„Trotz vieler Einwände wird in den letzten Jahren verstärkt gefordert, das Kreative Schreiben in den Deutschunterricht aller Schularten aufzunehmen“[175].
Viele Fachdidaktiker und Pädagogen setzen sich zwar für die Integration kreativer Schreibversuche in den Deutschunterricht bzw. für das kreative Schreiben als wesentlichen Bestandteil des Deutschunterrichtes ein, doch kreative Schreibverfahren haben noch keinen festen Platz in den Rahmenplänen erhalten. In den neuen länderübergreifenden Rahmenlehrplänen[176] Grundschule Deutsch für die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen und Mecklenburg Vorpommern ist der kreative Schreibunterricht kein fester Bestandteil des Deutschunterrichtes, aber kreative Verfahren haben bereits in den Deutschunterricht Eingang gefunden.
Im Folgenden geht es um die Frage, inwieweit im Rahmenlehrplan Kreativität oder kreative Schreibverfahren erwähnt werden.
Welche kreativen Schreibverfahren werden im Deutschunterricht der Grundschule bereits durchgeführt?
Der Begriff der Kreativität kommt zunächst im Zusammenhang mit problemorientierten Aufgaben vor. Problemorientierte Aufgaben müssen derart angelegt sein, dass die Schüler zur kreativen Bearbeitung angeregt und verschiedene Kompetenzen gefördert werden[177]. Es müssen demnach bestimmte Bedingungen erfüllt sein, damit die Schüler zum kreativen Verhalten bzw. Bearbeiten motiviert werden.
Des Weiteren sollen die Schüler im Deutschunterricht lernen, die kreativen Möglichkeiten von Sprache zu gebrauchen[178]. Nicht nur die Möglichkeiten, die die gesprochene Sprache anbietet, sondern insbesondere solche, die das Schriftliche betreffen, sollen von den Schülern genutzt werden. Hierzu zählt das Verfassen kreativer Texte zu verschiedenen Anlässen. Aber auch das Mitteilen, Wahrnehmen und Reflektieren von Gefühlen, Erfahrungen und Vorstellungen beim Sprechen, Schreiben und Lesen sollen im Deutschunterricht erlernt werden. Diese Aufgabe könnte das kreative Schreiben übernehmen, denn Persönliches steht hier im Mittelpunkt.
Zu den Lernzielen bzw. Standards am Ende der Jahrgangsstufe 6, wie sie im Rahmenlehrplan bezeichnet werden, gehören das Schreiben freier Texte und das Nutzen verschiedener Schreibanlässe wie das Experimentieren mit Sprache und veränderten Texten, die in dieser Form auch im kreativen Schreiben zu finden sind. Kreative Schreibverfahren ermöglichen verschiedene Zugänge zum Schreiben und gehen von verschiedenen Schreibanlässen wie z. B. Wünschen und Ängsten der Schüler aus.
Die Schreibinteressen der Schüler stehen im Rahmenlehrplan der Grundschule im Mittelpunkt. Die Schüler sollen zum Schreiben oder zum Verfassen von Texten motiviert werden. Hierfür eignen sich insbesondere individuell bedeutsame Schreibanlässe, auf die oben bereits eingegangen wurde. Die Schüler erkennen dabei, „dass Schreiben zur Kommunikation sowie zur gedanklichen Auseinandersetzung dient und einen kreativen Umgang mit Sprache ermöglicht“[179]. Aus kreativen Schreibverfahren entstandene Texte haben Mitteilungscharakter und ermöglichen einen kreativen Umgang mit Sprache. Insbesondere bieten die unterschiedlichen Gedichtformen diese Möglichkeit an. Nach dem Rahmenlehrplan der Grundschule müssen die Schüler regelmäßig und zu Beginn des Schreibunterrichtes in freien und geplanten Situationen Gelegenheit und Anregung zum Schreiben von Texten erhalten.
Für die 5. und 6. Klasse werden über die genannten Inhalte hinaus noch Sprachspiele und Verfremdungen genannt. Von den Schülern wird erwartet, dass sie Schreibideen von Textmodellen übernehmen und diese kreativ verändern[180]. Hier wird auf das Verwenden literarischer Muster als Anregung zum Schreiben oder Verfassen eigener Texte verwiesen. Einige kreative Schreibverfahren werden auf diese Weise in den Literaturunterricht integriert und dienen als Mittel, den Schülern Literarisches näher zu bringen.
Kreative Schreibverfahren spielen im Rahmenlehrplan der Grundschule zwar eine Bedeutung, sind jedoch nur teilweise in den Deutschunterricht integriert. Ein weiteres Problem ergibt sich jedoch in der Umsetzung dieser erwähnten Verfahren in die Praxis.
„Doch wie sieht die Umsetzung in die Praxis aus? Als langjährige und erfahrene Hauptschullehrerin sehe ich meine Kolleg(inn)en mit dem Anspruch eines `Kreativen Schreibens` konfrontiert, der sie in Zweifel und Unsicherheit stürzt. Die meisten unter ihnen haben diese Art des Umgangs mit Sprache weder selbst erlebt, noch sind sie durch Lehrgänge darauf vorbereitet worden“[181].
Dieses Kapitel widmet sich der Praxis des kreativen Schreibens.
Die praktischen Beispiele wurden an vier Berliner Grundschulen durchgeführt. Für diese kreativen Schreibversuche wurden zwei kreative Methoden, die in den 5. und 6. Klassen angewandt wurden, ausgesucht. Bei den Methoden handelt es sich um das Cluster-Verfahren und die Fantasiereise. Eine Methode wurde jeweils an zwei Klassen in unterschiedlichen Bezirken praktiziert, um die Schreibergebnisse anschließend miteinander vergleichen zu können. Die Grundschulen liegen aus diesem Grund in unterschiedlichen Bezirken Berlins, nämlich in Rudow (Süd- Neukölln), in Nord-Neukölln, in Kreuzberg und in Zehlendorf / Dahlem, d. h. sowohl in so genannten sozial starken als auch in so genannten sozial schwachen Gegenden Berlins. Die Bezirke Nord-Neukölln und Kreuzberg weisen darüber hinaus einen hohen Anteil an Schülern nichtdeutscher Herkunft auf.
Folgende Fragen stehen hier im Mittelpunkt:
Wie kann ein kreativer Schreibunterricht in der Praxis aussehen? Welche Voraussetzungen müssen für einen kreativen Schreibunterricht erfüllt sein? Welche Probleme können im Unterricht entstehen? Baut das kreative Schreiben tatsächlich Schreibblockaden ab und werden schreibängstliche Schüler zum Schreiben motiviert? Wie unterscheiden sich die Texte der Schüler bezüglich des Inhaltes?
Wie bereits erwähnt, handelt es sich hier um praktische Beispiele, die in den 5. und 6. Klassen durchgeführt wurden. Die Schreibversuche in den 6. Klassen fanden, wie geplant, am Ende des Schuljahres statt. Sie wurden zu dieser Zeit durchgeführt, weil die Schüler die 6. Klasse damit schon durchlaufen haben und wie am Endes jedes Schuljahres bestimmte Lernziele bereits erworben wurden. Auch die Versuche in den 5. Klassen sollten am Ende des Schuljahres stattfinden, mussten jedoch aus zeitlichen Gründen, die sich aus der Tatsache ergaben, dass das Ende des Schuljahres nahte, kurz auf den Beginn des neuen Schuljahres verlegt werden. Sie fanden demnach zu Beginn des 6. Schuljahres statt. Die Schüler dieser Klassen haben jedoch noch einen Wissensstand der 5. Klasse.
Die grobe Vorgehensweise des Unterrichtens in den Klassen verlief nahezu identisch. Unterschiede ergaben sich aus den verschiedenen kreativen Methoden heraus. Die Begrüßung, das Vorstellen des Anliegens und der Methode sowie die weitere Vorgehensweise erfolgten jedoch schon zu Beginn aller Schreibversuche.
Die Fantasiegeschichte ist eine der zwei Methoden, die in den Grundschulen praktiziert wurden. Sie wurde sowohl in der Klasse 6a der Erich-Kästner-Grundschule als auch in der Klasse 6a der Reinhardswald-Grundschule durchgeführt, um die Schülertexte miteinander vergleichen zu können. Da Kinder in diesem Alter mit großem Eifer fantasieren, ist eine Methode notwendig, bei der sie ihrer Fantasie freien Lauf lassen können. Die Fantasiegeschichte „Der Rucksackmann“[182] bietet ihnen eine Möglichkeit an. Reales und Fantastisches vermischen sich in dieser Geschichte. Der Fantasie der Schüler sind keine Grenzen gesetzt. Der Inhalt der Geschichte ist für die Schüler nachvollziehbar. Wie viel Fantasie die Geschichte enthalten soll, kann jeder Schüler selbst bestimmen.
In beiden Klassen wurde wie folgt verfahren:
Zunächst wurde der Titel der Fantasiegeschichte, nämlich „Der Rucksackmann“, an die Tafel geschrieben, nachdem die Methode und die Anforderung an die Schüler erläutert wurden. Nachdem der Einführungstext von Joan Miró [183], der einiges über die Person des Rucksackmannes erzählt, zweimal hintereinander vorgelesen wurde, folgte anschließend der eigentliche Text der Fantasiereise. Auch dieser wurde zweimal vorgelesen, damit die Schüler sich in die virtuelle Situation genauer hineinversetzen können. Jeder Schüler sollte nun...