Professor Dr. Otto A. Sommer, Weihenstephan,
Landwirtschaftliche Hochschule
Dem Freunde!
Hinter all dem, wer wir sind, was wir sind und wie wir es geworden sind, steht die Genesis unseres Seins, Werdens und Wirkens.
Wohl tritt sie selten ins wache Bewußtsein, für den Wissenden und Suchenden ist sie jedoch erkennbar, wie die Konturen eines Gebirges bei spät verglühendem Abendrot.
Jedem von uns ist sie als Teil unserer Wirklichkeit schicksalhaft und verpflichtend mitgegeben und vorgezeichnet.
Lebens- und Leistungsablauf eines jeglichen Lebewesens ist in allen Entwicklungsstadien abhängig und wird realisiert von dem vielgestaltigen Zusammenspiel der genetischen Veranlagungen mit den Einflüssen der Umwelt.
Im Bereich der Haustier- und Pflanzenzucht beispielsweise bemühen wir uns seit der Jahrhundertwende mit zunehmendem Erfolg, Methoden zu entwickeln, mit deren Hilfe es möglich ist, diesen Beziehungen nachzuspüren. Sie erscheinen jedoch hoffnungslos unzureichend, wenn man es unternehmen will, damit allein in das innere Gefüge eines Menschen, in sein Leben und seinen Wirkungsbereich einzudringen. Denn hier handelt es sich ja nicht nurmehr um mechanistisch-statische Zustände, um den physiologisch gesteuerten Ablauf von Entwicklungen und Funktionen. Nein — hier geht es entscheidend und zusätzlich um das — Gesetzmäßigkeiten und Formeln kaum zugängliche — dynamische Geschehen der geistig-seelischen Entwicklung eines Menschen.
Selten nur ist er dabei lediglich passiv Betroffener, oft vielmehr aktiv Beteiligter. Nur so gestaltet sich, ja so mitgestaltet er selbst seine Persönlichkeit und sein Leben. Dies zeichnet ihn vor allen anderen Geschöpfen dieser Welt aus.
Du, lieber Wilhelm Schloz
hast kaum etwas dem Zufall überlassen, wenn es darum ging, Dein Leben und Deinen Lebensweg zu gestalten.
Deine ganze Art ist geprägt von schwäbischer Herkunft und Heimat:
Herb und schwer wie der Wein aus dem Remstal
der Geist und Mut anregt, den Menschen besinnlich macht
aber auch den Widerspruch herauslockt.
Liebenswert wie das Neckartal
das alt und jung durch die Lande vom Schwarzwald bis ins
Rheintal begleitet
vorbei an Burgen und Bergen, an Dörfern und Städten
und das uns hinführt zu den Menschen, ihren Sitten, Gebräuchen
und ihrer Sprache.
Ursprünglich und rauh wie die Alb.
Herz und Gemüt stärkt sie
und ein Blick von einer ihrer Höhen ins Land hinaus
macht frei, weitschauend und frohgemut.
Und wenn die Sonne niedergeht
und der Abend uns umfängt
werden auch wir unruhige Menschen
eins mit dem All, etwa so, wie Du es einmal in einem Spruch ausgedrückt hast:
„Sonne, Mond und Sterne
Erde, Wald und Ferne
Mutterhand und Brot
sind des Lebens Lot.“
Dein ganzes Büchlein „Geliebte Landschaft“ scheint mir aus dieser Grundhaltung geworden zu sein.
So vielgestaltig die schwäbische Landschaft ist, so verschiedenartig, ja so vielgesichtig sind auch ihre Menschen. Aber alles bleibt in rechten Maßen und strebt nach überschaubaren Zielen, kleinen und großen!
Du bist so ein Schwabe, artshalbcr geboren und mit Willen Dein ganzes Leben lang so geblieben. Aber beileibe kein Allerwelts-Schwabe, wie wir ihm oft und überall begegnen, sondern ein ganz eigener, eben der Wilhelm Schloz.
Aber noch eins, was zu diesen besonderen Schwaben und recht eigentlich zu Deinem Wesen und zu Deiner Gesinnung gehört: es wird nicht nur geredet von einer Sache, es wird nicht nur spintisiert, wie das so schön und bezeichnend heißt, sondern es wird geschafft und Hand angelegt, um einen Gedanken, mag er auch zunächst noch so utopisch anmuten, durch die persönliche Tat in die Wirklichkeit umzusetzen. Das gilt auch von Dir!
In jenen zwanziger Jahren, als die konkreten Leitziele der bündischen Jugend zu verblassen begannen, da erfaßte Dich, gleichermaßen aus Herkunft und Überzeugung kommend, und fernab von jeder Romantik oder gar zeitbedingter Tendenz die innere Not unseres Volkes und führte Dich hin zu dem vom Versiegen bedrohten bäuerlichen Lebens- und Wirkungsbereich.
Da stehst Du bei der Begründung der Württembergischen Baucrnhochschule (1924) an maßgebender Stelle, da kommt dann der Gedanke in Dir auf, eine neue Art bäuerlicher Siedlung zu schaffen. Nach langer Vorbereitung und trotz persönlicher Schwierigkeiten aller Art ziehst Du eines Tages mit Deinen „Landgenossen“ hinauf auf die Alb zu jenem landschaftlich so schön gelegenen „Birken und Teich“. Nur Du selbst und die dort lebenden Bauern können ermessen, was Du unter Hintansetzung so vieler persönlicher Dinge und der Überwindung ebenso vieler sachlicher Schwierigkeiten geleistet hast. Wie enttäuschend, ja, wie erniedrigend mag es für Dich gewesen sein, als Dein hochgemutes und kurz vor der Vollendung stehendes Ziel zwangsmäßig und zwangsläufig anderen Gesichtspunkten geopfert werden mußte.
Ist diese Zeit vergessen und ist diese Arbeit untergegangen? Nein! Sie lebt durch jene Siedlerhöfe weiter und sie ist Dir und uns erhalten geblieben in Deinem so schönen Gedicht „Der Acker“.
Der Acker
Acker, deine braune Krume ist Brot.
Deine Tiefe ist Leib
trächtig vom Kommenden.
Daß ich säen darf
den goldenen Samen
ist mein Adel
und ihn ernten
des Menschen Kron’.
Schweigen ist Segen.
Und noch ehe mein Kind
im Frühling den Kreisel vergessen
und die Mädchen noch spielen
„Blinde Kuh“
vor dem Dorfe
steht, zur Hüfte mir groß
die Frucht, grün und schlank
quellend vom Safte des Brachmonds.
Dann biegt der Sonne Bogen
gilbend die schwankende Fülle.
Der Tag ist heiß.
Und reif wie die Braut
ruht im Arm mir
die flammende Garbe.
Heißere Glut des Sommers auf deinen Leib nun?:
Acker, ich komme!
Und wie die Mutter das Kind
dem die Sonne die Haut verbrannt am Tage
umlegt zur Nacht
auf die weniger schmerzsame Seite
will ich wenden dich
bald
mit dem lindernden Pfluge am Abend.
Was hat uns eigentlich zusammengeführt, wo haben wir uns kennengelernt und wann Freundschaft geschlossen? Es ist gar nicht so einfach, dies zeitlich genau festzulegen. Kommen wir doch aus verschiedenen, wenn auch sehr verwandten Bereichen. Als Du schon verheiratet und ein „gestandener“ Mann warst, zog ich erst vom Main und Spessart her zum Studium ins Schwabenland — nach Hohenheim, wo einst die Bombaste von Hohenheim saßen, die wahrscheinlich schon längst vergessen wären, wenn es nicht den Bombastus Paracelsus gegeben hätte. Es ist merkwürdig, daß ich viele Deiner Freunde kannte, bevor ich mehr von Dir wußte und Dich überhaupt einmal sah. Vom persönlichen Kennenlernen also ganz zu schweigen! Aber immer wieder tauchte Dein Name in ihren Gesprächen auf. An Eurem schönen Gautag 1925 in Besigheim am Neckar, da sah ich Dich mit Weib und Kind zum ersten Mal bewußt und hörte Dich!
Trotz all’ dem waren wir schon in jenen weit zurückliegenden und so glücklichen Jahren und Tagen Freunde in dem Sinne, wie er in dem Aufruf zur ersten freideutschen Jugendtagung 1913 auf dem Hohen Meißner zum Ausdruck kam: „Brüderliche Erkennung und Anerkennung“ und in jenem wohl nimmer wiederkehrenden Geist, der damals tausendc junger Menschen in der deutschen und europäischen Jugendbewegung zusammenführte.
Erst gegen Ende des Krieges kam ich auf dem langen und weiten Weg beruflicher und soldatischer Tätigkeiten über Königsberg, Göttingen, Frankreich, dem Balkan und Rußland wieder zurück ins Schwabenland. Aber die Zeiten waren schwer und sorgenvoll, schier aussichtslos. Bei dem Marschweg aus dem Neckartal hinauf auf die Alb, da sah ich Dich, den Freund des Herzens und der Jugend wieder. Zu einem Zuruf reichte es nicht, aber das spürte ich, daß Du Dich — wie ich selbst — in großer Not und auf dem Wege in eine völlig ungewisse Zukunft befandest. Das war am 21. April 1945, bei hereinbrechendem Abend. Du hast es selber in einem der vielen kleinen Lagerbriefe an mich so dargestellt:
„Ostersonntag, 21. April 1946:
Füglich zählen wir die Tage unserer Freundschaft von jenem an, da Du irgendwo auf der Alb, inmitten des Gewühls des deutschen Reichszerbruches über einen, den Du auch als einen Umherirrenden erkanntest, dachtest: ‚So, der also auch in diesen Tagen heimatlos und doch noch hoffend und glaubend unterwegs.‘“
Aber das war nur eine Station dieses gemeinsamen Leidensweges jener Zeit. Nach einer gerade einigermaßen überstandenen Kriegsgefangenschaft bei den Franzosen warfen unsere anderen Freunde von jenseits des Meeres ihre Netze aus. Und siehe da, wir beide blieben darin hängen! So trafen wir uns unversehens — und eigentlich erstmals richtig...