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E-Book

Passion und Auferstehung Jesu

Dimensionen des Leidens und der Hoffnung

AutorManfred Köhnlein
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783170234550
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis30,99 EUR
Mit einer Phänomenologie des Leidens soll in diesem Band ein neuer Zugang zu den letzten Tagen Jesu in Jerusalem gefunden werden. Jesus gerät in der 'Heiligen Stadt' zunehmend ins 'politische' Leiden, in den psychischen Kummer, in die soziale Vereinsamung, in den physischen Schmerz, in die religiöse Anfechtung bis zu seinem letzten Schrei am Kreuz. Die Darstellung endet aber nicht beim Desaster des Todes, sondern wendet sich auch dem Bekenntnis der Auferstehung Jesu zu. Es fällt auf, dass Theologen heute als Erben der Entmythologisierung kaum noch eine Fortexistenz des Personkerns über den Tod hinaus zu verkünden wagen. Mit dem Verschweigen der Auferstehung aber wäre nach Paulus das christliche Glaubensbekenntnis 'hohl' und das Leiden 'hoffnungslos' (1 Kor 15,12ff.).

Prof. Dr. Manfred Köhnlein lehrte an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd. Jehuda Bacon lehrte an der Bezalel-Kunstakademie in Jerusalem.

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Leseprobe

Dunkle Gefühle


Es ist ungewöhnlich, von Jesu Emotionen zu reden. Der Versuch einer Einfühlung in seine Gedanken, ob er sich bewusst war, was alles ihm in Jerusalem drohen konnte, wenn er es wagte, dort in der aufgeheizten Paschastimmung zu seiner Botschaft über „mehr Gerechtigkeit“ und konsequenter Gewaltlosigkeit zu stehen (Mt 3,15; 6,20), wird allzu leicht als Psychologisierung abgetan. Dabei wird jedoch in der herkömmlichen Darstellung der Karwoche durchaus Psychologie getrieben, wenn auch weniger bei der Berichterstattung des Leidens Jesu als vielmehr bei der Schilderung der Wirkung seiner Leiden auf die Gläubigen. Die meisten klassischen Passionspredigten und Passionslieder versenken sich geradezu ausschweifend in die Schuldgefühle der Gläubigen angesichts des Gekreuzigten, der „für uns“ leiden und sterben musste. Ein Höhepunkt dieser Mystik war schon immer in den protestantischen Gemeinden das Gesangbuchlied von Paul Gerhardt „O Haupt voll Blut und Wunden“24, ohne das es für die Evangelischen „nicht Karfreitag wird“. Der Christ steht mit seinem Gewissen erschüttert unter dem Kreuz seines „Heilands“. Er erschrickt über das „schimpfierte“ Angesicht Jesu25 und bezieht das Leiden Jesu unmittelbar auf sich selbst: „Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast.“26 Dabei ist es bibelkundlich durchaus gerechtfertigt, von inneren Bedenken und Befürchtungen Jesu zu reden, wenn wir die Inkarnationslehre ernst nehmen und den „Sohn Gottes“ wirklich als Menschen geboren sein lassen, der weder eine bloße Ikone, noch eine kühle Statue war, sondern ein Herz und eine Seele hatte wie wir, wenn auch in größerer Tiefe und Weite.

1          Todesahnungen Jesu


Die Leidensweissagungen Mt 20,17–19 (Mk 10,32–34; Lk 18,31–33); Mt 17,22f. (Mk 9,30.32); Mt 16,21 (Mk 8,31–33; Lk 9,22)


17 Und Jesus zog hinauf nach Jerusalem und nahm die zwölf Jünger beiseite und sprach zu ihnen auf dem Wege: 18 Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und der Menschensohn wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überantwortet werden; und sie werden ihn zum Tode verurteilen 19 und sie werden ihn den Heiden überantworten, damit sie ihn verspotten und geißeln und kreuzigen; und am dritten Tage wird er auferstehen.

Der schimpfliche Kreuzestod Jesu muss für seine Jünger und Jüngerinnen, die mit ihm nach Jerusalem „hinaufgezogen“ waren27, eine gruppendynamische und seelische Katastrophe gewesen sein28, welche die Evangelisten zumindest für die Leserschaft ihrer Bücher abzumildern versuchten, indem sie Jesus bereits in Galiläa schon lange vor seinem Pilgerzug in die Hauptstadt Jerusalem dreimal ankündigen ließen, dass ihm dort Unheil drohe. Niemand sollte meinen, der „Sohn Gottes“ sei unwissend und blind in seinen Untergang hineingestolpert. Die Evangelisten ließen Jesus dabei auch gleich die Vorhersagen seines Todes mit der Aufforderung zur Nachfolge verknüpfen, um ihren Mitchristen am Vorbild Jesu Mut zu machen, das Leidenmüssen nicht als Widerspruch zu ihrem Glauben an Jesus, sondern als einen integrativen Teil ihres eigenen christlichen Lebens zu verstehen.29 Aber wenn wir sagen „die Evangelisten ließen …“, klingt das so, als wäre das Vorherwissen Jesu ihre eigene Konstruktion, die sie ihm in den Mund legten. Dürfen oder gar müssen wir das annehmen?

Die zitierte letzte der drei Leidensweissagungen Jesu, die er auf seinem Pilgerweg nach Jerusalem seinen Jüngern offenbart haben soll, wird von allen drei Synoptikern überliefert. Sie ist die ausführlichste und soll deshalb auch für die beiden vorangegangenen stehen.30 Sie liest sich wie eine Chronik der Passionswoche. Das hat viele Exegeten dazu verleitet, sie und auch die beiden vorausgehenden Weissagungen als „vaticinia ex eventu“31, als nachträglich aus den geschehenen Ereignissen heraus konstruierte Prophezeiungen zu erklären, denn sie würden ja bereits beim irdischen Jesus ein göttliches Vorherwissen bis hin zu den Details „verspotten, geißeln, kreuzigen“ und vor allem die Kenntnis seiner Auferstehung voraussetzen (V. 19). Die Mehrheit der Ausleger hält heute die Leidensweissagungen Jesu für nachträglich konstruiert. Sie seien Jesus von den Schreibern der Evangelien in den Mund gelegt worden, um seine gottgleiche Begabung der Allwissenheit hervorzuheben. Aber gerade damit hätten die Evangelisten das Menschsein Jesu geschwächt. Hätte nämlich Jesus schon im Voraus genau gewusst, welches Martyrium auf ihn zukäme, hätte er sein Leiden nur durchhalten, aber nicht wahrhaft an ihm und Gott verzweifeln müssen, wie es sein Verlassensschrei am Kreuz bezeugt (Mt 27,46). Seine Passion wäre aufgrund seiner übernatürlichen Ausstattung im strengen Sinn nur eine Scheinpassion, aber kein wirkliches Leiden gewesen. Jesus wäre sich bereits vor seiner Kreuzigung seiner Auferstehung sicher gewesen (V. 19), so wie später die Urchristen aufgrund der Verkündigung der Auferstehung Jesu ihrer eigenen Auferweckung gewiss sein durften. Wohl werden Leidende zu allen Zeiten von Todesahnungen umgetrieben. Der moderne „Kult“ um die „Letztwilligen Verfügungen“ macht das Sterbenmüssen nur scheinbar zu einem rational bewältigbaren notariellen Akt. Niemand weiß im Voraus, wie seine letzte Stunde aussehen und was sein Bewusstsein im Sterben alles durchmachen wird. Im Grunde genommen sprechen die Vorhersagen Jesu nur die Weisheit aus, die schon ein alttestamentlicher Psalm formulierte: „(Herr), lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Ps 90,12). Wahrscheinlich wollten die Evangelisten ihrer Leserschaft mit den genauen Angaben der kommenden Passionsereignisse in Jesu Mund schon in der Mitte ihrer Bücher signalisieren, dass das tragische, schimpfliche Ende Jesu nicht willkürlich war, sondern Jesus (und hinter und über ihm Gott) durch sein Vorherwissen bis hin zum Ereignis der Auferstehung stets Herr der Lage blieb. Die irdischen Richter und Henker Jesu sollten für die Leser zu keinem Zeitpunkt über die Initiative des Geschehens verfügen.

„Und Jesus zog hinauf …“ (V. 17). Der „Rabbi“ aus Nazaret hat seine galiläischen Wanderungen beendet und beschließt nun, mit seinem Anhang über das Jordantal von Jericho aus den steilen Aufstieg hinauf zur Hauptstadt Jerusalem zu gehen (Mt 19,1; 20,29). Ein frommer Jude, zumal einer, der wie Jesus „Rabbi“ genannt wurde32, sollte jährlich zumindest eine Wallfahrt zum Jerusalemer Tempel unternehmen; wenn möglich an Pessach (Auszug aus Ägypten) oder an einem der beiden anderen großen, traditionellen Feste Schawuot (Wochenfest) oder Sukkot (Laubhüttenfest). Entsprechend feierlich war die Stimmung der Pilger beim „Hinaufziehen“ zum geographisch hoch gelegenen Jerusalem (V. 17) – ein Anlass, miteinander unterwegs Erwartungen und Fragen auszutauschen. Topographische Angaben haben in der Symbolsprache der Bibel nicht selten einen übertragenen Sinn. So kann mit „auf dem Wege“ (V. 18) hintergründig auch das geistige Unterwegssein, das Suchen nach Wahrheit und Gewissheit angedeutet sein. Mit welchem Selbstbewusstsein trat Jesus den Gang nach Jerusalem an? Schon beim Betreten des Jordantals bei Caesarea Philippi hatte Jesus seine Jünger gefragt: „Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?“ (Mt 16,13), als sei er sich selbst seiner Identität und Sendung unsicher gewesen. Petrus hatte ihm dabei als Sprecher der Jünger vollmundig geantwortet: „Du bist Christus (Messias), des lebendigen Gottes Sohn“, als wäre die Selbstbezeichnung Jesus als „Menschensohn“ nicht der Rede wert gewesen,33 woraufhin ihm Jesus die erste Leidensweissagung entgegenhielt, die aber Petrus nicht hören wollte34, weil sie nicht in seine Vorstellung eines herrscherlichen Messias passte.

Daraufhin war ein heftiges Streitgespräch zwischen dem Meister und seinem Schüler entbrannt, bei dem Jesus Petrus vorwarf, wenn er sich das Leidenmüssen nicht als zum „Menschensohn“ gehörig vorstellen könne, sei er geradezu ein „Satan“35 – als sei es eine der schlimmsten Versuchungen in der Nachfolge Jesu, das Leiden um jeden Preis zu scheuen. Und auch jetzt hier bei der dritten Leidensweissagung, nimmt Jesus wieder die Zwölf aus der Menge derer, die ihm nachfolgten36, „beiseite“ (V. 17), um ihnen vertraulich seine Todesahnungen mitzuteilen. Seine weitere Anhängerschaft und vor allem das Volk brauchten sie noch nicht zu wissen, weil Jesu Leiden keine Show werden sollte und nur ein Leidender...

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