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E-Book

Reden und Schriften

Vollständige Ausgabe

AutorFerdinand Lassalle
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl327 Seiten
ISBN9783849630263
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Ferdinand Lassalle war ein Schriftsteller und genossenschaftlich orientierter sozialistischer Politiker im Deutschen Bund. Als einer der Wortführer der frühen deutschen Arbeiterbewegung und in seiner Eigenschaft als Hauptinitiator und Präsident der ersten sozialdemokratischen Parteiorganisation im deutschen Sprachraum, dem 1863 gegründeten Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV), gilt er als einer der Gründerväter der 26 Jahre nach seinem Tod aus dem ADAV und der Sozialdemokratische Arbeiterpartei (Deutschland) (SDAP) hervorgegangenen heutigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Dieser Band beinhaltet seine wichtigsten Schriften: Meine Assisen-Rede Über Verfassungswesen Was nun? Zweiter Vortrag über das Verfassungswesen Macht und Recht Arbeiterprogramm Offenes Antwortschreiben an das Zentralkomitee zur Berufung eines allgemeinen deutschen Arbeiterkongresses zu Leipzig Zur Arbeiterfrage Rheinische Rede An die Arbeiter Berlins Ronsdorfer Rede

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Leseprobe

 


gehalten vor den Geschwornen zu Düsseldorf am 3. Mai 1849 gegen die Anklage die Bürger zur Bewaffnung gegen die Königliche Gewalt aufgereizt zu haben

 

Meine Herren!

 

Mein Rechtsbeistand hat vorzugsweise den ersten Teil der Verteidigung, die Verteidigung als solche, geführt; erlauben Sie, daß ich nunmehr zu dem zweiten Teil derselben, zu der Anklage, übergehe, zu der Anklage, die ich der gegen mich gerichteten Anklage entgegenschleudern muß. Denn hier, wie oft, ist Recht und Unrecht der streitenden Parteien so ineinander gewoben, daß das eine von dem andern nicht zu trennen ist. Des Staatsanwalts Recht ist mein Unrecht; mein Recht ist sein Verbrechen. Es ist nicht möglich, diese Verteidigung zu führen, – und wenn es möglich wäre, so bin ich vor dem Richterstuhle freier Männer dessen nicht benötigt, – es ist nicht möglich, diese Anklage zu widerlegen, ohne das Verbrechen aufzuzeigen, dessen corpus delicti der Anklageakt bildet.

 

Zuvor eine Erklärung. Der Anklageakt erlaubt sich, es gleichsam als eine Belastung Ihnen zu insinuieren, daß ich erklärt habe, ein Revolutionär aus Prinzip zu sein. Der Anklageakt hat kein Recht, dies zu bemerken, Ihn kümmern nur meine Handlungen, nicht meine Prinzipien, meine Gesinnungen, die mich nicht verteidigen, nicht belasten können. Ich hätte nicht geglaubt, daß der Anklageakt mit so großer Naivität eingestehen werde, daß es sich heute um nichts als um einen Tendenzprozeß, um eine Gesinnungsverfolgung handelt. Ich aber, meine Herren, werde Ihnen stets mit Freuden bekennen, daß ich meiner inneren Überzeugung nach auf durchaus revolutionärem Standpunkt stehe, daß ich meiner inneren Überzeugung nach ein entschiedener Anhänger der sozialen demokratischen Republik zu sein die Ehre habe.

 

Dennoch werde ich mich heute bei meiner Verteidigung nicht auf diesen Boden stellen; dem öffentlichen Ministerium nicht mit Argumenten entgegentreten, welche demselben entlehnt sind. Denn wie leicht es auch wäre, meine Verteidigung von diesem Standpunkt herab mit Erfolg zu führen, ich würde den Angriff nicht mit seiner ganzen Schärfe führen können. Denn das öffentliche Ministerium erkennt diesen Standpunkt nicht an und braucht ihn nicht anzuerkennen, es steht faktisch und gesetzlich auf einem ganz anderen Boden. Man kann aber keinen Gegner ernsthaft treffen und verwunden, wenn man auf wesentlich verschiedenem Standpunkt mit ihm steht. Die Waffen erreichen sich dann nicht und jeder ficht ins Leere. Man kann einen Gegner von diametral verschiednem Standpunkt aus wohl widerlegen, indem man die Unwahrheit seiner Grundprinzipien aufzeigt; aber man kann ihn dann nicht beschämen, ihm keine Inkonsequenz, keinen Verrat an den Prinzipien nachweisen, zu denen er sich selbst bekennt oder scheinbar doch bekennen muß.

 

Im Interesse des Angriffs also und seiner schneidenden Schärfe will ich mich herbeilassen, auf den Standpunkt herabzusteigen, auf welchem selbst zu stehen der Staatsprokurator als Behörde in einem konstitutionellen Staat mindestens äußerlich behaupten muß, auf den streng konstitutionellen Standpunkt, und meine Verteidigung rein von diesem Boden aus zu führen.

 

Ich bin angeklagt, meine Herren, die Bürger zur Bewaffnung gegen die königliche Gewalt aufgereizt zu haben. So lautet die Kategorie des Artikel 87, gegen welche ich verbrochen haben soll. Die Tatsache selbst, die man mir zur Last legt und von der man behauptet, daß sie unter die Kategorie des Artikel 87 falle, ist dem Anklageakt zufolge die, daß ich im November zu Neuß in einer Volksversammlung die politische Lage des Staats auseinandergesetzt und aufgefordert habe, sich bereitzuhalten, die Nationalversammlung auf ihren Aufruf mit den Waffen in der Hand zu unterstützen; das heißt also, daß ich in jenen Novembertagen, als infolge unerhörter Ereignisse das ganze Land sich in zwei große Lager teilte, als das Land am Rand des Bürgerkrieges schwebte und jeder sich um das Banner scharte, wo seiner Überzeugung nach das Recht zu wohnen schien, auch meinerseits Partei ergriffen habe.

 

In solchen Fällen überhaupt Partei zu ergreifen und Gut und Blut für seines Herzens Wollen in die Schanze zu schlagen, das, meine Herren, ist an sich des Mannes erste Pflicht. Schon Solon, der weiseste Gesetzgeber des Altertums, hatte ein Gesetz erlassen, daß derjenige Bürger als ein Verräter des Vaterlandes zu betrachten sei, der in einer solchen Spaltung des Staates nicht Partei ergreife.

 

Nicht Partei ergreifen, das heißt: keine Überzeugung haben oder sie verleugnen. Nicht Partei ergreifen, das heißt, in einer schmachvollen Gleichgültigkeit gegen die höchsten Interessen, welche das Herz der Menschheit durchzucken, die eigene Ruhe und Behaglichkeit den gewaltigen Fragen vorziehen, von denen das Wohl und Wehe des Vaterlandes abhängt, und so die Pflichten verraten, welche wir dem Vaterlande schulden. Die Geschichte hat Verzeihung für alle Irrtümer, für alle Überzeugungen, sie hat keine für Überzeugungslosigkeit. Auch ich erfüllte diese Bürgerpflicht, oder auch ich beging dies Verbrechen nach der Logik des Staatsanwalts, Partei zu ergreifen. Sehen wir, wie beschaffen der Rechtstitel der Partei war, zu der ich mich geschlagen habe.

 

Am 18. März hatte das Volk von Berlin eine Revolution vollbracht. Bis dahin war der preußische Staat ein absoluter Staat gewesen, das heißt, die Privatdomäne eines einzelnen, wo nur der Wille dieses einzelnen herrscht. Ein absoluter Staat unterscheidet sich dem Prinzip nach in nichts von einer asiatischen Despotie, nur daß faktisch die Zivilisation eine mildere Praxis des Absolutismus in Europa herbeigeführt hatte. Es ist gleichwohl nur eine schöne Humanität, keine rechtliche Notwendigkeit des absoluten Herrn, wenn er die Gesetze, die er gab, bestehen lassen, sich selbst danach bequemen will. Am 18. März erkämpfte das Volk von Berlin den konstitutionellen Staat.

 

Das Grundprinzip des konstitutionellen Staats ist, daß in ihm nicht mehr der Wille des Monarchen herrsche, daß er vielmehr der Ausdruck des allgemeinen Geistes, des gesamten Volkswillens sei, der sich durch die Volksrepräsentation zur Geltung zu bringen habe.

 

Demgemäß wurde der siegreichen Berliner Bevölkerung versprochen, eine Nationalversammlung einzuberufen, welche die Verfassung festzustellen habe.

 

Aufgrund des Wahlgesetzes vom 8. April trat diese konstituierende Versammlung zusammen.

 

Diese Versammlung war, als sie zusammentrat, ihres revolutionären Ursprungs, wie bekannt, sehr uneingedenk. Die Linke zählte kaum 40 Mitglieder.

 

Das erste Wesentliche, womit das Ministerium Camphausen debütierte, war, daß man eine Theorie unterschob, wodurch man die ganze Frucht des Märzkampfes reinweg eskamotierte ; ich meine die Vereinbarungstheorie.

 

Das Ministerium Camphausen trat mit der Behauptung vor, daß die Versammlung die Verfassung nicht festzustellen, sondern mit der Krone zu vereinbaren habe.

 

Dieser Vereinbarungsstandpunkt war, wie auf der Hand liegt, von vornherein nichts anderes, als die prinzipielle Wiedereinschwärzung des Absolutismus in den konstitutionellen Staat.

 

Es war durch dieselbe dem König von vornherein ein absolutes Veto vorbehalten. Er konnte die Verfassung annehmen und auch ablehnen.

 

Wenn in vielen konstitutionellen Staaten der Krone ein Veto zusteht, so ist dies in einem einmal konstituierten Staat etwas durchaus Verschiedenes, denn teils ist das königliche Veto in solchen Staaten beschränkt und nicht absolut; es erlischt, wenn die Volksvertretung in einigen Sitzungsperioden das Gesetz wiederholt; teils stützt sich jenes Veto in jenen Staaten auf die Verfassung selbst, welche die Krone damit bekleidet, während bei uns nicht abzusehen war, worauf die Krone diesen Rechtsanspruch stützen wollte, da keine Verfassung da war, die ihr denselben verlieh, die Verfassung vielmehr erst durch jene Volksrepräsentation geschaffen werden sollte.

 

Endlich ist ein Veto wohl möglich einer konstituierten Versammlung gegenüber; einer konstituierenden Versammlung gegenüber ist es ein Unding. Zwei Souveräne existieren nicht in einem Staat, so wenig, wie zwei Sonnen am Himmel. Das Widersinnige des Vereinbarungsstandpunktes liegt auf der Hand. Der König brauchte also nur immer und immer wieder die von der Versammlung beschlossenen Gesetze zu verwerfen, um damit das Zustandekommen der Konstitution für ewige Zeiten zu verhindern, um Preußen für ewige Zeit de facto in dem Zustande eines absoluten Staates zu erhalten.

 

Die Vereinbarungstheorie hat nur solange einen oberflächlichen Anschein von Menschenverstand, als man annimmt, die beiden Kontrahenten würden auch in der Tat die Gemütlichkeit haben, sich zu verständigen und übereinstimmenden Willens sein. Aber in dem Worte »Vereinbarung« selbst liegt auch die Möglichkeit des entgegengesetzten Falles, die Möglichkeit der Nichtvereinigung. Wenn man diesen Fall setzt, kommt der Unsinn des Vereinbarungsprinzips zutage. Denn im Falle der Uneinigkeit, wer sollte dann rechtlich entscheiden zwischen Krone und Versammlung? Einen Obmann zwischen beiden gab es nicht. Die Versammlung war vielmehr selbst schon sozusagen der Obmann zwischen Krone und Volk. Wer also, frage ich, sollte dann entscheiden? Also die Gewalt! Wenn aber die Gewalt entscheiden sollte, so mußte der Märzkampf wieder beginnen; die ganze Frucht der Märzrevolution war...

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