2 Systembedingungen für erfolgreiche Patientengespräche
Jens Hager van der Laan und Ulrike Schlein
Einleitung
Im Vergleich zu den nachfolgenden Kapiteln in diesem Buch haben die nun folgenden Ausführungen einen anderen Schwerpunkt. Während sich das Hauptinteresse unserer Mitautoren auf den Bildausschnitt der Arzt-Patient-Kommunikation in ihren vielfältigen Ausprägungen richtet, betrachten wir gewissermaßen die „Totale“, nämlich das gesellschaftliche System des Krankenhauses und versuchen auf der Basis unserer Erfahrungen als externe Berater und Moderatoren von Veränderungsprozessen in Krankenhäusern zu veranschaulichen, welche Systembedingungen die dyadische Beziehung zwischen dem Arzt und einem Patienten im Gespräch fördern und welche sie behindern können. So lautet die Frage: Was können die verantwortlichen Führungskräfte eines Krankenhauses tun, damit ein Kontakt zwischen Arzt oder Pflegekraft und einem kranken Menschen zur Zufriedenheit verläuft? Es ist von großer Bedeutung, die Funktionsträger, die in einem Krankenhaus schwierige Gespräche mit Patienten führen müssen, in ihrer Gesprächsführung zu qualifizieren.
Unsere These in diesem Kapitel lautet: Die Qualität des Kommunikationsklimas in einer Abteilung, in einer Klinik und die Gesprächskultur selbst in einem Krankenhauskonzern wirken sich auf die Art und Weise aus, wie Gespräche mit verschiedenen Kooperationspartnern (Patienten, Angehörige, zuweisende Ärzte, Kostenträger usw.) zustande kommen und geführt werden.
Wenn wir also auf den Gesamtkontext „Kommunikation in Krankenhäusern“ schauen, so finden sich nach unseren Erkenntnissen vier Dimensionen (s. Abb. 2.1), die das Handeln der Mitarbeiter in Kliniken und selbstverständlich auch in anderen Unternehmen bzw. Organisationen beeinflussen:
- Geklärte Rollenbeziehungen zwischen den Inhabern der Positionen, die in einer Organisation besetzt sind: Jeder weiß, was von ihm an seiner Stelle erwartet wird und welche Befugnisse er hat, um in seiner Position kompetent und selbstständig zu handeln.
- Die Verständigung auf einen Kommunikationsstil, der von wechselseitiger Wertschätzung geprägt ist. Dabei richtet sich das Interesse auf die Art und Weise, wie in einem Unternehmen kommuniziert wird und insbesondere wie dieser Kommunikationsstil in Verbindung zur Führungsphilosophie steht.
- Ein Konsens über Normen und Regeln, die die täglichen Abläufe, Arbeitstreffen und Abteilungsbesprechungen beeinflussen.
- Die Werte und Leitvorstellungen sowie Unternehmensziele und Strategien, die in einem Unternehmen dem Handeln jedes Mitarbeiters eine Orientierung geben.
Abb. 2.1: Dimensionen von Kommunikation und Führung
Im Folgenden beschreiben wir, welche Fragen und Probleme sich in diesen vier Dimensionen des Miteinander-Redens-und-Handelns in Organisationen ergeben und wie Lösungen aussehen können, die insgesamt eine qualifizierte Arzt-Patient-Kommunikation unterstützen.
2.1 Klarheit in den Rollen ist eine wesentliche Bedingung für erfolgreiche Kommunikation
Im Rahmen eines Organisationsentwicklungsprojektes in einem Krankenhaus waren in einem Workshop 20 Oberärzte aufgefordert worden, die wichtigsten Leistungsmerkmale für ihre Tätigkeit in diesem Krankenhaus zu beschreiben. Sie sollten charakterisieren, an welchen Merkmalen sie sich in ihrer Funktion als Führungskräfte in der mittleren Führungsposition messen lassen wollten. Die Aufforderung irritierte anfangs, denn wie die überwiegende Anzahl der Oberärzte in bundesdeutschen Kliniken sahen sich auch diese Seminarteilnehmer vorrangig als Fachkräfte und Spezialisten in ihren jeweiligen Disziplinen, weniger jedoch als Führungskräfte. Als Ergebnis von Abstimmungsprozessen in dieser interdisziplinären Oberarzt-Gruppe wurden folgende Merkmale zur Rubrik „Verantwortlich für Strukturen und Prozesse“ genannt:
Die Oberärztin/der Oberarzt
- ist an der Zukunftsentwicklung der Abteilung/der Klinik aktiv beteiligt,
- strukturiert den Tagesablauf und die wichtigsten Abläufe/Prozesse in der eigenen Abteilung und im gesamten Haus oder ist dafür mitverantwortlich,
- sorgt dafür, dass die sich daraus ergebenden Vorgaben verbindlich von allen Mitarbeitern eingehalten werden,
- sorgt für eine sorgfältige und den forensischen Ansprüchen angepasste Dokumentation der ärztlichen Tätigkeiten oder beauftragt die nachgeordneten Ärzte,
- strukturiert die Arbeitszeiten so, dass wenig Überstunden und sinnvolle interdisziplinäre Abläufe entstehen,
- berücksichtigt bei ihren/seinen medizinischen Interventionen auch betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte.
(Unter anderen Überschriften wurden weitere Merkmale genannt.)
Ähnliche Erfahrungen ergeben sich auch aus vergleichbaren Klinikprojekten: Aus ihrer Perspektive sind viele Oberärzte verschiedener Fachdisziplinen in ihren Kliniken diejenigen, die den Betrieb durch ihr tägliches fachärztliches Tun maßgeblich tragen. Ausdrücklich beauftragt dazu sind sie in der Regel nicht. In größeren Krankenhausabteilungen haben sich Chef- und Oberärzte bestimmte medizinische Schwerpunkte untereinander aufgeteilt. Der eine ist beispielsweise mehr für den Bereich Wirbelsäulenchirurgie zuständig, der andere für die Endoprothetik. Uns interessierten jedoch nicht vorrangig die fachlichen Schwerpunkte, sondern die Zusammenarbeit der Chef- und Oberärzte in einem Leitungsteam. Über diese Zusammenarbeit findet in der Regel kaum ein gezielter Austausch statt. Eher vermitteln die jeweiligen Chefärzte den Oberärzten die Erwartungen an ihre Tätigkeiten aus aktuellen Anlässen: „By accidence“, wie man einen solchen Führungsstil nennt. In vielen Krankenhäusern hatte keiner der Oberärzte ein Einstellungsgespräch, das nicht nur die fachliche Vorerfahrung und Expertise beleuchtete, sondern vor allem zur Klärung der wechselseitigen Erwartungen bezüglich der Zusammenarbeit in den Leitungsaufgaben diente. Mitarbeitergespräche werden rudimentär und sehr formal geführt. Nur informell scheint die Erwartungsstruktur an die Position des Oberarztes klar zu sein; zumindest tun alle Beteiligten so. Die Assistenten haben ihre Erwartungen, die Chefärzte auch … und ebenso das übrige Personal. Über diese Erwartungen wird meist jedoch nicht gesprochen. Sie sind entstanden nach der Methode „Trial and Error“: Wenn der Oberarzt mehrfach eine an ihn gerichtete Erwartung erfüllt hat, gewinnt sie normative Kraft. Nun definiert sie neben allen anderen Erwartungen seine „Rolle“, die soziale Rolle, die dem Inhaber einer Position von seinen Rollenpartnern zugedacht wird und die, wenn sie klar ist und akzeptiert wird, nachhaltigen Einfluss auf die Bedeutung all dessen hat, was dieser Mensch in seiner Position sagt. Aber das ist in Krankenhäusern oft nicht so.
Die Rollenunklarheit zwischen Chef- und Oberärzten wirkt sich im Alltag nicht nur auf die fachliche Ausbildung der Assistenzärzte aus, sondern auch auf deren Kompetenzen im Umgang mit Patienten, Angehörigen, anderen Berufsgruppen oder externen Gesprächspartnern wie niedergelassenen Ärzten.
In der Organisationsstruktur eines Krankenhauses hat es sich bewährt, wenn entweder der Chef persönlich oder jeweils einer der Oberärzte sich für die Facharztausbildung im wirklichen Sinn „ver-Antwort-lich“ fühlt. Ein Oberarzt ist in einer solchen Organisation nicht nur fachlicher Verantwortlicher oder Koordinator im Alltag, sondern auch Führungskraft in der mittleren Leitungsebene. Dazu wird er von seinem Chefarzt auch mit der entsprechenden Handlungsvollmacht ausgestattet werden. Führung im Bereich Ausbildung bedeutet, dass ein regelmäßiger Kontakt zwischen Mentor und Mentée stattfindet. Die jungen Kollegen brauchen Ansprechpartner, die sie fordern und fördern. Dabei geht es um fachliche Supervision und Anleitung, Vermittlung von operativen oder diagnostischen Fertigkeiten, aber auch um einen angemessenen kommunikativen Umgang mit internen und externen Rollenpartnern. Nimmt ein Oberarzt (natürlich auch der Chefarzt) seine Aufgabe ernst, so gehören auch Kritik- und Konfliktgespräche mit dem Assistenzarzt dazu.
Manche Führungskräfte scheinen die Wichtigkeit dieser Aufgabe nicht zu erkennen oder unterschätzen sie, viele verzichten angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage für junge Mediziner absichtlich darauf. Die Folgen und Wechselwirkungen unterlassener Kritikgespräche zeigen sich oft erst mit einer gewissen Zeitverzögerung, dann aber umso deutlicher.
Ein junger Assistenzarzt lernt vieles durch Erfahrung. Das gilt nicht nur für fachliche Dinge, sondern auch für schwierige Gespräche. Doch: Wie viele der erfahrenen Oberärzte lassen sich beispielsweise von einem jungen Kollegen zu einem anspruchsvollen Gespräch mit Patienten oder fordernden Angehörigen begleiten? Wie viele supervidieren den jungen Arzt in Aufklärungsgesprächen oder bei der Mitteilung schwerwiegender Diagnosen? Im Stationsalltag oder in den Ambulanzen agieren die meisten Ärzte als Einzelkämpfer und sammeln so mit den Jahren im Beruf mühsam ihre Erfahrungen. Die Frage ist demnach, ob dieser Prozess der Professionalisierung nicht durch zusätzliche Interventionen kultiviert und beschleunigt werden kann.
Ist sich ein junger Assistenzarzt durch regelmäßige Gespräche mit seinem Ober- und Chefarzt der Erwartungen...