Die „Richtlinien für den Unterricht in den vier unteren Jahrgängen der Volksschule“[91] und somit die einheitliche Regelung auf Reichsebene trat ab dem 10. April 1937 durch den „Erlass E IIa 485“[92] von Reichserziehungsminister Bernhard Rust in Kraft. Vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte der Richtlinien bestand die Annahme, dass den unteren vier Jahrgängen der Volksschule eine geringere Bedeutung zugesprochen wurde als den oberen Jahrgängen. Einheitliche Reichsrichtlinien für den Volksschulunterricht waren seit 1935 in Planung, der Fertigstellung kam die vordergründige Reform des höheren Schulwesens zuvor. Der Entstehung der Richtlinien wurde erhebliche Kritik entgegengebracht. Die Reform des höheren Schulwesens sollte der Auslöser für die Umgestaltung des Unterrichts in der Grundschule werden. Somit hatten die Grundschulrichtlinien den Charakter von Vorschulrichtlinien für die höhere Schule.[93]
Die Richtlinien umfassten 30 Seiten. Angaben zu Lehrinhalten waren nicht Teil der Richtlinien, aus diesem Grunde erteilte Rust Aufträge an die Lehrer in denen sie zu Aufstellungen von Lehrplänen und Stoffverteilungsplänen aufgefordert wurden. Als Ausarbeitungsbasis sollten die Richtlinien herangezogen werden. Die Bewahrung der Reichseinheitlichkeit wurde durch das jeweilige Kreisschulamt kontrolliert. Somit behielt der Volksschullehrer partiell seine pädagogische Freiheit, dennoch war eine verhältnismäßig autonome Handlung nicht mehr durchführbar. Die Einschränkung des Lehrers bestand in der Festlegung der zu nutzenden Schulbücher und der vorgegebenen Richtlinien. Dessen ungeachtet bestand die Möglichkeit und somit die partielle pädagogische Freiheit der detaillierten Stoffauswahl, sofern von Seiten der Lehrer ein Versuch unternommen wurde politischen Ansprüchen auszuweichen. [94]
Bezieht man sich auf den kurzen Zeitraum, in dem die Festlegung der Reichsgrundschulrichtlinien stattgefunden hat, schloss man darauf, dass diese nur vorläufig geltend gemacht werden sollten. Dieser Vorwurf wurde von Rust zurückgewiesen, kann aber mit einer zweieinhalbjährigen Geltungsdauer belegt werden.[95] Zudem ist der Beleg, dass es sich bei dem Erlass von 1937 um provisorische Richtlinien handelt darin zu finden, dass am 15.12.1939 ein zweiter Erlass folgte. Dieser beinhaltete die Regelung der gesamten Volksschule durch reichseinheitliche Richtlinien.
Des Weiteren sind dem Entlass von 1937 allgemeine schulische, gesellschaftspolitische und parteipolitische Ziele zu entnehmen, die die Grundschule fortan verfolgen sollte. Das allgemein schulische Ziel bestand darin, durch ein einheitliches Schulwesen auf Reichsebene ein auf sich aufbauendes Stufensystem zu erreichen. Die Grundschule glich dabei der untersten Stufe und sollte eine Basis bildende Funktion für das Gymnasium und die Oberschule übernehmen. Ebenfalls zu den allgemein schulischen Zielen zählte die Überlegung über die zusätzliche Übernahme einiger Themengebiete, angesichts der Schulzeitverkürzung von neun auf acht Jahre, die in der Grundschule durchgeführt werden sollten. Diese Überlegungen fanden vor dem Hintergrund statt, dass durch die Übernahme bestimmter Themengebiete ein Ausgleich für die Verkürzung geschaffen wurde und kein Verlust der Themen zu verzeichnen war.
Der Erlass aus dem Jahr 1937 führte dazu, dass der Schule die alleinige Bildungsmacht entzogen wurde. Partei- und Wehrmachtsorganisationen waren dieser als Bildungsmächte ab sofort gleichgestellt. Das parteipolitische Ziel bestand darin, dass die deutsche Jugend zu einer Volksgemeinschaft erzogen werden sollte, die jederzeit zu einem Einsatz für die Nation und den „Führer“ bereit war. Dieser Erziehungsauftrag galt gleichermaßen für Schule, Heer, Arbeitsdienst und Partei. Der Erziehung zur Volksgemeinschaft wurde in der nationalsozialistischen Politik oberste Priorität zugemessen. Die Formung der Schüler sollte als Ergebnis linientreue, politisch zuverlässige, heldenhafte Männer und Frauen vorweisen. Die Hauptaufgabe der Erziehung bestand in der Anregung des Gemeinschaftsgefühls um Teil einer konformen Gruppe zu sein, die gemeinschaftlich ein Ziel verfolgte.
„Nicht das Bewußtsein sic! ... zu sein, sondern das Gefühl zu wecken, Glied einer Gruppe zu sein, deren Zusammenleben ‘auf gleicher Abstammung, auf ähnlicher Gesinnung, auf gemeinsamen Schicksalen und Bestrebungen‘ beruht. “[96]
Das gesellschaftspolitische Absicht der Grundschule bestand in der Vermittlung fundamentaler Fertigkeiten und Kenntnisse und der daraus resultierenden Befähigung zur Teilnahme am Volkskultur- und Volksarbeitsleben. [97]
Analog zu der Erziehung der Jungen, verfolgte die Erziehung der Mädchen das Ziel diese körperlich auszubilden. Als sekundär wurde die Förderung der seelischen Werte gesehen, die geistigen Werte hingegen hatten ideologisch keinen Wert. Deshalb war das Ziel der Mädchenerziehung die Vorbereitung auf ihre zukünftige Rolle als Mutter. Die Gleichheit der Erziehung bestand in dem Verzicht auf die Entfaltung ihrer selbst wie auch in dem Verzicht der Selbstverwirklichung. Gefühle wie Angst, Trauer und Schmerz durften die zukünftigen Volksgenossen und Genossinnen weder verspüren noch zum Ausdruck bringen. Ferner war die nationalsozialistische Erziehung darauf ausgerichtet die Schüler zu Härte, Strenge, Verschwiegenheit und Staatstreue zu erziehen. [98]
„Meine Pädagogik ist hart. Das Schwache muß sic! weggehämmert werden. ... Eine gewalttätige, herrische, unerschrockene grausame Jugend will ich, Jugend muß sic! das alles sein. Schmerzen muß sic! sie ertragen. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. ... Ich werde sie in allen Leibesübungen ausbilden lassen. ... Ich will keine intellektuelle Erziehung. Mit Wissen verderbe ich mir die Jugend. Am liebsten ließe ich sie nur das lernen, was sie ihrem Spieltriebe folgend sich freiwillig aneignen. Aber Beherrschung müsse sie lernen. Sie soll mir in den schwierigsten Proben die Todesfurcht besiegen lernen.“[99]
Ein Schwerpunkt der Grundschulrichtlinien wurde auf den Heimatkunde- und Deutschunterricht gelegt. Nach der nationalsozialistischen Erziehungsauffassung ergab eine Kooperation dieser beiden Fächer eine Einheit. Die Erzählungen aus dem Heimatkundeunterricht wurden durch „geschichtliche Einzelbilder“[100] vervollständigt, hierbei sollte die Heldenhaftigkeit vordergründig sein.
„Helden der Heimat, des Weltkrieges und der Bewegung, der stille Held des Alltags, der Held der Sage sollen das Kind begeistern.“[101]
Das Ziel des Deutsch- und Heimatkundeunterrichts lag nicht in reiner Wissensvermittlung, stattdessen sollte im Unterricht die Basis für den Nationalstolz gelegt werden.[102]
„Der völkische Staat hat ... seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einpumpen bloßen sic! Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt ... die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten ....“[103]
Aufgrund häufiger Änderungen der Richtlinien für die Volksschule, durchgeführt von der Parteikanzlei und dem Nationalsozialistischen Lehrerbund fand eine verbindliche Veröffentlichung der Richtlinien für die gesamte Volksschule erst am 15.12.1939 durch das Reichserziehungsministerium statt. Unter dem Titel „Erziehung und Unterricht in der Volksschule“ existierte eine Gliederung der Richtlinien für die einzelnen Fächer und eine Gliederung der Richtlinien in „Allgemeine Richtlinien“[104]. Eine Festlegung der Aufgaben und Ziele der Volksschule war durch die Allgemeinen Richtlinien gegeben.
Die Erziehung in den unteren Klassen sollte den Grundstein zum Leben in einem Volk legen. Des Weiteren war das Erziehungsziel darauf ausgerichtet, dass sich der Schüler als Einzelperson nicht nur als Mitglied der Gemeinschaft Familie zu fühlen hat, sondern auch als Mitglied einer weitaus größeren Gemeinschaft. Erweitert wurde das Ziel in den höheren Klassen dadurch, dass den Schülern schrittweise durch Unterricht und Erziehung ein Hineinwachsen in die „politische Volks- und Wehrgemeinschaft aller Deutschen“...