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E-Book

Lebendig!

Vom Geheimnis mündigen Christseins

AutorMichael Herbst
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783775158800
Altersgruppe40 – 50
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Michael Herbst teilt seine Vision von Gemeinde: Kirchen, die nicht nur Dienstleister sind, sondern der Ort, der Menschen fit für das Leben macht. Glaube, der dem Leben mitten im Alltag Form gibt und sich in den Stürmen bewährt. Christen, die mutig geistliche Entscheidungen treffen und sicher darin stehen, wer sie aus Gottes Perspektive sind: unvollkommen, aber erlöst, berufen und gesendet. Wie ein solches Christsein praktisch wird, erklärt der Autor einleuchtend, authentisch und mit Tiefgang: Mit Jesus und wie Jesus arbeiten, Gaben einsetzten, Entscheidungen treffen, die Finanzen sortieren, Ehe leben, Gemeindealltag gestalten, scheitern, beten, durchstarten. Eine kurzweilige Lektüre, herausfordernd und richtungsweisend.

Michael Herbst (Jg. 1955) ist Professor für Praktische Theologie, war Pfarrer in Münster und Bethel (Kinderklinik) und Lehrstuhlinhaber für Praktische Theologie in Greifswald (1996-2021) sowie Direktor des 'Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung' der Universität Greifswald (2004-2022). Er forscht und publiziert seit 2023 als Senior Adviser am 'Institut zur Erforschung von Mission und Kirche' (Attersee, Österreich) und lebt mit seiner Frau in Viereth-Trunstadt bei Bamberg. Sein Podcast 'Praktisch.Theologisch.Kirche' befasst sich mit Fragen der missionarischen Gemeinde- und Kirchenentwicklung.

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Leseprobe

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1. Was bedeutet es, ein Jünger oder eine Jüngerin von Jesus zu sein?


Denken Sie einmal an Ihre Gemeinde. Was fällt Ihnen ein? Wie geht es Ihrer Gemeinde gerade? Ich muss oft darüber nachdenken, wie es um unsere Gemeinde steht. Und dann denke ich an viele schöne Erlebnisse, die Taufe von vier iranischen Flüchtlingen, manche Highlights bei GreifBar in der Stadthalle, wenn Kunst und Wort Gottes sich ganz nah kommen, viele Gottesdienste, bei denen der Klang der Lieder plötzlich sehr lebendig war oder bei denen beim Abendmahl plötzlich etwas wahrhaft Heiliges zu spüren war. Vor allem denke ich an Menschen, die in unserer Gemeinde zum Glauben gekommen sind und deren Leben sich verändert hat, ich denke an den Einsatz, den Menschen für unsere Gemeinde bringen. Ich denke aber auch an die Niederlagen, die wir erlitten haben, Menschen, die uns verlassen haben, Gäste, die nicht gekommen sind. Ich denke an Wunden, die mancher Konflikt geschlagen hat, an Schuld, auch eigene, an Schmerz. Und dann denke ich an offene Fragen: Wie es wohl weitergeht, ob es sich überhaupt noch lohnt, Herzblut, Lebenszeit, Geld und Gaben zu investieren. Wo wir zukünftig unsere Schwerpunkte setzen und welche Menschen wir neu gewinnen können. Wie wir aufs Neue Leidenschaft und Freude für das bekommen können, was wir zusammen tun.

Schöne Erlebnisse, schmerzhafte Niederlagen und offene Fragen. Warum tun wir uns das eigentlich an? Warum tun wir, was wir tun? Warum tun wir es in den guten und den schlechten Tagen? Warum werden wir es auch in der Zukunft tun, unverdrossen, mit großem Einsatz und hoffentlich mit Leidenschaft und Freude? Warum gibt es unsere Gemeinde und wozu sind wir auf diesem Planeten?8 Was hat das mit mündigem Christsein zu tun?

Das »Warum« der Gemeinde


Jesus hat am Ende seiner Wanderung auf diesem Planeten noch einmal grundsätzlich geklärt, wozu es Gemeinde geben wird. Was hatte er im Sinn, als er so etwas wie »Gemeinde« ins Leben rief? In Matthäus 28, 16-20 kann man das nachlesen:

Die elf Jünger gingen nach Galiläa. Sie stiegen auf den Berg, wohin Jesus sie bestellt hatte. Als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Aber einige hatten auch Zweifel. Jesus kam zu ihnen und sagte: »Gott hat mir alle Macht gegeben, im Himmel und auf der Erde! Geht nun hin zu allen Völkern und macht die Menschen zu frommen Christen und Kirchenmitgliedern: Tauft sie im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes! Und lehrt sie, alles zu tun, was ich euch geboten habe. Und seht doch: Ich bin immer bei euch, jeden Tag, bis zum Ende der Welt!«

Okay, das war nicht ganz richtig. Jesus hat nicht gesagt: Macht alle Menschen zu frommen Christen. Er hat sicher auch nicht gesagt: Macht alle Menschen zu Kirchenmitgliedern. Er hat gesagt: »Macht die Menschen zu meinen Jüngern und Jüngerinnen«, das heißt, zu lebendigen, mündigen Nachfolgern und Nachfolgerinnen von Jesus.

Mitglied in einer Kirche oder Gemeinde zu sein, ist gut, aber es bedeutet noch lange nicht, in einer lebendigen, das ganze Leben prägenden Beziehung zu Jesus zu stehen. Dass Menschen einfach nur Mitglieder sind, die ab und an den Service in Anspruch nehmen, aber in ihrem Alltag nichts von der Gegenwart Gottes erleben, das war nicht die Absicht von Jesus. Doch was spricht gegen die Formulierung fromme Christen? Fromme Christen haben nicht immer den besten Ruf. Für Außenstehende sind Christen oft so etwas wie moralinsaure, homophobe, bildungsfeindliche, vorurteilsbeladene Frömmler, die nicht an Dinosaurier glauben, aber gewiss sind, dass sie die Einzigen sind, die in den Himmel kommen, und denen außerdem heimlich der Gedanke gefällt, dass alle anderen in der Hölle landen.9 Da bekommt man kaum Lust, dazuzugehören!

Jesus redet nicht von Kirchenmitgliedern, er redet nicht von Frömmlern. Übrigens kommt das Wort »Christ« im Neuen Testament nur dreimal vor, das Wort »Jünger« dagegen 269-mal. Auf Griechisch steht dort »mathetäs«, das heißt so viel wie »Schüler« oder »Lehrling« und schließt sowohl Männer als auch Frauen ein. Im Folgenden verwende ich das Wort »Jünger« auf diese Weise, gemeint sind Männer und Frauen. Das Neue Testament ist ein Buch von Jüngern über das Leben von Jüngern, geschrieben für Jünger und solche, die es werden sollen. Und der Auftrag an die Zwölf lautet: Macht zu Jüngern. Helft Menschen, Jünger zu werden. Geht auf Menschen zu und erzählt ihnen vom Leben als Jünger. Tut alles, damit Menschen Lust darauf bekommen, Jünger zu werden. Gewinnt möglichst viele für ein Leben als Jünger. Am Anfang des Evangeliums sagt Jesus zu einem kleinen Kreis von Menschen: Werdet meine Jünger. Folgt mir nach. Am Ende des Evangeliums sagt Jesus zu diesem kleinen Kreis von Menschen: Zieht die Kreise immer weiter. Alle sollen werden können, was ihr seid: Jünger. Mündig und lebendig.

Der amerikanische Autor Simon Sinek hat das einmal in einem TED-TALK entfaltet.10 Er zeigt, dass wirklich lebendige und erfolgreiche Unternehmungen auf Erden ein »Warum« haben, und weil sie dieses Warum haben, haben sie ein »Was« und ein »Wie«. Nicht andersherum! Apple ist nicht erfolgreich, weil Steve Jobs gesagt hat: Wir machen Computer und andere Geräte und wir machen das so und so, sondern weil Steve Jobs eine Vision hatte: davon, dass Menschen auf der ganzen Erde miteinander verbunden werden, dass alle überall Zugang haben zu Informationen, zu Bildung, auch zu Unterhaltung, und dass dies alles möglichst einfach und intuitiv zu nutzen sein sollte. Er hatte ein »Warum« und darum hatte er ein »Was« und auch ein »Wie«.

Wenn wir nur ein »Was« haben, dann sagen wir: »Wir machen zum Beispiel solche Veranstaltungen und wir spielen freitags Fußball, samstags treffen wir uns mit Kindern und Jugendlichen und sonntags organisieren wir mit einigem Aufwand Feiern mit Musik und einer laaangen Rede.« Wenn wir nur das sagen (oder denken), wird uns irgendwann die Luft wegbleiben und die Freude und die Leidenschaft werden immer mehr schrumpfen. Warum sollten wir das alles auch tun ohne ein »Warum«?

Unser »Warum« heißt: Wir wollen selbst lebendige und mündige Nachfolger von Jesus sein, Jüngerinnen und Jünger, und wir wollen andere gewinnen, dass sie auch Jüngerinnen und Jünger werden. Warum? Weil dies das Beste ist, was Menschen auf Erden angeboten wird. Weil es stimmt, was Dallas Willard über diese besondere Verbindung zu Jesus sagt: »There is no problem in human life that apprenticeship to Jesus cannot solve.«11 Es gibt kein Problem im menschlichen Leben, das in der Schule von Jesus nicht gelöst werden könnte. Furcht, Gier, Rassismus, Hunger, Gewalt, Einsamkeit, Schuld, Tod, Leiden, Zurechtweisung, persönliche Enttäuschungen, gemeinsame Niederlagen, Scheidung, Bitterkeit, Sucht, Hass – das alles kann in der Schule von Jesus gelöst werden. Das schließt ein: Vergebung meiner Schuld, Versöhnung nach langem Streit, Befreiung von Abhängigkeiten, Mut zu neuen Schritten, Geduld im Leiden, Kraft, Unveränderliches zu tragen, Hoffnung über den Tod hinaus. Darum gibt es nichts Besseres, was Menschen geschehen kann, als dass sie Jüngerinnen und Jünger von Jesus werden.

Merkmale lebendigen, mündigen Christseins


Wenn wir uns das Matthäus-Evangelium als Ganzes anschauen, dann können wir noch genauer sagen, wie ein Jünger lebt und was ihn ausmacht:

Ein Jünger lernt bei Jesus, wie das Leben funktioniert, und dadurch verändert es sich. In der Bergpredigt steht eine Menge darüber: ohne Sorge, ohne Hass und Arroganz, mit einem offenen Herzen und einer großzügigen Hand für Arme, mit einer natürlichen Frömmigkeit, in ehelichen Beziehungen, in denen Sexualität ihren rechten Ort findet usw. Wenn ein Jünger lange außerhalb dieser Schule gelebt hat, lernt er manches neu, muss manches verlernen, neu einordnen und anders einüben. Der Clou besteht darin, keinen Lebensbereich vor dem Meister und Lehrer zu verschließen. Die Freude besteht darin, zu erleben, dass das guttut.

Ein Jünger wird darum Jesus mehr lieben als jeden anderen und alles andere. Je tiefer er versteht, welches Privileg es ist, mit Jesus unterwegs zu sein, desto tiefer wird seine Liebe zu Jesus sein. Alle anderen Beziehungen ordnen sich dahinter ein. Und das tut gut. Es tut gut, wenn mein Ehepartner nicht mein Herr und Heiland sein muss. Auch der Ehe tut das gut. Es tut gut, wenn mein Geld nur ein Mittel ist, und Jesus den Umgang mit dem Geld steuert. Es tut gut, Jesus mehr zu lieben als alles andere.

Ein Jünger wird sich von Jesus an die Arbeit stellen lassen. Jesus hat seine Jünger eine ganze Weile zuhören und zuschauen lassen. Doch dann hat er gesagt: »Jetzt seid ihr dran. Jetzt dürft ihr meine Arbeit in eurer kleinen Welt tun. Heilen und vergeben, trösten und herausfordern, mahnen und erklären. Ihr werdet dabei Schritt für Schritt eure Grenzen erweitern und mehr und anderes tun, als ihr euch jetzt vorstellen könnt. Ihr werdet dabei spüren, wie reich euer Leben wird, wenn ihr meinem Warum dient.«

Ein Jünger ist nicht allein. Ein Jünger hat immer andere, und zwar bestimmte andere, mit denen zusammen er Jünger ist. Jesus hat seine Jünger als Gemeinschaft geformt. Die Menschen in seiner Gruppe hätten sonst nie zueinander gefunden. Sie waren füreinander nicht nur nette Freunde, sie waren eine Zumutung und eine Herausforderung. Aber Jesus will das genau so: dass wir verlässliche Weggefährten werden in der Gemeinde der Jünger. Ein Jünger kann nicht allein für sich Jünger sein.

Einen Jünger lässt Jesus nie im Stich. Wenn man die Geschichte in den Evangelien von vorne bis hinten liest, dann muss...

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