Das Konflikttraining wird, wie die bereits genannten Trainingsprogramme auch, getragen von einem optimistischen Menschenbild. Den Menschen zu mögen, mit seinem Handeln aber nicht einverstanden zu sein, sind keine Widersprüche. Dieses zu vermitteln ist Aufgabe des Trainers.
Die Empathieerfahrung hat im Trainingskurs eine zentrale Bedeutung. Das Gefühl, nicht gemocht zu werden, kann neben Rückzugs- und Fluchttendenzen auch gesteigerte Aggressivität und Gewaltakte bedingen: „Wenn andere Angst vor mir haben, akzeptieren sie mich mehr. Sie mögen mich, weil ich stark bin“. Sprüche wie diese hören wir oft in unserer Arbeit mit Jugendlichen. Empathie wird auf diese Art und Weise eingefordert; sie wird erzwungen und, das ist die Zwickmühle, die Jugendlichen wissen, dass diese Empathie nicht authentisch ist. Gerade deswegen müssen sie sich und der Gruppe immer wieder beweisen, wie „cool“ sie sind. Dieser Druck führt zu einer schnelleren und höheren Erregung, die erhebliche Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten bewirken. Dadurch vermindern sich die Problemlösungskompetenz und die Kommunikationsfähigkeit. Im Konfliktfall wird dann, wenn überhaupt, einseitig und eindimensional gedacht. Oft kommt nur noch eine Lösung in Betracht.
Dieses eindimensionale Denken trägt sich nicht nur in die Gruppe Gleichaltriger. Da Kritik gleichgesetzt wird mit Ablehnung, werden weitere Gruppen wie Schule, Jugendhäuser, z.T. auch das Elternhaus durch die Jugendlichen unter dieser Prämisse bewertet. Die Folgen sind „Einbildungen“ wie „meine Eltern mögen mich nicht“, „der Lehrer mag mich nicht“ und die „Sozialarbeiter mögen mich auch nicht“. Empathie wird nicht mehr zugelassen.
Diesem eindimensionalen Denken und den reduzierten Konfliktlösungsstrategien entgegenzuwirken ist Ziel des Konflikttrainings. Die Jugendlichen sollen die Erfahrung machen, dass sie gemocht werden, ihr Handeln aber kritisch hinterfragt oder gänzlich abgelehnt wird, ohne dass sie diese Kritik mit „Liebesentzug“ gleichsetzen.
Damit die Jugendlichen diese Empathieerfahrung machen und sich auf Bindungsarbeit einlassen können, findet dieser Kurs in einer zeitlich dichten Abfolge statt: täglich 2 Stunden, 8 Tage in Folge, das Wochenende ausgenommen. Der Abschluss wird mit einem gemeinsamen Wochenende „gekrönt“.
Neben der Empathieerfahrung sind die Ziele des Konflikttrainings u.a.:
Stärkung von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl
Stärkung der sozialen Kompetenz
Zivilcourage
Grenzsetzungen erkennen und annehmen sowie eigene Grenzen setzen
Stärkung der Eigenmotivation
Erhöhung der Frustrationstoleranz
Erkennen von Veränderungswünschen
Bewusstmachung positiver und negativer Handlungsfolgen
Entwicklung von Handlungsalternativen
Teamfähigkeit
Während des Kurses wird von den Jugendlichen ein Photo-Tagebuch geführt. Die aufgenommen Situationen dienen der Unterstützung und Verstärkung des Erlernten.
Das Konflikttraining richtet sich an Kinder und Jugendliche ab 8 Jahren, vorrangig an Schüler von Förder- und Hauptschulen, bei denen erkennbar ist, dass Probleme im Bereich der Konfliktlösungsmöglichkeit vorhanden sind.
Es richtet sich an die Zielgruppe der „Benachteiligten“, also an Schulversager, Schulverweigerer, Migranten mit unzureichenden Sprachkenntnissen, Jugendliche mit abweichendem Sozialverhalten. Es richtet sich auch an deviante und delinquente Jugendliche, die noch nicht strafrechtlich zu belangen sind.
Photo: KT-Gruppe, Januar 2007
Und es richtet sich an Kinder und Jugendliche, die Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren. Während die meisten Programme über das gesprochene und geschriebene Wort Bewusstseinsveränderungen herbeiführen, greifen wir auf bildliche Darstellungen zurück. Wir arbeiten in zeitlich kurzen Phasen, die für unsere Zielgruppe überschaubar bleiben, haben kurze Aktivphasen eingebaut (Kickerspiel, Tobezeit, etc) und erarbeiten uns damit nicht nur einen intensiveren Gruppenzusammenhalt, sondern lernen auch, schnell umzuschalten zwischen Lern- und Spielsituationen, d.h. stoppen zu können und weiterzuarbeiten.
Für die Dauer des Kurses verlängern wir langsam die Phasen der Konzentration.
Wichtig ist, die Trennung in verschiedene Jahrgänge anzustreben, um altersspezifische Konflikte und Lösungsstrategien zum Thema machen zu können. Auch die Trennung von weiblichen und männlichen Jugendlichen ist nötig, da neben den Unsicherheiten gegenüber dem anderen Geschlecht unterschiedliche Konflikte zu bearbeiten sind.
Der Ehrbegriff ist für das Konflikttraining von zentraler Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund, dass Jugendliche aus dem muslimischen Kulturkreis teilnehmen.
Was ist das, die Ehre?
Was ist gemeint, wenn Jugendliche sagen: „Wenn jemand Hurensohn zu mir sagt, schlage ich zu, weil er meine Mutter beleidigt und ich ihre Ehre verteidige“ (A.B., 17 Jahre, Januar 2007)
Für das Konflikttraining bleibt es unerlässlich, sich mit dem Ehrbegriff auseinander zusetzen, um o.g. Aussage zu verstehen und den Jugendlichen für andere Sichtweisen zu öffnen.
„Wenn jemand mich provozieren will und Hurensohn zu mir sagt, dann gebe ich ihm recht, wenn ich zuschlage ... Wenn ich aber nicht reagiere, zeigt das doch, dass meine Mutter keine Hure ist ... Ich fühle mich nicht angesprochen“ (A.Y., 16 Jahre, Januar 2007)
Arthur Schopenhauer:
„Die Ehre ist, objektiv, die Meinung anderer von unserem Wert und, subjektiv, unsere Furcht vor dieser Meinung.“
Die Definition im Duden-Bedeutungswörterbuch liest sich wie folgt:
„1. äußeres Ansehen, Geachtetsein durch andere [und dessen Ausdruck in einer besonderen Auszeichnung], Anerkennung ...
2. innerer Wert, persönliche Würde ...“
Ehre ist laut Brockhaus-Lexikon „auf der Selbstachtung beruhende, daher unverzichtbar erlebte Achtung, die der Mensch von seinen Mitmenschen beansprucht. Als innere auf dem Bewusstsein der eigenen Unbescholtenheit begründete Haltung, die sich auch durch äußere Missachtung und Verunglimpfung nicht angefochten fühlt, kann „Ehre“ zu einem rein sittlichen Begriff werden. Meist überwiegt jedoch die äußerliche Seite; die Ehre haftet nicht so sehr am persönlichen Wert des Menschen als an seiner Stellung in der Gesellschaft. (Der große Brockhaus Lexikon, Bd. 3, S. 43)
Und jetzt bin ich wieder bei der ursprünglichen Frage: was ist Ehre?
Es gibt viele Vorstellungen von Ehre, einige individuell, andere gesellschaftlich getragen. Für mich persönlich ist Ehre ein Prozess und keine Sache, die wir einfach besitzen können, weil sie uns kulturell zugewiesen wurde. Niemand hat Ehre einfach so. Universitätsgrade, Titel, Prestige, Rang, Klasse, diese Kriterien sind unerheblich für die Ehre; sie kann daran nicht gemessen werden.
Jeder hat sich seine eigene Ehre zu erarbeiten durch z.B. das sorgfältige Abwägen von Konsequenzen seines Handelns. Sie hat mit Werten zu tun und vertieft deren Bedeutung. Sie muss erarbeitet werden und dies hat viel mit persönlicher Motivation, Begründungen und Kontext zu tun. Deshalb gibt es keine, für alle gültige, Definition von Ehre.
Dennoch ist es nötig, sich das Konzept der Ehre in den unterschiedlichen Kulturkreisen einmal genauer zu betrachten.
„Der Ehrenkodex ist ein Überbleibsel aus der Gesinnung der Feudalzeit, d.h. aus der Epoche eines fehlenden oder schwach entwickelten Feudalstaates“, führt Prof. Dr. Erçin Kür?at aus (Kür?at 2002). „Der Ehrenkodex ist ein Relikt des Kriegerkodexes, der Selbstverteidigungsinstitutionen, Selbsthilfe und Selbstjustiz aber auch Gewalt und Übergriffe gegen den Schwächeren rechtfertigen, wo das staatliche Gewaltmonopol...