Die Alte Dame wird für über 100 Millionen Euro generalüberholt und aufgehübscht, 2016 im Schwimmdock der Hamburger Werft Blohm+Voss.
Wie die Hamburger Waltraut Barthel und Werner Meyer-Barthel der See verfallen sind
Als sie sich entschieden, ihr Haus in einer bürgerlichen Villengegend im Hamburger Osten zu verkaufen und auf die andere Seite der Elbe zu ziehen, in einen Stadtteil, der lange als etwas vernachlässigt galt, waren etliche ihrer Freunde ziemlich überrascht.
Als sie ihr Auto abschafften und sich fortan nur noch per Bus und U-Bahn fortbewegten und nur, wenn unbedingt nötig, zum Beispiel zur Ernte ihres eigenen Apfelbaums vor den Toren der Stadt, einen Leihwagen mieteten, waren viele Freunde einfach nur bass erstaunt.
Als sie anfingen, zur See zu fahren und größere Teile ihres Lebens an Bord von Kreuzfahrtschiffen zu verbringen, wunderte sich in ihrem privaten Umfeld niemand mehr. „Unsere Freunde haben sich daran gewöhnt, dass wir manchmal ein bisschen komisch sind“, sagt Waltraut Barthel. Dabei schmunzelt sie spitzbübisch, als würde ihr das eine zusätzliche Freude bereiten. Denn komisch ist an ihrem neuen Leben eigentlich gar nichts. Sie haben einfach nur die Liebe zur See entdeckt. Und wie das so ist mit großen Lieben: Sie genießen sie. Das ist sofort zu spüren, wenn man sie trifft.
Seit etlichen Jahren fährt Waltraut mit ihrem Mann Werner Meyer-Barthel inzwischen gemeinsam aufs Meer, und sie können davon kaum genug bekommen. Das überrascht die beiden Mitsechziger manchmal selbst am meisten. Die Eheleute kommen aus Hamburg. Waltraut Barthel hat dort ein halbes Leben Mathematik und Russisch unterrichtet, ihr Mann war Versicherungsmathematiker. Die professionelle Berufsbezeichnung für seine Tätigkeit, bei der er zum Beispiel Versicherungsrisiken berechnete, ist Aktuar, aber daran würden bei Günther Jauch ohne guten Telefonjoker wohl die meisten Kandidaten scheitern.
Schon bald nach der Schiffstaufe der QUEEN MARY 2 Anfang 2004 gingen sie das erste Mal an Bord. Ihre Reise von New York nach Hamburg hatten sie bereits gebucht, da war das Schiff noch mitten im Fertigungsprozess. Doch Werner Meyer-Barthel war im wahrsten Sinne des Wortes gut im Bild, er war der Antreiber für ihre Entscheidung. Als frischgebackener Rentner mit viel Zeit für alles und jedes hatte er viel über den neuen Ozeanriesen gelesen und gesehen. Und dabei seine alte Liebe neu aufpoliert. Wenn er darüber spricht, hört sich das an, wie von Lale Andersen millionenfach besungen: „der Hafen, die Schiffe und das Meer“.
Sie genießen die Meeresbrise und die Erkenntnis: „Jedes Meer riecht anders“ – Waltraut Barthel aus Hamburg und ihr Mann Werner Meyer-Barthel auf dem Balkon ihrer Kabine.
Hinzu „kam der Hype um die neue QUEEN MARY“, sagt er, die Tradition, der Komfort, die Eleganz, so viel war darüber berichtet worden. „Endlich mal wieder ein Schiff, das aussieht wie ein Schiff“, dachte er hamburgisch nüchtern, aber das reichte ihm nicht. Dabei sein war alles, und zwar als einer der Ersten. „Die ganze Zeit hat er von dem Schiff erzählt“, erinnert sich seine Frau. Und es klingt ein bisschen so, als habe er sie damit ganz wuschig gemacht.
Und dann war da natürlich noch diese Faszination: einmal von New York nach Hamburg mit dem Schiff, mit der QUEEN die Elbe rauf und dann in seiner Heimatstadt festmachen. „Die goldene Ära der Transatlantikquerungen war ja eigentlich vorbei“, erzählt er, aber mit der neuen QUEEN sollte auch die Tradition wieder belebt werden. Also New York. Gleich beim ersten Törn nach Hamburg waren sie dabei. So richtig bewusst wurde ihnen das wohl erst, als sie in Downtown Manhattan vom Hotel zu Fuß runter zum Anleger gingen, der damals noch unmittelbar zu Füßen der beeindruckenden Skyline lag und nicht wie heute gegenüber in Brooklyn, und sie nur wegen ihrer edlen Tragetasche einer sündhaft teuren japanischen Edelboutique in die VIP-Schlage eingereiht wurden. Da war es endlich so weit.
Die Erinnerungen sind kein Stück verblasst, auch nicht an die Zeitumstellung auf dem Atlantik, jeden Tag eine Stunde, das war für sie durchaus gewöhnungsbedürftig. „Die Nächte waren sehr kurz“, sagt Waltraut Barthel, „in Hamburg waren wir kaputt, aber glücklich.“
Drei Mal haben sie den Trip über den Atlantik inzwischen hinter sich gebracht, und sie könnten am liebsten gleich wieder los. Das Meer, der Wind, die Seeluft und so viel Zeit. „Das war einfach schön“, sagt sie. Dazu kamen weitere Touren mit der QM2, eine von Hamburg über New York nach Kanada und zurück sowie ein Kurztrip zum zehnjährigen Jubiläum mit dem Sänger Stefan Gwildis in die norwegische Nordsee. Ihr ganz privater Höhepunkt folgte dann 2017: ihre erste Weltreise und dann auf der QUEEN. 118 Tage von Southampton über Kapstadt, Sydney, Shanghai, Singapur und Dubai zurück in den britischen Heimathafen.
Eigentlich hätten sie die Reise ja vor allem gemacht, weil ihr Mann gerne mal nach Singapur wollte, erzählt Gattin Waltraut verschmitzt. Aufgrund der Zeitumstellung und der Auswirkungen auf ihre Schlafgewohnheiten mögen sie keine Langstreckenflüge mehr. „Wenn wir nach Asien wollen, müssen wir es also mit dem Schiff machen“, ist die klare Erkenntnis. Schöner Nebeneffekt: Südafrika war praktisch eingepreist.
Er habe bis dahin überhaupt kein Verhältnis zu dem Kontinent gehabt, erzählt Werner Meyer-Barthel, „und wir werden unter normalen Umständen wahrscheinlich auch keine Reise mehr nach Afrika machen.“ Nun waren sie da, wenn auch kurz, aber immerhin. Und dann noch inklusive Safari. In Kapstadt ging’s an Land und in Port Elizabeth nach drei Nächten wieder an Bord. Zwischendurch waren sie viermal auf Pirsch in einem Nationalpark und erlebten tatsächlich die sogenannten Big Five: Elefant, Löwe, Nashorn, Büffel und? „Na ja“, sagt Werner Meyer-Barthel, „eigentlich waren es ja nur Big Viereinhalb.“ Denn statt des Leoparden reichte es nur für einen Geparden in freier Wildbahn. Aber wer will da schon meckern?
Alle Bedenken, so eine lange Reise könne auf die Dauer vielleicht doch ein wenig langweilig werden, lösten sich schnell in Seeluft auf. Es war in den letzten März-Tagen, irgendwo zwischen Seoul und Hongkong, da „stellten wir mit Schrecken fest, dass wir nur noch sieben Wochen vor uns haben“, sagt er und lacht dabei ein fröhliches Lachen, das zugleich seine Freude und ungebrochene Neugier widerspiegelt.
Die beiden spielten viel zusammen, vor allem Scrabble, auch an Bord, möglichst mit Blick aufs Wasser. Sie hörten sich Vorträge an oder genossen einfach die Ruhe und Zeit. „Das Schiff bietet unheimlich viele ruhige Ecken“, sagt Waltraut, „das entschleunigt unheimlich.“ Einmal am Tag ging sie zu einer Art internationaler Häkelbüdelklub. Da wurde zusammen gestrickt, gehäkelt und gestickt, vor allem aber klönten Frauen unterschiedlichster Nationalitäten und Kulturen miteinander und tauschten sich aus – ihre Art von Stammtisch. Und dabei ging es durchaus zur Sache. Da wurde zum Beispiel über die Vorzüge der jeweiligen Sozial- und Gesundheitssysteme in ihren Heimatländern debattiert und über andere Themen, die auf der aktuellen politischen Tagesordnung standen.
Die Antwort auf die Frage nach der Lieblingsbeschäftigung kommt von ihr wie auf Kommando: „Deck 7.“ Die tägliche Runde um das Schiff, an den Rettungsbooten vorbei, sei an Bord ihr Lebenselixier. „Man sieht Fliegende Fische, Fregattvögel, Wale, dazu kommen die Meeresbrise und die Erkenntnis, jedes Meer riecht anders.“ Ihr Mann muss etwas länger überlegen, bevor er sich festlegt. Ihm hatten es die Sternenhimmel besonders angetan, „die sind toll und überall anders“. Man kann sie am besten vorn im Bug beobachten, bei den Ankern und zwischen den Reserve-Schiffsschrauben, vor den hohen Deckaufbauten, da wird das Streulicht des Ozeanriesen am besten absorbiert.
Der Dresscode an Bord der QUEEN MARY 2 ist eine Besonderheit und vor allem der Tradition der Oceanliner geschuldet. Viele Gäste lieben ihn geradezu, andere ertragen ihn zähneknirschend, manche fühlen sich dadurch aber auch irritiert und tun sich schwer. Oder lehnen eine Reise ab. Waltraut Barthel findet ihn gut, uneingeschränkt. Gut. Zum Abendessen ist bei Männern bereits Jackett erwünscht, wenn die Kleiderordnung für den Abend in den meisten öffentlichen Räumlichkeiten noch „informell“ ist. Wer kein Jackett dabeihat, dem wird kurzerhand eins aus dem Fundus gereicht. Und hilfsweise auch schon mal demonstrativ über die Stuhllehne gehängt, schon ist der Etikette Genüge getan.
An manchen Abenden aber ist die Kleidervorschrift auch „formell“. Dann ist Smoking die Regel, zumindest aber eleganter Abendanzug, und für die Frauen Abendkleid. Waltraut Barthel nennt das mit ihrem losen Hamburger Mundwerk „ein Stück Maskerade“. Doch sie wird schnell wieder ernst und bekennt sich dazu, vorbehaltlos. „Wann kann man sich sonst schon mal so schön aufdonnern?“, sagt sie. Dann schaut sie ihren Mann liebevoll an und sagt: „Ich gehe jeden Abend mit meinem Mann aus, ist das nicht toll?“
Es sind diese Erinnerungen und Sentimentalitäten, die sie an Land begleiten, bevor es zur nächsten Reise geht. Und die sie manchmal in den Hamburger Hafen treiben, wie Zigtausende andere Hamburger auch: „MARY gucken“. Dann sitzt sie mit ihrem Werner auf der Mauer des alten Elbtunnels, das Hamburger Panorama mit Michel und Landungsbrücken auf der anderen Seite der Elbe, und schaut ihrer „Königin“ beim An- oder Ablegen am Terminal Steinwerder zu. Oder, wie 2015, beim Eindocken auf der Hamburger...