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Lebensbilder von Dichtern I, 1

AutorWalther Jantzen
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl244 Seiten
ISBN9783746004938
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis69,99 EUR
Das Buch enthält Lebensbilder von Dichtern aus dem Umkreis der Nachkriegs-Literaturszene. Nähere Informationen zum Gesamtprojekt: https://www.facebook.com/VerlagfuerBibliotheken

Walther Jantzen (1904-1962) war nach dem Zweiten Weltkrieg zehn Jahre lang Burgwart der Jugendburg Ludwigstein und wirkte als wichtiger Vermittler zwischen zahlreichen Bünden und Personen. Seine Lebensbilder von Dichtern liegen hier in einer Neuausgabe vor.

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Leseprobe

AN IHN


Amice!

Wie rasch gleiten doch unsere Jahre dahin! Sind es wirklich schon Jahrzehnte, daß wir einander auf einer Laienspieltagung begegneten, daß Sie, hochragend und schlank mit ein wenig übermütigem Lächeln von Ihrem „Iha, dem Esel" sprachen und wir beide uns aus dem größeren Kreis, in dem wir uns — heute dürfen wir es wohl eingestehen — als neugierige Fremdlinge vorkamen, zurückzogen, um uns etwas abseits weniger anstrengenden Gesprächen hinzugeben?

Damals wußten wir nicht, daß wir einander jemals wieder begegnen würden. Die Zeiten begannen ihren großen Wirbel, ließen uns einander vergessen, stürzten uns schließlich beide in ein niegeahntes Nichts und trugen uns ohne unser Zutun wieder empor in neues Leben und Schaffen.

Was einst war, ist versunken. Es gleicht einem glücklichen Spiel in einer Zeit, in der nicht Krieg war, nicht Vernichtung, nicht Auflösung.

Als wir einander wiedersahen, hatte die äußere Welt sich verändert. Vielleicht prüften wir uns heimlich gegenseitig, welcher inneren Welt wir wohl jetzt zugehörten. Sie hatten im Feuersturm des Krieges Ihr Hab und Gut verloren. In Ihrem Studierzimmer im neuen Häuschen am Walde beim dörflichen Halver aber hatten Sie jene wesentlichen Zeichen einer Welt, die uns nicht untergehen darf, geborgen: das große, festliche Ölbild, ein paar kostbare alte Möbelstücke, einen Schreibtisch, dem man ansieht, daß er Ihr getreuer Knecht sein will, und so manches andere. Ihr Haus, das Sie Ithaka nennen, schlug die erste Brücke von der jungen Freundschaft einst, zu der Verbundenheit von heute und hier.

Sie sind der Alte geblieben! Wohlan!

Und doch sind Sie, mein Freund, nicht ein Gestriger, sondern ein Heutiger. Aber wie soll die Welt draußen verstehen, daß es solches gibt: alt und neu in einem?

Darf es wohl so gesagt werden: das Herz blieb, das es war, das immer wache, einfühlende Verstehen für den Herzschlag der Dinge, die Treue auch zum Einfachen, die Liebe zum Wirklichen in der Welt, die uns umgibt und — lassen Sie es mich heute ohne Scheu sagen — das feine Lächeln, auch dann noch, wenn dem Nachbarn schon die Träne rinnt.

Das also blieb Ihnen von eh und je.

Hinzu kam Ihnen, was die großen Ungewitter uns allen, die wir überleben durften, hinterließen: der schlichte, unbeirrbare Ernst in der Betrachtung des ewigen Wandels. Sie blieben nicht im Gestern haften, weil Sie dem Leben selber gehören, das nur dann wach bleibt, wenn es sich immerwährend erneuert.

1932 erschien Ihr „Jüngling im Feuerofen“. Wir lasen ihn damals fast sorglos. Der erste Krieg lag schon so lange hinter uns. In der Erinnerung will es mir scheinen, daß wir auch damals etwas behäbig geworden waren. Wir lasen die Geschichte vom heimgekehrten Soldaten Manes Himmerod also wie etwas, das nun glücklich überwunden war, und konnten uns nicht denken, daß wir alle noch einmal Himmerods werden könnten. Damals erfreuten wir uns an Ihren hingebend schönen Schilderungen von den Ufern des Rheines, an den vielen urwüchsigen Gestalten, denen Sie das Geschehen jener Jahre auf den Leib geschrieben hatten, an der verteufelt dreisten Lebensrettungsgeschichte, die erst den fünf Poilus und dann durch diese fünf eingesperrten Deutschen Leben und Freiheit schenkte, und schließlich an der seltsam gültigen Ehegeschichte zwischen dem verträumten Idealisten Manes und der von ihm aus dem Rhein geborgenen Fabrikantentochter Maria Selbach. Wer von uns Lesern hat damals schon groß darüber nachgedacht, warum Sie, mein Freund, dem Roman den gewichtigen Titel vom Jüngling im Feuerofen gegeben hatten?

Wir sollten es alle noch verstehen lernen!

Das Bild vom Feuerofen, in dem die guten Steine hart werden, die schlechten aber zerfallen, tauchte uns in jenen furchtbaren Jahren vor und nach 1945 aus seinen längst vergessenen Zusammenhängen wieder ins Bewußtsein empor. Und dann begannen jene Jahre, in denen Millionen Himmerods über die Straßen zogen, grau und abgerissen, ohne Unterschlupf und wärmendes Herdfeuer, überzählig und im Grunde unerwünscht, wohin immer sie kamen.

Manes Himmerod wurde uns erst nach dem letzten Kriege zu dem „ewigen Heimkehrer“ von gestern, heute und morgen.

Wir lesen den Jüngling im Feuerofen heute mit anderen Augen. Es geht uns nicht mehr um das, was darin zeitgebunden war: das Florettfechten mit den damaligen französischen Besatzern oder die Episode des rheinischen Separatismus oder den politischen Selbstmord des verwichenen Fabrikantentyps! Manes Himmerod ist der überlebende aus der Erzählung jener Zeit geblieben. Er erhebt sich groß und klar über alle Wirrnis der Tage und Jahre. Er ist zur zeitlosen Gestalt des Heimkehrers schlechthin geworden.

Wir wissen es ja alle: Heimkehrer bedürfen wohl des Geldes und der Möglichkeiten zu neuer Existenz. Aber was ist das schon, wenn ihnen das andere nicht kommen will, danach ihre leergebrannte Seele verlangt. Was ist ihnen Betreuung, wenn sie nach Liebe dürsten; was Lohn, wenn sie wirken wollen, nicht nur durch Arbeit Geld verdienen; was gilt ihnen eine bürgerlichsatte Öffentlichkeit, wenn sie die innere Mitte nicht zu spüren vermögen, um die alles lohnensollende Leben kreisen muß.

Als Sie dem einsamen jungen Heimkehrer von 1918 die Seele Manes Himmerods einhauchten, mein Freund, führte Ihnen eine Kraft die Feder, die uns in jenen Dreißigerjahren noch nicht bewußt sein konnte. Ihr Herz war uns allen um ein, zwei Jahrzehnte vorausgeeilt. Es zuckte wohl schon in Vorahnung des Kommenden und gab Ihnen ein, auf seelische Bewährung bedacht zu sein. Deshalb eben mußte Manes seinen Kompanieführer erst hassen, um ihm dann wortlos und freiwillig sein Blut zu spenden und nach endlos langem Zögern sein Freund zu werden. Deshalb auch zog Manes das unbekannte Mädchen aus dem Wasser, um später mit aller Selbstverständlichkeit den im Kriege gefallenen Geliebten zu ersetzen. Deshalb auch rettete er die Besatzungssoldaten aus dem Rhein, deshalb erschoß er den Separatistenführer Anker nicht, obwohl es ihm befohlen war.

Dies ist wohl die ernsteste Lehre, die Himmerod unserem Zeitalter zu erteilen hat: Leben ohne Einsatz und Pflichttreue ist sinnlos. Leben ohne Streben und Mühen, ohne Sorge und Verzicht, ohne Hochgefühl an vollbrachter Tat und Freude am Herzen des Gefährten ist leer.

Nur, weil der Heimkehrer Manes Himmerod lachend und weinend, schaffend und hoffend das Leben im Feuerofen durchläuft, gewinnt er wieder Boden.

Wer von uns ist nicht Heimkehrer aus Katastrophen? Männer, Frauen und Kinder sind auf dem Wege zu innerem Frieden, zur Gelassenheit des Herzens. Noch immer irren wir auf den Straßen zu solcher Heimat, die nur eine neue sein kann, niemals aber ein romantisches Abbild der einstigen.

Wer recht zu lesen vermag, dem geht das Bild Ihres Manes Himmerod nicht mehr aus dem Sinn. Es mahnt ihn zum Ausschreiten, zur Abkehr von aller Lässigkeit.

Es war gut, daß Sie dieses Werk 1952 wieder neu in unsere Hände gelegt haben. Zwanzig Jahre zuvor erfreuten wir uns an ihm, heute ist es uns herzhafte Kost, deren wir bedürfen.

Genug nun des Ernstes, amice! Ich bin Ostdeutscher, Sie sind Rheinländer. Das wäre eigentlich ein Grund, daß wir einander nicht allzuviel zu sagen hätten. Wir Ostdeutschen grübeln gern, wir reiten auch gern in alle Fernen, aber wir haben nicht Eure beschwingte Leichtigkeit, Ihr gutmütigen Rheinischen! Der Karneval war immer bei Euch zuhause. Wir waren mehr für Sträußelkuchen und behagliche Gemütlichkeit. Sei's drum — die Art, wie Sie lachen können, amice, flößt uns ungemein Respekt ein. Da gibt es kein homerisches Gelächter, kein plumpes Grinsen und kein höhnisches Ulken! Wenn man Ihre lustigen Geschichten liest, ist man überzeugt, daß am Rheine das Lachen wächst wie die Rebe: das perlt und glitzert, dröhnt auch mal ein bißchen und zergeht einem sozusagen auf der Zunge! Ist es wohl so, daß man bei Euch mehr lächelt und blinzelt, den Mund vielsagend zucken und die Fältchen um die Augen spielen läßt?

Oder hat eine Muse Ihnen, gerade nur Ihnen, dies in die Wiege gelegt, als Sie Ihren Erdenweg vor 60 Jahren antraten?

Ich wünschte, ich könnte Arnöldchen herbeizaubern, um durch ihn heute die Gratulationscour eröffnen zu lassen! Arnöldchen, den mit dem Krokodil!

„Einen fröhlichen Lausbubenroman“ haben Sie 1952 Ihre schöne Geschichte „Arnold und das Krokodil“ genannt. Es will mir scheinen, amice, daß gerade diese Erzählung unter den ungezählten, die Sie geschrieben haben und bis auf den heutigen Tag über alle möglichen und unmöglichen Blätter in unsere Familien hineinwandern ließen, zu preisen ist. Wir haben während der Notjahre so viele Sorgen gehabt, daß wir nicht aus noch ein wußten, und wir haben jetzt, in den „sieben fetten...

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