dezimiert worden. Bestimmte Nutztiere, wie Rinder, Schafe, Pferde, Schweine, Ziegen, aber auch eingeführte Wildtierarten oder Ratten, vermehrten sich derart rasant, daß sie den intensiven Gartenbau zerstörten. Die europäischen Tiere wurden zur freilaufenden Ernährungsreserve für die Spanier. Besonders wichtig war das Schwein. Die christlich-europäische Kultur des Conquista-Kolonisationsprozesses ruhte auf diesem Tier. Nach einigen Jahren entwickelten sich neue mestizisierte Kulturen, die zunächst die Subsistenzbasis der Spanier auf Kuba darstellten. Das Besondere dieser Kulturen bestand darin, daß die Spanier Elemente des karibischen Feldbaus übernehmen mußten und ihrerseits mit europäischem Großvieh Ergebnisse der neolithischen Revolution in die Karibik brachten. Die neue Landwirtschaft kombinierte den Anbau von Yuca und Boniato auf Hügelfeldern, wie ihn die Taíno praktiziert hatten, mit der Großtierhaltung vor allem von Schweinen, bald auch von Rindern, Pferden und Maultieren sowie mit der Haltung von Ziegen, Schafen, Hunden und Geflügel. Der Begriff «Tierhaltung» ist jedoch irreführend. Viehwirtschaft bedeutete über lange Zeit ausschließlich Jagd von Vieh, das in bestimmten Gegenden frei lief (sog. Cimarrón-Vieh). Bei den großen Besitzern gab es Brandzeichen und einen oder zwei Hütesklaven, ansonsten schweiften die Tiere ungebunden umher. Aber immerhin hatte die Ausbeutung dieser biologischen Ressource so viel Erfolg, daß die Sklavenfangzüge in das Gebiet des heutigen Venezuela und die großen Expeditionen nach Mexiko, Mittelamerika und Florida, zum Teil auch noch die nach Südamerika, mit kubanischen Pferden, Vieh, Casabebrot, Mais, Salzfisch, Leder, Fleisch und Schinken ausgerüstet werden konnten. Der Südosten Kubas versorgte zeitweilig auch die Regionen der Insel, in denen man Gold vermutete oder fand. Weizen, Wein und Oliven gediehen auf Kuba nur schwer, zudem wurde ihr Anbau von der Krone untersagt.
Für einige Jahre wurden der Osten Kubas und seine Südküste, das heißt Taíno-Kuba, zum ökonomischen Zentrum des spanischen Indien. Las Indias bezeichnete zu dieser Zeit neben Kuba und La Hispaniola vor allem Puerto Rico, Jamaika, Margarita und den Golf von Darién. Mit Velázquez waren etwa 300 Spanier und eine unbestimmbare Anzahl von indianischen Sklaven sowie möglicherweise einige schwarze Sklaven nach Kuba übergesetzt. Aus Jamaika kam eine Gruppe von 30 Spaniern unter Pánfilo de Narváez mit Indiosklaven (Naborías). Vom Golf von Darién an der Grenze zwischen dem heutigen Panama und Kolumbien, dem damaligen Gold-Kastilien, erschienen nach dem Zeugnis von Las Casas «viele Caballeros». Auch von La Hispaniola zogen Siedler den Velázquez-Leuten nach, und aus Kastilien trafen Menschen ein. Der Widerstand der Indios konnte, solange Kuba im Zentrum spanischer Aufmerksamkeit stand, zurückgedrängt werden. Diese nahmen jedoch – besonders nachdem die Mehrzahl der ersten Siedler seit 1520 von Kuba nach Neu-Spanien (Mexiko) abgezogen war oder sich den großen Expeditionen wie der des Gouverneurs Hernando de Soto 1539 nach Florida angeschlossen hatte – die Eroberung keineswegs friedlich hin. Die Beschreibung der 26 indianischen Provinzen durch Las Casas läßt vermuten, daß dort viele Indios auch nach der Conquista nicht unter spanischer Kontrolle lebten.
Die kurze Blüte eines «goldreichen» Kuba wurde schon in der Aufstiegsphase vom Ruhm und Ruf neuer Gebiete überschattet. Das Jahr 1519 bildete einen Höhepunkt in der Goldausbeute. Kuba erlebte eine kurze Prosperität durch Gold, beginnende Zuckerproduktion, Holz, Leder und florierenden Tauschhandel. Noch in diese Zeit fiel jedoch, auch zusammenhängend mit dem Tod Ferdinands von Aragón (1516) und dem Thronwechsel in Spanien (1517), der Anfang vom Ende der zentralen Bedeutung Kubas als Brückenkopf für die Eroberung des kontinentalen...