1. Das Klimaproblem und die Klimapolitik
Welche Risiken birgt der Klimawandel?
Die Ozeane, die Atmosphäre, die Böden und die Wälder sind Lagerstätten für Treibhausgase – man nennt sie auch globale Senken. Treibhausgase, die in die Atmosphäre abgelagert werden, haben dort eine Verweildauer von Tausenden von Jahren. Daher füllen sich diese Lagerstätten von Jahr zu Jahr, weil der Bestand der Treibhausgase zunimmt. Je höher dieser Lagerbestand ist, desto höher ist auch die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Vor der Industriellen Revolution lag die Treibhausgaskonzentration noch bei etwa 280 ppm. Die Abkürzung «ppm» steht für «parts per million», also die Anzahl an Treibhausgasmolekülen in einer Million Moleküle in der Atmosphäre. Diese Konzentration ist durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe, Entwaldung, Landnutzung und industrielle Prozesse stetig gestiegen, derzeit beträgt sie etwa 400 ppm.
Die erhöhte Konzentration der Treibhausgase verändert den Strahlungshaushalt der Erde. Das von der Erde reflektierte Sonnenlicht verbleibt verstärkt in Form von Wärme in der Atmosphäre, so dass sich die globale Mitteltemperatur erhöht. Auch lokale klimatische Bedingungen sind von diesem Anstieg betroffen, ebenso der Wärmetransport über die Zirkulation von Luft und Wasser.
Der Anstieg der globalen Mitteltemperatur birgt beträchtliche Risiken für die Lebensbedingungen auf der Erde. Da die zukünftigen Folgen des Klimawandels nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden können, hat der Weltklimarat die Klimafolgen in Risikoklassen eingeteilt, genannt «reasons for concern». Abbildung 1 zeigt die mit dem Anstieg der globalen Mitteltemperatur verbundenen Risiken. In die erste Klasse fallen Risiken etwa für Korallenriffe und die Ökosysteme der Arktis, die bereits bei einem Temperaturanstieg von 1,5°C bedroht sind. Die Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen und tropischen Stürmen wird in einer zweiten Risikoklasse analysiert. Die Verteilung der Risiken über Regionen und Einkommensklassen werden in der dritten, die ökonomischen Schäden für die Weltwirtschaft in der vierten Klasse zusammengefasst. Großskalige singuläre Ereignisse für den gesamten Planeten sind etwa der Verlust der polaren Eisschilde. Ihre Wahrscheinlichkeit mag vielleicht gering sein, kann aber mit irreversiblen und drastischen Auswirkungen einhergehen. Es ist bislang unklar, bei welchem Temperaturanstieg mit großskaligen, abrupten und irreversiblen Änderungen im Erdsystem zu rechnen ist. Aber bereits ein Temperaturanstieg von 1,5 °C könnte zum praktisch vollständigen Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes führen. Die Freisetzung von Methan, das im Permafrost gebunden ist, würde den Klimawandel womöglich weiter beschleunigen. Korallenriffe in warmen Regionen und das arktische Ökosystem zeigen bereits deutliche Beeinträchtigungen und könnten bereits bei einem Anstieg von 1,5 °C vollständig verschwinden. Der 1,5 °C-Bericht des IPCC hat deutlich gemacht, dass angesichts dieser Klimafolgen eine Begrenzung des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur dringend geboten wäre.
Die Risikoeinschätzungen in Abbildung 1 beruhen auf Expertenmeinungen. Sie gründen sowohl auf der Kenntnis der bio-physikalischen Folgen des Klimawandels als auch auf der subjektiven Einschätzung der damit einhergehenden Gefahren und Schäden. Diese Übersetzung von biophysikalischen Wirkungen in Schäden ist unvermeidbar, wenn die Klimafolgen für politische Entscheidungssituationen aufbereitet werden sollen. Entscheidungsträger können sich nur dann mit der Abwehr von Gefahren beschäftigen, wenn diese als solche beschrieben und grundsätzlich vermieden werden können.
So illustriert Abbildung 1, welche Risiken der bereits beobachtete Temperaturanstieg von ca. 1°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau mit sich bringen könnte: Veränderte Niederschläge schmälern in vielen Regionen die landwirtschaftlichen Erträge. Die zunehmende Erwärmung und Versauerung der Ozeane beeinträchtigt Meeresorganismen und bedroht damit die Lebensgrundlage vieler Menschen (z.B. die Fischerei). Die Störung des Wasserkreislaufes vermindert die Qualität und Quantität der verfügbaren Wasserressourcen.
Abb. 1: Anstieg der globalen Mitteltemperatur und die damit verbundenen Risiken. Quelle: IPCC (2014a)
Findet die globale Gemeinschaft keinen Weg in eine weltweite, gemeinsame Klimapolitik, ist ein Anstieg der globalen Mitteltemperatur bis 2100 um 3,5°C bis 5°C wahrscheinlich. Diese Abschätzung beruht auf mehr als 400 computergestützten Szenarien internationaler Forschergruppen, die der Weltklimarat zusammengestellt hat. Diese Szenarien gehen davon aus, dass es zu keiner ausreichend ambitionierten Klimapolitik kommt. Sie treffen zugleich unterschiedliche Annahmen über Bevölkerungs-, Wirtschafts- und Technologieentwicklungen, die es erlauben, eine Zukunft ohne Klimapolitik auszuloten.
Mit welchen Gefahren ist in einer Welt zu rechnen, in der die globale Mitteltemperatur 4°C oder mehr über dem vorindustriellen Niveau liegen wird? Die Zerstörung von Ökosystemen, Artensterben, ein Einbruch der weltweiten Nahrungsmittelproduktion sowie sinkende Arbeitsproduktivität aufgrund hoher Temperaturen und zunehmender Luftfeuchtigkeit in tropischen Ländern werden wahrscheinlicher. Der Klimawandel dürfte auch unmittelbare Folgen für den Menschen haben. So zeigt eine aktuelle Untersuchung, dass der medizinisch-technische Fortschritt durch den Klimawandel teilweise zunichtegemacht werden könnte. Dieser führt demnach nicht nur zu mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie etwa Herzinfarkten, sondern erschwert den Zugang zu sauberem Wasser, verknappt Nahrungsmittel und fördert die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern, die vor allem Menschen in armen Ländern schädigen werden. Die Begrenzung des Klimawandels wird daher von vielen Experten als die größte Herausforderung für die Gesundheitspolitik im 21. Jahrhundert bezeichnet.
Was ist mit der Vermeidung gefährlichen Klimawandels gemeint?
Welcher Temperaturanstieg für die Menschheit verkraftbar ist, kann nicht allein aufgrund der naturwissenschaftlichen Klimafolgenforschung entschieden werden, denn Menschen und Gesellschaften können sich bis zu einem gewissen Grad an den Klimawandel anpassen. Anpassungsstrategien sind vor allem kurz- und mittelfristig wirksam: Bewässerungssysteme, höhere Deiche, Küstenschutz und eine widerstandsfähigere Infrastruktur sind nur einige Beispiele dafür. Die Wirksamkeit solcher Maßnahmen lässt sich nur schwer voraussagen, da die Folgen des Klimawandels diese Anpassungsleistungen zunichtemachen können. Es ist daher plausibel, dass bei einem ungebremsten Klimawandel in vielen Regionen der Welt zunächst die Kosten der Anpassung steigen und schließlich deren Grenzen erreicht werden.
Für kleine Inselstaaten oder für die Bewohner der Arktis könnte der Handlungsspielraum schnell erschöpft sein. In heißen Regionen könnte die Arbeit auf dem Bau oder in der Landwirtschaft so unerträglich werden, dass die betroffenen Menschen in die gemäßigteren Zonen überzusiedeln versuchen, um dort eine einträglichere Beschäftigung zu finden. Zwar wird immer wieder behauptet, dass sich beispielsweise Bauern an den Klimawandel auch ohne staatliche Intervention anpassen können, indem sie sich gegen Ernteausfälle versichern oder auf resistentes Saatgut setzen. Auch mag es noch relativ einfach sein, einen Meeresspiegelanstieg von 20 oder 30 cm zu verkraften. Steigt dieser aber um mehrere Meter, helfen wohl keine Dämme mehr; dann müssten ganze Städte umgesiedelt werden. Gerade für viele Megastädte, die am Meer liegen, besteht diese Option jedoch nicht. Es ist auch unwahrscheinlich, dass Pflanzen wie Reis, Mais oder Weizen, die für die Welternährung entscheidend sind, noch ausreichende Erträge liefern, wenn die globale Mitteltemperatur um mehr als 4°C steigt. Diese Beispiele zeigen, dass die Grenzen der Anpassung selbst für effiziente Stadtregierungen, findige Bauern und kluge Versicherungsunternehmen schnell erreicht sein können. Es wäre daher fahrlässig, würde die Weltgemeinschaft eine ambitionierte Klimapolitik unterlassen, weil sie glaubte, Anpassung sei einfacher und billiger als Vermeidung. Anpassung wird Vermeidung ergänzen müssen – ein Ersatz kann sie nicht sein.
Da sich die Grenzen konventioneller Anpassungsmaßnahmen nicht eindeutig...