Kommunikation & Medien
Medienwirkung
»Wie steuere und manipuliere ich mein Publikum?« ist keine neue Frage. Sie wurde von den Erfindern des griechischen Theaters über Machiavelli bis Le Bon namhaft beantwortet. Im 20ten Jahrhundert erweiterte sie sich um die Frage »Wie manipuliere ich meine Kunden?« Wer hierzu etwas zu sagen hatte – Bernays, Packard, Cialdini – konnte mit diesem Wissen Bestsellerautor werden. Die Vorschläge der Manipulationsexperten schufen eine Kaste, deren Mitglieder wir heute in Marketingabteilungen und Wahlkampfteams finden. Die dort entworfenen Strategien provozieren eine weitere Frage »Wie wirken meine Maßnahmen?«
Es braucht neben Profis der Manipulation nämlich immer auch solche, die deren Effizienz überprüfen. In Zeiten der Massenmedien entwickelte man deshalb die wissenschaftliche Medienwirkungsforschung. Wenn man die Ansätze dieser Disziplin beobachtet, zeigt sich, wie sehr sich auch das Menschenbild allmählich wandelte.
Die ersten Modelle der Medienwirkungsforschung trauten den Empfängern nicht viel zu.
Shannon-Weavers Kommunikationsmodell von 1948 war eigentlich ein Modell von Ingenieuren zur technischen Informationsübermittlung. Kommunikationswissenschaftler unterschieden kaum zwischen Mensch- und Maschinenkommunikation. Die Kybernetik, die an einer optimalen Maschinenkommunikation arbeitete, erlebte unter dem amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener eine erste Hochzeit. Der freie Wille oder ein Feedback spielte für diese Forscher kaum eine Rolle, egal ob auf der Empfängerseite Menschen oder Maschinen standen.
Die frühe Medienwirkungsforschung stand unter der Idee des »Stimulus-Response«. Ein Impuls, der eine direkte Reaktion zur Folge hat. Kommunikation wird hier wie eine Röhre betrachtet. Am einen Ende wirft der Sender etwas hinein und der Empfänger nimmt es am anderen Ende unverändert entgegen. Diese einfachen Ansichten von Kommunikation wurden durch eine der schönsten Mythen der Medienwissenschaft gefestigt. Im Jahr 1938 machte Orson Wells aus der Erzählung von H.G. Wells »War of the worlds« ein Hörspiel fürs Radio. Die amerikanischen Radiohörer waren nun vermeintlich live Zeuge wie Außerirdische die Erde angriffen. Die Reaktion darauf war eine Massenpanik. Entsetzte Hörer ließen die Drähte der Notrufzentralen heiß laufen, kauften alle verfügbaren Gasmasken New Yorks und versuchten, aus der Großstadt zu entkommen. Warum diese heftige Reaktionen? Zum einen war man als Hörer damals noch nicht so abgeklärt und wohl ziemlich leicht zu beeindrucken. Zum anderen befinden wir uns am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, nur wenige Monate vor dem deutschen Überfall auf Polen und nur drei Jahre vor dem japanischen Angriff auf den US Flottenstützpunkt in Pearl Harbor. Latente Kriegsangst war also durchaus vorhanden. Da war der mentale Schritt von einer deutschen oder japanischen Invasion zu einer der Außerirdischen nicht mehr so weit. Hinzu kommt die jeweilige individuelle Prägung der Hörer. So soll eine Frau, deren Leben ohnehin vom Glauben an die herannahende Apokalypse aus der Johannes-Offenbarung geprägt war, berichtet haben, sie sehe bereits die Flammen der Zerstörung. Von Flammen war im Hörspiel allerdings keine Rede gewesen. Wir sehen wie der menschliche Geist bei jeder Kommunikation das seinige beiträgt und damit die Information wandelt. Allerdings zeigen neuere Untersuchungen, dass die Panik in den USA wohl nur einige wenige besonders leicht beeinflussbare Individuen ergriffen hat. Die Geschichte der Massenpanik ist eben ein wunderbarer Mythos.7 Den sollen vor allem die Zeitungen gestreut haben, um das junge Konkurrenzmedium »Radio« in Verruf zu bringen. Dabei wurden sie wohl tatkräftig von den Medienwirkungsforschern unterstützt – die wiederum konnten über so eine Werbung nur froh sein – belegte die fatale Wirkung des Radios doch, wie wichtig ihre eigene Tätigkeit für Regierungen und Wirtschaft werden konnte. Denn Kommunikation ist mehr als Nachrichtenübermittlung. Sie ist immer auch ein Kampf zwischen Sender und Empfänger um Wirkung und Interpretation ihrer Inhalte. Auch die Empfängerseite entwickelte sich weiter. Spätestens nach der großen Zeit der europäischen Massenpropaganda saugte man nicht mehr jede Botschaft unkritisch auf. Die Zeiten Le Bons waren nicht vorbei. Aber seine rudimentäre Sicht musste verfeinert werden. Die neu erworbenen Kompetenzen des Publikums waren zu berücksichtigen. Die Medienkonsumenten waren kein triebgesteuertes formbares »Gelee menschlichen Materials« (Virginia Woolf) mehr.
1948 entwickelte Harold Lasswell seine Frage: »Wer sagt was zu wem auf welchem Kanal mit welchem Effekt?« Hierbei war vor allem der letzte Teil entscheidend. Die Seite des Empfängers wurde jetzt zu einer Unbekannten. Welchen Effekt hat die Botschaft? Versteht und verwendete der Rezipient Informationen wirklich so, wie vom Sender beabsichtigt? Auf der anderen Seite der Röhre stand für den Sender ein schwer durchschaubarer Empfänger. Im Gegensatz zum technischen Ansatz, der die Perspektive des Senders einnimmt, rückte jetzt der Empfänger ins Zentrum des Interesses. Wollten professionelle Sender – Werbung, Medien, Politik – die Annahmewahrscheinlichkeit ihrer Botschaften erhöhen, mussten sie sich in ihr Publikum hinein versetzen.
In der mit Hilfe des Lasswell-Satzes in die Gänge gekommenen Medienwirkungsforschung entstanden neue Theorien. Die Theorie der »selektiven Wahrnehmung« von Paul Lazarsfeld: Der Empfänger nimmt ohnehin nur jene Informationen zur Kenntnis, die seiner eigenen Einstellung entgegenkommen. Und die Theorie der »kognitiven Dissonanz« von Leon Festinger: Der Empfänger geht zu Allem was ihm unangenehm sein könnte und was seinen Einstellungen widerspricht auf Distanz. Ein Beispiel: Ein überzeugter Raucher liest einen Artikel, in dem vor den Gefahren des Rauchens gewarnt wird. Er überblättert diesen, um sich nicht schlecht fühlen zu müssen. Stattdessen liest er lieber einen Bericht über den Sieg seiner Fußballmannschaft vom Vorabend. Seit einigen Jahren gibt es in der Europäischen Union Hinweise auf Zigarettenschachteln, die vor den tödlichen Gefahren des Rauchens in dicken Buchstaben warnen. Diese Schachteln zeigte man Rauchern und untersuchte dabei ihre Gehirnaktivitäten. Wenn man einen rational denkenden Menschen mit Impotenz, Amputation und Tod bedroht, sollte das bei diesem das Angsthormon Kortisol freisetzen. Das Gehirn der Raucher wurde beim Anblick allerdings vom Lust- und Belohnungshormon Dopamin überflutet. Selektive Rezeption und kognitive Dissonanz sind also keine bewussten Entscheidungen sondern hormonelle oder emotionale Impulse.
Der Konsument ist schwer durchschaubar und nicht leicht beeinflussbar. Zumindest nicht von guten Ratschlägen. Wir sind alle von subjektiven Einflüssen beherrscht. Diese sollte der Sender so gut wie möglich kennen, um die Verpuffung seiner Absichten möglichst gering zu halten.
Man kann den Gedanken des schwer zu beeinflussenden Empfängers noch weiter treiben als Lasswell, Lazarsfeld und Festinger. Benutzen die Medien wirklich den Menschen? Ist es nicht eher umgekehrt, dass nämlich der Mensch die Medien benutzt? Sollte man deshalb nicht eher fragen: Was macht der Mensch mit den Medien? Anfang der 1960er Jahre entwickelte der amerikanische Kommunikationswissenschaftler und Soziologe Elihu Katz den Nutzen- und Belohnungsansatz – Uses and Gratifications Approach. Der Mensch wählt seine Medien, weil er sich etwas Bestimmtes davon verspricht. Also eine Talkshow im Fernsehen, um vom Sofa aus mitzudiskutieren, einen Bericht in der Zeitung, um sich zu informieren oder eine Musiksendung im Radio, um zu entspannen. Damit steht der Mensch immer noch als Empfänger in einer Welt der Massenmedien, aber er wählt jetzt eben bewusst aus einer großen Bandbreite von Angeboten aus. Bereits 1954 hatten C. E. Osgood und Wilbur Schramm die Idee Berthold Brechts in einem Kommunikationsmodell umgesetzt und die Trennung von Sender und Empfänger aufgehoben. In einem dynamischen Kreislauf war jetzt niemand mehr bloßer Empfänger im Kommunikationsprozess sondern eben immer auch Sender.
Der Empfänger hatte eine Stimme bekommen. Die Gründe hierfür liegen in technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Mit zunehmenden Erkenntnissen über Psychologie, Soziologie und kognitive Funktionen bekamen seine Worte Gewicht. Man weiß heute einfach mehr über das Rezeptionsverhalten von Empfängern. Weshalb es umso erstaunlicher ist, dass in so vielen öffentlichen Bereichen und sogar in weiten Feldern des Marketings, Investitionen ohne Berücksichtigung wissenschaftlicher Erkenntnisse gewagt werden.
Zu diesen Erkenntnissen kommt auch ein genereller Wandel der Medienwelt. Nach den frühen Zeiten der Massenmedien – Zeitungen, Radio und Kino – veränderte das Fernsehen das Medienverhalten beträchtlich. Es nahm einen zentralen – altarähnlichen – Platz im Wohnzimmer ein. Das Privatleben richtete sich nach dem Fernsehen aus. Es bestimmte die Themen gesellschaftlicher Kommunikation. Bisher zentrale Medien wie das Radio wurden durch das...