Maike Aden / Andreas Brenne
„Du sollst dir kein Bildnis machen“
Über die Verwendung von Kunstwerken im Kontext der Religion
„Ich meines theils vordere von einem Kunstwerke Erhebung des Geistes und wenn auch nicht allein und ausschließlich religiösen Aufschwung.“1
(Caspar David Friedrich)
Das Vorhaben dieses Projekts, den im RU geläufigen Einsatz von Kunstwerken in Hinsicht auf seine Zielsetzungen, Funktionsbeschreibungen und Wirkungsweisen zu untersuchen und kritisch zu beleuchten, ist – das machen alle Teilprojekte deutlich – ein höchst sinnvolles Unterfangen. Denn kaum etwas ist weniger selbstverständlich als das faszinierende Geschehen visueller bzw. ästhetischer Erfahrungs- und Bildungsprozesse. Es ist entschieden von unverfügbaren Erscheinungen geprägt, die sich nicht nur der gesicherten Kommunikation, des sinnvollen Verstehens und der habbaren Erkenntnis widersetzen, sondern auch der Machbarkeit, Regulierung und Kontrolle. Kunst lässt sich nur bedingt stillstellen, und die Auseinandersetzung mit ihr hinterlässt immer auch einige offene Enden. Bilder entziehen sich strukturell einer didaktisch reduzierten Funktionalisierung; gleichzeitig scheinen sie in besonderem Maße geeignet zu sein, religiöse Inhalte und Erfahrungen jenseits der sprachlichen Festschreibungen zu vermitteln. Dieses dialektische Spannungsfeld ist einer der Gründe dafür, warum es keine einfache Begründung für eine Auseinandersetzung mit Bildern im Dienst des RUs gibt. Die Einwände der christlichen Theologie gegen eine Auseinandersetzung mit Bildkunstwerken sind sicherlich auf diese eigenständige Logik der Bilder zurückzuführen. Gleichzeitig gibt es eine reichhaltige bildtheologische Tradition, die die ikonoklastischen Diskurse ignorierte und seit der Frühzeit des Christentums eine unüberschaubare Fülle an Bildwerken hervorgebracht hat. Ein weiteres Problem besteht darin, ob die visuellen Äußerungen der christlichen Kultur als Kunstwerke zu verstehen sind. Der heutige Gebrauch von Kunst unterscheidet sich fundamental von der ursprünglichen Funktion christlicher Bildwerke – soweit man diese überhaupt eindeutig bestimmen kann.
Kunst und Christentum sind im Laufe der Geschichte des Christentums nicht immer eine versöhnliche Allianz eingegangen. Innerhalb der von Horst Schwebel so bezeichneten „Konfliktgeschichte“2 vollzog sich eine dialektische Wechselwirkung zwischen Bilderkult und Bilderkritik bzw. Bilderverbot. Die Darstellung christlicher Themen war ein zentrales Moment neuzeitlicher Kunstproduktion. So wurden Bilder als Repräsentanten funktionalisiert, welche die herrschenden Glaubensgrundsätze einfach und klar oder auch erschütternd und überzeugend zu illustrieren, zu vermitteln und zu bewerben suchten. Bilder bedienten aber auch die profane Schaulust einer Gesellschaft, in der Mimesis und Travestie prinzipiell diskreditiert waren; wie das Verbot der Schauspiele durch die Kirchenväter belegt:
„Welcher Glaubenssatz, welcher Vernunftgrund und welche disziplinäre Vorschrift uns gleich den übrigen Verirrungen der Welt auch des Vergnügens der Schauspiele beraubt, das lernet nun kennen, ihr Diener Gottes, die ihr jetzt eben euch Gott nahet, das laßt euch nochmals vor die Seele führen, ihr, die ihr euch Gott bereits genähert zu haben bezeugt und bekennt, damit keiner durch Unwissenheit und Selbsttäuschung sich versündige.“3
Bildnerische Darstellungen der biblischen Heilsgeschichte überstiegen die kultische Verehrung und überwältigten und faszinierten durch Schönheit, Harmonie, Reichtum, Pracht, aber auch durch deren Umkehrung ins Monströse und Absurde.
„[…] was machen dort jene lächerlichen Monstrositäten, die unglaublich entstellte Schönheit und formvollendete Häßlichkeit? was sollen dort unreine Affen? was wilde Löwen? was monströse Zentauren? was Halbmenschen? was gefleckte Tiger? was kämpfende Krieger? was blasende Jäger? Da siehst du unter einem Kopf viele Körper und da auf einem Körper viele Köpfe. Man sieht hier an einem Vierfüßler den Schwanz einer Schlange, dort an einem Fisch den Kopf eines Vierfüßlers. Dort eine Bestie, die vorne ein Pferd ist und hinten eine halbe Ziege; dort ein Tier mit Hörnern vorn, hinten aber ein Pferd. Mit einem Wort, so viel, so wunderbare Mannigfaltigkeit verschiedenartiger Geschöpfe erscheint überall, daß man eher in den gemeißelten als in den geschriebenen Worten liest; sich lieber den ganzen Tag damit beschäftigt, derlei zu bestaunen als das Gesetz Gottes zu bedenken. Bei Gott! Wenn man sich der Albernheiten schon nicht schämt, warum gereuen dann nicht die Kosten?“4
Einen Verbindlichkeitsanspruch und eine klar bestimmbare Inanspruchnahme durch die Kirche haben selbst die klarsten und einfachsten Bilder aufgrund ihrer genuinen Mehrdeutigkeit schon immer mehr oder weniger deutlich überschritten. Insbesondere aber seit die Künstler in der Westkirche begannen, ihre Formen mit der Wirklichkeit zu vergleichen, um realistische Szenen, naturgetreue Bewegung und menschlichen Ausdruck darzustellen, dienten Bilder nicht mehr ausschließlich der Darstellung heiliger Wahrheiten der Kirche, und säkulare Themen nahmen zu. Dadurch wurde zwar die Heilsgeschichte sinnstiftend in die Lebenswelt transferiert, anderseits aber gerieten diese Versuche, Säkulares und Profanes zu verbinden, schnell zum Skandal. Caravaggios Modelle entstammten den Straßen von Neapel; Prostituierte standen für biblische Frauengestalten Modell.5 Derartiges war im Zeitalter der Gegenreformation nicht tolerabel, und der Künstler musste fliehen. Spezielle Konfliktfelder haben sich seit der beginnenden Moderne um 1800 aufgetan. So sorgten besonders die gesellschaftlichen Säkularisierungsprozesse der Aufklärung und des Idealismus für eine Entkirchlichung der Kunst hin zu einem universalen Pantheismus.6 Diese Situation war unauflösbar verknüpft mit dem, was als Krise der Repräsentation bezeichnet wird. Die traditionellen Symbolsysteme der christlichen Bild- und Vorstellungswelt wurden nicht mehr als gegeben hingenommen, sondern als raum- und zeitgebundene Zustände bzw. Konstruktionen (Kant nennt es die „produktive Einbildungskraft“7) entlarvt. Die Verbilderung von Glaubensnotwendigkeiten ‚an sich‘ wurde dadurch zu einer fragwürdigen Angelegenheit. Es kam zu einer Versubjektivierung und Individualisierung christlicher Gedanken und des religiösen Ausdrucks, was zahlreiche Kontroversen provoziert hat. Beredtes Zeugnis davon legt das Gemälde „Kreuz im Gebirge“ („Tetschener Altar“) von 1807/08 Caspar David Friedrichs ab, das nicht mehr der christlichen Ikonografie folgt, sondern den „religiösen Aufschwung“ (Caspar David Friedrich) als Projektion bzw. Reflexion des Künstlers imaginiert.8 Zum Verständnis dieser Transformationsprozesse ist eine Vergegenwärtigung der mit Alexander Gottlieb Baumgarten beginnenden Vorstellungen über die Vollkommenheit sinnlicher Erkenntnis im Angesicht von Kunst (aber auch von Natur und Alltag) hilfreich. Besonders die daran anschließenden Ausführungen Immanuel Kants über die Ästhetik bestimmen das ästhetische Urteil als besondere Fähigkeit des Menschen, das – im Gegensatz zum moralischen und theoretischen Urteil – ein absolut freies Spiel unserer Erkenntniskräfte zu initiieren vermag.9 Friedrich Schiller hat die Bedeutung des freien Spiels noch einmal hervorgehoben, indem er die darin liegende ganzheitliche und freie Entfaltung des ganz bei sich selbst seienden Menschen betont.10 Kunstwerke werden demnach als autonom betrachtet. Ihre Bedeutung liegt allein in der sinnlichen Erfahrung der Betrachter/-innen. Die schöpferische Rezeption, die das Kunstwerk fortsetzt, wird als die einzig angemessene empfunden. „Der wahre Leser [Bildleser, M.A.] muss der erweiterte Autor sein“11, forderte z. B. Novalis. Und Caspar David Friedrich wollte, „dass der Beschauer vor den Werken dieses Künstlers gezwungen wird, selbst zu dichten, um sie zu ergänzen“.12 Aus diesem Verständnis heraus kann die Verbindung von Kunst und Religion nur eine offene sein. Gemäß der Doktrin Martin Luthers, dass jeder getaufte Christ sein eigener Priester sei,13 kann die Produktion und Rezeption von Bildern in christlichen Kontexten nur der freien und spekulativen Artikulation von Emotionen, Assoziationen und Vorstellungen dienen. Eine Instrumentalisierung von Kunst als didaktisches Mittel zur Vermittlung dogmatisch-religiöser Inhalte ist zwar weiterhin möglich, in Hinblick auf seine Wirksamkeit aber in hohem Maße fragwürdig. Das religiöse Gedächtnis und das ikonografische Erbe der christlichen Religion sind zwar bis heute...