Einführung
Es muss nicht immer ein brennender Dornbusch sein. Ein farbenprächtiger Sonnenaufgang am Meer. Der endlos sich ins Jenseitige verzweigende Gesang einer einsamen Amsel am Abend. Vollmondaufgang in der Wüste; eine funkelnde, überwältigende Sternennacht über verschneiten Gebirgsgipfeln. Ein tobender Orkan an der Küste. Plötzlich wallt da etwas auf im Menschen – selbst wenn er nicht religiös ist – eine Wahrnehmung, so unmittelbar und ergreifend, so tief aus dem Inneren der Seele aufsteigend und sich Bahn brechend, dass sie zu körperlichen Reaktionen wie Erschauern, Zittern oder sogar Haarsträuben führen kann.
Es sind Momente, in denen ein Geheimnis in uns waltet, das ebenso majestätisch wie Ehrfurcht gebietend zugleich aufscheint. Eine der schönsten und ergreifendsten Beschreibungen eines solchen Momentes stammt von dem russischen Religionsphilosophen Sergej Bulgakov, 1871 geboren, verstorben im Jahre 1944, der im Alter von vierzehn Jahren seinen Glauben verloren und sich als »wissenschaftlicher Atheist« betrachtet hatte. Es ist der Anblick der Berge des Kaukasus, von ungezählten Dichtern besungen, der den gerade Vierundzanzigjährigen aus seinem religiösen Schlummer erwachen lässt. Er beschreibt es in seinem Buch »Das nie verlöschende Licht« mit hochpoetischen Worten: »Wir fuhren durch die südliche Steppe, die in den würzigen Duft des Honigs, der Gräser und des Heus gehüllt war, gold leuchtend im milden Licht der untergehenden Sonne. In der Ferne wurden die ersten Berge des Kaukasus bereits blau. Ich sah sie zum ersten Mal. Ich betrachtete begierig die Berge, ich atmete die Luft und das Licht: Ich lauschte der Offenbarung der Natur. Meine Seele hatte sich seit Langem daran gewöhnt, in der Natur nichts anderes als eine tote Wüste zu sehen, die ein Schleier der Schönheit bedeckte, als trüge sie eine täuschende Maske. Und plötzlich wurde meine Seele von Freude erfüllt und zitterte vor Begeisterung: Und wenn es gäbe ... den milden und liebenden Vater, wenn das sein Schleier wäre, seine Liebe ...; wenn die frommen Gefühle meiner Kinderzeit, als ich mit ihm lebte, als ich vor seinem Antlitz stand, als ich ihn liebte und zitterte wegen meiner Unfähigkeit, mich ihm zu nahen, wenn meine Tränen und meine junge Glut, die Sanftheit des Gebets, meine kindliche Reinheit, über die ich mich lustig machte, als ich sie befleckt hatte, wenn das alles wahr wäre und das andere – die todesträchtige Leere – nichts als Verblendung und Lüge? ... Und wieder ihr, oh ihr Berge des Kaukasus. Ich habe euer Eis glitzern sehen, von einem Meer zum anderen, euren Schnee, den die Morgensonne rötete, eure Gipfel, die den Himmel durchragen, und meine Seele schmolz in Ekstase.«
Bei dem französischen Journalisten André Frossard genügte der eher unbeabsichtigte Besuch einer kleinen Kapelle in Paris am 8. Juli 1935 – und plötzlich überfiel ihn wie ein heftiger Wolkenbruch das Bewusstsein, dass Gott existiert. Frossard wusste kaum, wie ihm geschah und schrieb dazu später: »Ich war ebenso überrascht, mich beim Heraustreten aus dieser Kirche als Katholik zu sehen, wie ich überrascht gewesen wäre, mich beim Herauskommen aus einem Tiergarten als Giraffe wiederzufinden.«
Doch nicht jeder, der konvertiert, erlebt solche transzendenten, überwirklichen Momente des Einbruchs göttlicher Gnade, wie sie Sergej Bulgakov und André Frossard erfahren haben. Die überwiegende Mehrzahl der Konversionen, historisch und global gesehen, wurde durch katholische Ehefrauen bewirkt. Das ist ein selten benannter Umstand in der einschlägigen Literatur, doch er besteht. Ob es sich dabei um einen Eintritt in die Kirche zum Zweck der Eheschließung eines Nichtkatholiken mit einer Katholikin handelte oder ob gläubige Ehefrauen so lange für ihren verstockten Gatten gebetet, gefastet und geopfert haben wie etwa die heilige Rita von Cascia, bis dieser endlich umkehrte – katholisch war ihr Ehemann in dem Falle zwar bereits schon, aber eben nur auf dem Papier. Zahlreiche heilige Frauen haben durch große Not hinweg und mit festem Vertrauen auf Gott schon ihre Ehegatten bekehren können. Doch was ist mit jenen Konvertiten, die aus dem zunächst recht nüchtern anmutenden Grund, eine Katholikin ehelichen zu wollen, in die Kirche eintraten? Ein Urteil darüber steht uns in keiner Weise zu, auch wenn sie vielleicht sogar manchmal bis zuletzt Zweifelnde geblieben sind, was wir niemals zuverlässig behaupten können, weil dieses Wissen allein Gott vorbehalten bleibt.
Der spätere Weltklasseromancier Graham Greene, berühmt geworden durch seine – auch erfolgreich verfilmten – Werke »Der dritte Mann«, »Die Kraft und die Herrlichkeit« und »Der Honorarkonsul«, stand noch am Beginn seiner Karriere, als ihm die katholische Lyrikerin Vivien Dayrell-Browning einen erbosten Leserbrief anlässlich einer Filmrezension schickte, die er für ein Magazin verfasst hatte. Darin hatte er in der Art formuliert, dass Filmstars von den Massen des Volkes in ähnlicher Weise angebetet würden, wie Katholiken die heilige Jungfrau anbeteten. Vivien Dayrell-Brownings wortgewaltiges Schreiben, das in dem scharfen Hinweis gipfelte, kein Katholik bete Maria an, beeindruckte den getauften Anglikaner Greene, der bis dahin nicht an einen Gott glauben konnte, zutiefst. Er begann, sich zunächst für ihre Person, dann für ihren Glauben – halb zog sie ihn, halb sank er hin – zu interessieren. Im Januar 1926 notiert er, er sei zu der Überzeugung gekommen, es müsse so etwas wie Gott geben. Den nur einen Monat danach erfolgenden Übertritt in die katholische Kirche betrachtet er ausgesprochen nüchtern und schreibt an seine Mutter: »Ich nehme an, dass du schon vermutet hattest, dass ich die ›scharlachrote Frau‹ umarme.«
Die »scharlachrote Frau«, das ist ein Kampfbegriff der antikatholischen viktorianischen Bewegung im England des späten 19. Jahrhunderts, der von einigen Freikirchen auch heute noch benutzt wird: die Hure Babylon, die auf dem Löwen reitet und in scharlachrote Gewänder gekleidet ist, wobei Rom als das neue Babylon gedeutet wurde.
Später schreibt er über seinen Kircheneintritt: »Ich erinnere mich noch genau an das Gefühl, als ich aus der Kathedrale [gemeint ist die Kathedrale von Nottingham, in welcher die Zeremonie stattfand, Anmerkung der Autorin] kam, da war keinerlei Freude, nur eine düstere Vorahnung.«
Eineinhalb Jahre später heiratet er Vivien, doch das Paar trennt sich nach fast zwanzig Jahren gemeinsamen Lebens – Greene hat Schwierigkeiten mit dem ehelichen Treuegelöbnis und sollte sie zeitlebens haben; geschieden wurde die Ehe jedoch nie. Für Greenes Schaffenskraft und sein Wachstum als Schriftsteller wirkte der Wechsel in die katholische Kirche wie ein Brandbeschleuniger. Er hatte entdeckt, dass Gott existiert und dass auf dieser Welt tatsächlich ein Kampf zwischen ungeheuren Mächten, denen des Lichtes und denen der Finsternis, des Guten und des Bösen, mit einem ungeheuerlichen Lärm ausgetragen wird, den er jetzt, nach seiner Konversion, mit ebenso wachem wie beflügeltem Geist zum ersten Mal in seinem Leben hören konnte. Seine literarische Antwort darauf konnte nicht im Verfassen von erbaulichen Schriften bestehen, so viel stand bereits fest für einen Mann, dessen Großonkel kein Geringerer als der famose Abenteuerschriftsteller Robert Louis Stevenson war. Greene hatte bereits ganz beachtlich mit seinen Werken reüssiert; als 1932 sein Roman »Orient-Express« erscheint, kann er für sich und seine Familie – Vivien ist schwanger mit einer Tochter – durch den Verkauf der Filmrechte ein Eigenheim erwerben. Doch der große Durchbruch sollte ab 1938 mit »Brighton Rock« – deutscher Titel: »Am Abgrund des Lebens« – erfolgen. Ab diesem Zeitpunkt nahmen Katholiken in Greenes Romanwelten einen selbstverständlichen Platz ein, auch wenn sie zum Leidwesen vieler literaturbegeisterter Gläubigen eben nicht immer sympathisch dargestellt wurden, sondern dazu auch noch in einer Umgebung voller religiöser Indifferenz unter zahlreichen Anfechtungen und Versuchungen zu leiden haben, häufig unerlöst sind und ihren Glauben wie ein Kreuz auf den Schultern ihrer Seele tragen.
Greenes »Die Kraft und die Herrlichkeit«, ein Roman über die Revolution in Mexiko, erschien zwei Jahre danach, erregte die Aufmerksamkeit des Heiligen Offiziums, also der obersten Glaubensbehörde Roms, und wurde 1953 von Giuseppe Kardinal Pizzardo mit einem Bannspruch belegt. Doch Papst Paul VI., der das literarische Genie Greenes zu schätzen wusste, konstatierte ihm nüchtern, dass wohl einige Katholiken einen Teil seiner Bücher immer anstößig finden würden – er solle sich aber deswegen keine Gedanken machen. Jüngst hat sich Robert Kardinal Sarah in einem Interview mit dem in Rom lebenden deutschen Journalisten und Vatikanisten Armin Schwibach auf Greenes Buch »Die Kraft und die Herrlichkeit« berufen und...