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Kritik des Neoliberalismus

AutorBettina Lösch, Christoph Butterwegge, Ralf Ptak
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl291 Seiten
ISBN9783531909325
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Keine andere Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie beherrscht die Tagespolitik, aber auch die Medienöffentlichkeit und das Alltagsbewusstsein von Millionen Menschen fast auf der ganzen Welt so stark wie die neoliberale. Die Publikation versteht sich als kritische Einführung in den Neoliberalismus, skizziert seine ökonomischen Grundlagen und stellt verschiedene Denkschulen vor. Anschließend werden die Folgen neoliberaler Politik für Sozialstaat und Demokratie behandelt, etwa im Hinblick auf Maßnahmen zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen, staatlicher Aufgaben und persönlicher Lebensrisiken. Das Buch richtet sich an Leser/innen, die nach Informationen über den Neoliberalismus, guten Argumenten für die Debatte darüber und gesellschaftspolitischen Alternativen suchen.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, Dr. Bettina Lösch und Dr. Ralf Ptak sind als Sozial-, Politik- bzw. Wirtschaftswissenschaftler an der Universität zu Köln tätig.

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Leseprobe
Grundlagen des Neoliberalismus (S. 13)

Ralf Ptak

Zweifellos ist „Neoliberalismus" einer der schillerndsten Begriffe unserer Zeit. In der internationalen Diskussion steht er für die Kritik und das Unbehagen gegenüber einer entwurzelten Ökonomie im globalen Maßstab. Diese negative Deutung ist noch ein relativ junges Phänomen, obwohl der Neoliberalismus auf eine 70-jährige Geschichte zurückblicken kann. Zwar diskutierte man schon in der „alten" Bundesrepublik während der 50erund 60er-Jahre über die marktoptimistischen Positionen der neoliberalen Stichwortgeber von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard.

Auch das neoliberale Wirtschaftsprogramm des chilenischen Diktators Augusto Pinochet fand zusammen mit seiner „Verfassung der Freiheit" um die Mitte der 1970er-Jahre internationale Beachtung. Formuliert hatten es die „Chicago- Boys", eine Gruppe radikaler neoliberaler Wirtschaftswissenschaftler um den Nobelpreisträger Milton Friedman an der Universität in Chicago, die das lateinamerikanische Land unter diktatorischen Bedingungen zum ersten realen Großversuch des Neoliberalismus werden ließen. Gleichwohl blieb der Neoliberalismus damals im Kern ein Spezialthema wenig einflussreicher akademischer Zirkel.

Das änderte sich in den 90er-Jahren, als die Folgen jenes internationalen Politikwechsels offen zutage traten, der zu Beginn der 70er-Jahre eingeleitet worden war. Die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Flexibilisierung der Wechselkurse der nationalen Währungen, die Intensivierung des Freihandels, der massive Rückbau der Sozialstaaten sowie eine Wirtschaftspolitik, die auf die einseitige Verbesserung der Angebotsbedingungen von Unternehmen zielt, hatten die Konturen einer neuen Wirtschafts- und Sozial( un)ordnung geformt und sichtbar werden lassen.

Überall auf der Welt waren und sind die Auswirkungen des neuen Paradigmas zu spüren – wenngleich in unterschiedlicher Qualität und Quantität. Mit der neoliberalen Globalisierung vollzog sich insofern nicht nur eine Verallgemeinerung der sozialen und ökonomischen Probleme, sondern auch eine Internationalisierung der Diskussionen über die Ursachen dieser Neuordnung der Welt. Am Ende des 20. Jahrhunderts avancierte der Neoliberalismus zur dominanten Ideologie des Kapitalismus, deren Leitsätze international den Referenzrahmen für die Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik vorgeben.

Dabei ist der Machtanspruch des Neoliberalismus total und universell – total im Sinne einer umfassenden Entpolitisierung des Gesellschaftlichen und universell im Hinblick auf seinen globalen Geltungsanspruch. Wider diese Totalität hat sich im zurückliegenden Jahrzehnt eine breite internationale Bewegung gegen das Vordringen neoliberaler Politiken formiert – der Neoliberalismus wurde zum negativen Inbegriff des entfesselten, global agierenden Kapitalismus.

Für die Gegner der Kritiker, etwa den Leiter des Wirtschaftsressorts der Zeit, Uwe Jean Heuser, ist deshalb „der Begriff des Neoliberalen (...) hoffnungslos politisiert und seiner ursprünglichen Bedeutung entfremdet" worden.2 In seiner als „Einführung" ausgegebenen Verteidigung des Neoliberalismus spricht Gerhard Willke gar vom „Elend der Neoliberalismuskritik", um diese als völlig unangemessen erscheinen zu lassen.3 Tatsächlich hat die Popularisierung des Begriffs „Neoliberalismus" diesen zu einem politischen Schlagwort werden lassen, dem heute verschiedenste Bedeutungen zugewiesen werden.

Die einen sehen darin eine rein ideologische Bewegung, andere verstehen darunter ausschließlich die expansionistische Politik der US-amerikanischen Supermacht, und wieder andere erkennen im Neoliberalismus einen allgemeinen Trend zur Ökonomisierung der Gesellschaft. Diese Bedeutungsvielfalt ist allerdings charakteristisch für ein politisches Schlagwort und sagt zunächst nichts über die Qualität der Kritik am Neoliberalismus aus, wie dessen Verteidiger suggerieren wollen. Sie kennzeichnet auch andere Schlüsselbegriffe, z. B. die „Soziale Marktwirtschaft", welche ihrem theoretischen Ursprung nach ein Konzept des deutschen Neoliberalismus der 1940er-Jahre war und heute im Bewusstsein der Bevölkerung mit unterschiedlichsten wohlfahrtsstaatlichen Arrangements verbunden wird.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Einleitung11
Grundlagen des Neoliberalismus13
1. Die Ursprünge des Neoliberalismus15
1.1 Die Weltwirtschaftskrise 1929/32 als Geburtsstunde des Neoliberalismus16
1.2 Erste Formierungen des Neoliberalismus19
1.3 Das neoliberale Selbstverständnis22
2. Markt, Staat und Wettbewerb in der neoliberalen Theorie26
2.1 Klassischer Wirtschaftsliberalismus, Neoklassik und Neoliberalismus27
2.2 Antrieb und Steuerung der Gesellschaft: Markt, Staat und Wettbewerb32
3. Gesellschaft und Menschenbild im Neoliberalismus50
3.1 Der Mensch als Objekt der Geschichte: Hayeks Theorie der kulturellen Evolution53
3.2 Vom Niedergang liberaler Grundwerte: Individualismus und Freiheit58
3.3 Das neoliberale Leitbild der Gesellschaft: Eindämmung des Interventionsstaates, Begrenzung der Demokratie und Diskreditierung der sozialen Gerechtigkeit66
4. Der Neoliberalismus als Projekt der politischen Praxis73
4.1 Strategie und Taktik zur Durchsetzung des neoliberalen Projekts75
4.2 Entwicklungsphasen des Neoliberalismus81
Privatisierung und Liberalisierung – Strategien zur Selbstentmachtung des öffentlichen Sektors87
1. Ein Kernpunkt des neoliberalen Projekts: das Privateigentum als Basis menschlichen Daseins88
1.1 Begriff und Bedeutung des Eigentums88
1.2 Öffentliche, private, positionelle und Allmendegüter93
2. Die neoliberale Kritik an öffentlichem Eigentum und staatlicher Wirtschaftstätigkeit97
2.1 Erklärungsansätze für die Umgestaltung des Staates97
2.2 Unzulänglichkeiten der herkömmlichen Effizienzargumentation100
3. Politische Voraussetzungen, Strategien und Instrumente der Privatisierung103
3.1 Der Rückzug des Staates und die Neuformulierung staatlicher Kernaufgaben103
3.2 Verschiedene Grade der Privatisierung105
3.3 Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen – ahistorisch, kurzsichtig und eindimensional107
3.4 Cross Border Leasing und Public Private Partnership112
4. Wegbereiter der Privatisierung: EU-Richtlinien, GATS und TRIPS116
4.1 Schaffung und Auswirkungen des EU-Binnenmarktes117
4.2 Die Rechtsordnung der WTO als global wirkende Keimzelle von Privatisierungen120
4.3 Eine konzertierte Aktion124
5. Abkehr von einst ehernen demokratischen und sozialstaatlichen Prinzipien124
5.1 Die Entstaatlichung der Daseinsvorsorge125
5.2 Die Notwendigkeit staatlicher Regulierung126
5.3 Die Unterminierung des verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsgebotes129
5.4 Die Übertragung der Gestaltungsmöglichkeiten vom öffentlichen in den privaten Raum131
5.5 Versuche zur Popularisierung von Privatisierungen132
Rechtfertigung, Maßnahmen und Folgen einer neoliberalen ( Sozial-) Politik135
1. Sozialstaatskritik, Diskursstrategien und Legitimationstechniken des Neoliberalismus136
1.1 Grundlinien neoliberaler Sozialstaatskritik136
1.2 Die ideologische Legitimation der Transformation des Sozialstaates143
1.3 Die Erosion des Gerechtigkeitsbegriffs154
2. Institutionelle bzw. Strukturveränderungen: Wohlfahrtsstaat und Staatsordnung im Umbruch171
2.1 Entstehungsgeschichte, politische Hintergründe und konzeptionelle Grundlagen der Sozialreformen171
2.2 Strukturprinzipien und Funktionsmechanismen eines nach neoliberalen Grundsätzen „ reformierten“ Gemeinwesens175
2.3 Wettbewerbsföderalismus und Föderalismusreform202
3. Folgen des Wettbewerbswahns: Spaltung der Gesellschaft, soziale Exklusion und allgemeine Destabilisierung209
3.1 Die soziale Polarisierung, Pauperisierung und Prekarisierung209
3.2 Die sozialräumliche Segmentierung: Peripherisierung ländlicher Regionen, Zerfall der Städte und Marginalisierung bestimmter Quartiere212
3.3 Entsolidarisierung, Ethnisierung und Entdemokratisierung215
Die neoliberale Hegemonie als Gefahr für die Demokratie221
1. Vom Elend der Politik im Neoliberalismus: Demokratie als Funktion der Ökonomie222
1.1 Neoliberale Grundannahmen im Hinblick auf die Demokratie222
1.2 Neoliberale Gegenmodelle: ein Rat der Weisen oder individualistische Tausch- und Vertragsverhältnisse234
1.3 Weniger – statt: mehr – Demokratie als neoliberale Maxime236
2. Die Demontage liberaler Demokratie im Zeichen der neoliberalen Hegemonie240
2.1 Wechselbeziehungen zwischen Marktwirtschaft und Demokratie240
2.2 Vom demokratisch „gezähmten“ zum entfesselten Kapitalismus244
3. Neoliberale Globalisierung: neue politische Akteure und die Privatisierung von Politik250
3.1 Die neoliberale Modernisierung als Motor der Entdemokratisierung251
3.2 Global Governance als sozialdemokratisches Gegenprojekt zur neoliberalen Politik?257
3.3 Demokratiedefizite internationaler Organisationen262
3.4 Die Krise der liberalen Demokratie – eine postdemokratische Phase?264
4. Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Umsetzung neoliberaler Politik266
4.1 Der Mythos der zivilen Gesellschaft als herrschafts- und machtfreier Raum267
4.2 Neoliberale Akteure der „zivilen“ Gesellschaft: „think tanks“, Reforminitiativen und Lobbyorganisationen273
4.3 Politische Beratung ohne Öffentlichkeit: Privatisierung von Politik279
Abkürzungsverzeichnis285
Literaturauswahl291

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