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E-Book

Kompromisslos verhandeln

Die Strategien und Methoden des Verhandlungsführers des FBI

AutorChris Voss, Tahl Raz
VerlagRedline Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783864149337
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die deutsche Ausgabe des Bestsellers Never Split the Difference Über viele Jahre war Chris Voss beim FBI als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen aktiv. Er verhandelte während seiner Tätigkeit mit einer Vielzahl von Kriminellen wie Bankräubern und Terroristen. In seinem Buch Keine Kompromisse führt der Experte für Extremsituationen die Leser in die Welt der knallharten Verhandlungen ein. Und zeigt, worauf es ankommt, wenn es ums Ganze geht. Das Leben besteht schließlich aus Verhandlungen, auf die man besser gut vorbereitet ist: angefangen beim Autokauf, über Gehalts- oder Mietverhandlungen, berufliche Verhandlungen bis hin zu Diskussionen mit dem Partner. Dieses Buch mit seinem Fokus auf emotionale Intelligenz und Intuition verschafft den Lesern bei Diskussionen den entscheidenden Vorteil: Neun effektive Prinzipien wie aktives Zuhören und taktische Empathie, sorgen dafür, dass man privat und beruflich alles im Griff hat und immer überzeugt.

Chris Voss arbeitete 24 Jahre beim FBI als Verhandlungsführer bei Geiselnahmen und zählt weltweit zu einem der besten Verhandlungsspezialisten. Nach seiner Zeit beim FBI gründete er The Black Swan Group, eine Beratungsfirma, die Trainings und Beratungen für Fortune-500-Unternehmen bei komplexen Verhandlungssituationen anbietet. Tahl Raz ist ein Erzähler großer Ideen in Business, Technologie und Sozialwissenschaften, die verändern, wie wir arbeiten und leben. Raz ist preisgekrönter Journalist und Bestsellerautor und hat unter anderem für das Inc. Magazine, GQ, Harvard Business Review und die Jerusalem Post geschrieben.

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Leseprobe

Kapitel 2:
Machen Sie sich zum Spiegel


30. September 1993

Ein frischer Herbstmorgen, ungefähr um halb neun. Zwei maskierte Bankräuber lösen einen Alarm aus, als sie die Filiale der Chase Manhattan Bank an der 7. Avenue Ecke Carroll Street in Brooklyn überfallen. In der Bank befinden sich zu dem Zeitpunkt nur zwei weibliche Kassiererinnen und ein Sicherheitsmann. Die Bankräuber versetzen dem unbewaffneten Sicherheitsmann mit einer Pistole Kaliber .357 einen Schlag auf den Kopf und schleifen ihn auf die Männertoilette, wo sie ihn einsperren. Einer der Kassiererinnen widerfährt das gleiche Schicksal.

Dann wendet sich einer der beiden Bankräuber an die andere Kassiererin, rammt ihr den Pistolenlauf in den Mund und drückt den Abzug – die leere Patronenkammer macht »klick.«

»In der nächsten steckt eine Kugel«, sagt der Bankräuber. »Mach den Tresor auf.«

Ein Banküberfall mit Geiselnahme. In Filmen passiert das ständig, aber es war fast 20 Jahre her, dass so ein Überfall in New York geschah – der Stadt, in der mehr Verhandlungen bei Geiselnahmen stattfanden als in jeder anderen Stadt des Landes.

Und das war mein erster realer Einsatz, meine Feuerprobe als Verhandlungsführer.

Ich hatte ungefähr eineinhalb Jahre Schulung in Verhandlungsführung bei Geiselnahmen absolviert, aber noch keine Chance gehabt, meine frisch erworbenen Kenntnisse anzuwenden. Für mich war das Jahr 1993 bereits ein unglaublich aktives und anstrengendes Jahr gewesen. Als Mitglied der Spezialeinheit für Terrorismusbekämpfung des FBI war ich an einer Ermittlung beteiligt, in deren Rahmen wir ein geplantes Bombenattentat auf den Holland- und den Lincoln-Tunnel, den Sitz der Vereinten Nationen und das Gebäude des FBI in New York, 26 Federal Plaza, vereiteln konnten. Wir schlugen genau in dem Moment zu, als die Terroristen dabei waren, in einem geheimen Unterschlupf Bomben zu basteln. Die Attentäter standen im Zusammenhang mit einer ägyptischen Terrorzelle, die ihrerseits Verbindung zum »Blinden Scheich« unterhielt, der später als geistiger Urheber hinter dem vereitelten Anschlag verurteilt wurde.

Man könnte meinen, ein Banküberfall sei im Vergleich zu einem geplanten Bombenattentat ein Kinderspiel, aber zu jenem Zeitpunkt war mir bereits klar geworden, dass Verhandlung die Leidenschaft meines Lebens war. Ich war versessen darauf, meine neuen Kompetenzen zur Anwendung zu bringen. Außerdem war die Situation alles andere als ein Kinderspiel.

Als wir den Anruf erhielten, eilten mein Kollege Charlie Beaudoin und ich zum Ort des Geschehens, sprangen aus seinem schwarzen Auto Marke Crown Victoria und begaben uns zum Kommandoposten. Das gesamte Aufgebot an Sicherheitskräften hatte sich versammelt, das FBI, das Einsatzkommando der Polizei von New York (NYPD) und die taktische Sondereinheit SWAT (»Special Weapons and Tactics«) – die geballte Kraft und Erfahrung der New Yorker Sicherheitskräfte gegen zwei Bankräuber, denen die Sache scheinbar über den Kopf wuchs.

Die Polizei von New York hatte sich hinter einer Mauer aus blauen und weißen Lastwagen und Streifenwagen verschanzt und in einer Bank auf der anderen Straßenseite eine Art Kommandozentrale eingerichtet. Mitglieder des SWAT-Teams richteten das Fadenkreuz ihrer Gewehre von den Dächern der benachbarten Backsteingebäude auf die Eingangstüren und die Hinterausgänge der Bank.

Annahmen machen blind, Hypothesen bieten Orientierung


Gute Verhandlungsführer gehen in dem Wissen in eine Verhandlung, dass sie sich auf Überraschungen gefasst machen müssen. Herausragende Verhandlungsführer setzen ihre Fähigkeiten dazu ein, die Überraschungen aufzudecken, von deren Existenz sie überzeugt sind.

Die Erfahrung hat sie wahrscheinlich gelehrt, dass sie am besten zahlreiche Hypothesen einkalkulieren – über die Situation, die Forderungen des Geiselnehmers und eine ganze Reihe an weiteren Variablen. Hellwach und fokussiert auf den Augenblick nutzen sie alle neuen Informationen, die sich ihnen bieten, um ihre Hypothesen zu testen und die wahren von den falschen zu unterscheiden.

In Verhandlungen bringt Sie jede neue psychologische Erkenntnis und jedes zusätzliche Informationsmosaiksteinchen einen Schritt weiter, sodass Sie die verschiedenen Hypothesen besser bewerten können. Für diesen Prozess brauchen Sie eine Entdeckermentalität. Ihr erstes Ziel besteht darin, so viele Informationen wie möglich zu sammeln. Das ist ganz nebenbei einer der Gründe, warum sehr intelligente Menschen oft keine guten Verhandlungsführer sind, da es ihnen gelegentlich an der nötigen Demut fehlt. Sie glauben, es gäbe für sie nichts Neues zu entdecken.

Oft finden es Menschen einfacher, sich an ihre vorgefassten Meinungen zu halten, als offen für neue Erkenntnisse zu bleiben. Auf der Basis vom Hörensagen oder ihrer Vorurteile treffen sie Annahmen über andere Menschen, noch bevor sie die betreffenden Personen überhaupt kennengelernt haben. Und wenn sie eine Wahrnehmung machen, die nicht zu ihren vorgefassten Meinungen passt, ignorieren sie sie. Diese fixen Annahmen verengen unsere Weltsicht und liefern uns ein starres, aber leider oft unzutreffendes Bild der wahren Situation.

Herausragende Verhandlungsführer sind in der Lage, gängige Annahmen und scheinbare Gewissheiten zu hinterfragen, die die übrigen Beteiligten aus gutem Glauben oder aus Arroganz als selbstverständliche Wahrheiten betrachten. Auf diese Weise halten sie sich emotional für alle Möglichkeiten offen und wahren in brenzligen Situationen eine schnelle und flexible Reaktionsfähigkeit.

Leider war ich 1993 alles andere als herausragend.

Alle glaubten, die Krise würde ein schnelles Ende finden. Die Bankräuber hatten letztlich keine andere Chance, als sich zu ergeben – so dachten wir zumindest. Tatsächlich war das die Information, die wir zu Beginn des Tages erhalten hatten. Wir hatten keine Ahnung, dass das ein Trick des Anführers war, um Zeit herauszuschinden. Im Verlauf des Tages verwies er ständig auf den Einfluss, den die angeblichen vier weiteren Bankräuber auf ihn ausübten. Ich hatte noch nicht gelernt, auf die Überstrapazierung bestimmter Personalpronomen – wir/sie oder mir/ich – zu achten. Je unwichtiger sich Ihr Gegenüber macht, desto wichtiger ist er wahrscheinlich (und umgekehrt). Später fanden wir heraus, dass es nur einen weiteren Bankräuber gab, der mit einer List zu dem Banküberfall überredet worden war. Ursprünglich waren es drei Bankräuber, wenn man den Fahrer des Fluchtautos dazuzählte, der sich aber bereits davongemacht hatte, bevor wir am Ort des Geschehens eingetroffen waren.

Der »führende« Geiselnehmer praktizierte seine eigene »Abwehrstrategie«, indem er uns mit allen möglichen Fehlinformationen fütterte. Er wollte uns glauben machen, er habe eine Reihe von Komplizen aus unterschiedlichen Ländern, die außerdem viel unberechenbarer und gefährlicher seien als er.

Im Rückblick war seine Strategie klar – er wollte möglichst viel Verwirrung stiften, um Zeit zu gewinnen und sich einen Ausweg aus seiner Situation zu überlegen. Ständig wiederholte er, er habe eigentlich nichts zu sagen, alles würde von den anderen entschieden. Jedes Mal, wenn wir ihn aufforderten, uns bestimmte Informationen zu liefern, behauptete er, er habe Angst und sei deswegen so zögerlich. Dennoch sprach er immer mit vollkommen ruhiger Stimme, die großes Selbstvertrauen ausstrahlte. Das war eine Erinnerung an meine Kollegen und mich, dass man nie weiß, womit man es zu tun hat, bis man die Situation wirklich kennt.

Zwar war der Anruf zum Einsatz bereits morgens gegen halb neun bei uns eingegangen, aber es war wahrscheinlich ungefähr halb elf, als wir am Ort des Geschehens ankamen und mit den Geiselnehmern Kontakt aufnahmen. Als wir eintrafen, hieß es, die Geiselbefreiung würde ein lehrbuchmäßiges Kinderspiel werden – eine kurze und schmerzlose Angelegenheit. Unsere Einsatzleiter dachten, wir würden die Bank stürmen und in zehn Minuten wäre das Ganze erledigt, weil sich die Übeltäter angeblich ergeben wollten. Das sollte später zu einem Problem werden, als die Verhandlungen ins Stocken gerieten und unsere Chefs in Bedrängnis gerieten, weil sie den Fehler gemacht hatten, ihren anfänglichen Optimismus, der auf allen möglichen Fehlinformationen beruhte, an die Presse zu bringen.

Wir waren herbeigerufen worden, um eine schnelle Kapitulation der Bankräuber herbeizuführen, stattdessen geriet die Situation fast augenblicklich außer Kontrolle.

Schnell wurde uns klar, dass alle Annahmen, von denen wir ausgegangen waren, falsch waren.

Bringen Sie das Stimmengewirr im Kopf zum Schweigen


Unsere Verhandlungseinheit hatte ihre Kommandozentrale in einem Büro einer Bank gegenüber der Chase Manhattan Bank eingerichtet. Damit befanden wir uns viel zu nahe am Ort der Geiselnahme, sodass wir von vornherein im Nachteil waren. Der Krisenort war weniger als 30 Meter entfernt; idealerweise sollte die Pufferzone etwas größer sein; zwischen Ihnen und dem Worst-Case-Szenario, das möglicherweise auf der anderen Seite des Verhandlungstisches lauert, sollte eine gewisse räumliche Distanz herrschen.

Als mein Partner und ich eintrafen, wurde ich sofort als Berater des Verhandlungsführers der Polizei von New York eingesetzt, der per Telefon mit dem Geiselnehmer kommunizierte. Sein Name war Joe, und er machte seine Sache gut. Aber in solchen Situationen arbeitet niemand alleine; wir arbeiteten immer in Teams. Der Sinn dieses Vorgehens bestand darin, möglichst viele Detailinformationen einzufangen, denn vier Ohren hören mehr als zwei. In einigen Krisensituationen arbeiteten wir in einem...

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