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Konservativ

Ohen Werte und Prinzipien ist kein Staat zu machen

AutorRoland Koch
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl220 Seiten
ISBN9783451334870
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Ob Integration oder Schulstreit, Migration oder Jugendkriminalität, Arbeitslosigkeit oder Finanzkrise, ob Gesundheitsreform oder Kriegseinsatz deutscher Soldaten: Roland Koch hat sich diesen schwierigen Themen immer gestellt. Für ihn, der sich selbst als 'konservativen Reformer' bezeichnet, ist klar: Gerade in einer Zeit rasanter Veränderung und wachsender Unsicherheit ist Gestaltungskraft gefordert. Neben Sachverstand brauchen wir aber auch verbindliche Werte und Tugenden, Geschichtsbewusstsein und Rücksicht auf gewachsene Traditionen, um die anstehenden Probleme zu lösen und die Gesellschaft zusammenzuhalten. Welche Veränderungen sind akzeptabel und notwendig? Welche gefährden die Statik unserer Gesellschaft? Dieses Buch formuliert dafür klare Kriterien. Es ist Roland Kochs Abschiedsgeschenk - und ein zukunftsweisendes politisches Manifest zugleich. Er klärt, was 'Maß und Mitte' für die zentralen Felder der Politik und der gesellschaftlichen Entwicklung bedeuten. Das Buch ist Summe eines politischen Lebens und überzeugende Darstellung eines konservativen Politikkonzepts. Ein Buch, das klärt. Und eine notwendige Debatte anstößt.

Roland Koch, geboren 1958, von 1999 bis zum August 2010 Hessischer Ministerpräsident und bis Juni 2010 Landesvorsitzender der CDU in Hessen, bis November 2010 Stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. Der Finanz- und Wirtschaftsexperte gilt als einflussreicher Vordenker und kompetenter Gestalter konservativer Politik.

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Leseprobe

1. Verantwortung für das Leben


„Wie hältst du es mit dem Lebensschutz?“


„Wie hältst du es mit dem Lebensschutz?“ Diese Frage ist vor allem für viele junge politisch engagierte Menschen in unserem Land die Gretchenfrage, wenn sie darüber diskutieren, ob sie einem Politiker das Prädikat „konservativ“ verleihen können oder nicht. Deshalb habe ich mich entschieden, meine Überlegungen genau an diesem Punkt zu beginnen, obwohl ich weiß, dass damit schon das erste Kapitel nicht zu den einfachen gehört. Das Gefühl gerade dieser jungen Menschen ist richtig: An den Fragen „Wie stehen wir zum Leben?“ und „Verliert das Leben in der modernen Welt an Wert?“ entscheidet sich, ob das Gesicht unserer Gesellschaft ein menschliches ist. Doch der Schutz des menschlichen Lebens gehört leider für gewöhnlich nicht zu den regelmäßig wiederkehrenden Punkten auf der Tagesordnung der politischen Debatte in unserem Land. Wie kommt es dennoch, dass nicht nur Jungpolitiker, sondern auch Medien ausgerechnet die persönliche Haltung eines Politikers zu den politischen Fragen des Lebensrechts als maßgeblichen Indikator dafür ansehen, wie konservativ er ist? Dieser Frage sollte man zuerst nachgehen, bevor man im Weiteren darüber nachdenkt, ob Entscheidungen im Bereich des Lebensschutzes tatsächlich ein geeignetes Kriterium für die Bewertung der konservativen Gesinnung von Politikern darstellen.

Ich habe 2006 mit großem Interesse verfolgt, wie die Delegierten der Jungen Union aus ganz Deutschland sich auf ihrer Bundesversammlung in Wiesbaden mit einem Antrag auseinandergesetzt haben, der eine Evaluation der aktuellen Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch und einen Ausbau der öffentlichen Maßnahmen zur Hilfe für junge Frauen im Schwangerschaftskonflikt forderte. Abgesehen davon, dass ich die Abtreibungsdebatte der 80er Jahre als aktives Mitglied und Amtsträger der Jungen Union selbst miterlebt und daher in sehr konkreter Erinnerung hatte, war diese Diskussion 2006 für mich auch in meiner damaligen Funktion als Landesvorsitzender der CDU Hessen von Bedeutung: Antragsteller des Papiers zum Paragraphen 218 StGB war der Landesvorstand der Jungen Union Hessen, also der Nachwuchs meiner Landespartei. Einen aktuellen Bezug oder gar einen konkreten politischen Anlass, dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzen, gab es nicht. Die Versuche von Mandatsträgern aus den Reihen der Jungen Union, die Debatte aus Sorge um die mediale Wirkung und die politischen Reaktionen herunterzuspielen und den Antrag per „Überweisung an den Bundesvorstand“ schnell vom Parkett des Wiesbadener Kurhauses zu bringen, scheiterten am entschlossenen Widerstand von zahlreichen Delegierten aus verschiedenen Landesverbänden. Es schien der Basis der Jungen Union, die sich schon seit einigen Jahren als „konservative Vorhut“ begreift und darstellt, also ein wichtiges Bedürfnis zu sein, das Tabu-Thema Abtreibung zu diskutieren. Gesellschaftlich gesehen herrschte nach wie vor weitgehend Konsens über die in den 80er Jahren und nach der Wiedervereinigung Deutschlands beschlossenen juristischen Regelungen im Bereich des Schwangerschaftsabbruchs. Politisch gesehen war angesichts der seit der Bundestagswahl 2005 regierenden Großen Koalition nicht wirklich davon auszugehen, dass es zu Novellierungen oder gar neuen Gesetzen in diesem Themenbereich kommen würde. Die Jungpolitiker der CDU werden all das selbst gewusst haben – und diskutierten dennoch auf ihrer zeitlich straff organisierten Jahrestagung ausführlich darüber, ob und wie sich eine dem „C“ und konservativen Wurzeln verpflichtete Union neu zu Fragen des Lebensschutzes zu positionieren habe. Warum?

Die Grundsätze: Verantwortung und Menschenwürde


In solchen und ähnlichen Begebenheiten des politischen Lebens innerhalb und außerhalb meiner Partei kommt eine Neigung zum Ausdruck, die besonders Konservativen eigen ist: Sie wollen die weiteren Zusammenhänge darstellen, das große Ganze diskutieren, in ihren Entscheidungen grundsätzlich werden. Dieser manchmal etwas sperrige, oft aber sehr hilfreiche Hang zum Grundsätzlichen liegt im Wesen des politischen Konservatismus selbst begründet. Es gibt kein Programm des politischen Konservatismus, sehr wohl aber durchgehende Spuren, die wie Bahngleise im Boden der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung verankert sind. Es sind Leitlinien und Prinzipien, keineswegs jedoch vorgefertigte Antworten auf alle denkbaren politischen Fragestellungen. Entgegen dem Vorurteil mancher Medien haben Konservative kein politisches Programm, dessen tagtägliche Abarbeitung die erste und einzige Motivation für ihr politisches Engagement ist. Politische Grundsatzprogramme, wie Parteien sie von Zeit zu Zeit formulieren, dienen immer zuerst der Selbstvergewisserung einer politischen Gruppe. Da die politische Gruppe der Konservativen über kein solches „schlaues Buch“ verfügt, das auf jede Sachfrage eine feststehende politische Antwort vorgibt, findet ihre Selbstvergewisserung vor allem im Gespräch über die grundsätzlichen Inhalte ihres politischen Bekenntnisses statt.

Der Glaube an die Einzigartigkeit jeder Person, das Bekenntnis zur Würde des Menschen und daraus resultierend der Wille zum unbedingten Schutz des menschlichen Lebens: Diese Trias gehört zum Kernbestand konservativer Überzeugungen. Während der konservative Politikansatz bei vielen politischen Fragestellungen seinen Ausdruck im Pragmatismus findet, stellt das Menschenbild der Konservativen so etwas wie einen ideellen Kern dar, der nicht zur Disposition steht, sei es politisch gelegen oder ungelegen. Vor diesem Hintergrund kann man verstehen, weshalb besonders die Diskussionen über Fragen des Lebensschutzes stets Konservative auf den Plan rufen. Wo es um den Ursprung und das Ende des Lebens geht, wird es grundsätzlich. Hier erfährt das Wissen seine Grenzen, und es beginnt die Sphäre des Glaubens. Fragen über Leben und Tod erzwingen ein Bekenntnis. So gehören Debatten über Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID) und Abtreibung zu den wenigen Gelegenheiten, bei denen Konservative in seltener Einhelligkeit auftreten können und damit überhaupt erst als Konservative in Erscheinung treten. Dies erklärt, weshalb viele Konservative und ihre Beobachter in den Medien dazu neigen, die Debatten zu bioethischen Fragestellungen als Gradmesser des Konservativen schlechthin anzusehen.

Dabei können konservative Politiker in Deutschland über ihr eigenes ideelles Rüstzeug hinaus nicht zuletzt auf unsere Verfassung zurückgreifen, wenn es um Fragen des Lebensschutzes geht. Dem Grundgesetz liegt wie den meisten Verfassungen in demokratischen Staaten ein zentraler Konflikt zugrunde. Es ist die Frage nach dem richtigen Maß, nach der goldenen Mitte zwischen dem Schutz der menschlichen Würde auf der einen Seite und der Gewährung der individuellen Freiheit auf der anderen Seite. Was etwa in Fragen der Stammzellforschung mit Blick auf den Schutz der befruchteten Eizelle und der Gewährung von Forschungsfreiheit miteinander in Konflikt geraten kann, bedingt einander gleichzeitig. Unser Grundgesetz sagt nicht: entweder Würde oder Freiheit, sondern: sowohl Würde als auch Freiheit. Die Verfassungen politisch nahstehender befreundeter Staaten wie die Frankreichs und der USA legen in dieser Abwägung den Schwerpunkt auf die Freiheit, was angesichts der Französischen Revolution und der amerikanischen Unabhängigkeitskriege relativ einfach historisch zu begründen ist. Ebenso historisch zu begründen ist auch die Wertentscheidung des Grundgesetzes, dem Schutz der Würde in unserer Verfassung in besonderer Weise Priorität einzuräumen. Nach den schrecklichen Gräueltaten der Nationalsozialisten war es nicht zuletzt dem klaren Bekenntnis im Artikel 1 unserer Verfassung zu verdanken, dass die Deutschen wieder einen Anspruch auf Achtung durch die anderen Völker erlangen konnten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Mit diesem Satz ist die besondere Betonung der Würde im Konflikt zwischen Würde und Freiheit Teil der deutschen Verfassungstradition geworden. Diese Feststellung ist nicht bloß juristische Prosa, sondern verpflichtet die Deutschen und im Besonderen ihre politischen Verantwortungsträger, an bioethische Fragestellungen in entsprechender Weise heranzutreten und ihren Einfluss auch in der längst international gewordenen bioethischen Diskussion entsprechend geltend zu machen.

Wir Deutsche sollten für uns in Anspruch nehmen, dass eine gemeinsame Geschichte als Staat auch besondere gemeinsame Wertüberzeugungen als Volk begründet. Deutschland ist historisch gesehen nicht dazu berufen, bei der gentechnischen Veränderung des menschlichen Erbgutes begeisterter Tabubrecher und ungebremster Vorreiter zu sein. Die Frage der Würde des Menschen hat für uns in der Interpretation der Spielräume für Forschung auch in Zukunft mit Sicherheit größeren Stellenwert, als dies für Länder mit anderen Traditionen gilt. Der historische Hintergrund dieser Entwicklung sollte uns jedoch davon abhalten, die besondere Betonung unsererseits zu verwechseln mit dem nicht zutreffenden Vorwurf einer angeblich minder ausgeprägten Achtung der menschlichen Würde durch andere Nationen und Völker. Der Würdebegriff des Grundgesetzes wird ebenso wie das ihm zugrunde liegende „christliche Menschenbild“ in vielen bioethischen Debatten zitiert, ohne weitergehend ausgedeutet zu werden – was besonders bei Konservativen mit ihrem besonderen Augenmerk auf solchen Auseinandersetzungen für Unzufriedenheit sorgt. Es ist nicht Aufgabe des Politikers,...

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