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Kulturelles Kapital und Bildungsungleichheit

Familie als Transmissionsort, Schule als Reproduktionsort des kulturellen Kapitals - in Anlehnung an Pierre Bourdieu

AutorLena Shevelenko
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl102 Seiten
ISBN9783656320067
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 1,8, Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Veranstaltung: Pädagogik / Erziehungswissenschaften, Bildungssoziologie, Sprache: Deutsch, Abstract: 1Einleitung Als angehende Pädagogin steht für mich vor allem demokratische Bildungspartizipation sowohl der Kinder als auch der Jugendlichen und auch selbstverständlich der Erwachsenen im Zentrum des Interesses. In dieser Arbeit: 'Kulturelles Kapital und Bildungsungleichheit. Familie als Transmissionsort, Schule als Reproduktionsort des kulturellen Kapitals - in Anlehnung an Pierre Bourdieu' wird allerdings nur auf die Schüler und Schülerinnen aus unterschiedlichen sozialen Schichten bzw. Milieus eingegangen. Dabei wird zu klären sein, welche Rolle das kulturelle Kapital der Familie für schulische Bildung spielt. Die Bildungspartizipation der Erwachsenen wird in dieser Arbeit ausgeklammert, da eine Bearbeitung an anderer Stelle zu erfolgen hat. Wenn früher 'das katholischen Mädchen vom Land' das sogenannte Gesicht der Bildungsbenachteiligung war, ist es heute 'der Migrantenjunge aus der Stadt', wie es zahlreiche Bildungsstatistiken und vor allem ihre Zusammenfassung bei Heike Diefenbach (2010) eindrucksvoll belegen. Das Bildungswesen in Deutschland trägt zur fortbestehenden Ungleichheit bei. Dies geschieht vor allem durch seine Auslese und Allokationsfunktion. Auch der Zusammenhang zwischen der Schichtzugehörigkeit und der individuellen Bildungslaufbahn ist in Deutschland immer noch stark ausgeprägt (vgl. Schaub/Zenke 2007, S. 665).

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Leseprobe

2 Begriffsdefinitionen in Anlehnung an Arbeiten von Pierre Bourdieu


 

ln diesem Kapitel gehe ich auf die Begriffe des ökonomischen, sozialen, kulturellen (in seinen drei Ausprägungen) und symbolischen Kapitals, den Habitus und den Begriff des sozialen Raums ein, weil sie in der ungleichheitstheoretischen Argumentation von Pierre Bourdieu, an den sich diese Arbeit anlehnt, eine zentrale Rolle einnehmen. Vorab wird auf den Begriff Klasse eingegangen, da er in Bourdieus Werken durchgehend Verwendung findet.

 

Bourdieu spricht beispielsweise in einem seiner größten Werke „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“ vor allem von Klassen. Den Begriff der Klasse schließt er an die soziologischen Klassiker Karl Marx und Max Weber an (vgl. Fröhlich/Rehbein 2009, S. 140). Unter einer Klasse wird im klassischen soziologischen Sinne „eine Figuration [...] [verstanden], deren Mitglieder einerseits durch bestimmte ökonomische Merkmale, andererseits durch ein spezifisches Zusammengehörigkeitsgefühl und das Bewusstsein über einen historischen politischen .Auftrag' zu verfügen, gekennzeichnet sind“ (Korte 1995, S. 137).

 

Bourdieu unterscheidet für Frankreich des 21. Jahrhunderts drei Klassen: Bürgertum, Kleinbürgertum und Proletariat. Unter Bürgertum fasst er die herrschende Klasse der Bourgeoisie zusammen. Mit Kleinbürgertum ist die aufstrebende Klasse gemeint und unter dem Proletariat ist die Arbeiterklasse zu verstehen (vgl. Fröhlich/Rehbein 2009, S. 142).

 

Fröhlich und Rehbein konstatieren, dass Bourdieus Klassentheorie mehrdimensional ist (vgl. Fröhlich/Rehbein 2009, S. 141). Unter dieser Mehrdimensionalität zählt Bourdieu zum Beispiel die „ökonomischen, kulturellen und sozialen Aspekten der Klassenbildung“ (Fröhlich/Rehbein 2009, S. 141), das bedeutet, dass je nach Klassenzugehörigkeit seine Akteure über je unterschiedliches ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital verfügen.

 

Allerdings bildet die Klassentheorie die gesellschaftlichen Dimensionen nur ungenau ab und greift in Bezug darauf zu kurz. Darüber hinaus haftet ihr eine ideologischmarxistische Konnotation an. Da jedoch Bourdieu sich des Klassenbegriffs bedient, wird er in dieser Arbeit auch in seinem Sinne gebraucht. Gelegentlich sprechen auch andere von mir erwähnte Forscherinnen und Forscher in dieser Arbeit von Schichten. ln meiner Arbeit gebrauche ich die Begriffe Klasse und Schicht synonym. Im Folgenden gehe ich auf die Kapitalarten von Pierre Bourdieu (Kap. 2.1), auf den Begriff des Habitus (Kap. 2.2) und des sozialen Raums (Kap. 2.3) ein, damit die bourdieusche Argumentation und meine daran anschließende Reflexion verständlicher erscheint.

 

2.1 Kapitalarten nach Pierre Bourdieu


 

Pierre Bourdieu kreierte nach seiner gesellschaftskritischen empirischen Analyse ein wissenschaftliches Kapitalverständnis, in dem er so gut wie alle für das gesellschaftliche Weiterkommen relevanten Ressourcen in vier Kapitalkategorien zusammenfasste: ökonomische, soziale, kulturelle und symbolische Kapitalarten. Er erweiterte den klassischen Kapitalbegriff, der im engsten Sinne das Geld bzw. das Vermögen impliziert (Bourdieu 1997b).

 

Das ökonomische Kapital ist die offensichtlichste, sichtbarste und vergleichsweise am leichtesten objektivierbare Kapitalsorte. Dieser Begriff stammt aus dem Bereich der Ökonomie und beinhaltet auch bei Bourdieu Geld und Vermögen, somit alle Güter, die „unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar [sind] und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts“ (Bourdieu 1997b, S. 52).

 

Das soziale Kapital wird umgangssprachlich unter den Bezeichnungen Beziehungen, Netzwerk oder aber eher im beruflichen Kontext als Vitamin B verstanden. Bourdieus wissenschaftliches Verständnis vom sozialen Kapital beruht auch auf unserem Alltagsverständnis und er erweitert die sozialen Beziehungen um den expliziten Zusatz Kapital. Dadurch wird aus dem Vitamin B oder Netzwerk Beziehungsarbeit, die vor allem Zeit und auch Zeichen der Aufmerksamkeit in Form von kleinen Geschenken benötigt. Dazu äußert sich Bourdieu folgendermaßen:

 

„Für die Reproduktion von Sozialkapital ist eine unaufhörliche Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschakten erforderlich, durch die sich die gegenseitige Anerkennung immer wieder neu bestätigt. Bei der Beziehungsarbeit wird Zeit und Geld und damit, direkt oder indirekt, auch ökonomisches Kapital verausgabt.“ (Bourdieu 1997b, S. 67, hervorgehoben im Original)

 

Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (institutionalisiert oder auch nicht) kann somit monetäre und nicht monetäre Vorteile mit sich bringen. Dabei sind beispielsweise Parteien, Vereine, Verbände, Freunde aber auch eigene Familie mit ihren Kontakten oder aber die Bekanntschaft mit einer adeligen, berühmten und einflussreichen Person für die Kapitalakkumulation dieser Art von Bedeutung.

 

Das symbolische Kapital ist bei Bourdieu mal eine Unterkategorie des sozialen Kapitals (1997b), mal als selbstständige Kapitalart (1987) zu verstehen. Dabei sind vor allem Image, der gute Ruf, Vertrauenswürdigkeit einer Person gemeint, die bei allen anderen Kapitalarten auch mit hineingehören. Somit ist symbolisches Kapital als eine kapitalienübergreifende Art, die vor allem Kreditwürdigkeit einer Person impliziert, zu verstehen.

 

Beispielsweise wird ein Schüler oder eine Schülerin, die über einen Zeitraum hinaus überwiegend leistungsschwache Arbeiten abgeliefert hat und dafür auch schlechte Noten bekommen hat, seinen oder ihren schlechten Ruf als eher ein schwacher Schüler/schwache Schülerin bei dem Lehrer bzw. der Lehrerin nicht einfach los. Wenn er oder sie dann auf einmal eine gute Arbeit schreibt, kommt der Verdacht seitens der Lehrkraft auf abgeschrieben zu haben oder aber dass die Arbeit vielleicht diesmal zu leicht war. Die Lehrkraft könnte ferner denken, der Beschulte habe Nachhilfe erhalten, dass der Schüler oder die Schülerin auf einmal doch den Lernstoff aus eigener Kraft heraus verstanden hat - wird wahrscheinlich nicht in Betracht gezogen.

 

Das symbolische Kapital ist dann nicht nur für die Beziehungen, Netzwerke und für das Bildungskapital in der Schule, sondern auch für ökonomisches Kapital von Bedeutung: Wie vertrauenswürdig jemand ist, dass man ihm Kredit gewährt, Geld leiht oder ob man damit zu rechnen ist, es auch rechtzeitig zurückzubekommen, hängt im Wesentlichen mit dem symbolischen Kapital zusammen.

 

Das kulturelle Kapital nimmt in den Arbeiten von Bourdieu besonderen Raum ein. Darunter versteht er sowohl den guten Geschmack, Manieren, Sprache, Benehmen aber auch Bildungsabschlüsse, Gemälde und dergleichen mehr. Bourdieu unterscheidet drei Formen des kulturellen Kapitals:

 

a) Inkorporiertes Kulturkapital[4]

 

Unter dem inkorporierten Kapital versteht Bourdieu verinnerlichte Einstellungen, Werte, Vorlieben, Wissen aber auch die Fähigkeiten, Sprache und Sprechweise sowie Können. Diese Dimensionen des inkorporierten Kulturkapitals sind körpergebunden und setzen Verinnerlichungsprozesse voraus (vgl. Bourdieu 1997b, S. 55).

 

„Die Akkulturation von Kultur in korporiertem Zustand - also in der Form, die man auf Französisch .culture’, auf Deutsch .Bildung’, auf Englisch cultivation’ nennt - setzt einen Verinnerlichungsprozeß voraus, der in dem Maße, wie er Unterrichts- und Lernzeit erfordert, Zeit kostet‘ (Bourdieu 1997b, S. 55, hervorgehoben im Original).

 

Die Zeit für die Akkumulation des inkorporierten kulturellen Kapitals muss allerdings von jedem Einzelnen persönlich erbracht werden:

 

„Wer am Erwerb von Bildung arbeitet, arbeitet an sich selbst, er .bildet sich’. Das setzt voraus, dass man .mit seiner Person bezahlt’, wie man im Französischen sagt. D. h., man investiert vor allen Dingen Zeit, aber auch eine Form von sozial konstruierter Libido, die libido sciendi, die alle möglichen Entbehrungen, Versagungen und Opfer mit sich bringen kann“ (Bourdieu 1997b, S. 55, hervorgehoben im Original).

 

Diese „sozial konstruierte Libido“ oder aber „Liebe zur Bildung, zum Wissen“ könne am effektivsten und ergiebigsten und ohne jeglichen Zeitverlust nur in der Familie habituell vermittelt, übergeben und angeeignet werden, sodass sich die Kinder aus den privilegierten bildungsnahen Haushalten von Anfang an durch ihren familiären Habitus in der Welt der Bildung auskennen und somit auch beheimatet fühlen und noch Freude dabei empfinden.

 

Da die Weitergabe und Aneignung dieser Art des kulturellen Kapitals „im Verborgenen geschieht und häufig ganz unsichtbar bleibt“, wird „seine wahre Natur als Kapital“ verkannt und stattdessen wird es als „legitime Fähigkeit oder Autorität“ angesehen (Bourdieu 1997b, S. 57).

 

b) Objektiviertes Kulturkapital

 

Unter dieser Kapitalart versteht Bourdieu die objektiv vorhandenen kulturellen Güter wie beispielsweise Schriftstücke, Bücher, Gemälde, Musikinstrumente. Dabei lässt sich diese Kapitalart vergleichsweise leicht juristisch übertragen, allerdings um ein Buch lesen oder ein Gemälde verstehen und genießen oder aber ein Musikinstrument spielen zu können, benötigt man das...

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