3 Krankenhaussozialarbeit und ihre Ursprünge
Die folgenden Ausführungen über die Anfänge der Krankenhaussozialarbeit lehnen sich hauptsächlich an Peter Reinicke[2] an, der sich u. a. intensiv mit der historischen Entwicklung der Sozialarbeit im Krankenhaus beschäftigte und verschiedene Arbeiten zu diesem Thema vorgelegt hat.
3.1 Berlin, die Geburtsstätte der Krankenhausfürsorge
Die Sozialarbeit im Krankenhaus gehört zu den ältesten Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit. Ihre Anfänge reichen in Deutschland bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Zu dieser Zeit begannen die Mitarbeiterinnen der 1893 in Berlin gegründeten „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ erste ehrenamtliche fürsorgerische Arbeit in Krankenhäusern zu leisten.
1895/96 besuchten sie erstmals die Kranken in der Berliner Charité.
Wenige Jahre später, um 1902, gingen etwa 25 Frauen regelmäßig in die Berliner Krankenhäuser und betreuten die Patienten und deren Angehörige.[3]
Im Jahre 1908 wurde von Alice Salomon, welche 1899 die Leitung der Mädchen- und Frauengruppen übernahm, die erste Soziale Frauenschule in Deutschland, in Schöneberg, gegründet. Die in der Sozialen Krankenhausfürsorge ehrenamtlich arbeitenden Mädchen und Frauen erhielten dadurch „fachliche Unterweisungen“, um ihre „selbstgestellte Aufgabe“ zufriedenstellend bewältigen zu können.
„Die Gründung von Sozialen Frauenschulen und die damit beginnende Professionalisierung dieses jungen Frauenberufs in Berlin haben wesentlich dazu beigetragen, die Entwicklung einer qualifizierten Krankenhausfürsorge zu fördern.“[4]
Weitere entscheidende Impulse für die Entwicklung einer professionellen Krankenhaus-fürsorge in Deutschland gab Elsa Strauss 1913 in einer Mitgliederversammlung der „Mädchen und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“.
Sie berichtete über ihre Erfahrungen bezüglich der amerikanischen Krankenhausfürsorge[5], welche sie während einer Amerikareise anlässlich eines Vortrages ihres Mannes, Dr. Hermann Strauss (Chefarzt des jüdischen Krankenhauses in Berlin), in Washington sammelte.[6]
Das Einrichten der Krankenhausfürsorge in Amerika basierte auf der Erkenntnis, „daß es [neben der ärztlichen und pflegerischen Versorgung d.V.] innerhalb des Behandlungsteams jemanden geben müsste, der die Sorgen und Probleme wirtschaftlicher; persönlicher und psychosozialer Art von Patienten aufgreift […].“[7]
Mit dem Bericht von Elsa Strauß und den Anregungen aus Amerika waren die Grundbausteine für die Einrichtung einer Sozialen Krankenhausfürsorge in Deutschland gelegt:
„Die von Elsa Strauß vorgetragenen Erfahrungen und Ideen der amerikanischen Krankenhausfürsorge und die in Berlin durch die Mitarbeiter verschiedener Vereine in 20 Jahren [seit 1896; d.V.] gewonnenen Erkenntnisse praktischer Sozialarbeit in Krankenhäusern gaben den Anstoß, für Berlin ein Konzept der Arbeit einer ,Sozialen Krankenhausfürsorge’ zu entwickeln.“[8]
Infolgedessen baten Berliner Frauen- und Wohlfahrtsvereine im Winter 1913 den Magistrat der Städte Charlottenburg und Schöneberg, in allen städtischen Krankenhäusern eine Soziale Fürsorge zuzulassen.
Der Magistrat gab seine Zustimmung, so dass bereits im März 1914 in fast allen städtischen Krankenhäusern Berlins das Konzept der Sozialen Krankenhausfürsorge umgesetzt werden konnte.
Im Juni des gleichen Jahres gründete Alice Salomon das „Komitee Soziale Krankenhausfürsorge“, dem sich unterschiedlichste Organisationen der Frauenbewegung anschlossen. Das grundlegende Ziel des Komitees lag darin, die Soziale Fürsorge in den einzelnen Krankenhäusern zu verbreiten und auszubauen, was bis zum Ersten Weltkrieg in allen städtischen Krankenhäusern Berlins weitestgehend erreicht wurde.[9]
Im Jahr 1930 war der Aufbau der Sozialen Krankenhausfürsorge in Berlin soweit abgeschlossen. „Die Stadt war das Zentrum und die Wiege dieses Zweiges der Sozialarbeit in Deutschland.“[10]
Einige andere Städte Deutschlands orientierten sich an dem Vorbild Berlins und richteten ebenfalls in ihren Krankenhäusern eine Soziale Fürsorge ein.
3.2 Mehrdimensionalität fürsorgerischen Handelns
Mit Hilfe der nächsten beiden Abschnitte wird die zweiseitige Ausrichtung der Sozialen Krankenhausfürsorge näher erläutert. Ihr berufliches Handeln umfasst einerseits die soziale und humane Dimension, welche sich auf das Wohl des Patienten bezieht, und andererseits die ökonomische, welche sich an dem Leistungsdenken im Krankenhaus orientiert.
3.2.1 Patientenwohl
Die nachfolgende Darstellung über Leitmotive/-gedanken, Aufgaben und Ziele der Krankenhausfürsorge soll verdeutlichen, dass der Patient und sein körperliches sowie seelisches Wohlbefinden jederzeit im Mittelpunkt des fürsorgerischen Handelns standen.[11]
Peter Reinicke führt in seinem historischen Abriss über die Anfänge der Sozialen Krankenhausfürsorge die „Hilfe für sozial Schwächere“ als „ein Motiv bei jungen Mädchen und Frauen“, um Fürsorge für Kranke in benachteiligten Lebenslagen zu leisten, an.[12]
Der eigentliche Grundgedanke fürsorgerischen Handelns basierte jedoch auf der Einsicht, dass Patienten ergänzend zur medizinischen und pflegerischen Versorgung soziale und materielle Hilfestellungen benötigen, um weitgehend ohne familiäre, berufliche und finanzielle Sorgen sowie ohne psychischem Leid schneller genesen zu können oder sogar mit einer dauerhaften Krankheit leben zu lernen.[13]
Dieser Erkenntnis entsprechend, formulierten die Berliner Frauen- und Wohlfahrtsvereine die Aufgaben und Ziele der Krankenhausfürsorge in ihrem Antrag auf Einrichtung einer Sozialen Fürsorge in allen städtischen Krankenhäusern an den Magistrat[14]:
„Die Soziale Krankenhausfürsorge will für die Kranken das tun, was Arzt und Pflegerin nicht für sie tun können. Sie will ihnen bei den wirtschaftlichen Sorgen, die durch ihre Krankheit entstehen, Rat und Hilfe schaffen. Sie will den Kranken die Unruhe und Angst nehmen, die ihre Wiederherstellung verzögern, wenn sie ihre Familien unversorgt oder in Not wissen. Sie will den Kranken schon während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus die Gewißheit geben, daß sie auch nach der Entlassung nicht in Sorgen und ohne Beistand bleiben.“[15]
Diese Aufgabenbeschreibung zeigt deutlich, dass der Schwerpunkt des fürsorgerischen Handelns auf individuellen, auf den einzelnen Patienten abgestimmten Hilfen lag. In diesem Sinne stellte die Krankenhausfürsorge die seelischen, persönlichen und sozialen Probleme des Patienten in jeder Betreuung und Beratung in den Vordergrund.
Abschließend sollen an dieser Stelle Auszüge aus den Regelungen des Magistrates von Berlin aus dem Jahre 1925 zur „Durchführung der sozialen Krankenhausfürsorge in Groß-Berlin“ aufgeführt werden, da diese Ausgangspunkt für alle weiter entwickelten Richtlinien für die Krankenhausfürsorge und die spätere Krankenhaussozialarbeit waren.[16]
In den Regelungen des Magistrates wird die Beratungs- und Vermittlungsfunktion der Krankenhausfürsorge explizit hervorgehoben. Weiterhin werden die Aufgaben der Sozialen
Krankenhausfürsorge in die Fürsorge für den Kranken selbst und die Fürsorge für die Familie untergliedert:
„ A. Die Fürsorge für den Kranken selbst:
1. Beratung in gesundheitsfürsorgerischer, wirtschaftlicher und sozialer Beziehung, Erledigung von
Schriftverkehr [...].
2. […] Vermittlung von Heilstätten-, Erholungs- und Kuraufenthalten, […], Überleitung in andere
Anstalten, insbesondere in Hospitäler.
3. Vermittlung der Vorsorge für die erste Zeit nach der Entlassung: Unterkunft, Unterstützung durch
Geld oder Naturalien […], Pflege des Kranken im Hause […].
B. Für die Familie:
Beratung in gesundheitsfürsorgerischer und wirtschaftlicher Beziehung, […], Vermittlung der Beschaffung des notwendigsten Lebensunterhaltes. […]“[17]
In diesen Regelungen wird ebenfalls die ausdrückliche Orientierung der fürsorgerischen Hilfen auf den Patienten mit seinen persönlichen und sozialen Problemen, die im Zusammenhang mit seiner Erkrankung stehen, sichtbar. Neben den Hilfeangeboten für den Patienten wird insbesondere auch die Familie (s. Teil B der...