2 Was ist guter bilingualer Geschichtsunterricht?
Ist guter bilingualer Geschichtsunterricht eine Kombination von gutem Geschichts- und gutem Fremdsprachenunterricht? Ein Blick auf die in den Kerncurricula und Bildungsstandards der Länder ausgewiesenen Kompetenzbereiche ergibt wenige Berührungspunkte. Die Kompetenzbereiche der modernen Fremdsprachen und des Fachs Geschichte haben erst einmal wenig miteinander zu tun. Verknüpfungen fach- und fremdsprachenspezifischer Kompetenzen sind eher auf der Ebene der übergeordneten Bildungsziele ersichtlich: Weiterhin sind Fremdverstehen und Perspektivenübernahme wichtige Bestandteile im legitimatorischen Diskurs beider Fächer. Das mittlerweile transkulturelle Lernen wird im Kerncurriculum der modernen Fremdsprachen als eigener Kompetenzbereich ausgewiesen. Wenn man davon ausgeht, dass die Fremdsprache und die Schulsprache Deutsch nur die Lernmedien darstellen, sollten Vorstellungen von gutem Geschichtsunterricht auch für bilingualen Geschichtsunterricht Gültigkeit besitzen.
2.1 Was ist guter Geschichtsunterricht?
Die Frage nach der Qualität von Geschichtsunterricht wird in den letzten Jahren und in Verbindung mit der Kompetenzmodelldebatte wieder stärker in der deutschen Geschichtsdidaktik diskutiert (Meyer-Hamme/Thünemann/Zülsdorf-Kersting 2012). Aus schulischer Sicht ist eine Rückbesinnung auf dieses Kerngeschäft sehr zu begrüßen. Ausschlaggebend dafür war die Analyse von videografierten Unterrichtslektionen aus der Schweiz, die im Rahmen eines empirischen Forschungsprojektes entstanden (Gautschi u. a. 2007). Guter Geschichtsunterricht kann viele Ausprägungen haben (Gautschi 2009), er ist laut Gautschi, Bernhardt und Mayer (2012, S. 328) dann gut, wenn Schüler/innen „anhand von fachspezifisch bedeutsamen Inhalten und Themen mittels eines Unterrichtsprozesses, der den Ansprüchen der Bezugswissenschaften entspricht, relevantes geschichtliches Wissen und für historisches Lernen grundlegende Kompetenzen sowie Überzeugungen erwerben und ausdifferenzieren“. Wenn sich Gütekriterien identifizieren lassen, die es erlauben, die spezifische fachliche Qualität des Unterrichts zu identifizieren, zu beschreiben und zu beurteilen, dann kann auch die Frage der Besonderheit des Geschichtsunterrichts beantwortet werden (Gautschi 2009, S. 88). Gautschi, Bernhardt und Mayer haben 18 Prinzipien guten Geschichtsunterrichts identifiziert. Diese stellen keinen Maßnahmenkatalog dar, der in jeder Unterrichtsstunde oder -einheit umgesetzt werden kann und soll. Sie bilden einen orientierenden Rahmen und sollen dabei helfen, die tägliche Praxis zu verbessern, indem sie das Wesentliche von gutem Geschichtsunterricht benennen. Für Gautschi manifestiert sich das Fachspezifische des Geschichtsunterrichts in spezifischen Themen und Inhalten sowie darin, dass in ihm historisches Denken gelernt wird. Dementsprechend sieht er im Lerngegenstand und in der Nutzung, also im Umgang der Schüler/innen mit dem Lerngegenstand das eigentlich Fachspezifische, während die Prozessstruktur des Geschichtsunterrichts zwar fachspezifische Eigenheiten aufweise, sich aber insgesamt nicht grundlegend von vielen anderen Schulfächern unterscheide (Gautschi 2009, S. 96). Kristina Lange hat darauf hingewiesen, dass sich das 18. Prinzip guten Geschichtsunterrichts, das Strukturiertheit und Klarheit als fachunspezifisches Qualitätsmerkmal ausweist, durchaus in eine fachbezogene Kategorie zur Beschreibung von Geschichtsunterricht transformieren lässt, wenn fachbezogene Strukturierungskonzepte hinzugezogen werden (Lange 2012). Neben inhaltsbezogenen Strukturierungskonzepten (Darstellungsprinzipien: chronologisches Verfahren, Längsschnitt, Querschnitt, Fallanalyse) und unterrichtsmethodischen Strukturierungskonzepten (Zugriffe: problemorientierter und handlungsorientierter Geschichtsunterricht) spielen hier auch historische Erkenntnisverfahren (Lernwege: Historische Methode, historischer Vergleich, multiperspektivisches Verfahren) eine Rolle (Günther-Arndt 2011b, S. 158–172). In der fachbezogenen Konkretisierung dieses Qualitätsmerkmals sieht Lange eine wesentliche Grundlage für das Gelingen von Geschichtsunterricht (Lange 2012, S. 172). Ich denke, dass die Unterrichtsgestaltung durch die Lehrkraft, die durch die Prozessstruktur-Prinzipien beschrieben werden soll, eine fundamentale Basis für das Gelingen von bilingualem Geschichtsunterricht bildet. Damit die auf der Nutzungsseite beschriebenen Prinzipien greifen können und historisches Lernen stattfinden kann, bedarf es im bilingualen Geschichtsunterricht einer fachspezifischen Prozessstruktur. Beides hängt untrennbar miteinander zusammen. Haben die häufig konstatierten Defizite, die empirische Arbeiten zum historischen Lernen ergeben haben, vielleicht eine Ursache darin, dass die Prozessstruktur im (bilingualen) Geschichtsunterricht oftmals keine fachspezifische Ausgestaltung erfährt, da sie nicht die Arbeitsweise von Historikerinnen und Historikern modelliert und damit den Ansprüchen der Bezugswissenschaft nicht genügt?
Abb. 2.1: Guter Geschichtsunterricht nach Gautschi/Bernhardt/Mayer (2012, S. 345f.)
2.1.1 Warum ist eine Diskussion über Gütekriterien/Qualitätsmerkmale notwendig?
Bodo von Borries hat in einem seiner provokativen Schadensberichte zugespitzte Antworten auf die Frage formuliert, warum Geschichtslernen so schwierig ist:
Abb. 2.2: Problemfelder der Geschichtsdidaktik nach Borries (2008, S. 15-46)
Wenn theoretisch nicht geklärt ist, was Geschichtsunterricht nun eigentlich leisten soll und wie er systematisch von anderen Lernfeldern abzugrenzen ist (Zülsdorf-Kersting 2012, S. 9), hat das für die Unterrichtspraxis eine Vielzahl von Folgen. Auf der Basis welcher Kriterien Geschichtsunterricht geplant, analysiert und beurteilt wird, ist relativ unklar. Hier scheint mir insbesondere das Referendariat ein große Leerstelle darzustellen. Nach welchen Kriterien beobachten und bewerten Fachleiter/innen in den Studienseminaren Geschichtsunterricht? Hierüber wissen wir empirisch viel zu wenig:
„Gemessen an der Wichtigkeit dieser zentralen Herausforderung ist es schwer zu erklären, warum die deutschsprachige Geschichtsdidaktik in den Bereichen Theorie, Empirie und Pragmatik insgesamt wenig Nachlesbares vorzuweisen hat. Er gibt keine Theorie des Geschichtsunterrichts und ebenso wenig eine Theorie der Diagnose von Geschichtsunterricht. Abgesehen von wenigen Ausnahmen gibt es kaum empirische oder pragmatische Literatur zur Praxis der Geschichtsunterrichtsanalyse“ (ebd., S. 8).
Meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen in der Betreuung von Referendar(inn)en deuten darauf hin, dass die spärliche, aber vorhandene fachspezifische Literatur zur Unterrichtsplanung (Mayer/Pandel 1976; Mayer 2004; 2005; Barricelli/Sauer 2006; Gautschi 2009; Zülsdorf-Kersting 2010; Gautschi/Bernhardt/Mayer 2012; Peters 2014) kaum Berücksichtigung findet und damit die Prozessstruktur des Geschichtsunterrichts nicht fachspezifisch, sondern – wie in den Prinzipien guten Geschichtsunterrichts – eher allgemeinpädagogischer Natur ist. Wenn nun im Rahmen der Diskussion um Kompetenzen und Bildungsstandards Bewegung in die Frage nach Gütekriterien/Qualitätsmerkmalen von Geschichtsunterricht kommt, stellt das eine notwendige Ergänzung zu den verschiedenen, momentan existierenden Kompetenzmodellen historischen Denkens dar. Diese Modelle stellen keine Instrumente zur Bestimmung von Unterrichtsqualität dar und sofern sie keine Entwicklungsmodelle sind, bedürfen sie der Flankierung durch empirische Forschung, um zu einer relevanten und nicht nur legitimatorischen Bezugsgröße für Lehr-Lern-Prozesse bzw. für die Unterrichtplanung und -praxis zu werden. Meik Zülsdorf-Kersting fordert eine „testtheoretisch transparente Überprüfung der Kompetenzkonstrukte“, um Kompetenzbereiche sinnvoll stufen oder graduieren zu können und zu überprüfen, inwiefern sie sich zur Modellierung von Lehr-Lern-Wegen eignen (Zülsdorf-Kersting 2012, S. 10). Ich glaube, dass die Erwartungshaltung hier zu groß ist. Historisches Denken von Kindern und Jugendlichen möglichst objektiv, reliabel und valide in Kompetenzbereiche fassen zu wollen, die bestenfalls eine saubere und grauzonenfreie Stufung und Graduierung ermöglichen, könnte einer Quadratur des Kreises nahekommen. Was aber helfen kann, ist der Blick über den eigenen Tellerrand, denn es gibt international gesehen mittlerweile zahlreiche empirische Studien kleineren Maßstabs, die natürlich keine repräsentativen Ergebnisse liefern, aber in einer Vielzahl von konvergierenden Forschungsprojekten zeigen, dass historisches Denken eine schwierige, aber auch eminent wichtige und durchaus im schulischen Unterricht in einem bestimmten Ausmaß (Schüler/innen sind keine Minihistoriker/innen!) erlernbare Fähigkeit/Kompetenz ist. Im Gegensatz zu den ernüchternden Befunden der...