5. Opfer und Betroffene
Dem heutigen Menschenhandel fallen spezifische Personengruppen zum Opfer. Die Opfergruppen und deren Merkmale sind zwar je nach Form und Art des Menschenhandels/der Sklaverei unterschiedlich ausgeprägt, darüber hinaus variieren die Opfergruppen je nach Staat und Region. Beispielsweise sind es in Brasilien oft Männer, die auf Faziendas (landwirtschaftlichen Großbetrieben) und in Minen zur Arbeit gezwungen werden, während in Europa und Nordamerika vor allem Frauen in sklavenähnlichen Verhältnissen leben. Zusammenfassend sind dennoch besonders häufig betroffene Personengruppen zu erkennen, die zu einem großen Teil zu den Schwächsten unserer Gesellschaft zählen. Daher wird nachfolgend dargestellt, welche Opfergruppen existieren und worin die Ursachen liegen, dass gerade diese Personengruppen zu Opfern des modernen Menschenhandels und der Sklaverei werden.
Neben den Folgen für direkt Betroffene des Menschenhandels existieren auch indirekte Folgen und indirekt Betroffene. Denn der Handel mit Menschen hat nicht nur die Verletzung individueller und persönlicher Rechte und Freiheiten zur Folge, sondern auch die Mitleidenschaft von Familienmitgliedern sowie strukturelle Folgen für betroffene Milieus und damit verbundenen Gemeinschaften und Gesellschaften.
Die Eigenschaften der hauptsächlich betroffenen Personen werden hier, den persönlichen und strukturellen Folgen vorweg, aufgeführt.
Die erstrangige Ursache für die Rekrutierung von Opfern des Menschenhandels ist deren Armut, fehlender sozialer und staatlicher Schutz und die damit verbundene Hilflosigkeit. Der größte Teil der heutigen Betroffenen des Menschenhandels und der Sklaverei sind einkommensschwache, notleidende und hilflose Menschen. Erst aufgrund ihrer Notlage und fehlender Alternativen sind die Menschen bereit, sich auf unsichere und riskante Geldversprechen, Arbeitsverhältnisse und eine oftmals damit verbundene Migration und Abhängigkeit zu anderen einzulassen. Die Hilflosigkeit der Betroffenen ist daher meist entscheidend. Nur so können die Täter/innen den Zwang auf die Opfer ausüben und aufrechterhalten. Die Betroffenen befinden sich größtenteils in extremen existenziellen und materiellen Notlagen. Darüber hinaus stammen die Betroffenen meist aus Staaten und Regionen, die stark verarmt sind und keine Perspektive auf eine Besserung der Lebensverhältnisse vor Ort zulassen. Um dieser Situation zu entgehen beschließen viele Menschen in reichere Regionen mit höheren Beschäftigungsmöglichkeiten abzuwandern. Schon auf dem Weg dorthin geraten viele Personen bereits an Menschenhändler/innen, die ihnen profitable Arbeitsmöglichkeiten in Aussicht stellen. Die Betroffenen werden dann meist in reichere Nachbarstaaten, Nachbarregionen oder in reiche Industriestaaten verbracht und dort von reicheren Personen ausgebeutet und missbraucht. Daher kann fast ausnahmslos gesagt werden, dass „der Handel (mit Menschen, der Verf.) in der Regel entlang eines Wohlstandsgefälles erfolgt“[33].
Zu der schlechten wirtschaftlichen Lage kommt oftmals der, durch die Armut bedingte, niedrige Bildungs- und Informationsstand der Betroffenen. Diese sind über die Existenz des Menschenhandels und die Vorgehensweise der Täter/innen meist ahnungslos und ebenso für deren oft unrealistische Versprechungen empfänglich. Andererseits sind den Betroffenen einige der Risiken oftmals nicht unbekannt. Dennoch steigt bei vielen durch Armut und fehlende Alternativen die Bereitschaft, das Risiko dennoch einzugehen und die Gefahren zu ignorieren. Zudem werden die positiven Erwartungen bisweilen durch andere, in die Gemeinschaft erfolgreich und wohlhabend Zurückgekehrte, verstärkt.
Darüber hinaus behindern die in den verarmten Staaten häufig vorherrschende Korruption, vorhandene Gesetzeslücken und sogar die zum Teil vorherrschende Gesetzlosigkeit die strafrechtliche Verfolgung der Täter/innen. Es ergibt sich daher, dass oftmals Behörden wie die Polizei den Opfern keinen Schutz bieten oder sogar mit den Menschenhändler/innen kooperieren. Die Täter/innen können somit häufig ungehindert weiter agieren. „(…) we can say that those enslaved lack both the personal and the financial resourches and the social and governmental protections to prevent their enslavements.”[34]
Hinzugefügt werden sollte allerdings, dass die Hilflosigkeit allein nicht der ausschlaggebende Faktor ist, sondern mit ihr einhergehende Präferenzen der Menschenhändler/innen. Es werden nicht die Schwächsten der Schwachen, wie alte, kranke und behinderte Menschen rekrutiert, sondern junge und arbeitsfähige Personen, die den Ansprüchen ihrer ihnen zugewiesenen Zielaufgabe entsprechen. „Trafficers will seek out those who most closely match the needs of their economic activity.”[35] So sind es beispielsweise in Brasilien junge, körperlich belastbare Männer, in Deutschland oft junge Frauen aus osteuropäischen Staaten und in China junge einheimische Frauen, arbeitsuchende junge Männer und geistig Behinderte die zur Zielscheibe von Menschenhändlern/innen werden.
Kinder sind ebenso mit am häufigsten von Menschenhandel und moderner Sklaverei betroffen. Nach „Schätzungen internationaler Organisationen zufolge werden mehr als eine Million Kinder jährlich in die Ausbeutung verkauft (…)“[36]. Die Menschenrechtsorganisation Anti-Slavery geht insgesamt von über 8 Millionen betroffenen Kindern aus. „8.4 million children are in slavery, trafficking, debt bondage and other forms of forced labour, forced recruitment for armed conflict, prostitution, pornography and other illicit activities.”[37] Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass sich zahlreiche Kinder in einer ausbeuterischen Lebenssituation befinden. Hierbei sind es vermehrt Mädchen und Kinder ethnischer Minderheiten, die Opfer von Menschenhändler/innen und ausbeuterischen Arbeits- und Lebensverhältnissen werden.
Die Formen der Ausbeutung bei Kindern sind ähnlich wie die bei erwachsenen Betroffenen. Betroffene Kinder werden zu Fabrik-, Plantagenarbeiten und zu Haushaltstätigkeiten gezwungen. Sie werden mit dem Ziel wirtschaftlicher Gewinne in Bordellen sexuell ausgebeutet, zu pornografischen Aufnahmen gezwungen, sowie an pädophile Einzeltäter/innen verkauft oder entliehen.[38] Darüber hinaus werden speziell Kinder unter Zwang zum Betteln und Stehlen angehalten, sie werden als Drogenkuriere eingesetzt, zum Verkauf von Süßigkeiten, Blumen und Ähnlichem benutzt, zum Kriegsdienst gezwungen oder zum Zwecke der kommerziellen Adoption missbraucht.
Die Betroffenheit von Kindern hat unterschiedliche Ursachen. Als Hauptursache kann auch hier das Armutsgefälle zwischen reichen und armen Nationen/Regionen genannt werden. Die betroffenen Kinder stammen hauptsächlich aus sehr armen Verhältnissen und kinderreichen Familien. Erst die aussichtslose Lebensperspektive veranlassen Kinder und deren Eltern dazu, sich auf den Handel und die falschen Versprechungen der Mittelsmänner einzulassen. Hinzu kommen die mit der prekären Lebenslage der Betroffenen zusammenhängenden starken Bildungs- und Informationsdefizite, welche eine kritischere Einschätzung der Gefahren verhindern. Auch die durch die fortschreitende Globalisierung weltweit verbesserten infrastrukturellen Möglichkeiten, die auch Täter/innen nutzen, fördern den weltweiten Handel mit Kindern. Darüber hinaus ist der Bedarf an billigen Arbeitkräften gestiegen.[39] So sind Kinderarbeiter „zwar weniger produktiv als Erwachsene, sie können jedoch teilweise ganz ohne Lohn und mit nur geringem Aufwand an Verpflegung ausgebeutet werden“[40]. Zu der Situation gehandelter Kinder haben auch der weltweit wachsende Tourismus und die Reisefreiheit beigetragen. Diese haben die sexuelle Ausbeutung von Kindern und die professionelle Organisation von Klau- und Bettelkindern in manchen Urlaubszielen zu verantworten. Kulturelle Ursachen müssen hier aber ebenso Erwähnung finden. So ist es in vielen Kulturen nicht ungewöhnlich Kinder in Arbeitsverhältnisse außerhalb der Region zu geben. Wobei das Ausmaß des Missbrauchs dieser Kinder in diesen Fällen absolut verkannt wird. Schließlich sind es auch kulturelle Ursachen die die häufigere Betroffenheit von Mädchen und Kindern ethnischer Minderheiten ausmachen. Kinder gesellschaftlich diskriminierter ethnischer und religiöser Minderheiten und ebenso Mädchen, die aufgrund ihres Geschlechts weniger wertgeschätzt werden, sind besonders gefährdet, Opfer des Menschenhandels zu werden. Durch ihre Diskriminierung weist ihre Lebenslage in verstärktem Maße typische Indikatoren potentieller Opfer des Menschenhandels auf, wie Armut, verminderter gesellschaftlicher Schutz und niedriges Bildungsniveau. Zuletzt erhöhen schließlich kriegerische Auseinandersetzungen, Naturkatastrophen und damit zusammenhängende Wirren die Verletzbar- und Hilflosigkeit von Kindern und somit die Gefahr ihres Handels und ihrer Verschleppung.[41]
Die Zuführung der Kinder in die Arbeitsverhältnisse und die damit verbundenen Umstände des Handels geschehen unterschiedlich. Die Kinder...