FOKUS 1
Die Eigenschaften der Gase
Ein Gas ist eine Form von Materie, die einen beliebigen Behälter stets vollständig ausfüllt. In den folgenden Abschnitten werden wir die Eigenschaften von Gasen charakterisieren, deren Kenntnis im weiteren Verlauf des Textes vorausgesetzt wird.
1.1. Das ideale Gas
Ein „ideales Gas‟ ist ein vereinfachendes, idealisiertes Konzept zur Beschreibung von Gasen. Die Zustandsgleichung des idealen Gases kann aus experimentellen Befunden gewonnen werden, die durch das Boyle’sche Gesetz, das Charles’sche Gesetz und durch das Avogadro’sche Prinzip beschrieben werden.
1.1.1 Die Zustandsgleichung des idealen Gases; 1.1.2 Anwendungen der Zustandsgleichung des idealen Gases; 1.1.3 Mischungen von Gasen: Der Partialdruck
1.2. Die kinetische Gastheorie
Ein zentraler Aspekt der Physikalischen Chemie ist es, Modelle für das Verhalten von Molekülen aufzustellen, um die beobachteten Phänomene erklären zu können. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Ableitung eines Modells für das Verhalten der Moleküle (oder Atome) eines idealen Gases, die sich in ständiger, ungerichteter Bewegung befinden. Dieses Modell ist die Grundlage für die molekulare, kinetische Gastheorie. Sie liefert nicht nur eine Erklärung für die Gasgesetze, sondern sie kann auch benutzt werden, um die mittlere Geschwindigkeit zu berechnen, mit der sich Moleküle in einem Gas bewegen, sowie deren Abhängigkeit von der Temperatur. Das Modell erlaubt darüber hinaus, Geschwindigkeitsverteilungen sowie deren Abhängigkeit von Molekülmasse und Temperatur anzugeben.
1.2.1 Der Druck eines Gases; 1.2.2 Die mittlere Geschwindigkeit der Gasmoleküle; 1.2.3 Die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung; 1.2.4 Diffusion und Effusion; 1.2.5 Intermolekulare Stöße
1.3 Reale Gase
Das ideale Gas ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für die Betrachtung aller Gase, und dessen Eigenschaften werden uns bei der Betrachtung der Thermodynamik und der Kinetik immer wieder begegnen. Allerdings weicht das tatsächliche Verhalten von „realen Gasen‟ von diesen idealisierten Eigenschaften ab. Daher beschäftigen wir uns in diesem Abschnitt mit der Interpretation dieser Abweichungen, und wir verfeinern das Modell, indem wir die Effekte molekularer Anziehungs- und Abstoßungskräfte berücksichtigen. Die Diskussion realer Gase ist ein weiteres Beispiel dafür, dass einfache Modellvorstellungen bald an ihre Grenzen stoßen, jedoch durch Berücksichtigung weiterer Aspekte und Verfeinerung der Theorie den Beobachtungen in der realen Welt angepasst werden können.
1.3.1 Intermolekulare Wechselwirkungen; 1.3.2 Die kritische Temperatur; 1.3.3 Der Kompressionsfaktor; 1.3.4 Die Virialgleichung; 1.3.5 Die van-der-Waals-Gleichung; 1.3.6 Die Verflüssigung von Gasen
Anwendungen
Das ideale Gasgesetz und die kinetische Gastheorie finden Anwendung bei der Betrachtung der Vorgänge in einem einzelnen Reaktionsgefäß, oder sogar auf einem ganzen Planeten. Im Exkurs „Anwendung 1: Umweltwissenschaft − Die Bedeutung der Gasgesetze für das Wetter‟ am Ende dieses Fokus werden wir sehen, wie die Gasgesetze dazu benutzt werden, um meteorologische Phänomene zu beschreiben und zu verstehen.
1.1. Das ideale Gas
Motivation
Die Gleichungen, die das Verhalten eines idealen Gases beschreiben, bilden die Grundlage zur Ableitung vieler, komplexerer Gesetze der Physikalischen Chemie. Das ideale Gasgesetz ist darüber hinaus eine gute erste Näherung, um das Verhalten realer Gase zu beschreiben.
Schlüsselideen
Das ideale Gasgesetz, das eine Reihe empirischer Beobachtungen zusammenfasst, beschreibt die Eigenschaften eines realen Gases umso präziser, je näher sich der Druck eines Gases null nähert.
Voraussetzungen
Die einzige Voraussetzung zum Verständnis dieses Abschnitts ist die Kenntnis der SI-Einheiten und ihrer Umrechnung, wie in „Toolkit 1: Größen und Einheiten beschrieben.
Den genauen Zustand einer gasförmigen Substanzprobe können wir durch die Angabe der Werte folgender Größen charakterisieren:
p (der Druck der Probe),
V (das Volumen der Probe),
T (die Temperatur der Probe),
n (die Stoffmenge in der Probe).
Diese vier Größen sind wie folgt definiert:
Das Volumen V ist der dreidimensionale Rauminhalt, den eine Substanz einnimmt. Volumen wird in Quadratmetern m3 angegeben, bzw. in Bruchteilen hiervon, wie z. B. Kubikdezimeter dm3 (1 dm3 = 10−3 m3) oder Kubikzentimeter (1 cm3 = 10−6m3). Häufig werden Volumina in den nicht-SI-Einheiten Liter (1 L = 1 dm3) bzw. Milliliter (1 mL = 1 cm3) angegeben.
Der Druck p ist definiert als das Verhältnis aus der Kraft F, geteilt durch die Fläche A, auf welche diese Kraft wirkt:
(1.1)
In einem Gas wird die Kraft, gemessen in Newton (N) mit 1N = 1 kg ms−2, durch Stöße der Atome oder Moleküle des Gases auf die Wand des Behälters hervorgerufen, wie wir in Abschn. 1.2 im Detail besprechen werden. Die SI-Einheit des Drucks ist das Pascal (Pa), wobei 1 Pa = 1 Nm−2 = 1 kgm−1s−2. Das Pascal entspricht ungefähr dem Druck, den eine Masse von 10 mg auf 1 cm2 an der Erdoberfläche ausübt-es ist also eine sehr „kleine‟ Einheit. Dies führt dazu, dass es häufig angebracht erscheint, den Druck in anderen Einheiten anzugeben. Eine der am häufigsten verwendeten Alternativen ist das Bar (bar), wobei 1 bar = 105 Pa; das Bar ist zwar keine SI-Einheit, aber es ist eine allgemein akzeptierte und weit verbreitete Abkürzung für 105 Pa. Der Atmosphärendruck auf der Erde, dem wir normalerweise ausgesetzt sind, entspricht ungefähr 1 bar. Eine ähnliche, ältere Einheit, die diesen Umstand noch genauer berücksichtigt, ist die physikalische Atmosphäre (atm), wobei 1 atm = 101325 Pa ist. Man beachte, dass der Druck bei 1 atm etwas höher ist als bei 1 bar (ca. 1 %).
Temperatur ist die Eigenschaft eines Objekts, die bestimmt, in welche Richtung Energie in Form von Wärme abgegeben wird, wenn es mit einem anderen Objekt in Kontakt gebracht wird: der Energiefluss verläuft stets vom wärmeren zum kälteren Objekt. Bei Angabe der thermodynamischen Temperatur T, die auch „absolute Temperatur‟ genannt wird, ist die niedrigste mögliche Temperatur als T = 0 definiert; sie wird in der Einheit Kelvin (K) angegeben. Die Definition der Kelvin-Skala basiert ferner auf dem sogenannten „Tripelpunkt‟ von Wasser; bei 273,16 K existieren flüssiges Wasser, Eis und Wasserdampf nebeneinander im Gleichgewicht. Der Gefrierpunkt von Wasser liegt nur unwesentlich niedriger, nämlich bei 273,15 K. In der Praxis wird darüber hinaus die besser bekannte Celsius-Skala verwendet, das Symbol für die Temperatur ist dann θ (theta). Die Celsius-Skala hängt mit der Kelvin-Skala durch folgende Beziehung zusammen:
(1.2)
Eine Temperaturänderung von 1 Kelvin ist gleich groß wie eine Temperaturänderung um 1 Grad Celsius. Auf der Celsius-Skala gefriert Wasser bei 1 atm Druck bei 0 °C, und der Siedepunkt liegt bei knapp 100 °C.
Die Stoffmenge n ist die Anzahl von Atomen oder Molekülen N in einer Probe, ausgedrückt als ein Vielfaches der Avogadro-Konstanten, NA = 6,022 × 1023 mol−1. Die Einheit der Stoffmenge ist das Mol (mol):
(1.3)
In der Praxis wird die Stoffmenge aus der Masse m und der molaren Masse M einer Substanz berechnet, gemäß n = m/M. Im Labor sprechen Chemiker noch häufig von der Molzahl oder Molmenge; diese Ausdrucksweise ist jedoch inoffiziell und veraltet.
Wenn eine Probe in kleinere Einzelproben aufgeteilt wird, und eine untersuchte Größe der Gesamtprobe sich nun aus der Summe dieser Größe in den Einzelproben ergibt, spricht man von einer extensiven Größe. Bespiele dafür sind die Masse m oder das Volumen V. Wenn eine Größe hingegen auch in den Einzelproben unverändert bleibt, spricht man von einer intensiven Größe. Die Summe dieser Größe in den Einzelproben wäre also ungleich der Größe in der ursprünglichen, ungeteilten Probe. Beispiele dafür sind die Temperatur und der Druck. Die Dichte d, mit d = m/V, ist ebenfalls eine intensive Größe, da sie in allen Einzelproben gleich groß wäre wie in der ungeteilten Gesamtprobe. Alle molaren Größen, Xm = X/n, bei denen sowohl X als auch n extensive Größen sind, stellen intensive Größen dar.
Ein überraschender experimenteller Befund besagt: Die Größen p, V, T und n sind nicht unabhängig voneinander. Wir können zum Beispiel nicht willkürlich eine Probe von 0,555 mol Wasser innerhalb eines Volumens von 100 cm3 in einen Zustand bei 100 kPa und 500 K versetzen. Es wird experimentell gefunden, dass ein solcher Zustand nicht existiert. Geben wir Stoffmenge, Volumen und Temperatur vor, so müssen wir einen bestimmten Druck akzeptieren (für den oben angeführten Fall etwa 230 kPa). Das gilt prinzipiell für alle Substanzen, unterschiedlich sind nur die Werte des Drucks, der sich jeweils einstellt, wenn man die drei anderen Größen vorgibt. Wir wollen den experimentellen Befund...