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E-Book

Leben und Schicksale

Vollständige Ausgabe

AutorFriedrich Christian Laukhard
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl551 Seiten
ISBN9783849630331
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Friedrich Christian Laukhard war ein deutscher Schriftsteller. Als Soldat nahm er von 1792 bis 1795 am ersten Koalitionskrieg teil. Vor allem seine autobiographischen Schriften aus dieser Zeit sind von historischem Wert. Laukhards lebendig und realistisch geschilderten Erlebnisse Leben und Schicksale von ihm selbst beschrieben sind von kulturgeschichtlichem Interesse. An seiner alten Wirkungsstätte, der evangelischen Kirche im Hunsrückdorf Veitsrodt, wird seit 2010 mit einer jährlichen Predigt im Sinne der Aufklärung an den unkonventionellen Pfarrer und Literaten erinnert. Die erste Laukhard-Predigt hielt Erhard Eppler.

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Leseprobe

 


Das Ordenswesen in Gießen. – Das Pfälzer Kränzchen. – Ich werde Amizist. – Die Gesetze der Orden. – So wird man Sklave, um frei zu sein! – Der Senior. – Die sogenannte Studentenfreundschaft. – Wem nützen die Orden? – Marburg. – Die dortigen Studenten. – Sie waren klüger als wir Gießener. – Ein Kommers in Marburg. – Meine erste Predigt. – Mein Glaubensbekenntnis vom lieben Frauenzimmer. – Lorchen. – Eine Serenade in Gießen. – Studentenaufruhr. – Ein Froschmäusekrieg.

 

Die Ferien waren schon acht Tage zu Ende, als ich nach Gießen zurück kam. Ich ordnete meine Kollegia und fing an, fleißig zu studieren. Ich fand jetzt mehr als jemals, daß Kenntnisse ein wahres Bedürfnis für meinen Kopf waren. Ich habe auch, ohne mich zu rühmen, bloß aus innerem Trieb und niemals deswegen gelernt, weil ich einmal mein Brot damit verdienen wollte. Meine Weisheit ist niemals weit her gewesen, und in keiner einzigen Wissenschaft habe ich mich über das sehr Mittelmäßige erhoben, doch habe ich ohne Unterlaß studiert und studiere noch recht gern; nur muß mir ein Buch in die Hände fallen, worin mehr erzählt als räsonniert wird. Denn gegen das Räsonnement hab ich von jeher einen gewissen Widerwillen gehabt, und das ist auch der Grund, daß ich in der Philosophie ein jämmerlicher Stümper geblieben bin. Vielleicht ist das aber auch so übel nicht.

 

Ich hatte bisher bei einem gewissen Schneider Klein gewohnt: nun aber quartierte ich mich zum Eberhard Busch, berühmten Bierschenken zu Gießen, ein. Dies Logis war in der ganzen Stadt bekannt, und das Bier war da wenigstens so gut, wie man es in Gießen haben konnte. Mein Hauswirt war ein braver lustiger Mann, bei dem ich ausgehalten habe, bis ich von Gießen abzog.

 

Ungefähr zwei Jahre vor meiner Universitätszeit waren die Orden auch zu Gießen eingeführt. Diese unsinnigen Verbindungen sind eigentlich in Jena entstanden. Die Mosellaner Landsmannschaft dort hat zuerst dergleichen ausgebrütet. Nach und nach haben sie sich an mehreren Orten eingeschlichen, so daß schon 1778 viele deutsche Universitäten von ihnen infiziert waren, besonders Jena, Göttinnen, Halle, Erlangen, Frankfurt a.d. Oder, Gießen, Marburg u.a. Einige Jenenser hatten den Orden der sogenannten Amizisten nach Gießen gebracht, auf französisch "l'ordre de l'amitié" genannt, denn die Devise war: " Amitíé!", welche durch das Zeichen XX (›vivat Amicitia!‹) angezeigt wurde.

 

Anfänglich blieb das Ding geheim: nachdem aber die Ritter, ich wollte sagen die Herren Ordensbrüder, inne wurden, daß man in Gießen alles tun durfte, so machten sie ihre Sache publik. Sie trugen auszeichnende Kokarden und litten nicht, daß die "Profanen" dergleichen nachmachten. So nennen Ordensbrüder diejenigen, die keinem Orden angehören. Dem Profanen steht aber, wie jeder weiß, das Heilige entgegen, wofür sich doch die Herren halten müssen! O sancta simplicitas!

 

Den anderen Studenten gefiel das Ding: sie rotteten sich also zusammen und stifteten der Orden mehrere. Und so entstand der Hessen-Orden, ja sogar der Renommisten-Orden oder der Orden des heiligen Fensters, welcher aber leider, wegen der großen Schiefität, der schiefe Orden und der Läuse-Orden benannt wurde.

 

So war die Lage der Orden, als ich nach Gießen kam. Ich geriet gleich anfangs in Bekanntschaft mit mehreren Ordensbrüdern, aber doch konnte ich mich nicht entschließen, ihrer Verbindung beizutreten. Ich war einmal versichert, daß ich bei Händeln fremder Hilfe nicht bedurfte; zum andern fing man von seiten der Universität an, auf die Orden aufmerksam zu werden, und drittens mochte ich keine genaue Freundschaft mit einer ganzen Bande aufrichten, von welcher mich viele nach dem Gießener Ausdruck "laxierten", d.h. mir höchst unausstehlich waren. So blieb ich also vom Orden frei, auf eine Zeitlang nämlich.

 

Indessen hatten die Pfälzer ein Kränzchen unter sich errichtet, welches herumging und uns viel Vergnügen machte. Wir hatten freilich unsere Gesetze und Statuten, die den Gesetzen der Orden ziemlich nahe kamen: unser Zweck war auch der Zweck aller Orden, nämlich ein gewisses Ansehen auf der Universität zu behaupten. Aber wir waren weder eidlich noch auf sonst eine Art an einander gekettet, und es stand einem jeden frei, uns zu verlassen, sobald es ihm beliebte. Uebrigens herrschte unter uns die größte Freundschaft und Harmonie, und da wir lauter solche zu Mitgliedern hatten, die als honorige Bursche angesehen waren, so wagte es niemand, das Pfälzer-Kränzchen zu beleidigen oder schlecht davon zu sprechen. So blieben die Sachen eine geraume Zeit, bis endlich ich und noch zwei andere aus unserem Kränzchen uns in den Amizisten-Orden aufnehmen ließen.

 

Hätte ich vor meiner Aufnahme das eigentliche Wesen einer solchen Verbindung gekannt, ich würde wahrlich niemals hineingetreten sein. Das Ding ist ein Gewebe von Kindereien, Absurditäten und Präsumtionen, über welche ein kluger Mann bald unwillig werden muß. Die Gesetze sind alle so elend abgefaßt und so kauderwelsch durcheinander geworfen, daß man Mühe hat, sich aus dem Labyrinth derselben herauszuwinden. Ueberhaupt ist es ein erztoller Gedanke, daß ein Haufen junger Leute eine Gesellschaft stiften wollen, deren Zweck ist, sich ausschließlich das höchste Ansehen zu verschaffen, deren Oberhaupt ein Student ist, welcher eine Gewalt in seinem Orden ausübt, wie weiland der Jesuitengeneral in der Gesellschaft Jesu. So ungern es manche hören werden, muß ich doch die Wahrheit bekennen und gerade heraussagen, daß akademische sogenannte Orden unsinnige Institute sind.

 

Als ich hineintrat, las man mir die Gesetze vor, welche in gewisse Titel abgeteilt waren, z.B. von Schlägereien, vom Borgen und Bezahlen, vom Fluchen und Zotenreißen. Die Sprache der Gesetze war äußerst legal, d.i. undeutsch und unverständlich. Da die Gesetze nach und nach gemacht sind, so fehlt es ihnen nicht an Widersprüchen, Wiederholungen und ganz unbrauchbaren Vorschriften. Doch das ist ja auch der Fall im Corpus juris und in mancher anderen heiligen und unheiligen Sammlung von Gesetzen.

 

Ich erinnere mich noch an viele Gesetze des gedachten Ordens, wovon ich einige der vornehmsten mitteilen will.

 

Der Zweck des Ordens ist, sich auf der Universität Ehre und Ansehen zu verschaffen, d.h. sich in solche Positur zu setzen, daß alle Studenten, ja selbst die Professoren und die Vorgesetzten, sich vor den Herren Ordensbrüdern fürchten möchten.

 

Daher ist die engste Verbindung nötig. Diese erfordert natürlicherweise, daß kein Mitglied das andere beleidigen darf. Alle Beleidigungen, die vorfallen, müssen vom Senior geschlichtet werden. Ueberhaupt sind viele Gesetze da, welche Freundschaft, Verträglichkeit u.dgl. gebieten. Da aber Freundschaft ein Ding ist, das sich nicht gebieten läßt, so gibt es im Orden immer so viele Disharmonien, daß gewiß stets Schlägerei  sein würde, wenn nicht andere prägnante Gründe Ruhe heischten.

 

Das Oberhaupt des Ordens ist der Senior, welchem die anderen gehorchen müssen. Er hat ihnen zwar nur in Ordenssachen zu befehlen: da sich aber dahin allerlei ziehen läßt, so ist der Senior gleichsam der Herr der Mitglieder, und die Mitglieder sind, wenn er es verlangt, seine gehorsamen Diener. So wird man Sklave, um frei zu sein!

 

Neben dem Senior ist noch ein Subsenior, der auch etwas zu sagen hat, vorzüglich in Abwesenheit des großen Moguls, ich meine, des Seniors. Dann folgt das fünfte Rad am Wagen – der Herr Sekretär.

 

Ordnung muß sein; wer also gegen den Senior spricht, ihn schimpft und sich seinen Befehlen freventlich widersetzt, wird ohne alle Gnade, wenn's nämlich der Herr Senior befiehlt, aus dem Orden herausgeschmissen. An Satisfaktion darf er nicht denken.

 

Die vom Senior angegebene Kontribution muß richtig bezahlt werden. Fügt es sich, daß Ausgaben zu einer Zeit vorfallen, wo nicht alle Glieder bei Gelde sind, so müssen die, welche Geld haben, vorschießen. Das Vorgeschossene muß aber prompt ersetzt werden, unter Strafe der Verbannung aus dem Orden.

 

Um die Kosten zu bestreiten, muß eine Kasse angelegt werden, welche unter der Aufsicht des Seniors steht, und worüber ordentlich Rechnung geführt werden muß.

 

Wenn ein Mitglied Händel bekommt, so muß es sich schlagen; doch aus guten Gründen schlägt sich auch der Senior oder ein anderes Mitglied für ihn. Ueberhaupt müssen in diesem Fall die Glieder dafür sorgen, daß sie und nicht ihre Gegner in Avantage  sind. Lieber eine Niederträchtigkeit begangen, lieber sich à la mode der Gassenjungen herumgebalgt, als den Vorteil und die Ehre der Avantage aus den Händen gelassen!

 

Bei den Zusammenkünften muß der, an dem die Reihe ist, rechtschaffen aufwichsen. Geht aber die Zeche auf gemeinschaftliche Kosten, so zahlt jeder seinen Anteil, außer dem Senior, der immer frei ist, weil er der Herr ist.

 

Eine Klugheitsregel befahl, keine arme Verwachsene, Mutlose u.dgl. aufzunehmen. Der Orden hätte von diesen Menschenkindern keinen Vorteil und nichts als Kosten, Schande und Verdruß. So soldatisch-amikabel dachten die Amizisten!

 

Und von dieser Art waren die Regeln oder die Gesetze des wohllöblichen Ordens der Herren Amizisten! Ihre Anzahl ließe sich noch stark vermehren, wenn...

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