3. Kapitel
LACTANTIUS
In der ganzen alten Kirche bedeutet Christ und Katholik sein soviel wie in der Kirche sein, und in der Kirche sein bedeutet in der Regel das Stehen in einer bestimmten kirchlichen Provinz und Gemeinde. Im lateinischen Christentum fehlen die Vertreter desjenigen Standes, der sich im Osten sozusagen von Berufs wegen stets eine gewisse kirchliche Unabhängigkeit und Freizügigkeit bewahrt hatte: die christlichen „Philosophen“ und Gelehrten vom Schlage eines Justin und Klemens von Alexandrien oder auch eines Julius Africanus und Methodius. Das hängt mit dem geringeren moralischen Gewicht zusammen, das die höhere Bildung und die Philosophie, aufs Ganze gesehen, in der lateinischen Welt besaß. An Stelle der Philosophen erscheinen hier öffentlich wirkende Literaten und Rhetoren, und deren philosophisches Wissen ist meist sehr oberflächlich. Werden sie zu Christen, so besitzen sie für ihren bisherigen Beruf keine rechte Achtung mehr; sie treten als Katecheten oder Kleriker in den Dienst der Kirche über oder binden sich wie Tertullian wenigstens innerlich ganz an die neuen Aufgaben, die ihnen die Gemeinde stellt. Darauf beruht dann auch die straffe Einfachheit der abendländischen theologischen Tradition. Wir kennen aus der vorkonstantinischen Periode nur eine einzige Ausnahme – und diese befindet sich nicht zufällig schon im Übergang zur neuen Zeit; das ist Laktanz. Auch Laktanz ist wie Tertullian und Cyprian ein Afrikaner; aber er wird noch als Heide in den Osten verschlagen und erlebt hier nach seinem Übertritt die Anfänge des „konstantinischen“ Umschwungs. Die neue Lage der Christenheit bietet gerade einem Apologeten und Rhetor neue Möglichkeiten. Laktanz ist u. W. der erste Theologe, der sie wahrgenommen hat. Durch Konstantin erhält er eine ausgezeichnete, unabhängige Stellung und einen neuen Wirkungskreis. Unter Verfolgungen Christ geworden, genießt er im Alter als kaiserlicher Günstling zuerst die Vorteile des beginnenden Bundes von Staat und Kirche, Christentum und herrschender Kultur. Dabei bleibt Laktanz äußerlich das, was er gewesen war: ein Lehrer oder Professor, ein Schöngeist und christlicher Schriftsteller, ohne kirchliche Bindung und Amt. Dieses Lebensschicksal gibt seiner Person und seiner Entwicklung ein kirchen- und geistesgeschichtliches Interesse; trotz seines ungewöhnlichen literarischen Talents und seines achtenswerten, lauteren Charakters kann man Laktanz sonst nicht eben zu den „Großen“ zählen.
Das wenige, was wir über sein äußeres Leben wissen, verdanken wir so gut wie ausschließlich einem kurzen Bericht und gelegentlichen Bemerkungen des Hieronymus. Aus seinem Namen Lucius Caecilius Firmianus – Lactantius ist der persönliche Rufname – ist wenig zu entnehmen. Lactanz genoß in Sicca Veneria, einer größeren Landstadt im Gebiete von Karthago, den rhetorischen Unterricht des Arnobius, eines seiner Zeit angesehenen Lehrers, der später ebenfalls zum Christentum übertrat. Er besaß auch gute juristische Kenntnisse, ist aber nach eigenem Zeugnis niemals als praktischer Anwalt oder Redner öffentlich aufgetreten. Laktanz bemühte sich um die rhetorische Bildung um ihrer selbst willen, d. h. in der Absicht, ein sozusagen „akademischer“ Lehrer der Rhetorik zu werden. Er hatte Erfolg. Kaiser Diokletian berief ihn schon zu Ende des Jahrhunderts in seine Residenz Nikomedien, die Vorläuferin Konstantinopels am Marmarameer, damit er hier als „rhetor Latinus“ zum Glanz der jungen Hauptstadt seinen Beitrag leiste. Damit war er in eine rein griechische Umgebung versetzt; aber man bedurfte seiner, weil das Lateinische immer noch die maßgebende Sprache des Reiches und seiner Gesetzgebung war: wer Karriere machen wollte, mußte sie wenigstens einigermaßen erlernen.
Wie Laktanz damals in religiöser Hinsicht stand, können wir nur mutmaßen. Seine Jugendschriften sind verloren; nur die Titel sind uns überliefert. Das „Symposium“ dürfte irgendwelche Themen des Unterrichts in der üblichen Weise diskutiert haben; eine Reisebeschreibung „von Afrika bis Nikomedien“ war in Hexametern abgefaßt – denn auch das „Dichten“ stand einem Vertreter der höheren rhetorischen Bildung damals wohl an. Von einem christlichen Einfluß war in diesen Werken gewiß noch nichts zu spüren. Trotzdem ist es möglich, ja wahrscheinlich, daß Laktanz seine ersten kirchlichen Eindrücke schon in Afrika gewonnen hat. Die Christen waren hier schon seit langem unübersehbar geworden; auch der heidnische Spott und die Polemik nahmen auf sie Bezug. Laktanz hat zu ihnen vielleicht niemals in echtem Gegensatz gestanden; denn die Grundzüge seiner heidnischen religiösen Weltanschauung hat er auch als Christ festgehalten. Er lebt in der Tradition eines mehr erbaulich als philosophisch verstandenen Platonismus, der alle Weisheit auf höhere Offenbarung und Erleuchtung gründen will und Gotteserkenntnis und Gottesverehrung zum wahren Ziele menschlichen Lebens erhebt. Die aus dem Griechischen übersetzten, vermeintlich uralten Schriften des „göttlichen“ Hermes sind die wichtigsten Zeugnisse dieser Frömmigkeit, die in gewisser Weise schon Apuleius, dann auch Arnobius gepflegt haben. Es ist gewiß kein Zufall, daß so wie Arnobius auch Laktanz und ein gleich diesem nach Nikomedien berufener Grammatiker Flavius nacheinander alle zu Christen geworden sind: erst in der Kirche fand die religiöse Sehnsucht der frommen, philosophisch gefärbten Bildung und Halbbildung, wenn es ernst wurde, die eindeutig offenbarte Lehre und die konkrete, sittliche Gemeinschaft, die zugleich verpflichtete und half. Diese weltanschauliche Herkunft erklärt wohl auch die allmähliche, schrittweise Annäherung, die wir für Laktanzens „Bekehrung“ voraussetzen müssen. In seinen eigenen Augen gilt allerdings erst die Taufe, die er in Nikomedien empfangen haben wird, als das entscheidende, heilsvermittelnde Ereignis seines Lebens.
In Nikomedien mag sich der arrivierte Rhetor zunächst etwas einsam und isoliert gefühlt haben. Es scheint, daß Laktanz niemals richtig Griechisch gelernt hat. Seine Studien beschränken sich auf „unsere“, d. h. die lateinischen Autoren, und so hat er auch aus der christlichen Literatur später nur von den lateinisch schreibenden Vätern Notiz genommen. Auch die klassische Philosophie kennt Laktanz bloß in lateinischer Vermittlung. Er kennt „den scharfsinnigsten aller Stoiker“ (inst. II 8,23), Seneca, und er kennt vor allem seinen Cicero, „den Fürsten der römischen Philosophie“ (inst. I 17,3), in- und auswendig. An Cicero hat er sich in erster Linie gebildet, so daß seine Schriften nach Hieronymus (ep. 70,5) förmlich als ein „Auszug“ aller ciceronischen Dialoge gelten können. Cicero bleibt auch in stilistischer Hinsicht zeitlebens das Ideal. Arnobius wird ihm Cicero als Muster empfohlen haben; seine eigene zuchtlose Leidenschaftlichkeit ist Laktanz immer fremd geblieben. Laktanz bemüht sich um einen edlen, lebendigen und zugleich im traditionellen Sinne „vornehmen“ Stil. Er ist Klassizist und darin eigentlich kein „Afrikaner“. Von der unbekümmerten Volkstümlichkeit und Drastik eines Tertullian rückt er bewußt ab – dessen sprachliche Haltung erscheint ihm nur schwierig, dunkel und ungepflegt. Aber auch Cyprians glänzende Beredsamkeit wird getadelt, weil sie in der Wahl der Worte auf nichtchristliche Leser zu wenig Rücksicht nähme. Laktanz hat es nicht vergessen, daß ein ausgezeichneter heidnischer Rhetor diesen ersten Lehrer der Christen einmal kurzweg als einen „Coprianus“, d. h. als Schmierfinken, verspottet hatte (inst. V 1,27). Natürlich kann auch Lactantius dort, wo er auf christliche Vorstellungen und Dinge zu sprechen kommt, den barbarischen Lehnworten und Neubildungen nicht ganz aus dem Wege gehen. Aber er bringt sie so selten wie möglich und, wenn er ihre Fremdheit empfindet, sucht er sie korrekt zu umschreiben und zu erläutern. Hier verrät sich der Schulmann und der eifrige Apologet, der im Blick auf sein gebildetes Publikum ausdrücklich die geringe Literaturfähigkeit der christlichen Werbung beklagt. Allein es ist darum keine bloß gewollte Taktik, keine gewaltsame Neueinkleidung seiner Gedanken, die er versucht: die kultivierte, wohlausgeglichene Sprechweise ist Laktanz natürlich; sie entspricht seiner eigenen unaufdringlichen, kühlen und beherrschten Art und erscheint in seinen Schriften darum sachgemäß und angenehm.
Mit diesen Bemerkungen haben wir dem zeitlichen Ablauf vorgegriffen. Zunächst bildete Laktanz in Nikomedien wie vorher in Afrika nach seinen eigenen Worten die Jünglinge weiter „nicht zur Tugend, sondern vielmehr in der ränkevollen Bosheit“ aus (inst. I 1,8), d. h. er brachte ihnen das heidnische Bildungswissen und die üblichen Künste und Kniffe des rhetorischen Vortrags bei. Das entsprach seinem Lehrauftrag. Erst die ausbrechende diokletianische Verfolgung führte zur Wende. Gleich das erste Edikt gegen die Christen vom Februar 303 sprach ihnen alle öffentlichen Ämter und Würden ab und stellte damit auch Laktanz die Entscheidungsfrage. Sie wurde noch unausweichlicher, als der antichristliche Propagandafeldzug alsbald auf seine nächste Umgebung übergriff. Nicht nur Sossianus Hierokles, der Statthalter von Bithynien, sondern auch ein ungenannter Philosoph, wie es scheint, ein unmittelbarer Kollege, stellten sich dem Kampf der Regierung zur Verfügung und unterstützten ihn mit schnell verfaßten Pamphleten gegen die nunmehr öffentlich verfemte Sekte der Christen. Das war ein Verhalten, welches angesichts der brutalen staatlichen Maßnahmen z. T. auch in heidnischen Kreisen als unschön empfunden wurde. Trotzdem mag Laktanz noch eine Weile gezögert haben; aber dann zog er die Konsequenzen. Eine förmliche Verleugnung seiner...