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E-Book

Leben und Aufwachsen in einer Instant Gesellschaft

AutorWolfgang Rupsch
VerlagTWENTYSIX
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783740719456
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Längst ist die Konsumgesellschaft, in der wir leben, in eine Instant-Gesellschaft übergegangen. Wir sind an den Luxus gewöhnt, alles sofort zu bekommen. Jede Anstrengung erscheint allzu schnell als unerträglich. Mit dem Ausbau der neuen Medien ist eine weitere Beschleunigung eingetreten. Der ältere Teil der Generation, die man "Millennials" nennt (geboren zwischen 1982 und 2004) hat diesen Wandel unmittelbar miterlebt und wurde durch ihn geprägt. Die Jüngeren sind in eine digitale Welt geboren und kennen sie nicht anders. Auf humorvolle Weise wird in diesem Buch ein Blick darauf geworfen, wie der immer wiederkehrende Generationenkonflikt auf dem Rücken der Jüngsten und mit dem internetfähigen Handy als Buhmann ausgetragen wird.

Wolfgang Rupsch, geboren 1984, schloss ein Studium der Erziehungswissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ab und unterrichtet seit 8 Jahren Pädagogik und Englisch, später auch Philosophie.

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Leseprobe

MEIN LEBEN ZWISCHEN GOLFERN UND MILLENNIALS


Bei der Vorbereitung dieses Kapitels fiel mir auf, wie unheimlich schwierig es ist, sich an meine Kindheit und Jugend zu erinnern. An sich ist mein Gedächtnis sehr gut, aber tatsächlich oder rein nach meinem Gefühl hat sich mein alltägliches Lebensumfeld so deutlich verändert, dass es aus der heutigen Sicht fast nicht mehr nachvollziehbar ist. Und ein wenig kann ich es verstehen, wenn mich Schüler ungläubig anstarren, wenn ich ihnen davon erzähle, dass wir die ganzen digitalen Annehmlichkeiten, die heute so selbstverständlich und teils unentbehrlich sind, weder hatten, noch vermissten. Es ist im wörtlichen Sinne für heutige Jugendliche schon gar nicht mehr vorstellbar, wie ein Leben ohne Google, Facebook, Wikipedia und ein internetfähiges Handy überhaupt funktionieren konnte. Trotzdem habe ich es dann doch mit der Hilfe einiger Gespräche mit meiner Familie und Altersgenossen hinbekommen, die Zeit meines Aufwachsens zu rekonstruieren und werde sie nun skizzieren.

Meine Familie war weder besonders wohlhabend, noch bettelarm. Wir lebten in Greven, einer relativ kleinen Stadt nördlich von Münster, in einem Einfamilienhaus in einer ruhigen Wohngegend. Das Wohngebiet wurde neu erschlossen, so dass dort fast ausschließlich junge Familien lebten. Dadurch hatten meine drei Geschwister und ich reichhaltigen Kontakt zu sehr vielen weiteren Kindern gleichen Alters direkt in der Nähe. Der nächste Kindergarten und die Grundschule waren fußläufig zu erreichen, es gab eine riesige Wiese zum Spielen und einen ebenso großen Spielplatz direkt hinter unserem Haus. Die Bedingungen unseres Aufwachsens waren also für moderne Verhältnisse absolut großartig. Inzwischen ist die Wiese aber wesentlich bebaut, und das Waldstück mit dem Bach, an dem wir gespielt und Dämme und ein Drittel Baumhaus gebaut haben, wurde abgeholzt und zubetoniert, um ein weiteres Wohngebiet zu ermöglichen.

Wir hatten neben all diesen schönen Gegebenheiten aber auch Videospielkonsolen und einen Familiencomputer. Der hatte zunächst keinen Zugang zum Internet und stand im Arbeitsraum meines Vaters. Das Gerät war wenig reizvoll für uns Kinder, außer für die wenigen Videospiele und lustigen Programme, wie "Paint" oder "World Map". Geschrieben wurde am Computer nicht, zumindest erst einmal. Meine Eltern wussten, dass es sinnvoller war, das handschriftliche Arbeiten nicht aus den Augen zu verlieren, und wollten nicht, dass wir Hausarbeiten und Referate auf Word schrieben.

Auf dem Rechner lief aber auch "Leisure Larry" von der Software Firma Sierra, ein Spiel, das so eigentlich gar nichts für Kinder ist, wobei es für heutige Verhältnisse eher zahm wirken dürfte. Der wesentliche Inhalt des Spiels war es, eine Figur durch eine Nachbarschaft zu steuern und Befehle einzutippen, die sie dann ausführte. Ziel des Spiels war es, innerhalb eines bestimmten Zeitlimits ein Date ausfindig zu machen und mit ihm zu schlafen. Wir, also mein großer Bruder (12) und ich (10), waren weniger daran interessiert, dem armen Larry bei der Schürzenjagd zu helfen, bevor er sich am Morgen das Hirn mit einer Pistole raus pustet. Wir fanden einfach das Spiel an sich witzig. Es faszinierte uns schon als Kinder, dass man fast alles schreiben konnte, und das Spiel konnte so ziemlich jeden noch so albernen Unsinn verstehen, den wir eingaben. Meistens teilte es uns zwar lediglich mit, dass das, was wir Larry befahlen, totaler Stumpfsinn war, aber es war trotzdem ulkig. Das Spiel hatte nur zwei Haken: Es handelte sich um ein vollständig englischsprachiges Videospiel. Um es zu spielen saßen wir mit einem Wörterbuch neben dem Rechner. Dadurch lernten wir tatsächlich schon viele Vokabeln. Aufgrund des Inhalts des Spiels waren das allerdings hauptsächlich die Wortfelder "Beziehungen", "Alltagshandlungen", "Barbesuch" und "Flirten", aber im Endeffekt war es doch ganz okay. Zweitens musste man, um zu beweisen, dass man schon 18 war, eine Reihe von Fragen beantworten (auch auf Englisch). Bis ich herausfand, dass es ein Tastenmakro gab, mit dem man die Fragen umgehen konnte, arbeiteten wir viel mit "trial and error" und eigneten uns ein wenig Hintergrundwissen an, um die politischen oder geschichtlichen Fragen beantworten zu können.

Trotz der tollen Spielereien hatte der Rechner noch kein CD-Laufwerk, und dass wir damit im technologischen Neandertal waren wurde mir erst durch den Besuch eines Experten an meiner Schule bewusst, der ungefähr im achten oder neunten Schuljahr stattfand. Wofür der Mann ein Experte war? Ich weiß es nicht mehr. Was er getan hat, worüber er aufgeklärt hat oder was überhaupt sein Anliegen war ist vollkommen im Nebel meiner Erinnerungen verloren gegangen. Was ich noch weiß ist, dass er uns eine CD mitgab, die den Titel "Im Netzwerk gefangen" trug. Mitschüler sagten mir, es enthalte ein "point-and-click" Abenteuer, in dem ein Teenager irgendeinen Kriminalfall aufdeckt. Die CD lag bei uns nur herum, und ich war ein wenig enttäuscht, es nicht spielen zu können. Aber so super wird das Spiel nicht gewesen sein, weil es auf dem Schulhof nicht zum großen Thema gemacht wurde und ich keinen sozialen Nachteil davon hatte, es nicht spielen zu können.

Eine Internetverbindung hatten wir erst kurz vor der Jahrtausendwende. Zuerst wählten wir uns mit einem analogen 56k Modem ein, einem von diesen lauten Dingern, die über die Telefonleitung das Internet nutzen und deshalb das Haustelefon blockieren, wenn man online ist. Ja, man konnte nicht telefonieren, wenn man im Netz war, und nicht ins Netz, wenn man telefonierte. Relativ schnell wechselten wir dann aber zu einem DSL-Modem. Natürlich hatten wir keine Flatrate abonniert. Die Möglichkeit gab es da zwar schon bei einigen Anbietern, aber kaum jemand in unserer Gegend hatte irgendeine Verwendung dafür. Mit der Möglichkeit, privat und beruflich E-Mails zu nutzen, fremdelten viele noch, und ich kenne zahlreiche Eltern, die heute immer noch keine E-Mail-Adresse haben, die sie regelmäßig nutzen oder abrufen. Immerhin handelt es sich bei diesen Menschen um die Generation knapp über meiner. Und man darf nicht vergessen, dass die Gebühren für die Nutzung des Internets ziemlich hoch waren. Das machte den regelmäßigen Gebrauch nicht besonders attraktiv, gerade weil ganz zu Beginn die allerschlimmsten Hacker, Viren, Würmer und Betrüger unterwegs waren, die den Leuten durch Programme und andere Wege kostenpflichtige Dienste über die Telefonrechnung aufschwatzten oder einfach die Datenverbindung klauten, um auf Kosten des Opfers im Netz zu surfen und Gott weiß was in dessen Namen anzustellen.

Für die Jugendlichen bot das Netz auch nicht den allergrößten Reiz, wenn es um die Gestaltung der eigenen Freizeit ging. Zur Unterhaltung nutzte man die gängigen Videospielkonsolen oder widmete sich halt offline-Aktivitäten. Multiplayer-Spiele spielte man mit Freunden oder den eigenen Geschwistern am selben Bildschirm, oder man sah einem Freund beim Spielen zu und wechselte sich ab. Letztens sah ich noch einige Bilder im Netz, auf denen eine typische LAN-Party aus den 90ern zu sehen ist. Fröhliche junge Leute schleppen körbeweise Kabel, Tower, Monitore und noch mehr Kabel nebst Fressalien und Getränken entweder zu Fuß oder im Kofferraum eines Autos an und bereiten sich darauf vor, den Rest des Tages oder des Wochenendes in einem Raum zusammen mit mehr oder weniger bekannten Leuten zu verbringen. Der Aufwand würde sich ansonsten ja gar nicht lohnen, und geplant war das Event sicherlich schon lange im Voraus.

Erlauben Sie mir bitte an dieser Stelle einen kleinen Exkurs, bevor ich zum Bericht zurück kehre.

Füttere nicht die Trolle!


Bei dem Versuch, mich an möglichst viele Einzelheiten aus meiner Jugendzeit zu erinnern, fiel mir auf, dass ein Kritikpunkt, der dem Internet zugeschrieben wird, eigentlich weder ein Produkt der heutigen jungen Leute, noch des Internets an sich sein dürfte. Dieser Kritikpunkt betrifft die (fehlende) Kommunikationskultur, die sich durch Unhöflichkeit und Maßlosigkeit auszeichnet, und die durchzogen ist von Sexismus, Rassismus und so ziemlich jedem anderen unschönen -ismus geprägt ist. Aber warum sind Menschen im Netz so wie sie sind? Eine Erklärung ist, dass das Internet anonym ist und man mutiger und eher bereit ist, unangenehme Positionen zu äußern, weniger Hemmungen hat, seinen Emotionen freien Lauf zu lassen und sich verbal auch nicht zurückzuhalten. Das trifft meines Erachtens durchaus zu, aber ein wichtiger Faktor, der bei diesem schlechten Ruf zum Tragen kommt und in den Berichten und Publikationen zu dem Thema "Jugend im Netz" allzu selten zum Tragen kommt, ist das so genannte "Trolling".

Es gibt Nutzer, denen die Anonymität des Internets die Möglichkeit bietet, den inneren Spaßvogel zu erwecken. Diese Menschen ziehen durch die Foren, Youtube-Kommentare, Beratungsseiten oder Gästebücher und ziehen ernsthafte Themen ins Lächerliche, indem sie provokante Nachfragen schreiben, so tun als verträten sie eine vollkommen abwegige Haltung zu einem sensiblen Thema oder einfach irgendeinen Unsinn schreiben. Das Ziel ist es, Leute zu ködern und zu provozieren, damit diese selbst eine extreme Position äußern, sich aufregen oder auf...

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